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Die Bereinigung
ОглавлениеEustachius und sein Buch: Er hielt sich nicht erst lange mit Vorgeplänkel auf. Er zeigt unverblümt, wohin der auf leisen Sohlen sich anschleichende Populismus und nach Erringung der Macht deren Missbrauch führen können. Noch ärgerten mich diese Anspielungen, die wir auf Fabians politische Ziele gerichtet annahmen.
Nach nur kurzer Einführung in den Zustand der Gesellschaft stieg er gleich mit einem Paukenschlag in Die Bereinigung ein. Ein älterer Mann kommt in die Klinik, um seine Frau zu besuchen. Das Zimmer ist leer. Seine Nachfrage läuft ins Leere, seine Frau war nie Patientin in der Klinik, bekommt er als Auskunft. Diese Worte machen seinen Albtraum real, was ihn völlig verstört. Im Park gegenüber versucht er mühsam, seine innere Ordnung zurückzugewinnen. Er lässt sich auf einer Bank nieder, als ihm der Atem ausgeht. Die blanke Angst hat ihn gepackt, weiß er doch, dass er bei Nachforschungen auf einem Hochseil balancieren wird. Macht er einen falschen Schritt, wird auch er im Nichts verschwinden. Aber er kann nicht anders, beschließt, den gefahrvollen Weg zu versuchen, unbedingt seine Frau zu finden. Notfalls wird er sie auch aus der Unterwelt zurückholen, seiner Eurydike der Orpheus sein. Bei seinen Nachforschungen kommen ihm seine Verbindungen zugute. Er war leitender Ingenieur bei einem Rüstungskonzern, hat in alle Richtungen Kontakte, die er glaubt anzapfen zu können. Mit Geschick und viel Glück fragt er sich voran. Seine lange verdrängte Vermutung, jedoch längst innere Gewissheit, erweist sich mit jedem Schritt als richtig, allerdings als zu harmlos. Was im Lande geschieht, ist verdammt noch mal ein Horror. Die Demokratie ist längst sanft beerdigt, führt allein durch schöne Worte der Politiker ein vordergründiges Scheindasein. Die Politiker dienen dem eigenen Wohl, agieren Marionetten gleich an den unsichtbaren Fäden finsterer, gesichtsloser Mächte aus der Wirtschaft und dubioser Stiftungen. Die Begleitmusik des Geschwätzes spielen die bunten Bilder und leeren Wortkaskaden der Medien. Eustachius’ kauziger Held schleicht auf Samtpfötchen um alle Fallstricke herum. Die nicht sichtbaren Hände, Ohren, Augen der Geheimdienste überwachen die Menschen mit allen denkbaren Möglichkeiten der digitalen Technik auf Schritt und Tritt. Die elektronischen Medien sind längst für jeden Einzelnen zu einer gefährlichen Falle geworden. Wer sich im Internet aufhält, Mails versendet, Bestellungen mit Karte zahlt, die ganze Palette eben, wird sofort von den tausend heimlichen Augen erfasst und gespeichert. In diese bedrückende, freudlose Welt seines Helden blendet Eustachius perfide scheinbar originale Agenturmeldungen ein, die den Zustand des Landes zusätzlich beschreiben, eigentlich erst auf den Punkt bringen: Das Bargeld ist längst abgeschafft. Firmen entlassen alle Mitarbeiter, die über fünfzig Jahre sind, außer die an der Spitze. Die Regierung erhöht das Renteneintrittsalter. Scharfe Kampagnen laufen gegen Rentner und Arbeitslose. Betriebsrenten werden ersatzlos gestrichen. Starke Rentenkürzungen machen ein normales Leben fast unmöglich. Die Politiker verharmlosen die nicht mehr zu übersehenden Folgen dieser Maßnahmen, kleistern sie sorglos mit Gesülze zu. Eustachius’ immer verzweifelter werdender Held irrt durch eine sich in Einzelteile auflösende Gesellschaft. Er kommt in Kontakt mit Gruppen, die in der Masse Solidarität zu wecken versuchen, allerdings ein vergebliches Unterfangen. Die Organisatoren werden schnell gefunden, von der Straße weg verhaftet und verschwinden spurlos. Auch in Kirchenkreisen ist keine Unterstützung, nicht einmal Hoffnung zu finden. Die Amtskirche ist auf Linie gebracht, hat sich mit der Macht verbündet. Alle humanistischen Werte sind keinen Pfifferling mehr wert. Im Land geht die Angst um. Mittellose werden in Gettos verfrachtet, die aus allen Nähten platzen. Unzählige Schwerkranke werden still und schnell mit Spritzen getötet. Langzeitarbeitslose, auch die ärmsten Rentner, scheinen sich einfach in Luft aufzulösen, sind über Nacht nicht mehr da. Eustachius’ armer Mann hat es aufgegeben, nach der Wahrheit, ein Wort ohne Inhalt, des Verschwindens seiner Frau zu suchen, weiß, dass er gegen Windmühlenflügel kämpft. Er schließt sich einer Gruppe an, einer politischen Sekte, deren junger charismatischer Führer Auswege aus dem Chaos zu versprechen weiß. Doch schon bald bekommt der neue Mitläufer doch so seine Zweifel, ob er nicht einem Blender, einem wortgewandten Scharlatan folgt. Aller inneren und äußeren Stützen ledig, steht der Mann an einem nebligen Morgen auf der Brücke über dem Fluss, starrt hinunter in das dunkle Wasser.
So endet das Buch, das, offenbar gewollt, in vielen Gedanken kafkaesk, in seiner Bösartigkeit monströs ist, aber furios mit möglichen Möglichkeiten spielt.
Wohl gerade weil Eustachius das Ende offenlässt, die vielen Fäden der Erzählung nicht zu einem Knoten verbindet, keine Lösungen beschreibt, das Dunkel konsequent nicht heller werden lässt, macht das den Erfolg seines Erstlings aus.
Allein mit Himmel, Meer und den Bergen, bleibe ich auf dem Pfad stehen, könnte sie zählen, die Gipfel der Serra de Tramuntana, oft Felsen von über eintausend Metern hoch über dem Mittelmeer aufsteigend. Vor mir, fast schon erreicht, der Puig de Massanella. Ich genieße die Ruhe, den leichten Wind, der meine heiße Stirn sanft kühlt, lasse die Weitsicht meine strapazierte Seele beruhigen. Das ist für mich Müßiggang, ein wichtiges Schlüsselwort des Lebens, wie ich es für mich erkannt habe.
Dann erreiche ich die mir unvergessene Stelle, einem unsichtbaren Merkstein gleich, kurz vor dem Gipfel, an der mir, es ist Jahre her, mitten in einem Schritt plötzlich ein Gesicht vor Augen stand. Dieses Gesicht, das ich sah, war dunkel, die Augen Kohlen. Nick Bush. Warum meldete er sich aus meinen Tiefen gerade hier oben auf dem Berg? War er die Antwort auf meine Grübeleien, wer mir, wer uns, mit dem Problem Walt Schumann helfen könnte? Nick war tatsächlich die Antwort. Damals war ich mit einem schweren Rucksack von Fragen nach oben gestiegen und mit leerem Rucksack und einer Antwort, die alles bündelte, wieder abgestiegen.