Читать книгу Der geheime Pfad von Cholula - Michael Hamberger - Страница 10
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ОглавлениеIn diesem Moment klingelte ihr Handy und die Vibration ließ sie zusammenzucken. „Ich muss dringend den Klingelton ändern“ dachte sie und riss das Handy aus ihrer Tasche. Die Nummer auf dem Display zeigte, dass es Peter Baumann war. Das musste Gedankenübertragung sein, dachte Layla. Sie wollte Peter just in diesem Moment anrufen.
„Peter, was gibt’s?“
„Ahh, endlich bist Du in Mexiko angekommen. Ich versuche schon seit Stunden, Dich zu erreichen!“
„Du weißt doch, wann mein Flug ankommt. Was gibt es den so dringendes?“
„Mercedes ist verschwunden!“
„Waaaaaaaas, wie ist denn das passiert?“
„Kurz nachdem Du weg warst, hat mich das Krankenhaus angerufen und gesagt, dass das Bett leer sei. Auf dem Lacken war ein großer Blutfleck und inmitten des Blutflecks war ein Abbild von einer abscheulichen Bestie, sah aus, wie ein großer Hund oder Wolf mit riesigen Fangzähnen!“
„Das ist ja schrecklich. Die arme Mercedes, kannst Du mir ein Bild von der Bestie auf mein Handy schicken?“
„Ja, natürlich, Layla aber ich möchte Dich auch ganz eindrücklich bitten, auf Dich aufzupassen. Und wenn es zu gefährlich wird, dann breche um Gottes Willen die Story sofort ab und kehre zurück. Eigentlich möchte ich Dich ja sofort zurückholen, aber ich weiß ja, wie Du bist, wenn Du Dich in eine Story festgebissen hast. Du lässt Dich wohl nicht überreden?“
„Nein, das bin ich Mercedes schuldig. Ich werde herausfinden, was es damit auf sich hat. Ich werde das Geheimnis um Sergio Alcazar und Aguas Verdes auflösen. Schicke mir bitte das verdammte Bild!“
Sie sah trotzig Pater Bishop an. Auch der war leichenblass geworden. Es schien, also ob alle Kraft aus ihm herausgeströmt sei. Er blickte zu Boden und murmelte.
„Dann haben Sergio Schergen sich Mercedes doch geholt. Ich dachte, wir hätten noch etwas Zeit“
„Na, dann ist es an der Zeit, dass..“
Pater Bishop ließ Layla nicht Ausreden. Er packte sie am Arm und drückte so fest zu, dass Layla vor Schmerzen aufstöhnte. Mist, dass würden bestimmt wieder blaue Flecken ergeben.
„Layla, ich kann nicht zulassen, dass Du Dich weiterhin in Gefahr begibst. Du hast gesehen, wie schnell es gehen kann. Sergios Helfer sind überall!“
„Das habe ich schon einmal gehört und ich werde trotzdem nicht aufhören. Jetzt erst recht nicht. Mercedes hat mir vertraut. Ich habe schrecklich versagt. Wie soll ich in Zukunft noch in den Spiegel sehen können, wenn ich jetzt ganz feige den Schwanz einziehe! Ich werde herausfinden, was geschehen ist!“
„Dann lass mich mitkommen. Ich kann Dir zur Seite stehen. Ich kann Dir helfen!“
„Im Moment vertraue ich erst einmal niemandem. Das hätte mich offensichtlich vorhin schon fast in Teufels Küche gebracht.“
„Was Du immer mit Deinem Teufel hast. Der Teufel ist eine Waisenknabe gegenüber Sergio Alcazar.“
Layla sah den Pater an. Er sah ihr voller ehrlicher Sorge direkt in die Augen. Es war keine List oder Tücke in seinem Blick zu erkennen. Normalerweise war Layla so stolz auf ihre Menschenkenntnis. Die hatte sie noch nie im Stich gelassen. Auch bei Antonio Gonzales López hatten alle ihre Alarmglocken wie wild geläutet, dass sie es fast real hatte hören können. Und alles in ihr sagte, dass Pater Mark Bishop es ehrlich mit ihr meinte. Und Hilfe konnte sie wirklich gut gebrauchen. Sie spürte, dass ihr die Story über den Kopf zu wachsen begann. Ihr einziger Anhaltspunkt