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Kapitel 6

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Mit ihren siebzehn Jahren war Eolanee zu einer jungen Frau herangewachsen. Ihr schlanker Körper zeigte weibliche Rundungen und ihr Haar schien in sanften Wellen zu den Hüften zu fließen. Sie trug es offen, obwohl es nun an der Zeit gewesen wäre, die traditionelle Haartracht der heiratsfähigen Frauen zu tragen. Diese teilten die Fülle ihres Haares, banden jeden der beiden Stränge in Höhe des Halses mit einem farbigen Tuchstreifen und trugen es über die Schultern, so dass der Rücken vollkommen frei blieb. Waren sie einem Mann verbunden, so musste das Haar in drei gleichstarke Stränge unterteilt werden und der mittlere wurde als Zopf auf dem Rücken getragen. Eolanee hingegen trug es offen wie ein junges Mädchen, denn sie gehörte als künftige Baumhüterin zu jenen Frauen, die ihre Liebe nicht mit einem Mann, sondern dem Volk und den Bäumen teilen würde.

Für den Auraträger Bergos und die Baumhüterin Neredia war es nicht immer leicht gewesen, aus dem trauernden Kind von einst eine fröhliche junge Frau werden zu lassen. Vielleicht hätte Bergos ihren Kummer über den Tod der Eltern mit der Kraft seiner Aura überwinden können, doch es war den Auraträgern unvorstellbar, ihre Kräfte im eigenen Volk einzusetzen. Schließlich hatte Neredia einen kleinen Schössling zu Eolanee gebracht. Eine winzige und kümmerliche Pflanze, die dem Tod näher war, als dem Leben. Die Baumhüterin hoffte darauf, dass Eolanees Verbundenheit mit der Natur ihre Instinkte ansprechen würde. Diese Hoffnung erfüllte sich und das Mädchen und die Pflanze blühten gleichermaßen auf. Nachdem die Mauer des Schmerzes eingerissen war, erhielt Eolanee wieder die Fähigkeit des Lachens zurück. Die Erinnerung an den grausamen Tag verblasste. Eolanee würde ihn niemals vergessen, aber das Leid beherrschte nun nicht mehr ihr Leben.

Bergos und Neredia unterwiesen sie in allen Dingen und Eolanee war sehr wissbegierig und ihre Fragen trieben die beiden oft an den Rand der Verzweiflung. Eolanee verstand es, die Herzen zu erobern und begegnete anderen Menschen mit einer vorbehaltlosen Freundlichkeit, doch dies war ihrer natürlichen und freundlichen Art zu verdanken und nicht, wie Bergos gehofft hatte, der latenten Fähigkeit der Aura. Sofern Eolanee über diese Gabe verfügte, so schien sie diese jedoch nicht kontrollieren und bewusst einsetzen zu können. Zwar spürte sie die Schwingungen lebender Wesen, aber die junge Frau war nicht in der Lage, sie gezielt zu beeinflussen. Gerade diese Fertigkeit machte die Aura jedoch so wertvoll und befähigte ihren Träger, feindliche Wesen in die Flucht zu schlagen. Immerhin verfügte Eolanee über eine gewisse Veranlagung und Bergos hatte die Hoffnung, diese Gabe werde sich zu einem späteren Zeitpunkt entwickeln.

Der alte Auraträger glaubte fest daran, dass sein Schützling über diese Kraft verfügte, doch er konnte sich täuschen. Er und Neredia hatten sich entschlossen, Eolanees Schulung als Baumhüterin in den Vordergrund zu stellen und ihre mögliche Befähigung als Auraträgerin nicht zu verbreiten. Der Rat der Auraträger bestärkte sie in diesem Entschluss. Ein Wesen, welches beide Gaben in sich trug, konnte Unruhe in das Volk der Enoderi bringen und die Zweifel, dass sie über beide Fähigkeiten verfügten, schienen berechtigt.

Eolanee besaß fraglos überragende Fähigkeiten als Baumhüterin. Ihr Einfühlungsvermögen in die Lebensimpulse von Pflanzen übertraf sogar die Fähigkeiten von Neredia. Normalerweise brauchte es viele Jahre, eine Baumhüterin zu schulen, bis sie so weit war, eigenständig dem Kreislauf des Lebens und den Bäumen der Enoderi zu dienen, aber in Eolanees Fall war die Ausbildung sehr viel früher abgeschlossen.

So stand Eolanee nun mit ihren siebzehn Jahren in Begleitung von Neredia und zwei anderen Baumhüterinnen, vor einer Gruppe Kegelbäume. Sie schien ganz in Gedanken versunken. Die vier Frauen hatten einen der Bäume aufsuchen wollen, aber Eolanee war unvermittelt stehen geblieben und Neredia gab den anderen ein Zeichen, zu warten. Auf den Rundgängen der umgebenden Kegelbäume standen Enoderi und sahen neugierig zu, was da geschah.

Die Gegenwart einer einzelnen Baumhüterin war für die Menschen vollkommen normal. Immer wieder mussten die Kegelbäume auf die gefährlichen Borkenkäfer abgesucht werden.

