Читать книгу Eolanee - Michael H. Schenk - Страница 9
Kapitel 7
ОглавлениеFür Eolanee war es eine Heimkehr, bei der sie gemischte Gefühle empfand. Sie wusste, dass sie in Ayan geboren worden war und nun auf das Tal zuging, in dem sie einst mit ihren Eltern lebte. Aber ihre Eltern waren tot, erschlagen von den Berengar und dies galt für alle Menschen, die einst das Tal mit Leben erfüllten. Die meisten Jahre ihres jungen Lebens war sie in Ayanteal aufgewachsen, unter der Obhut von Bergos Ma´ara´than und Neredia Ma´ededat´than. Für Eolanee waren diese beiden zu geliebten Menschen geworden und es fiel ihr schwer, sich von ihnen zu trennen und in ein Tal zurückzukehren, das nicht mehr ihre Heimat war.
Doch der Wunsch des Rates war eindeutig.
Eolanee sollte als Hüterin der Bäume nach Ayan gehen.
Aber statt sich ihrem Heim zu nähern, empfand sie es, als würde sie sich mit jedem Schritt davon entfernen. Jeder Schritt, der sie näher nach Ayan trug, führte sie weiter von Ayanteal fort.
Als sie das große Tal von Ayanteal hinter sich ließ, da hatte sie noch geglaubt, der Weg werde ihr leichter fallen, wenn sie den Blick nicht mehr zurück wandte. Für eine gewisse Zeit, als sie durch das folgende Tal ging, war ihr Schritt beschwingt und leicht gewesen, aber nun, da sie von einem sanften Hügel auf Ayan hinunter blickte, da schien sich ihre Brust zusammen zu schnüren.
Die Erinnerungen, die in all den Jahren verblasst waren, drängten sich wieder nach oben.
Sie hörte die Schreie der Berengar und die der sterbenden Menschen, sah das Blut und die toten Leiber. Sah ihre Mutter und Betratos, sah den Busch, der ihr Leben schützte. Das alles sah sie, auch wenn es verschwommen und undeutlich wirkte. Manches hatte sie als kleines Kind nicht richtig wahrgenommen, anderes war mit brutaler Schonungslosigkeit und Schärfe in ihre Seele eingebrannt.
So stand Eolanee oben an der Straße, gekleidet in eine schlichte Toga und sie fröstelte, trotz des warmen Windes, der von den Höhen zum Tal strich. Ihre Hand krampfte sich um die Tasche mit den persönlichen Habseligkeiten. Über der Schulter hing die andere, in der sie die Dinge aufbewahrte, die zur Zunft der Baumhüterinnen gehörten. Sie wünschte, Bergos und Neredia wären nun an ihrer Seite und zugleich war sie froh, dass es nicht so war. Die Gegenwart der geliebten Menschen hätte ihr Kraft gegeben und sie zugleich geschwächt, denn die Trennung wäre nur noch schmerzhafter geworden.
Eolanee Ma´ededat konnte sich noch sehr gut an die vergangenen Tage erinnern.
Die Tage, in denen sich so vieles verwandelt hatte.
An den Abend, der so feierlich begann und so schrecklich endete.
Den darauf folgenden Morgen, als sich der Rat der Auraträger in der Ratshalle versammelte.
Die beiden metallenen Türflügel waren verschlossen worden, was mehr als ungewöhnlich war. Die Menschen warteten vor der Halle, Stunde um Stunde, denn noch nie zuvor war ein Auraträger der Gewalt bezichtigt worden. Aber viele hatten selbst miterlebt, wie Bergos die Hand gegen Kender erhoben hatte. Blut war geflossen, vergossen von einem Enoderi. Eine Ungeheuerlichkeit, eine Einzigartigkeit in der Geschichte des Volkes. Der Kreislauf des Lebens war geschändet worden, noch dazu von einem Auraträger, der geschworen hatte, diesen Kreislauf zu schützen.
Jeder im Volk nahm Anteil daran. Jeder tat dies auf seine Weise und mit seiner Stimme. Manche waren voller Entsetzen über die Tat und flüsterten von Verbannung, andere empfanden Mitgefühl. Aber die meisten waren einfach verwirrt und verstanden nicht, wie etwas so Furchtbares hatte geschehen können. Neredia und Eolanee hatten sich bei der Hand gehalten und es war nicht die nächtliche Kühle gewesen, die sie unmerklich zittern ließ. Die ganze Nacht über harrten sie aus und die meisten der anderen mit ihnen. Nie zuvor beriet sich der Rat so lange und dann, am frühen Mittag, erschien sogar die Weise Prophetin. Die Tür der Ratshalle öffnete sich kurz und schloss sich auch schon wieder, kaum dass die schlanke Gestalt in der roten Robe eingetreten war. Erneut begann das Warten und die Anspannung war sogar noch gewachsen, denn die Prophetin betrat die Halle der Auraträger nur sehr selten. Als die Türflügel aus Metall schon wenig später wieder auseinander glitten, erfolgte es so unerwartet, dass die Menschen erschraken und wie gebannt in die Öffnung starrten. Zunächst erschien die Prophetin, doch sie sprach kein Wort, sondern schritt schweigend ihres Weges. Noch während ihr alle Blicke folgten, war Merius, der alte Auraträger, fast unbemerkt hervor getreten. Ein Raunen war durch die Versammelten gegangen.