war Aguas Verdes. Sie musste das Dorf besuchen. Dort schienen alle Fäden zusammenzulaufen. Und dort würde sie niemals mit dem Pater, der ja ganz offensichtlich der Gegenpol zu Sergio Alcazar darstellte, auftauchen können. Aber sie hatte auch Angst ganz alleine, so ganz ohne Vorbereitung dorthin zu gehen. Andererseits würde sie mit zuviel Information – und von Pater Bishop konnte sie sicher kein objektives Bild erwarten – ihren unvoreingenommenen Blick verlieren. Sie würde dann die Dinge immer in einem Zusammenhang zu dem Erzählten sehen. Und dies konnte natürlich auch total verfälscht sein. Sie konnte den Blick auf das Wesentliche verlieren und würde nach Beweisen für eben diese Zusammenhänge suchen, diese vielleicht auch finden, wo es eigentlich gar nichts zu finden gab. Sie hatte Sergios Wort, dass sie sich ungehindert im Dorf umsehen und ihn interviewen durfte. Aber wie viel war dieses Wort noch wert, jetzt da Mercedes anscheinend wieder in seiner Hand war? Trotzdem musste sie es versuchen. Dort war die Wurzel zur Lösung, dort gab es die lebens- oder sollte sie sagen überlebenswichtige Informationen. Nein, sie würde dort hingehen und zwar alleine und ohne voreingenommene Meinung, soweit dies jetzt überhaupt noch möglich wäre.
Layla wollte dies Pater Bishop gerade sagen, als ihr Handy viermal piepte, was eine einkommende SMS oder MMS ankündigte. Sie drückte auf den Empfangs – Knopf und das Handy lud das Bild. Als das Bild dann auf dem Display sichtbar wurde, ließ Layla das Handy vor Schreck beinahe fallen. Bestie war fast noch untertrieben für das Monster, das auf dem Bild zu sehen war. Zu sehen war der fellbewachsene Kopf eines wolf- oder hundeähnlichen Tieres. Es konnte aber auch eine große Wildkatze sein. Nur so sah kein ihr bekanntes Tier aus. Das vorderste Merkmal der Bestie war die Schnauze. Die überlangen Fangzähne waren gefletscht. Es sah fast so aus, als ob die ganze Schnauze nur aus Fangzähnen bestehen würde. Nein, es sah eher aus, als ob das ganze Bild nur aus Fangzähnen bestehen würde. Es schien fast so, als ob die Bestie jeden Moment aus dem Bild springen und zubeißen konnte. Das Fell war beige bis schmutzig braun und struppig. Es war sicher kein Fell, das man kraulen möchte. Fast genau so schlimm, wie die Zähne waren die Augen. Sie schienen durch das Bild direkt in Laylas Seele zu blicken und hinterließen dort eine triste Winterlandschaft. Trotz der stickigen Hitze im Flughafengebäude begann sie zu frieren. Die Augen waren in einem verwaschenem Ockergelb an den Rändern waren sie fast braun. Die Form der Augen sah eher aus, wie bei einer Katze, als wie bei einem Hund. Die schlitzartigen Pupillen ließen auf eine gute Nachtsichtigkeit schließen.
„Das Bild der Bestie. Es ist das Zeichen von Sergio Alcazar. Er hat Mercedes holen lassen!“
„Oder sie selbst geholt. Er war in Basel.“
„Waaaaaas? Sergio Alcazar war selbst in Basel? Er muss dem Verschwinden von Mercedes und ihrem Treffen mit Ihnen sehr viel Wichtigkeit eingeräumt haben. Oder, aber…nein, das kann nicht sein!“
„Was kann nicht sein!“
„Layla lassen sie mich bitte diesen Gedanken erst noch mal überdenken und einige Dinge abklären. Ich verspreche Ihnen, dass ich es Ihnen erzähle, wenn ich Klarheit habe!“
Layla sah Pater Bishop misstrauisch an, aber sie merkte, dass sie im Moment wohl nicht weiterkam, wenn sie nachbohrte, also ließ sie es vorerst dabei bewenden, aber eines war klar, sie würde da irgendwann eine Erklärung einfordern.