Diese Handgroßen Parasiten sonderten ein Hormon ab, welches die Wahrnehmung der Bäume trübte. Sie konnten die Insekten nicht aufspüren, bemerkten nicht einmal, wenn diese ihre Fressgänge und Bruthöhlen anlegten. Am schlimmsten war es im Frühjahr, wenn die Käfer ihre Eier legten, aus denen binnen weniger Tage die gefräßigen Maden schlüpften. Dann gab es kaum Ruhe für die Baumhüterinnen und die anderen Enoderi folgten ihren Anweisungen und entfernten die Schädlinge, wo immer sie gefunden wurden. Aber ein paar Käfer konnten sich immer verbergen und entkamen ihren besonderen Sinnen. So musste man während des ganzen Jahres nach den Parasiten suchen und der Besuch der Baumhüterinnen war in den Häusern des Volkes hoch willkommen. Es gab fast Hundert dieser besonderen Frauen und doch war ihre Zahl erschreckend gering, gemessen an der Zahl der Kegelbäume, die es zu behüten galt. Zudem war dies nicht die einzige Pflicht einer Ma´ededat. Ihre Sorge galt auch den normalen Bäumen und Pflanzen sowie den Feldern, auf denen Getreide gezogen wurde.

Der Anblick von mehreren Hüterinnen, deren Sorge gleichzeitig demselben Objekt galt, war daher höchst ungewöhnlich und die vier Frauen, die nun auf einen der Kegelbäume zuschritten, erweckten sofort die Aufmerksamkeit der Bewohner der umliegenden Baumhäuser. Wenn mehrere Ma´ededat gemeinsam tätig wurden, bedeutete dies entweder große Gefahr für einen der Bäume oder die Prüfung einer künftigen Baumhüterin.

Baumhüterinnen trugen keine besonderen Gewänder oder Kennzeichen, aber jeder Enoderi kannte sie und begegnete ihnen mit Respekt. An diesem Tag sahen die Bewohner Ayanteals sogar die Führerin der Hüterinnen, die Ma´ededat´than, in der Gruppe und bei ihr jene junge Frau, die sie in den letzten Jahren oft begleitet hatte. So war ihnen sofort bewusst, dass es sich hier um eine besondere Prüfung handeln musste.

Eolanees Augen waren geschlossen und sie schien vollkommen entspannt. Die einzige Bewegung kam von dem leichten Wind, der zwischen den Bäumen entlang strich und das dünne Gewand gegen ihren vollendeten Körper presste. Neredia wusste, dass die entspannte Haltung der jungen Frau täuschte. Sie war hoch konzentriert und ihre Sinne tasteten nach einem der Kegelbäume. Neredia hatte dies nun schon einige Male erlebt und war immer wieder aufs Neue fasziniert. Andere Ma´ededat mussten die Pflanzen berühren, um ihre Gabe einsetzen zu können, doch Eolanee konnte darauf verzichten. Ihre Gabe musste sehr stark sein und dies war der Tag, an dem die junge Frau dies auch den anderen Hüterinnen beweisen sollte. Es war ihre Prüfung und die Meinung der begleitenden Frauen würde darüber entscheiden, ob es die Zeremonie geben würde, in der Eolanee endgültig in ihren Kreis aufgenommen werden konnte.

„Er hat den Sommerfrost.“ Eolanees Stimme war leise und sanft, wie ihr Wesen.

Neredia sah die anderen an. „Welcher von ihnen?“

„Jener.“ Nun streckte die junge Frau einen Arm aus und deutete auf den betreffenden Baum. „Mehrere der Fangwurzeln sind befallen und der Sommerfrost breitet sich aus. Wir werden schneiden müssen.“

Neben den Borkenkäfern wurden die Kegelbäume auch von einer heimtückischen Krankheit bedroht. Der Sommerfrost hatte eigentlich nichts mit der Eiseskälte des Winters gemeinsam, dennoch war der Vergleich durchaus zutreffend. Es war ein schädlicher Pilz, der von den Fangwurzeln der Bäume bei der Nahrungssuche aufgenommen wurde und sich in den Saftkanälen der Pflanze ausbreitete. Der Pilz ähnelte den Eiskristallen des Winters und hatte zu seinem Namen geführt. Ein befallenes Pflanzenteil musste vom Baum abgetrennt werden. Wenn es nicht gelang und sich der Pilz unbemerkt weiter ausbreitete, verstopfte er die Saftkanäle und der Baum war dem Tod geweiht.

Eine der anderen Frauen räusperte sich. „Kannst du die befallenen Wurzeln nennen und zeigen, wie weit geschnitten werden muss?“

Eolanee nickte und schritt zu dem befallenen Baum hinüber, gefolgt von den anderen. Um ihre Hüfte trug sie einen geflochtenen Gürtel und über der Schulter eine große Tasche, aus der sie nun mehrere Stoffstreifen zog. Ohne zu Zögern knotete sie die farbigen Tücher um eine Reihe der Fangwurzeln. Die Markierungen hatten verschiedene Farben und zeigten auf, bis zu welcher Länge die Wurzeln abgetrennt werden mussten.