„Hört mich an, ihr Menschen des ewigen Kreises des Lebens.“ Merius hatte seine Arme erhoben, als wolle er die Anwesenden segnen. „Hört meine Worte und verkündet sie jenen, die sie nun nicht vernehmen.“
Der weißhaarige Auraträger hatte mit leiser Stimme gesprochen, aber die Menge war so still gewesen, dass nahezu jeder seine Worte verstand und wer doch zu weit entfernt war, dem waren sie hastig von den anderen zugeflüstert worden.
„Bergos Ma´ara hat die Hand gegen ein anderes Leben erhoben und damit gegen den Kreislauf des Lebens verstoßen. Trotz dieses schweren Vergehens hat der Rat der Auraträger beschlossen, Bergos nicht zu verstoßen und auch nicht aus dem Kreis auszuschließen.“ Erneut hatte sich Raunen erhoben und Merius forderte zur Ruhe auf. „Er ist jedoch nicht mehr der Ma´ara´than. Der Stirnreif des Führers geht, nach Beschluss des Rates, auf mich über. So habe ich, Merius Ma´ara´than, nun die Pflicht, folgendes zu verkünden: Bergos Ma´ara und seine Aura werden ab sofort dem Schutz der südlichen Täler gelten. Die Baumhüterin Eolanee wird nach Norden in ihr heimatliches Tal Ayan gehen. Beiden ist der Kontakt zueinander verboten. Dies ist der Beschluss des Rates.“
Eolanees Hand hatte sich in die von Neredia gekrallt. In die Freude darüber, dass man Bergos nicht härter strafte, mischte sich die Verzweiflung, dass die Gemeinschaft, welche die junge Frau als ihre Familie empfand, auseinander gerissen würde.
Sie erhielt nicht einmal die Gelegenheit, sich von Bergos zu verabschieden. Freundlich, aber bestimmt, zog man sie von der Ratshalle fort und sie musste ihre persönliche Habe hastig packen. Auch der Abschied von Neredia fiel kurz aus. Viel zu kurz. Andere Baumhüterinnen begleiteten sie zur Straße und wünschten ihr Glück.
Das alles geschah so schnell, dass Eolanee kaum zu Sinnen kam.
Es war nicht so, dass die Menschen ihr Böses wollten. Sie mochten die junge Baumhüterin, deren Gabe so außergewöhnlich war. Aber die Bewohner des Tals waren erleichtert, mit Eolanee die Ursache des furchtbaren Ereignisses aus Ayanteal zu verbannen.
Nun stand die junge Baumhüterin auf der Straße oberhalb Ayans und beim Anblick des Tals füllten sich ihre Augen mit Tränen. Sie dachte an Bergos und Neredia und setzte ihre Füße nahezu blind auf den Boden, stolperte, als sie gegen einen Stein stieß und stürzte hin. Sie fiel auf die Knie und ihre Handflächen prallten auf den Weg. Ein Stein stach in ihren Handballen und der scharfe Schmerz riss sie aus ihrem Kummer. Instinktiv säuberte sie ihre Hand und zog einen der Stoffstreifen aus der Tasche, mit denen die kranken Fangwurzeln markiert wurden, um die Wunde zu versorgen. Während sie ihn verknotete, warf sie einen Blick über das Tal. Es sah so friedlich aus und nichts erinnerte an das grausame Ereignis der Vergangenheit.
Sie sah den Wald der einfachen Bäume, wo sich die Dornbüsche befanden, sah den breiten Saum, der ihn von dem Rund der Kegelbäume trennte und davor die Felder, die bald reif zur Ernte sein würden. Ein paar Menschen waren dort unterwegs, die sich der Pflege der Pflanzen widmeten. Kinder tollten umher, deren fröhliches Geschrei bis zu Eolanee drang. Sie entdeckte einen Mann und eine Frau, die zwischen den Feldern auf sie zukamen. Ganz offensichtlich war Eolanee ihr Ziel, denn die Frau hob die Hand und winkte freundlich.
Ayan, die alte und neue Heimat, erwartete sie.
Eolanee erhob sich, klopfte ihr Gewand ab und schämte sich ein wenig, da sie durch den Sturz schmutzig geworden war und nicht den Eindruck einer ehrwürdigen Baumhüterin vermittelte. Seufzend nahm sie ihre Taschen auf und ging dem Paar entgegen.
Der Mann und die Frau hätten kaum gegensätzlicher sein können.
Der Enoderi war klein und sehr schmächtig. Sein Gesicht zeigte die Falten hohen Alters und die einstige Pracht seiner Haare beschränkte sich nun auf einen schmalen Saum, der seinen Kopf, dem Stirnreif eines Auraträgers ähnlich, umgab. Die Frau hingegen war groß und dabei sehr rundlich. Eolanee sah die Tasche, die über ihre Schulter hing und wusste, dass es sich um eine Baumhüterin handelte.