„Was ist das für eine Bestie?“
„Es ist ein Werwolf“
„Sie glauben doch nicht, dass ich diesen mythologischen Unsinn glaube. Werwölfe gibt es nur in Legenden und unlogischen, billigen Hollywood Filmen!“
„Und in Aguas Verdes“
„Pater, jetzt habe sie das letzte Restchen Vertrauen, dass ich noch zu Ihnen hatte, verspielt. Es gibt keine Werwölfe, oder wollen Sie mir jetzt auch noch erklären, dass Sergio Alcazars Neffe Graf Dracula ist?“
„Es gibt viel mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als wir uns auch nur annähernd vorstellen können. Warum sind wir Menschen immer so selbstherrlich, dass wir glauben, schon alles zu kennen, alles zu wissen? Wir wissen noch nicht mal 0,1% von dem, was tatsächlich um uns herum stattfindet. Übrigens: Graf Dracula gab es wirklich, aber er war kein Vampir. Layla um Gottes Willen, glaube mir. Dein Leben hängt davon ab!“
„Und wie soll ich mich dann schützen? Etwa mit Silberkugeln?“
„Das würde nichts nützen. Es schwächt sie zwar, aber sie erholen sich dann auch genau so schnell wieder. Auch Weihwasser ist Bullshit. Das tut ihnen nur kurz weh, macht sie dann aber nur noch wütender. Es gibt nichts, dass einen Werwolf aufhalten, geschweige denn zerstören kann! Nur wenn Du ihn in seiner menschlichen Gestalt antriffst, hast Du überhaupt eine Chance, zu überleben. In der menschlichen Gestalt kann er auch verletzt, aber ebenfalls nicht getötet werden. Die Wunden heilen schnell wieder.“
„Pater, jetzt hören Sie mir mal genau zu. Ich weiß nicht, warum sie sich über mich lustig machen wollen. Ich kann mir auch nicht erklären, warum sie mich aus der Story rausekeln wollen. Mercedes hat mich nun einmal mit hineingezogen und ich werde bestimmt nicht einfach aufgeben, bevor ich etwas herausgefunden habe. Ich werde mich in Aguas Verdes umsehen und zwar alleine. Punkt. Da gibt es keine Diskussion! Ich werde Sergio Alcazar interviewen. Ich habe sein Wort, dass er mich nicht hindern wird!“
„Ich sehe, ich kann Dich nicht aufhalten. Ich hoffe, ich unterschreibe nicht Dein Todesurteil, aber ich gebe Dir meinen Segen. Ich werde niemals weit von Dir entfernt sein, ich kann Dir aber nur bedingt helfen. Einen Tipp gebe ich Dir jedoch. Wenn Du in Aguas Verdes bist, nehme mit Ana Maria Kontakt auf!“
„O.K. Wie kann ich diese Ana Maria finden?“
„Ich lasse sie wissen, dass Du kommst. Sie wird Dich finden!“
Layla schaute dem Pater nochmals tief in die eindrucksvollen Augen. Es war tiefe Sorge, vielleicht sogar Traurigkeit darin zu sehen. Sorge um sie? Wie gerne würde sie dem Pater trauen. Wie gerne würde sie einfach nur mit ihm gehen, ihm die Führung überlassen. Aber alles in ihr weigerte sich, an Werwölfe zu glauben. Diese mythologischen Wesen konnte es einfach nicht geben. Nicht in dieser modernen, aufgeklärten Welt. Layla nahm ihr Gepäck und machte sich auf den Weg in Richtung Busbahnhof. Als sie sich nochmals umdrehte, war Pater Mark Bishop verschwunden. Layla spürte, wie sie dieses Verschwinden zu tiefst bedauerte.