Auf dem unteren Rundgang des befallenen Baumes standen genug Männer und Frauen, welche die Bedeutung von Eolanees Handlung kannten. Als die junge Frau zurücktrat, holten sie Sägen und Siegelharz und stiegen in die oberen Baumebenen hinauf, um die erkrankten Wurzelteile abzutrennen.

Eine der Hüterinnen trat näher an den Baum. „Ich will mir eine der abgetrennten Wurzeln ansehen.“

Neredia nickte. Es war das gute Recht der Frau, immerhin wurden heute Eolanees Fähigkeiten geprüft. Sie konnte die Skepsis der anderen verstehen. Äußerlich war dem befallenen Baum nichts anzumerken und Eolanee hatte keine der Wurzeln berührt, wie man es normalerweise tun musste, um die Impulse des Baumes zu erfassen.

Als die erste Fangwurzel zu Boden fiel, trat die skeptische Hüterin näher und zog ein Messer aus der Umhängetasche. Sie führte einen kräftigen Schnitt in die Wurzel und zog die Fasern auseinander. Schon nach wenigen Augenblicken richtete sie sich wieder auf und nickte Neredia zu. „Es ist, wie Eolanee gesagt hat.“

„Gut“, meinte die andere. „Dann lasst uns in eines der Häuser gehen und sehen, wie es um ihre Fähigkeit bestellt ist, die Käfer aufzuspüren.“

Sie traten an einen anderen Baum und die Wurzelschlingen trugen sie sanft nach oben. Die Familie, deren Haus sie aufsuchten, trat respektvoll zur Seite und sah interessiert zu, wie die vier Hüterinnen den Wohnraum betraten. Erneut blieb Eolanee reglos und entspannt stehen.

Dieses Mal bestimmte sie die Richtung, indem sie sofort auf eine Wand deutete. „Dort. Ein Fressgang mit Bruthöhle. Zehn Maden und zwei Elternkäfer.“

Als der Familienvater auf Eolanees Hinweis vortrat und die Wand berührte, öffnete sie sich folgsam und schon bald wurde der besagte Fressgang mit der Bruthöhle sichtbar. Die beiden großen Käfer reagierten sofort. Während sich der eine in den Gang zurückziehen wollte, sprang der andere dem Mann entgegen. Dieser reagierte blitzschnell. Er trug die dicken Lederhandschuhe, die einen gewissen Schutz vor den Kieferzangen der Schädlinge boten. Dennoch zwickte der eine den Mann auf schmerzhafte Weise, bevor er in dem Maschenkorb landete, den die Frau bereithielt. Der Käfer im Fressgang kam nicht weit, wurde gepackt und ebenfalls in den Korb gesteckt. Dann folgten die fetten Maden, die sich schon bald zu gefräßigen Käfern entwickelt hätten.

„Die Hornlöwen werden sich über das zusätzliche Futter freuen“, meinte Neredia. Der Stolz auf Eolanees Leistung war unverkennbar.

„In diesem Jahr gibt es viele Käfer.“ Die junge Frau lächelte ihre Ziehmutter an. „Bergos meint, die Hornlöwen werden schon zu fett von dem reichlichen Futter.“

„Er sollte seinen Hornlöwen öfter satteln und ausreiten, dann wird das Tier auch nicht so dick.“ Neredia lachte auf. „Offen gesagt, Eolanee, meine Liebe, Bergos hat selbst ein wenig zugelegt. Ihm würde die Bewegung ebenfalls nicht schaden.“

Die anderen stimmten in das fröhliche Lachen, in dem nichts Boshaftes lag, ein.

Die Familie dankte ihnen und die vier Frauen verließen das Haus.

Neredia war gespannt auf das Urteil der anderen Hüterinnen, obwohl sie eigentlich keinen Zweifel hatte. Beide Frauen lächelten Eolanee an und legten ihr die Hände auf die Schultern. Es war beschlossen.

Eolanee würde in den Kreis der Baumhüterinnen aufgenommen werden.

Eine von ihnen prüfte den Stand der Sonne. „Wir haben Zeit genug für die Vorbereitungen. Wenn es dir recht ist, Neredia Ma´ededat´than, werden wir die Zeremonie in zwei Wochen vornehmen. Dann können die meisten der anderen Hüterinnen aus den Tälern anreisen und daran teilnehmen. Es ist ein Grund zur Freude für alle Enoderi und besonders für Ayanteal. Es wird Geselligkeit und Tanz geben.“

Die Freude war groß, vor allem bei Bergos Ma´ara´than, der sich darin bestätigt sah, dass Eolanee über bemerkenswerte Gaben verfügte. An diesem Abend saßen die drei zusammen und der Führer der Auraträger gestattete der jungen Frau zum ersten Mal den Genuss von gegorenem Beerensaft.