„Willkommen! Willkommen in Ayan“, rief die Frau schon aus einiger Entfernung und breitete dabei freudig die Arme aus. Ihre Umhängetasche verrutschte und sie schob sie hastig zurück, dabei ein strahlendes Lächeln im Gesicht. „Willkommen, willkommen.“
Eolanee fühlte sich umschlungen und die Frau presste sie auf eine Weise an sich, dass sie kaum noch atmen konnte. Über die Schulter der Frau sah sie den alten Mann, der sichtlich nach Luft schnappte und wortlos nickte. „Willkommen“, schnaufte er schließlich. „Auch mein Willkommen, Baumhüterin.“
Die Frau gab Eolanee frei, nur um sie dann erneut an sich zu drücken. Ihre Freude war unverkennbar, aber die junge Baumhüterin befreite sich nun aus den Armen der anderen. „Danke für euer Willkommen, ihr guten Leute. Aber gebt mir etwas Raum zum Atmen. Eure Herzlichkeit ist überwältigend.“
„Ach, entschuldige.“ Die rundliche Hüterin trat ein wenig zurück. „Es ist nur die große Freude, dass du zu uns kommst.“ Sie legte Eolanee einen Arm um die Schultern. „Ich bat die Ma´ededat´than schon oft um Hilfe und nun, ganz überraschend und unerwartet, stehst du vor mir. Ach, du glaubst nicht, wie froh ich darüber bin. Eigentlich sollten wir in Ayan zu Dritt sein, aber in Ayandaru haben sie den Sommerfrost und Tisa Ma´ededat ist hinüber, um den armen Leuten dort beizustehen. Schrecklich, wirklich schrecklich.“
Eolanee war überwältigt von dem überschwänglichen Empfang und bevor sie etwas erwidern konnte, packte die andere Hüterin sie am Arm und zog sie mit sich. „Wir haben dir ein schönes Haus vorbereitet. Ein schönes Haus, du wirst zufrieden sein“, versicherte die Frau. „Ist ja noch viel Platz in Ayan. Viel zu viel Platz.“ Sie seufzte. „Du hast es vielleicht noch nicht gehört, aber vor vielen Jahren kam es hier zu einer furchtbaren… Au, was ist?“
Der kleine Mann hatte der rundlichen Hüterin einen herzhaften Knuff versetzt. Die Frau sah ihn irritiert an und errötete. „Ach so, ja, ich vergaß.“ Ihre Röte vertiefte sich und sie sah Eolanee verlegen an. „Bei der Göttin, ich Dummerchen. Ich wollte nicht…“
„Schon gut“, seufzte Eolanee. „Ich musste ohnehin daran denken, als ich Ayan nach so vielen Jahren wieder sah.“
Der Mann straffte seine Haltung und glättete seine Toga. „Ich bin Osenas, der Älteste von Ayan. Die ganze Gemeinschaft freut sich schon auf dich, Baumhüterin. Deine Fähigkeiten sind uns hoch willkommen. Einer unserer Kegelbäume leidet und wir finden die Ursache nicht.“ Er seufzte schwer. „Ausgerechnet jetzt, wo Tisa in Ayandaru ist.“
„Ich finde es schon heraus“, versicherte die rundliche Hüterin. „Zumal Eolanee nun bei uns ist. Sie soll sehr begabt sein. Sehr begabt.“ Erneut errötete sie. „Göttin, ich habe mich dir gar nicht vorgestellt. Ich bin…“
„…Itena“, sagte Eolanee lächelnd.
Die Baumhüterin lächelte erfreut. „Ah, du hast von mir gehört.“
„Aber ja.“ Eolanee lächelte sanft. „Dein Name ist bekannt unter den Hüterinnen.“
„Ha, das will ich meinen.“ Itena Ma´ededat lachte fröhlich. „Aber lass uns erst dein Haus aufsuchen. Der lange Weg muss dich erschöpft haben. Göttin, ich Dummerchen, ich lasse dich ja kaum zu Atem kommen. Ah, sieh nur, die Menschen Ayans kommen, um dich zu begrüßen.“
Unter den Bäumen war Bewegung zu erkennen. Immer mehr Menschen traten unter den Bäumen hervor und näherten sich den Feldern, zwischen denen Eolanee mit Itena und Osenas auf die Siedlung zuging. Willkommensgrüße waren zu hören und jeder wollte Eolanee wenigstens flüchtig berühren, um sie so in die Gemeinschaft aufzunehmen. Eolanee spürte, dass die Worte ohne Falsch waren und von Herzen kamen und das minderte die schmerzlichen Erinnerungen, die sie beim Anblick der Bäume empfand.
Einer von ihnen fiel ihr sofort ins Auge. Die langen Fangwurzeln an der kegelförmigen Struktur des Baums waren auf ungewöhnliche Weise verdreht, als wickelten sie sich um einen unsichtbaren Gegenstand. Gelegentlich ging ein unmerkliches Zucken durch die Wurzeln.
Eolanee streifte ihre Tasche von der Schulter und schritt auf den Baum zu. Sie war derart konzentriert, dass sie gar nicht bemerkte, wie die Menschen sich überrascht ansahen und ihr dann hastig folgten. Unterhalb der ersten Fangwurzeln blieb Eolanee stehen.