*
Natürlich war es am Busbahnhof genau so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Hunderte gestresste Personen auf dem Weg, den richtigen Bus zu finden. Schreiende Kinder, wütende Väter, heulende Mütter. Alte, gebrechliche Greise, die schienen, als würden sie sich am liebsten hinlegen und sterben. Lachende, lärmende Jugendliche. Es war ein totales Chaos. Ein Jugendlicher schrie ihr auf Spanisch zu:
„Hey mamacita, ¿porque tan solita? ¿No necesitas un guarda espaldas?“ Hey, Baby (eigentlich „Mütterchen“, was aber hier als Anmache zu verstehen war), warum so alleine, brauchst Du keinen Bodyguard.
„Si no desapareces ahora mismo, tu mismo vas a necesitar un guarda espaldas“ Wenn Du nicht augenblicklich abhaust, brauchst Du selbst einen Bodyguard.
Seine Freunde lachten, während der junge Möchtegern – Gigolo rot wurde. Endlich hatte Layla die Schlange vor dem Bus nach Puebla gefunden. Der Schaffner war schon am Einchecken. Layla bekam noch einen guten Platz ungefähr in der Mitte des Busses. Jetzt wollte sie nur noch schlafen. Zwei Stunden Fahrt lagen vor ihr bis Puebla. Sie freute sich auf die Geburtsstadt ihres Vaters. Für sie war es eine der schönsten Städte der Welt. Ganz besonders das Zentrum, mit den berühmten Azulejos, den wunderschönen blauen Kacheln, mit denen die Häuser dort geschmückt waren. Ganz besonders freute sie sich aber auf ihre Großmutter, bei der sie die erste Nacht übernachten wollte. Sie hatte ihre Großmutter seid dem Tod ihres Vaters vor fünf Jahren nicht mehr gesehen. Er war bei einem Besuch in Monterrey im Norden von Mexiko in die Schiesserei zwischen zwei verfeindeten Drogenkartellen geraten und dabei getötet worden. Ihre Mutter hatte diesen Verlust niemals überwunden und war ihrem Mann ein Jahr später gefolgt. Da sie keine Geschwister hatte, kämpfte sich seither Layla alleine durchs Leben. Dabei war die Arbeit ihr Ein und Alles. Da war sie mit vollen Herzen und mit all ihrer Seele dabei. Gut, es hatte auch schon Liebhaber gegeben, aber, wie gesagt, den einen „Richtigen“ hatte sie dabei noch nicht getroffen. Männer taten immer so stark, dabei waren sie eigentlich unglaublich schwach. Und wenn sie auf eine so starke Persönlichkeit, wie Layla trafen, dann zogen sie sehr schnell, den Schwanz ein und dies im wahrsten Sinne des Wortes. Layla merkte, wie sie langsam in den Schlaf hinüber glitt. Aber gerade, als sie am Punkt ankam wo sie ganz loslassen konnte, musste sie an Antonio Gonzales López denken. Wie er an ihr gerochen hatte und sie damit in den Alptraum getrieben hatte, wie er sie mit seiner unheimlichen Aura eingeschüchtert hatte. War er wirklich Sergio Alcazars General und erster Vertrauter? Warum wollte er sie vergiften? Waren Sergio Alcazars Helfer wirklich überall? Und was sollte dieses dumme Geschwätz über Werwölfe? In was für eine Story war sie da hineingeraten? Gut, diese Mystik würde sich sicher gut in ihrer Story tun. Die Leute liebten solche fantastischen Geschichten. Sie musste nur aufpassen, dass sie nicht ins Lächerliche abdriftete. Da würde Peter Baumann aber sicher ebenfalls aufpassen.