„Trink nur wenig und trink langsam“, riet Bergos. „Wer den Saft nicht gewöhnt ist, der verliert schnell seine Sinne und die aufrechte Haltung. Du bist jetzt bald eine richtige Baumhüterin und die Bewohner von Ayanteal sollen keinen falschen Eindruck von ihrer künftigen Ma´ededat bekommen.“

Eolanee stieß mit ihnen an und verzog freudig das Gesicht, als sie den Saft kostete. „Das schmeckt gut. Es ist sehr süß. Ein Nektar der Göttin.“

„Warte bis zum kommenden Morgen“, lachte Bergos auf. „Dann wirst du es für ein Gebräu der Finsternis halten. Wenn man zu viel davon trinkt, dann wird einem übel und der Kopf fängt an zu schlagen. Glaube mir, mein Kind, das ist kein angenehmes Gefühl.“

„Dennoch, es schmeckt.“ Eolanee lächelte und leerte ihren Becher.

Bergos seufzte und schenkte ihr nach. „Nun ja, gegen ein gelegentliches Hämmern im Kopf ist wohl nichts zu sagen und wir haben wirklich einen Grund zum feiern. Ich freue mich schon auf die Zeremonie. Unsere kleine Eolanee wird eine richtige Baumhütern.“

Neredia lächelte sanft. „An jenem Abend wird es Musik und Gesang geben. Es wird höchste Zeit, dass Eolanee ein paar Tanzschritte lernt.“

Eolanees Augen hatten bereits einen verdächtigen Schimmer. „Oh, die hat Bergos mir bereits beigebracht.“

„So, hat er das?“ Neredia sah den alten Auraträger forschend an. Dann lachte sie auf und musterte Eolanee zärtlich. „Deine armen Füße. Er wird sie ordentlich platt getreten haben. Ich kann mich erinnern, wie er vor drei Jahren mit mir tanzte. Ein unvergessliches Erlebnis. Vor allem für meine Zehen. Sie haben noch Wochen später an ihn gedacht.“

Jetzt musste auch Eolanee lachen und Bergos, der ein wenig errötet war, stimmte schließlich von Herzen ein.

Am Morgen hatte die junge Frau üble Kopfschmerzen und schwor sich, nie wieder gegorenen Beerensaft zu trinken. Bergos erging es nicht besser, aber er war aus Erfahrung vorsichtiger mit seinem Schwur.

Die Tage bis zur Zeremonie vergingen wie im Fluge.

Inmitten des Waldes aus Kegelbäumen wurde mit den Vorbereitungen begonnen.

Der große Versammlungsplatz bot vielen hundert Menschen Raum, aber die Weihe der neuen Baumhüterin würde auch Bewohner der anderen Täler anlocken. Die Menschen wussten Geselligkeit und Tanz zu schätzen. Bei der Anzahl der Gäste würde man auch den Raum zwischen und unter den Kegelbäumen nutzen müssen. Wenn die Zeit gekommen war, mussten die Bäume einen guten Teil ihrer Fangwurzeln schrumpfen, um genug Raum zu geben. An Speise und Trank würde es nicht fehlen, da die Ernte gut gewesen war.

Am frühen Morgen des Weihetages begannen die Veränderungen auf dem Versammlungsplatz. Wurzeln wuchsen in einem weiten Ring aus dem Boden. Immer höher und höher und sie begannen sich aufeinander zuzuneigen. Als sich die Spitzen berührten, begannen Blätter zu sprießen. So entstand zunehmend ein luftiger und grüner Baldachin. Frauen eilten umher und banden bunte Tücher und Stoffstreifen an die Zweige. Andere stellten Schalen auf, in denen am Abend die Glühkäfer ihr Licht spenden würden. Die Männer brachten Tische und Bänke und stellten sie in weitem Kreis auf. Ihre Beine verbanden sich mit dem Wurzelwerk des Waldbodens und die Möbel wurden zunehmend von wundervollen Mustern und Farben überzogen.

Steinplatten wurden gebracht, damit man die großen Feuerstellen herrichten konnte, über denen man Gemüse und Fleisch zubereiten würde. Die Enoderi schätzten Fleisch, auch wenn sie selbst nicht töteten. Ihre Jagdtrupps waren oft unterwegs und versuchten, die frisch geschlagene Beute eines Raubtieres zu ergattern oder warteten ab, bis ein altes oder verletztes Tier verendete. Meist wurde ein Bär oder anderer Räuber durch den Lärm der Jäger so erschreckt, dass er die Beute freiwillig hergab. Manchmal griff das Tier an und dann musste der Auraträger der Jagdgruppe seine Fähigkeiten einsetzen.

Abgestorbenes Holz und Torf wurden bereit gelegt. Die Jagdgruppen hatten in den letzten Tagen Erfolg gehabt und einige Tiere gefunden, die sich zum Braten verwenden ließen. Die Jäger nahmen die Tiere aus und würzten das Fleisch mit Kräutern. Gegorener Beerensaft und Gerstentrank wurden bereitgestellt und aus einigen Häusern vernahm man die gelegentlichen Klänge von Musikinstrumenten, die für den Abend gestimmt wurden.

Inmitten des grünen Pavillons erhob sich ein Podest, auf dem die Führerin der Baumhüterinnen und die Weise Prophetin die neue Hüterin weihen würden. Es sollte eine feierliche Zeremonie sein, die man mit Respekt begehen wollte. Danach konnte das bunte Treiben beginnen, dem viele schon entgegen fieberten.