Itena trat neben sie. „Das hat er schon eine ganze Weile. Aber ich kann nichts Ungewöhnliches spüren. Natürlich hat er ein paar Borkenkäfer. Die Bäume haben ja immer ein paar Borkenkäfer. Aber die können das nicht verursachen und es ist auch kein Sommerfrost. Es ist auch kein Befall von Pilzen.“ Itena seufzte schwer. „Es ist mir ein Rätsel, Eolanee, ein wirkliches Rätsel.“
Eolanee legte den Kopf in den Nacken und ließ den Blick nach oben schweifen. Sie sah die Rundgänge der Häuser, aber keine Menschen. „Ist der Baum bewohnt?“
„Seit langer Zeit nicht mehr. Natürlich haben wir ihn sorgfältig gepflegt und nach Käfern abgesucht“, versicherte die Hüterin hastig. „Nun, in letzter Zeit nicht mehr so oft. Die Fangwurzeln reagieren kaum noch auf unsere Berührung und ohne Fangwurzeln ist es schwer, in die Häuser zu gelangen.“
Eolanee leckte sich unbewusst über die Lippen. Dann stellte sie ihre Taschen neben sich auf den Boden und setzte sich mit übereinander geschlagenen Beinen hin. Sie legte die Hände mit nach oben weisenden Handflächen auf die Knie und versank in tiefer Konzentration. Die Bewohner von Ayan warteten schweigend, um sie nicht zu stören.
Schließlich öffnete Eolanee die Augen. „Käfer.“
„Ich weiß, dass Käfer im Baum sind“, meinte Itena. „Es sind immer welche in den Bäumen. Ich habe die Räume sorgfältig gespürt, Eolanee, das kannst du mir glauben.“
„Ich glaube dir. Aber sie sind im Stamm.“ Eolanee richtete sich auf und deutete auf die dicke Borke des Zentralstamms. „Dort drin. Sehr viele Käfer.“
„Sie sind nie im Stamm“, wandte einer der Männer ein. „Die Hitze der Kochstellen gefällt ihnen nicht. Sie schadet ihren Maden.“
Itena Ma´ededat seufzte in plötzlicher Erkenntnis. „Es ist mein Fehler. Ach, ich Dummerchen. Das hätte ich bedenken müssen. Der Baum wird schon eine ganze Weile nicht mehr bewohnt und so wird natürlich auch nicht gekocht.“ Die rundliche Baumhüterin blickte betroffen auf den befallenen Baum. „Aber warum sind sie nur im Stamm und nicht in den Räumen?“
„Sie haben sich sicherlich nach oben gefressen. Oben auf dem Kegel wachsen die Samenkapseln der Kegelbäume.“
„Oh, Göttin, ich Dummerchen.“ Itena zuckte die Schultern. „Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät.“
„Ich weiß es nicht.“ Eolanee lächelte freudlos. „Dort oben sind die Kapseln und das, was die Fangwurzeln bewegt. Der Käferfraß muss schon weit fortgeschritten sein, sonst würden die Wurzeln noch reagieren.“ Die junge Baumhüterin deutete auf einige Männer. „Baut einen hölzernen Steig mit dem man das untere Haus erreichen kann. Ihr müsst so viele Kochstellen wie möglich befeuern. Die Hitze wird aufsteigen und vielleicht haben wir Glück, dass es die Käfer aus dem Zentralstamm vertreibt. Dann müssen wir versuchen die Krone des Kegels zu erreichen. Jene Käfer, welche der Hitze ausweichen, werden Fressgänge nach außen bohren. Wir müssen sie entfernen.“
„Ihr habt die Baumhüterin Eolanee gehört“, rief Osenas und klatschte auffordernd in die Hände. „Verliert keine Zeit und macht euch an die Arbeit. Und du, Hüterin, wirst mir jetzt zu deinem Haus folgen. Bei der Göttin, du bist kaum in Ayan und schon findest du keine Ruhe, obwohl du sie sicherlich nötig hast.“
Itena nickte. „Ich werde darauf achten, dass alles geschieht, wie du es gesagt hast. Ach, wirklich, ich bin sehr froh, dass du nun bei uns bist und mir helfen kannst.“
Osenas klatschte erneut in die Hände. „Bereitet alles vor, aber wir werden bis zum Morgen warten. Es ist spät und wir wollen uns für die Nacht vorbereiten.“ Er deutete auf einen stämmigen Mann. „Gendas, solange noch Licht ist kannst du alles vorbereiten. Morgen, bei Sonnenaufgang, steigen wir in den Baum.“
Eolanee war überrascht wie viel Zeit vergangen war. Sie hatte Ayan gegen Mittag erreicht und musste sich sehr lange in Konzentration befunden haben. Sie sah nach Westen. Die Kronen der Bäume begannen sich im Licht der sinkenden Sonne rötlich zu färben.
Die Menge verlief sich um die Vorbereitungen für die Nachtruhe zu treffen und eine Gruppe von Männern eilte mit Gendas davon, um Holz und Werkzeug zu holen. Der Aufstieg in den Kegelbaum wäre ein Leichtes gewesen, wenn dessen Fangwurzeln noch reagiert hätten, aber das war nun einmal nicht der Fall. Der Abstand zwischen den Bäumen machte es auch unmöglich, die Wurzeln eines anderen Baumes zu nutzen und so blieb nur die Möglichkeit, eine Leiter zu bauen.
