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Nubier, Beja, Griechen, Kopten und Araber in Dongola. Der Nordsudan als kosmopolitischer Raum im mittelalterlichen Jahrtausend

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Das nubische1 Niltal zwischen dem 1. Nilkatarakt noch auf ägyptischer Seite und dem 4. Nilkatarakt im heutigen Nordsudan stand über Jahrtausende hinweg im Zentrum von Migrationsbewegungen und war eine historische Kontaktzone par excellence. Migrationen waren zunächst in hohem Maße durch die fortschreitende Austrocknung und die Verminderung der bewohnbaren Gebiete westlich des Nils bestimmt, dann aber auch geprägt von politischen und religiösen Interessen, die bis nach Byzanz reichten. Das Königreich von Makuria, von dem hier in erster Linie die Rede sein wird, erstreckte sich über diesen Raum und möglicherweise noch weiter nach Süden bis zum Zusammenfluss von Nil und Atbara.

Obwohl es als problematisch angesehen werden muss, wenn chronologische und historische Kategorien wie ‚Mittelalter‘ oder ‚mittelalterliches Jahrtausend‘, die im Kontext europäischer Geschichtsperiodisierung entstanden und selbst dort nicht mehr unumstritten sind, auf außereuropäische Kontexte übertragen werden, gibt es eine gewisse Berechtigung, im Kontext der Geschichte Nubiens bzw. des Nordsudan von einem mittelalterlichen Jahrtausend zu sprechen. Allerdings sind die Gründe für eine solche Periodisierung in Europa und dem Sudan nicht komplett deckungsgleich. Das nubische Mittelalter umfasst ungefähr die Periode zwischen den Jahren 500 und 1500 unserer Zeitrechnung. Am Beginn diese Epoche steht das Ende des sogenannten meroitischen Reiches, das über einen Zeitraum von tausend Jahren die Region dominiert hatte, seit etwa 350 aber immer mehr an Bedeutung verlor. Es folgte eine Periode, die von Sudanhistorikern traditionell als ‚dunkles Zeitalter‘ konstruiert wurde, in der es tatsächlich aber mehrere kleine politische Einheiten in der Region gab, die um die Vorherrschaft rangen. Hier können durchaus Parallelen zum Ende der Antike und zur frühmittelalterlichen Übergangszeit in Europa gezogen werden. Allerdings ist es ein anderer Faktor, der die meisten Autoren von einem nubischen Mittelalter sprechen lässt. Spätestens zu Beginn des 6. Jahrhunderts übernahm das nubische Königreich von Makuria die Vorherrschaft in der Region, unter dem es zunächst keine nennenswerten anderen Fürstentümer gab.2 Mit dieser Übernahme nahm eine Epoche ihren Anfang, in der das Christentum in Nubien die vorherrschende Religion darstellte. Zwar beginnt schon recht früh ein langsamer Prozess der Islamisierung; erst um 1500 jedoch verlieren sich die Spuren des letzten christlichen Königreichs in der Region. Traditionell sieht man damit das Mittelalter in Nubien als beendet an; so kann man vereinfacht schließen, dass unter dem mittelalterlichen Jahrtausend in Nubien der Zeitraum verstanden wird, in dem die Region vorwiegend christlich war.

Nubien – so die Eingangsthese – stellte in dieser Epoche eine hybride Gesellschaft dar, die durch Migrationen von Menschen, Volksgruppen, Denkformen, Praktiken und schließlich Religionen gekennzeichnet war. Wenngleich die Forschung zu diesem Themenkomplex noch in den Anfängen steckt, wird hier behauptet und in Ansätzen gezeigt, dass sich die Einwohner Makurias sogar ganz bewusst eine hybride Identität konstruierten.3