Mit dem ersten Abendrot füllte sich der Platz.

Die Spieße über der Feuerstelle drehten sich und begannen die Lichtung inmitten der Kegelbäume mit dem verlockenden Duft gebratenen Fleisches zu erfüllen. Die meisten Ankömmlinge brachten Schüsseln mit Brot, Salat, Käse, Pilzen oder anderen Nahrungsmitteln. Einige Männer und Frauen fanden sich zusammen und begannen zu musizieren. Gelächter war zu hören und die Vorfreude auf den gemeinsamen Abend war überall spürbar.

Eine Gruppe von Frauen ragte deutlich aus den anderen heraus. Das waren die Baumhüterinnen, die keine besonderen Gewänder angelegt hatten, aber nun, als Zeichen ihres Standes, einen Kranz aus geflochtenen Blättern um den Kopf trugen. Eine von ihnen hielt die Umhängetasche mit dem Zubehör einer Hüterin bereit. Obwohl Eolanee längst eine benutzte, würde sie ihr erst an diesem Abend offiziell überantwortet werden.

Auch die Auraträger waren erschienen, so fern sie nicht zur Wache in den Siedlungen benötigt wurden. Fast die Hälfte von ihnen war versammelt und sie sahen eindrucksvoll aus in ihrer einheitlichen Kleidung mit den blauen Umhängen und goldenen Stirnreifen. Von den blauen Steinen, dem Symbol ihrer Macht, schien ein sanfter Schimmer auszugehen.

Bergos trug ebenfalls die Bekleidung eines Auraträgers, verzichtete aber auf den goldenen Stirnreif mit dem Zeichen seines Ranges. Er stand bei den anderen und blickte nervös in die Richtung, aus der die Hauptpersonen des Abends kommen mussten.

Schließlich war es so weit und als die Prophetin sichtbar wurde, verstummten Musik und Gespräche. Ehrfurchtsvolles Schweigen begleitete die Weise Frau, die durch die Menge ging und das Podest unter dem grünen Baldachin betrat.

Dann folgten Neredia und Eolanee. Sie trugen Gewänder ohne Zierrat. Trotz ihres unterschiedlichen Alters waren sie von unvergleichlicher Schönheit und die Schlichtheit ihrer Kleidung unterstrich dies noch. Sie folgten der Prophetin die Stufen hinauf, die nun die Arme hob. Auch das letzte Raunen verstummte. Jemand hüstelte aufgeregt und erntete sofort ein paar kritische Blicke.

„Wir sind die Enoderi“, sagte die Weise feierlich. „Das Volk des Baumes. Wir leben durch den Baum und für den Baum. Er gewährt uns Schutz und Leben, so wie wir ihm Schutz und Leben gewähren. An diesem Tag will eine junge Frau den Kreislauf des Lebens beitreten und sich seinem Schutz verschreiben. Welche Hüterin wird für Eolanee sprechen?“

„Ich, Neredia Ma´ededat´than, werde für Eolanee sprechen.“

„Neredia Ma´ededat´than, Führerin der Baumhüterinnen, wurde Eolanee im Kreislauf des Lebens unterwiesen?“

„Ja, Weise Frau, das wurde sie.“

„Neredia Ma´ededat´than, Führerin der Baumhüterinnen, wurde Eolanees Fähigkeit geprüft und hat sie sich bewährt?“

„Dies wird bezeugt.“

„Eolanee, bist du bereit, dem Kreislauf des Lebens und den Bäumen zu dienen?“

Eolanees Stimme war klar und fest. „Ja, Weise Frau, das bin ich.“

Die Prophetin trat an Eolanee heran und legte ihre Hände an den Kopf der jungen Frau. Die Weise schloss die Augen und kaum jemand schien in diesen Augenblicken zu atmen. „Ich kann die Kraft in Eolanee spüren und es ist eine gute Kraft“, sagte sie schließlich. Sie löste ihre Hände und wandte sich Neredia und den anderen Hüterinnen zu. „Gib mir das Zeichen ihres Standes.“

Die Hüterin mit der Umhängetasche trat vor, reichte sie an Neredia, die sie wiederum der Prophetin gab. Die Weise Frau lächelte sanft, während sie Eolanee die Tasche umhängte. „Trage dies als Zeichen deiner Gabe, Eolanee Ma´ededat. Du bist nun Eolanee, Hüterin der Bäume und eine Dienerin des Lebens.“

„Ja!“ Bergos konnte einen Triumphschrei nicht unterdrücken, aber das fiel nicht weiter auf, denn nun jubelte auch die Menge, um die neue Baumhüterin willkommen zu heißen.

Neredia Ma´ededat´than und Eolanee Ma´ededat warteten, bis die Prophetin das Podest verlassen hatte, dann folgten sie ihr. Nachdem ihre Füße den Waldboden berührten, endete der feierliche Teil des Abends. Der Jubel wandelte sich in Glückwünsche, denn viele Menschen traten vor, um Eolanee ihre Freude zu zeigen. Die Musik begann wieder zu spielen und Gespräche füllten den Platz.

Die Menge löste sich in zahllose Gruppen auf.