Osenas führte Eolanee zu einem mittelgroßen Kegelbaum. „Es ist ein schönes Haus, du wirst dich darin wohl fühlen“, versicherte der Älteste von Ayan. Er berührte eine Fangwurzel, die sich streckte und eine Sitzschlinge bildete. „Wir haben schon einige Dinge hinein geschafft, die dir nützlich sein werden. Ein paar Vorräte, Decken…“
Eolanee brauchte ihre Fangwurzel nicht zu berühren. Sie streckte die Hand aus und der Baum spürte sofort ihre Kraft und eine seiner Wurzeln wuchs der jungen Hüterin bereitwillig entgegen. Während sie beide sanft nach oben glitten, blickte Eolanee sich um. Die Sonne sank schnell. Der Boden lag schon in Dunkelheit und nur ein kleiner Teil des Tals wurde noch von dämmerigem Zwielicht erhellt. Aus den Augenwinkeln sah Eolanee eine Bewegung, die ihre Aufmerksamkeit erweckte und der Baum spürte ihren Wunsch und ihre Wurzel verharrte. Osenas, der das nicht bemerkt hatte, war schon ein gutes Stück über ihr, als er aufmerksam wurde. „Was ist, Hüterin?“
„Da ist etwas am Rand des Tals. Im Norden, wo der Weg in Richtung Menteva führt.“ Eolanee konzentrierte sich auf die Stelle, an der sie die Bewegung erkannt hatte. Sie musste daran denken, dass einst die mörderischen Berengar aus dem Norden gekommen waren, um Ayan zu überfallen. „Es ist etwas… Böses.“
„Ich kann nichts erkennen“, erwiderte Osenas. Er saß in der Schlinge und sah angespannt nach Norden. „Bist du dir sicher, Hüterin?“
„Ich fühle es.“ Eolanees Atem beschleunigte sich. Sie konnte nichts Verdächtiges sehen, aber sie spürte, dass dort draußen etwas war. Etwas, dass sich Ayan näherte und keine guten Absichten hatte. Sie fühlte Schwingungen, die ihr unbekannt waren.
Osenas runzelte die Stirn und wandte sich in seiner Wurzel zur Seite. „Sind die Ma´ara in der Nähe?“
Aus einem Haus über ihnen beugte sich eine Frau vor. „Was?“
„Die Auraträger!“, rief der Älteste hinauf. „Wo sind die Auraträger?“
Eolanee spürte eine Düsternis, die sich aus Norden näherte. Wie eine Welle, die sich von dort ausbreitete. „Es sind mehrere Auraträger in Ayan?“
„Wie? Ja, ja, Zwei von ihnen.“ Osenas konnte Eolanees Anspannung fast körperlich fühlen und obwohl er selbst nichts von einer Gefahr erkennen konnte, nahm er ihre Worte ernst. Ihre Fähigkeit als Baumhüterin hatte ihn beeindruckt. Erneut sah er zu der Frau hinauf. „Wo sind die Träger? Rasch, Frau, es eilt!“
Das letzte Tageslicht war gewichen und es herrschte jenes Zwielicht, welches andauern würde, bis Mond und Sterne den nächtlichen Himmel mit ihrem Glanz erhellten. Die Frau über ihnen war gut zu sehen, denn auf dem Rundgang brannten einige Lampen. Gefäße mit Glühkäfern standen in regelmäßigen Abständen. Die Enoderi wandte sich halb um, lauschte wohl einem Zuruf, der aus dem Haus kam. „Sie sind nach Süden geritten“, rief sie. „Sie müssten eigentlich schon zurück sein.“
Nur auf dem Platz, inmitten des Kreises der Kegelbäume, war noch Bewegung auf dem Boden. Gendas Gruppe war eifrig dabei, Holz zu Holmen und Tritten zu schneiden und mit kurzen Leinenstücken zu verbinden. Sie arbeiteten im Lichtschein mehrerer Glühkäferbecken, deren Licht sich mit dem gelben Schein der Lampen in den Häusern mischte.
Eolanee fröstelte. „Ruf die Männer in die Häuser, Ältester. Sie müssen sich in den Schutz der Bäume begeben. Sofort!“
Die Dringlichkeit in Eolanees Stimme war nicht zu überhören. Noch immer in der Fangwurzel sitzend, legte der Älteste die Hände an den Mund. „In die Bäume, Enoderi! In die Bäume! Gefahr nähert sich Ayan!“ Er sah Eolanee nervös an. „Ich hoffe, du täuschst dich nicht. Ich beunruhige die Gemeinde nur ungern und mag es auch nicht, wenn man später spottet.“
Eolanee seufzte. „Besser, etwas Spott zu ertragen, als Leben zu beklagen.“
„Die Auraträger wären längst hier, wenn sie eine Gefahr spüren würden“, brummte Osenas. Er begann nervös zu werden. Vielleicht hatte sich die Hüterin doch getäuscht, denn nichts deutete auf eine Gefahr hin. „Eolanee, was machst du da? Bist du von Sinnen?“
Eolanee ließ ihre Fangwurzel wachsen und näherte sich rasend schnell dem Boden. Leichtfüßig sprang sie auf den weichen Untergrund und rannte auf den Platz zu, wo sich Gendas und seine Gruppe befanden. Diese hatte die Arbeit unterbrochen und die meisten Männer ergriffen bereits Wurzeln und glitten in die Sicherheit der Kegelbäume hinauf. Aber Gendas selbst war gestürzt und zwei andere halfen ihm gerade auf die Beine. Eolanee spürte eine dunkle Bedrohung, die sich diesen Männern rasend schnell näherte und begriff sofort, dass sie in größter Gefahr waren. Sie wusste nicht, was dort im Dunkel lauerte, aber sie spürte, dass es sehr schnell näher kam.
Dann sah sie es.
