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Der Traum

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In der vergangenen Nacht hatte ich wieder diesen Traum, der mir, als ich schweißgebadet erwachte, wirklicher erschien als die momentan entschwundene Realität. Fabian von Fernau war zum Ministerpräsidenten unseres Landes gewählt. Die Menschen glaubten an ihn, glaubten, er erfülle ihren stillen Wunsch nach einer festen und entschlossenen Führung, und sie vertrauten seinem Versprechen, ein offenes Ohr für sie zu haben. Dabei war das alles Lüge, ein Albtraum, der reine Humbug.

Psychologisch gesehen war mein Traum eine Projektion. Die Wirklichkeit sah nämlich ganz anders aus. Auf FvF war geschossen worden. Die Kugel war seitlich in seinen Kopf eingedrungen und er war auf der Stelle tot.

So hatte ich es mir vorgestellt, so geplant und so sollte es passieren.

Doch Fabian hatte sich gerade in diesem winzigen Moment nach vorn gebeugt und als sein Kopf auf den Tresen schlug, lebte er noch.

Noch nicht ganz wach, springe ich aus dem Bett, stelle mich ans Fenster, starre in die Nacht. Mein Shirt ist schweißnass. Warum fällt mir gerade jetzt einer der Fragebogen von Max Frisch ein? Haben Sie Angst vor dem Tod? Wenn ja, warum? Und ich denke auch: Was dir in der Nacht träumt, sollst du nach dem Erwachen nicht mehr zu ernst nehmen. Ist es so?

Der Augenblick des Attentats, dieser spitze Punkt in der Zeit, der in meinem Kopf wie ein Film in Endlosschleife läuft, verfolgt mich bis in den Schlaf hinein. Diese schreckliche Szene wird für immer ein Eckpfeiler meiner Erinnerung sein, davor gibt es bestimmt kein Entrinnen. Indolenz ist bei Schuld kein Ausweg.

Die Fassung meines Traumthemas sieht so aus: Bei dem, was ich dort auf dem Bildschirm sehe, seltsam braun unterlegt, ist es auch für mich mühsam, ja fast nicht möglich, meine Zweifel weiter bestehen zu lassen. Keine Frage, FvF hat die Wahl gewonnen. Der ersten Prognose zufolge, die gerade der Moderator mit kühler, neutraler Miene erläutert, wird es ein Erdrutschsieg werden. Der Souverän hat ganz bewusst, wie seit Wochen in fast allen Umfragen unisono vorhergesagt, ein politisches Großreinemachen mit seinem Wahlzettel bewirkt. Ergo ist unser Plan voll aufgegangen. Nein, ich bin gewiss nicht versucht, mir selbst auf die Schulter zu klopfen, wurde mir doch schon zu bald klar, wohin der Hase laufen würde. Mein Vorteil war allein das Privileg, das Ohr des Kandidaten, das von Fabian von Fernau, vor jeder anderen Einflüsterung für mich zu haben.

Ich stehe einen guten Schritt hinter FvF in einem Nebenraum der Zentrale der Bewegung Helles Morgen im Marsstall des Stadtschlosses. Meine Augen fixieren seinen Hinterkopf, während meine Gedanken ganz woandershin entschweben. Neben ihm wartet seine Frau Sibil, die ihn strahlend anlächelt. Für mich fehlt nur der weiße Pudel auf ihrem Arm. Ja, die beiden sind ein schönes Paar, wie für die Medien gemacht, schlank, groß, jung, er dunkel, sie blond. Wie viele Wähler werden dieses Bild vor Augen gehabt haben, diese Symbiose von Schönheit und Erfolg, als sie in der Stille der Wahlkabine ihr Kreuz machten? FvF und Sibil genießen ihren Sieg und ich gönne ihnen mit einem sauren Geschmack im Mund dieses überwältigende Gefühl. Auch, und vor allem, weil ich sicher weiß, dass in jeden Triumph versteckt auch schon der Beginn des Niedergangs lauert. Nur nebenbei gesagt, auch auf diesem Weg ins Tal hinunter werde ich in ihrer Nähe bleiben, wenn sie es denn wollen. Fabian nämlich hat mir dieses Abenteuer, von dem wir träumten, das wir mit heißem Herzen herbeisehnten, für das wir schufteten wie Galeerensklaven, wenn es wohl auch ein Pyrrhussieg sein wird, überhaupt erst ermöglicht, wahrlich ein Geschenk, das ich ihm bestimmt nicht vergessen werde. FvF hat mich aus den Niederungen einer ungeliebten Tätigkeit, einem ziellosen, langweiligen Alltag befreit, mich mit einer faszinierenden Aufgabe als Köder zu sich gelockt und nicht mehr gehen lassen.

FvF und Sibil halten sich an den Händen. Ich kann es nicht sehen, denke mir aber, dass Sibil in eine helle Zukunft lächelt, der sie selbst mit viel Kraft und Fantasie sowie gebündeltem Willen akribisch mit den Weg bereitet hat. Sie hat das Absolute gewollt und jetzt liegt der Zielstrich direkt vor ihr, mit den Spitzen ihrer modischen Schuhe berührt sie ihn bereits.

Auf einmal wendet FvF seinen Kopf, schaut mich fragend an, und ich weiß, er erwartet von mir das Zeichen, will mich den genau richtigen Moment bestimmen lassen, um durch die Tür hinaus auf die Bühne zu treten. Ich verneine mit den Augen, noch ist der Augenblick nämlich nicht erreicht, die Kulisse zu verlassen. Draußen müssen sie mit noch mehr Spannung auf ihn warten, ihn regelrecht ersehnen, ihn, Fabian von Fernau, ihren politischen Heiland, ihr Versprechen auf eine neue Zeit.

Mein Freund Sisyphos

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