Viele freundliche Gesten luden Bergos und die beiden Baumhüterinnen zu den Tischen ein, aber der alte Auraträger sah seinen Freund Merius Ma´ara, dessen grauer Bart sich in den letzten Jahren zu einem fahlen Weiß gewandelt hatte. Der Blick von Merius war noch immer fest, als er die drei zu sich heran winkte. Auch Rolos Ma´ara saß am Tisch und nickte ihnen freundlich zu.

Sie nahmen Platz und ließen sich die Schüsseln reichen. Um sie herum waren Gespräche und Gelächter zu hören, dazwischen die leise Musik der Musikanten, die zur Begleitung aufspielten.

Sobald der erste Hunger gestillt war, würde man zum Tanz rufen und Bergos schien dem entgegen zu fiebern, denn er schlug unbewusst den Takt der Musik mit seinen Fingern. Für ihn war es wohl eine der seltenen Gelegenheiten, sich vollkommen zu entspannen. Nur hin und wieder warf er einen forschenden Blick auf Eolanee und er war beruhigt, dass sie der Musik ebenfalls entspannt lauschte. Obwohl er und Neredia viel Zeit mit der jungen Frau verbrachten, fand sich nur wenig Raum für das Spielen eines Instrumentes oder das Singen der Balladen. Bergos entschuldigte dies immer wieder mit seiner kratzigen Stimme und seinen ungeschickten Händen, und überließ solche Dinge der Baumhüterin.

Schließlich kam der Augenblick, den viele schon sehnsüchtig erwartet hatten. Weitere Musikanten traten zu der musizierenden Gruppe und fröhliche Weisen begannen zu erklingen. Die ersten wurden noch von den Anwesenden mitgesungen oder doch wenigstens mitgesummt, aber nachdem die ersten Männer und Frauen auf die freie Tanzfläche eilten, schlossen sich bald andere an.

Es gab die traditionellen Rundtänze und Reigentänze und Bergos zog Eolanee und Neredia einfach mit sich. Musik und Rhythmus nahmen sie bald gefangen. Bergos musste sich ein wenig darauf konzentrieren, seine Beine im Takt mit der Musik zu bewegen, aber den beiden Frauen fiel es nicht schwer. Ihre Bewegungen waren voller Anmut. Selbst die Kegelbäume fühlten die Schwingungen der Freude. Im Takt mit der Musik der Enoderi begannen die Fangwurzeln sanft zu vibrieren und ein auf und ab schwellendes Summen begann den Platz sanft zu erfüllen.

Dies war der Klang des Waldes, der die Bäume und Menschen gleichermaßen in Freude verband.

Eolanee war eine junge Frau, die durch ihre Schönheit auffiel. Es war verständlich, dass viele Männerblicke länger auf ihr ruhten, als es eigentlich erforderlich war. Aber sie war eine Baumhüterin und somit durfte sich ihr kein männliches Wesen auf eine Weise nähern, wie dies sonst zwischen Mann und Frau üblich war. Die Gabe einer Hüterin war wertvoll und durfte nicht gefährdet werden.

Im Verlauf der Stunden löste sich die tanzende Gemeinschaft in kleine Gruppen und Paare auf. Bergos tanzte, wie alle anderen, mit verschiedenen Partnern und war ein wenig verlegen, als sich Neredia mit sanftem Lächeln in seine Arme schmiegte.

Ihr Gesicht war nicht so entspannt, wie es eigentlich sein sollte und der Auraträger spürte, dass etwas nicht stimmte. „Etwas beunruhigt dich, das kann ich spüren.“

Neredia lachte freudig auf, aber ihre Augen nahmen daran nicht teil. „Jemand verbreitet böse Reden über Eolanee.“

Bergos Augen verengten sich. „Was für Reden?“

„Sie werde zu einem Dämon der Finsternis werden und uns alle vernichten.“ Neredia blickte über ihre Schulter zu der tanzenden Eolanee hinüber. „Es gebe einen Grund dafür, dass sie in Ayan von den Bestien verschont worden sei und es sei kein guter Grund.“

„Auch du wurdest verschont“, erwiderte er grimmig. „Wer erzählt solchen Unsinn?“

„Nur wenige“, beruhigte sie ihn. „Ihre Stimmen fallen nicht ins Gewicht.“

„Es sollte überhaupt keine Stimmen gegen Eolanee geben.“

„Jemand wollte verhindern, dass sie die Weihen erhält.“ Die Baumhüterin seufzte leise. „Man versuchte, die Weise Prophetin gegen sie zu stimmen.“

„Was? Wer?“ Bergos Augen blitzten wütend. „Wer hat das getan?“

„Ich weiß es nicht. Du weißt doch, wie Gerüchte sind. Sie eilen von Ohr zu Ohr und niemand vermag es, ihren Ursprung zu nennen. Aber es heißt, es sei ein Auraträger und das verleiht solchen Worten Gewicht.“

„Kender“, knurrte Bergos. „Es kann kein anderer sein. Er ist der Einzige, der all die Jahre keine Ruhe gab. Der Einzige, der sich im Rat immer wieder mit Bedenken gegen Eolanee zu Wort meldet.“