Eine lang gestreckte Gestalt, die einem Schemen gleich über die Lichtung huschte. Das namenlose Grauen gewann Konturen. Eolanee sah eine Kreatur von der halben Größe eines Rindes, mit gestreiftem Fell und sechs langen Gliedmaßen, die sich rasend schnell bewegten. Das Wesen richtete sich halb auf und bewegte sich auf den hinteren Beinen, reckte die vorderen wie Arme aus, um ihre Beute zu ergreifen. Ein langer Schweif peitschte nervös und in dem gebleckten Gebiss schimmerte ein Wall tödlicher Zähne.
Der Anblick dieser Kreatur ließ Eolanee erzittern.
Ein Schattenwolf.
Für einen Augenblick drängten sich Bilder in ihr Bewusstsein. Bilder ihrer Eltern und des schrecklichen Tages, an dem sie diese für immer verloren hatte. Bergos hatte ihr einmal von diesen Schattenwölfen erzählt und dass es hieß, diese Wesen lebten im großen Gebirge. Angeblich durchstreiften sie die Berge und kämen nur selten in die tiefen Täler hinab. Kein Enoderi habe sie jemals zu Gesicht bekommen, doch die Mentever im fernen Handelsposten hatten schaurige Geschichten über diese Tiere erzählt. Bergos hatte diesen Berichten keinen großen Glauben geschenkt, denn die Händler der Mentever waren dafür bekannt, dass sie es mit der Wahrheit nicht sehr genau nahmen und gerne durch maßlose Übertreibungen beeindruckten.
Doch nun stand einer dieser Schattenwölfe vor Eolanee.
Der Anblick von Gendas und den beiden anderen Männern ließ ihre eigene Furcht in den Hintergrund treten.
Eolanee beugte den Oberkörper vor, wie sie dies bei den Übungen von Bergos gesehen hatte und streckte ihre Arme der Kreatur entgegen. Sie empfand Angst vor dem fremden Wesen, aber Bergos hatte sie gelehrt, dieses Gefühl zu nutzen. Sie konzentrierte sich und sah, wie die Kreatur mitten im Lauf stockte und den Schädel wandte. Eolanee sah rötlich schimmernde Augen, die sie bösartig anfunkelten, als das sechsbeinige Wesen die Richtung änderte und auf sie zuschnellte.
„Zurück, Hüterin, zurück“, schrie hinter ihr der entsetzte Osenas. Die Fangwurzel, in welcher der Älteste saß, schien unruhig zu zucken, da sie nicht deuten konnte, ob der Enoderi nach oben oder nach unten wollte.
Gendas und seine Begleiter hatten das Wesen nun erblickt und schienen wie gelähmt. Sie waren zu weit vom nächsten Kegelbaum entfernt, um den Schutz seiner Fangwurzeln zu erreichen. Zwar spürten die Bäume die Not der Menschen und einige Wurzeln tasteten unruhig umher, aber sie fanden keinen Feind, den sie packen konnten.
Je näher das Wesen Eolanee kam, desto größer wurde deren Angst. Angst, die sie benutzte, um sie gegen das Wesen einzusetzen. Sie tat es instinktiv. Zwar hatte Bergos ihr vieles von seinem Wissen vermittelt, aber er hatte in all den Jahren keinen Beweis dafür gefunden, dass Eolanee die Gabe der Aura in sich trug. Er konnte jedoch keine Fähigkeit schulen, die nicht vorhanden oder zu tief verborgen war.
Nun, in diesen Augenblicken, brach sie aus Eolanee hervor.
Vielleicht hatte in den vergangenen Jahren die Todesfurcht gefehlt, die sie beim Überfall der Berengar empfunden hatte, denn nun entwickelte sich die Kraft der Aura mit unerwarteter Macht.
Sie konnte die Schwingungen der Kreatur fühlen. Bösartige Schwingungen, die von Hass und Tod erfüllt waren. Eolanee hatte nie zuvor solch grauenhafte Impulse wahrgenommen und sie erzeugten in ihr blankes Entsetzen. Obwohl alle ihre Instinkte danach schrien, sich in die Sicherheit eines Kegelbaums zu flüchten, half Bergos Schulung ihr, ihrer Furcht zu widerstehen. Im Gegenteil, sie sammelte ihre Angst, verstärkte sie zu einem machtvollen Gedanken. Ihre Arme deuteten auf die angreifende Kreatur und halfen ihr so, sich auf das Ziel zu konzentrieren.
Nur wenige Meter fehlten und die Kreatur hätte Eolanee packen können, doch plötzlich stieß sie ein grelles Jaulen aus und schwenkte ab. Mit langen Sätzen hetzte sie in die Dunkelheit zwischen den Bäumen. Dabei geriet sie in die Reichweite eines Kegelbaums. Eine lange Fangwurzel ergriff das Wesen mitten im Sprung, umschlang es und begann zu schrumpfen. Erneut jaulte das Tier, während es in die Höhe gerissen wurde und sich die Wurzel unbarmherzig um seinen Leib schloss, bis die Knochen berstend nachgaben.
Eolanee sackte auf die Knie und atmete schwer. „In die Bäume“, keuchte sie und gab Gendas und seinen Begleitern einen Wink. „Es ist noch nicht vorbei.“
Eigentlich wusste die junge Baumhüterin überhaupt nicht, was da genau geschah und vor allem, wie es geschah. Was sie tat, machte sie unbewusst und es war vollkommen anders, als wenn sie ihre Fähigkeit als Baumhüterin einsetzte.