Das nachfolgende Zitat beschreibt den Beginn des mittelalterlichen Jahrtausends im Nordsudan aus der Perspektive des Johannes von Ephesus, der seine Kirchengeschichte um 580 u.Z. niederschrieb: „Inzwischen waren der gesegnete Julian und die Botschafter, die ihn begleiteten, im Gebiet der Nubier abgekommen, wovon sie den König und seine Prinzen unterrichten ließen. Daraufhin wurde eine bewaffnete Eskorte hinaus gesandt, die sie freudig in Empfang nahm und sie zum König brachte. Auch er empfing sie mit Freuden und ein Brief ihrer Majestät wurde präsentiert, er wurde vorgelesen und sein Inhalt erklärt. Sie akzeptierten auch die herrlichen Geschenke, die ihnen geschickt wurden, und die zahlreichen Taufgewänder (…). Und unverzüglich waren sie bereit, sich unterweisen zu lassen, schwuren den Irrungen ihrer Vorväter ab und bekannten sich zum Gott der Christen, indem sie sagten: Dieser ist der einzige wahre Gott, und es gibt keinen neben ihm. (…) Der gesegnete Julian blieb zwei Jahre bei ihnen, obwohl er sehr unter der großen Hitze litt. Später erzählte er, dass er zwischen neun und sechzehn Uhr in Höhlen voller Wasser sitzen musste, nackt und nur mit einem Stück Stoff gegürtet, wie es die Menschen im Land tragen. Wenn er das Wasser verließ, bildeten sich auf seiner Haut Blasen von der Hitze. Trotzdem ertrug er alles geduldig und taufte den König und seinen Adel und auch viele Menschen.“4

Bei der in der Erzählung erwähnten Majestät handelt es sich um Kaiserin Theodora von Konstantinopel; diese hatte Delegierte zum König von Makuria in den Nordsudan geschickt, dessen Haus gemäß dieser Erzählung zu diesem Zeitpunkt offiziell zum monophysitischen Christentum übertrat. Das nubische Königreich von Makuria war, wie erwähnt, in der Nachfolge des meroitischen Reiches, das bereits eine hybride, multiethnische Gesellschaft umfasste, entstanden. Die neue Machtelite wählte auch eine neue Hauptstadt, Dongola, Anfangs- und Endpunkt von Karawanenrouten aus dem Westen und Osten und damit Zentrum von Migrationen.

In dieser nach-meroitischen Übergangszeit wanderte auf diesem Wege eine weitere nubisch-sprachige Gruppe aus dem Westen in das Niltal ein und trug zur Ablösung der alten meroitischen Herrscherschicht bei.5 Ganz im Norden des Gebiets unmittelbar südlich des 1. Nilkatarakts ließen sich etwa zur gleichen Zeit eigentlich nomadische Beja nieder. Die Beja, die die Wüstenregionen zwischen dem Nil und dem Roten Meer als (Halb-)Nomaden kontrollierten, hatten auch schon zuvor in symbiotischer Beziehung mit den Niltalbewohnern gelebt. Die Gruppen, die sich nun im Niltal selbst niederließen, heirateten in nubische Familien ein. Die Einführung des domestizierten Kamels im Nordsudan im 3./4. Jahrhundert hatte ihnen eine enorme Mobilität, aber auch Machtfülle verliehen, da sie nun die Karawanenrouten zwischen Nil und Rotem Meer, aber auch nach Äthiopien hin kontrollieren konnten.6 Gleichzeitig befanden sich wertvolle Smaragdminen in ihrem Besitz. Nach der „Christlichen Topographie“ des Cosmas Indicopleustes von 547 wurden die Smaragde über Äthiopien bis nach Indien verhandelt.7

Zu Beginn des mittelalterlichen Jahrtausends trafen also im Gebiet zwischen dem 1. und 4. Nilkatarakt eine alt-eingesessene meroitische Bevölkerung heterogenen Ursprungs, eine eingewanderte, aber schon etablierte nubische Bevölkerungsgruppe, eine aus dem Westen rezent eingewanderte weitere nubische Bevölkerungsgruppe und aus dem Osten eingewanderte Beja aufeinander. Alle vier genannten Gruppen brachten ihre eigene Sprache, Kultur und Religion in die Gemengelage mit ein. Neben diesen größeren Entitäten interagierten Migranten aus Ägypten und Byzanz mit den Niltalbewohnern und brachten neue Denkformen und symbolische Praktiken in die Region.

Im Nachfolgenden soll an einigen Beispielen gezeigt werden, warum Konzepte von Hybridisierung und ‚cross-cultural interaction‘ im Zusammenhang mit dem mittelalterlichen Königreich von Makuria und seiner Hauptstadt Dongola angemessen erscheinen.

Transkulturelle Verflechtungen im mittelalterlichen Jahrtausend

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