„Aber warum, Bergos? Fürchtet er sich vor ihr?“

„Ich weiß es nicht. Immerhin ist Eolanees Gabe als Baumhüterin ungewöhnlich stark. Wenn sie wirklich über die Aura verfügt, so wird auch diese außergewöhnlich stark sein. Ich glaube, sie könnte die stärkste aller Auren entwickeln. Vielleicht hat Kender davor Angst.“ Der alte Auraträger blickte über Neredias Schulter und suchte nach Eolanee. Mit einem Mal war ihm der Abend verdorben und er fühlte sich beunruhigt. Als er Eolanee endlich erblickte, fühlte er sein ungutes Gefühl bestätigt. „Bei der Göttin…“

Neredia spürte einen unsanften Stoß, als Bergos sich von ihr löste und sich durch die Tanzenden drängte. Die Baumhüterin folgte seinem Blick und erblasste.

„Verfluchter Kerl, was fällt dir ein?“, schrie der alte Auraträger wütend und riss einen jungen Mann von Eolanee fort. „Wie kannst du es wagen? Sie ist eine Hüterin!“

Der junge Mann erblasste, während Eolanee Bergos unsicher ansah. Aber Bergos hatte in diesen Momenten keinen Blick für sie. Er sah den Jugendlichen drohend an, der vor dem Älteren zurückwich. Es gab keine Gewalt im Volk der Enoderi, doch in diesen Augenblicken schien sie in der Luft zu liegen, so drohend blitzten Bergos Augen.

„Ich… ich habe nur mit ihr getanzt“, ächzte der Jugendliche.

„Nur getanzt?“ Bergos trat weiter vor und sein Gegenüber wich weiter zurück. „Du hast ihre Lippen berührt, du verfluchter Kerl!“

Eolanee schien ratlos und Neredia eilte heran und legte schützend den Arm um ihre Schultern. „Ich verstehe nicht“, flüsterte die neue Baumhüterin benommen. „Warum erregt Bergos sich derart?“

Neredia seufzte. „Du kannst es nicht wissen, weil du es noch nie gespürt hast. Du darfst keine tiefe Bindung zu einem Mann eingehen, mein Kind.“

„Er hat nur meine Lippen berührt.“

„Ja, mein Kind, und das ist schlimm genug.“ Neredia zog Eolanee zur Seite, so dass sie Bergos und den jungen Mann nicht mehr sehen konnte. Neugierige Blicke trafen sie, andere traten näher, um dem Streit zwischen den beiden Männern zu lauschen. Die meisten wussten nicht, um was es überhaupt ging, aber einige hatten die Ungeheuerlichkeit des Vorfalls erkannt.

„Er hat die Lippen der Hüterin berührt“, raunte ein Dorfbewohner.

„Und sie hat sich nicht gewehrt“, fügten eine Frau.

„Schändlich, dies einer Hüterin anzutun.“

„Schändlich, dass sie sich nicht sträubte.“

Bergos und Neredia ignorierten die erregten Worte. Ihre Sorge galt ausschließlich der verwirrten Eolanee. „Wir hätten mit dir darüber sprechen müssen“, sagte Neredia leise. „Aber wir bedachten es nicht, weil es uns selbstverständlich erschien.“ Sie zog die junge Frau in den Schutz eines Kegelbaumes. „Du weißt, dass du dich nicht der Liebe zu einem Mann hingeben darfst, nicht wahr? Darüber sprachen wir.“

„Ja, ich weiß.“ Eolanee zuckte verwirrt die Schultern. „Weil sonst meine Kraft erlischt.“

„So ist es, meine Tochter.“

„Aber… aber wir haben uns nicht hingegeben.“ Eolanee sah die Baumhüterin mit großen Augen an. „Er hat nur meine Lippen berührt, nicht mehr.“

„War es schön?“

„Es war… es war… seltsam“, sagte Eolanee zögernd. „Aber irgendwie auch schön.“

„Das habe ich befürchtet“, seufzte Neredia. „Es ist eine Versuchung, der du widerstehen musst. Du darfst niemals einen Mann berühren, Eolanee. Niemals auf solche Weise, sonst sind deine Kräfte in Gefahr.“

„Aber ich berühre doch auch Bergos.“

„Das ist etwas anderes.“ Neredia lächelte sanft. „Seine Gefühle für dich sind anderer Art.“ Sie nahm die junge Frau fester in den Arm. „Ich glaube, ich werde dir noch vieles zu erklären haben.“

Während die Führerin der Baumhüterinnen mit leiser Stimme auf Eolanee einsprach, konnte Bergos seine Wut kaum beherrschen. Der junge Mann war gestolpert und zu Boden gestürzt und der alte Auraträger stand über ihn gebeugt und hatte ihn bei der Tunika gepackt. „Du hast eine Hüterin mit den Lippen berührt! Eine Hüterin! Hat man dich nicht den Kreislauf des Lebens gelehrt? Hast du nicht begriffen, wie wichtig die Gabe einer Hüterin für die Gemeinschaft ist?“

Kein Enoderi schlug einen anderen, aber Bergos schien wirklich dazu bereit zu sein. Einige Männer sahen sich nervös an und überlegten, ob sie den alten Auraträger festhalten sollten.