Als Baumhüterin konzentrierte sie sich auf den Baum und spürte seine Ausstrahlung. Sie fühlte jede seiner Fasern und die Bewegungen in ihnen, als sei der Baum ein Bestandteil ihres eigenen Körpers. Mühelos fand sie dabei die Bereiche, in denen die Lebenssäfte des Baumes nicht richtig flossen oder die Strukturen eine Veränderung zeigten, die auf eine Erkrankung oder den Befall durch einen Schädling hinwiesen. Ja, sie empfand sogar ein unangenehmes Ziehen, dass ihr den Fressgang eines Käfers oder sogar das Insekt selbst anzeigte. Es war wie eine Handlung, die sie vollzog. Als gebe sie ihrem Körper den Befehl, den Arm auszustrecken.
Das, was nun mit ihr geschah, war vollkommen anders.
Während sie als Hüterin die Impulse des Baums passiv in sich aufnahm, spürte Eolanee, wie sie nun ihrerseits Impulse aussandte. Sie hätte nicht zu sagen vermocht, ob es bewusste Gedanken oder unterbewusste Instinkte waren, die sie nutzte. Aber sie wusste, dass sie Gefühle in jenen bösartigen Kreaturen hervorrief, die dort draußen durch die Nacht schlichen.
Irgendwo ertönte ein lang gezogenes Heulen. Einer der Kegelbäume hatte eine weitere der Kreaturen ergriffen, tötete sie und begann sie in Nährstoffe umzuwandeln. Aber es waren noch viel mehr in der Nacht unterwegs. Eolanee fühlte ihre Boshaftigkeit und Blutgier. Diese Wesen schlichen um den Ring der Kegelbäume herum. Sie suchten die Lücken, die es ihnen ermöglichten, außerhalb der Reichweite der Fangwurzeln auf den Platz vorzustoßen. Die sechsbeinigen Räuber mussten extrem feine Sinne haben, denn sie ignorierten die Menschen auf den Rundgängen der Häuser und versuchten Gendas, seine Begleiter und Eolanee zu erreichen.
Die Bewohner Ayans waren aus ihren Häusern getreten, denn sie begriffen, dass sie innerhalb der Reichweite der Fangwurzeln vor den Angreifern sicher waren. Mehrere von ihnen riefen nach den Auraträgern, von denen nichts zu sehen oder zu hören war. Waren die Männer den Bestien zum Opfer gefallen? Waren sie zu weit entfernt, um die bedrohliche Lage zu erkennen?
Erneut gelangte eine Kreatur zwischen den Kegelbäumen hindurch. Sie blieb am Rand des Lichtscheins stehen, der den Versammlungsplatz erhellte. Der lange Schädel mit dem aufgerissenen Maul bewegte sich unruhig hin und her. Die rötlichen Augen schienen Eolanee zu fixieren. Das Tier lauerte auf eine Möglichkeit, die junge Frau zu töten, doch es zögerte. Seine Unruhe war spürbar.
Eolanee hatte schon Raubtiere gesehen, die sich auf den tödlichen Sprung vorbereiteten. Hatte gesehen, wie die Tiere sich an ihre Beute heran pirschten und sich dann duckten, das Ziel starr ansahen und ihre Muskeln anspannten. Diese Kreatur verhielt sich anders. Sie begann unruhig hin und her zu laufen. Die beiden vorderen Beine waren in Eolanees Richtung ausgestreckt und bewegten sich zuckend. Dann hob die Bestie den Kopf, schien zu wittern.
Aus der Nähe ertönte ein lang gezogener Laut. Er war anders als jene, den die Bestien ausstießen, wenn die Wurzeln sie ergriffen. Dieses Heulen klang wie ein Signal, eine Warnung. Das Tier vor Eolanee erwiderte den Ruf, wandte sich unvermittelt um. Es ließ sich auf alle sechs Läufe nieder und verschwand.
Ein schwaches Stampfen war zu spüren. Ein sanftes, rhythmisches Vibrieren im Boden und wenige Augenblicke später erschien der massige Leib eines Hornlöwen im Lichtschein. Erleichterte Rufe erklangen von den Häusern, als ein zweiter Auraträger auf seinem Tier heran trabte.
Eolanee wusste, dass sie endgültig in Sicherheit war und sackte erleichtert in sich zusammen.
Gendas und seine Begleiter, welche die ganze Zeit wie gebannt zugesehen hatten, hasteten zu ihr und einer der Reiter näherte sich ebenfalls und sprang mit elegantem Schwung aus dem Sattel.
„Warum habt ihr euch so viel Zeit gelassen?“, stieß Gendas wütend hervor. „Die Nacht war voller Bestien und es hätte nicht viel gefehlt und diese Viecher hätten uns gefressen.“
Der Auraträger ging neben Eolanee in die Hocke. „Wir hörten eure Stimmen und Rufe, aber wir wussten, dass die neue Baumhüterin eintreffen sollte und dachten, ihr würdet sie begrüßen. Ein Bär war im südlichen Wald und wir vertrieben ihn. Auf dem Rückweg spürten wir dann die Anwesenheit einer Aura.“ Der Mann mit dem blauen Umhang und dem Stirnreif der Auraträger sah die ungläubigen Blicke der Männer und nickte. „Glaubt mir, ich kenne die Ausstrahlung einer Aura. Sie ist unverwechselbar. Sie war ungewöhnlich und pulsierte unruhig, aber es war unverkennbar eine Aura.“
Der andere Reiter stieg ebenfalls ab. „Die Bestien sind fort. Ich kann ihre Ausstrahlung am nördlichen Ende des Tales spüren. Sie entfernen sich.“ Er trat näher und Eolanee erkannte nun Nador Ma´ara, der sie forschend ansah.
„Ich habe sie ebenfalls gespürt“, flüsterte sie benommen. „Eine bösartige Ausstrahlung. Wie ein dunkler Schatten, der sich über das Land legt.“
Der erste Auraträger richtete sich auf und trat zwischen die Bäume. Während Nador die junge Baumhüterin noch immer wortlos ansah, suchte sein Begleiter nach einer der getöteten Kreaturen. Schließlich kehrte er zurück. „Ein verdammter Schattenwolf. Es war ein Rudel Schattenwölfe.“
„Bist du dir sicher?“ Nador schien verwundert.
Der andere seufzte. „Glaub mir, ich habe im Handelsposten genug Beschreibungen von diesen Bestien gehört, um sie erkennen zu können. Es waren Schattenwölfe.“
„Das ist schlimm“, seufzte Nador. „Die Legenden berichten von diesen Bestien und dass unsere Aura bei ihnen versagen soll. Doch sie waren nie eine Gefahr, da sie nur im großen Gebirge leben.“
„Nun, dies waren Schattenwölfe und so dringen sie jetzt wohl nach Süden vor.“
Nador schüttelte den Kopf. „Das kann ich kaum glauben. Das ist mehr als ungewöhnlich. Sie sind noch nie nach Süden herunter gekommen.“
„Jetzt sind sie es.“
„Das ist schlecht. Verdammt schlecht sogar.“ Nador Ma´ara stieß einen grimmigen Fluch aus und sah zu, wie Gendas und seine Begleiter Eolanee auf die Beine halfen. „Der Rat muss davon erfahren. Diese Bestien sind gefährlich.“
Osenas kam aus dem Dunkel hervor und eilte an Eolanees Seite. „Ihr solltet dem Rat auch berichten, dass Eolanee Gendas und die anderen gerettet hat.“
„Ja, das ist wahr“, bestätigte Gendas. „Einer der Schattenwölfe griff uns an, aber die junge Hüterin hat ihn vertrieben.“
Der Auraträger runzelte überrascht die Stirn. „Die Hüterin vertrieb eine Bestie?“
„Ich glaube, sie hat die Aura“, sagte Gendas andächtig. „Als der Schattenwolf sich ihr näherte, da packte ihn die Furcht und er floh.“
„Es heißt, die Aura wirke nicht bei Schattenwölfen“, zweifelte Nador.
„Die Hüterin hat sie vertrieben“, beharrte der dankbare Gendas.
„Das ist wirklich ungewöhnlich“, brummte Nador. Er strich sich unsicher über das Kinn. „Und es gefällt mir nicht. Kein weibliches Wesen beherrscht die Kraft der Aura.“
„Eolanee ist auch eine außergewöhnliche Hüterin.“ Itena eilte heran und legte schützend einen Arm um Eolanee. „Jeder von uns kann euch das bestätigen. Wir haben einen geschädigten Baum und sie fand die Ursache, ohne ihn zu berühren. Sie ist sehr begabt.“ In Itenas Stimme klang ein Stolz mit, als sei sie es gewesen, die Eolanees Fähigkeiten entdeckt und gefördert habe. „Und ich habe ebenfalls gesehen, wie der Schattenwolf vor ihr gewichen ist.“
„Ich kann nicht beurteilen, ob sie wirklich die Gabe der Aura hat“, sagte Nador. „Aber die Möglichkeit scheint zu bestehen. In jedem Fall muss der Rat davon erfahren. Und er muss vom Vordringen der Schattenwölfe wissen. Diese Bestien waren noch nie so weit im Süden.“
„Die Bäume schützen uns“, wandte Osenas ein. „Und natürlich die Kraft der Aura.“
Nador schüttelte den Kopf. „Diese Kreaturen sind erst gewichen, als wir sehr nahe an den Häusern waren. Jedes andere Raubtier wäre viel früher geflohen. Unsere Aura scheint bei ihnen nur sehr schwach zu wirken. Ich fürchte, diese Schattenwölfe werden uns gefährlicher, als wir im Augenblick noch ahnen.“ Er strich sich über das Kinn. „Die Legenden sagen, dass diese Kreaturen den Schatten und die Dunkelheit lieben und das Licht scheuen. Es mag also sein, dass man am hellen Tag vor ihnen sicher ist. In jedem Fall setzen ihnen die Fangwurzeln der Bäume zu. Die Hausbewohner müssen sich bei Gefahr in ihren Schutz begeben.“
Nador Ma´ara legte die Hand an den Arm des anderen Hornlöwenreiters. „Reite ins nächste Tal und hole weitere Auraträger. Ich weiß nicht, ob sich die Schattenwölfe nochmals heranwagen und will Ayan nicht ohne Schutz lassen. Sobald die anderen hier sind, werden wir mit Eolanee zum Rat reiten. Er muss erfahren, dass diese Bestien in Ayan eingedrungen sind. Und ich denke, es wird auch einiges wegen Eolanee zu bereden geben.“