„Man hat es mich gelehrt“, keuchte der Jugendliche. „Aber er sagte, es sei nichts dabei.“

„Wer? Wer sagte das?“

„Ken… Kender“, kam die leise Erwiderung.

Bergos richtete sich auf und für einen Moment schien jegliche Farbe aus seinem Gesicht zu weichen. „Kender?“

„Ja.“, beeilte sich der junge Mann zu versichern. „Er sprach mich an und sagte, sie sei schön und Schönheit zu berühren, sei nichts Böses.“

„Du verdammter Narr“, sagte Bergos verächtlich.

Der alte Auraträger wandte sich ab. Er wusste, wo er Kender Ma´ara finden würde. Dort, wo auch die meisten der anderen Auraträger saßen und den Abend in fröhlicher Runde verbrachten.

„Kender!“

Bergos Schrei ließ die Männer am Tisch herumfahren. Während die meisten ihren wütenden Anführer überrascht ansahen, lehnte sich Kender zurück und sah Bergos mit hochmütigem Lächeln an. „Ah, Bergos, sei willkommen. Wir haben an diesem Abend nur wenig von deiner Gesellschaft.“

Bergos trat dicht heran, stützte sich auf den Tisch und beugte sich vor, so dass sich sein Gesicht dem von Kender näherte. „Was hast du vor, du verdammter Kerl?“

Der alte Merius, dessen Augen schon leicht glasig waren, hob seinen Becher. „Was soll dieser Unmut, Bergos, alter Freund? Komm, setz dich und feiere mit uns. Wir haben eine neue Hüterin und das ist wirklich ein Grund um zu feiern.“

Bergos ignorierte den Freund und sah Kender drohend an. „Was hast du vor?“, wiederholte er mit eisiger Stimme. „Warum hast du dem Jungen gesagt, er solle sich Eolanee nähern?“

„Oh, hat er das wirklich getan?“ Kender lachte auf. „Für so dumm hätte ich ihn nun doch nicht gehalten.“

„Oh, doch, du hieltest ihn für so dumm. Für dumm genug, auf Eolanees begehrlichen Körper zu starren und ihre Gabe zu vergessen.“ Bergos versuchte, im Gesicht seines Gegenübers zu lesen. „Warum, Kender?“

„Reg dich ab, alter Mann“, sagte Kender kalt. „Schließlich ist nichts geschehen. Und wenn, so wäre es wohl Eolanees Angelegenheit gewesen, ihre Gabe zu schützen.“

„Sie ist ein unerfahrenes Mädchen, welches die Gefahren der Liebe nicht kennt!“, brüllte Bergos erregt.

„Dann hättest du sie besser unterweisen müssen“, erwiderte Kender spöttisch.

Der Schlag traf den jüngeren Auraträger vollkommen unvorbereitet.

Niemand hatte damit gerechnet, nicht einmal Bergos, der ihn ausführte. Der Schlag warf den aufschreienden Kender nach hinten und während er zu Boden stürzte, schrien ringsum Enoderi erregt auf.

„Was hast du getan?“, keuchte Merius entsetzt. „Du hast… du hast die Hand gegen einen Menschen erhoben. Du hast Kender geschlagen! Bei der Göttin, Bergos Ma´ara´than, was für ein Dämon ist in dich gefahren?“

Kender erhob sich und etwas Blut sickerte aus einem Mundwinkel. „Dafür, Bergos, bringe ich dich vor den Rat der Auraträger.“ Sein Gesicht verzog sich zu einem triumphierenden Lächeln. „Du bist es nicht würdig, ein Auraträger zu sein und ich werde beantragen, dich auszustoßen. Und deine kleine Eolanee, die kann dich dann begleiten.“

Nie zuvor hatten Enoderi die Hand gegeneinander erhoben und nie zuvor hatte Hass zwischen ihnen gestanden. Doch nun, in diesem Augenblick, war er für alle spürbar.

Bergos atmete schwer und hörte, wie die Musik verstummte.

Merius Trunkenheit war mit einem Schlag gewichen. Betroffen sah er den älteren Freund an. „Ich fürchte, Bergos, der Rat wird zusammentreten müssen. Du weißt, ich habe dich und Eolanee immer unterstützt. Aber nun wurde Gewalt ausgeübt. Du hast die Hand gegen ein anderes Wesen erhoben. Kender blutet! Du hast Blut vergossen! Bergos, mein alter Freund, dies ist ein finsterer Tag in der Geschichte unseres Volkes.“

„Ich beantrage die Verstoßung von Bergos und Eolanee“, sagte Kender grimmig. „Gewalt wurde ausgeübt und bedroht den Kreislauf des Lebens. Das dürfen wir nicht dulden.“

„Dies ist keine Versammlung des Rates“, erwiderte Merius. Er sah Bergos traurig an. „Aber wir werden sie einberufen und über den Antrag beraten müssen.“

Bergos und Kender sahen sich an. So uneins sie sich auch sonst sein mochten, in ihrem gegenseitigen Hass waren sie verbunden.

Eolanee

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