Wenn sie einen Mann liebte, seit ihr Vater gestorben war, dann war es Peter. Obwohl er nur knapp zehn Jahre älter war, als sie, war er doch so etwas wie ihr väterlicher Freund geworden. Sie wusste, sie konnte sich nicht nur hundert-, sondern tausendprozentig auf ihn verlassen. Er gab ihr so viel und wollte nichts dafür als Gegenleistung. Einen Mann wie Peter hatte sie noch niemals vorher kennen gelernt.
Im Moment versuchte Peter etwas über Aguas Verdes in Erfahrung zu bringen. Sollte sie ihn auch auf Werwölfe ansetzen? Nein, noch nicht. Nanu, warum „Noch nicht“ und nicht ganz konsequent „nein“. Hatte ihr Pater Bishop doch einen Floh ins Ohr gesetzt. Was war nur los mit ihr? Was machte dieses Abenteuer nur aus ihr?
„Señorita, despiértese, por favor. Ya estamos en Puebla“ Fräulein, wachen Sie bitte auf, wir sind in Puebla.
„Muchas gracias señor“ Vielen Dank der Herr.
Nun hatte sie doch geschlafen, nur hatte sie dieser Schlaf nur noch müder gemacht. Sie fühlte sich wie gerädert. Da sie als Letzte aus dem Bus stieg, stand ihr Koffer schon direkt vor der Türe. Sie war in Puebla! Dieser Gedanke gab ihr neue Kraft. Sie nahm ihren Koffer und ging in Richtung Ausgang. Dabei sah sie sich unauffällig um, ob sie nicht irgendwo einen von Sergios Schergen erkennen konnte. Ihr fiel aber niemand auf.
„¡Layla, Layla, por aquí! Layla, Layla, hierher
Layla lächelte. Sie hat Lupi, eigentlich Maria Guadalupe, ihre Nichte gesehen. Das verrückte Huhn sprang wie ein Gummiball am Treffpunkt umher. Dann flog sie ihr auch schon in die Arme. Dabei riss sie Layla fast um, und lachte, schrie, weinte, jauchzte. Alles auf einmal. Typisch Lupi halt. Auch Layla war den Tränen nahe. Sie hatte Lupi ebenfalls seit fünf Jahren nicht mehr gesehen. Aus dem quirligen kleinen Mädchen war eine schöne junge Frau geworden. Sie merkte, wie sie ihre Mexikanische Familie vermisst hatte. Ganz fest umarmte sie Lupi und küsste sie immer wieder auf die Stirn.
„ ¿Lupi, también me dejas saludarla, por favor? Lupi, lässt Du sie mich bitte auch begrüßen?
Vor ihr stand Daniel, ihr Primo, also ihr Vetter. Der gab sich zwar macholike cool, aber auch seine Augen leuchteten. Layla sprang ihm in die geöffneten Arme. Daniel drückte sie ganz fest, dann sagte er:
„Me voy por el coche! “ Ich hole das Auto.
Lupi schoss einen Schwall von Fragen auf sie ab, dass sie resigniert winkend zugeben musste, dass sie nicht alles auf einmal beantworten konnte. Gerade wollte sie die ersten Fragen beantworten, da sah sie circa 10 Meter vor sich Antonio Gonzales López! Sofort war ihre Freude über das Wiedersehen mit ihrer Familie, wie weggeblasen. Antonio stellte sich genauso hin, dass sie ihn einfach sehen musste. Er provozierte sie regelrecht. Er flirtete wieder mit der hübschen Blonden, mit der er sich schon so eingehend im Flugzeug beschäftigt hatte. Layla machte sich von Lupi los und sagte:
„Esperame un momento, tengo que hablar con este fulano“ Warte mal einen Moment, ich muss mit diesem Typen da kurz reden.
Sie ging, ohne aber große Eile zu verraten, ganz locker, als würde sie nur eine Zeitschrift kaufen wollen, in Richtung Antonio. Der machte keine Anstalten zu fliehen.
„Señor Gonzales, stellen Sie mir nach?“
Antonio schaute sie an. Der Spott war ihm ins Gesicht geschrieben. Er lächelte sie provozierend an, wobei er sich so lasziv über die Lippen leckte, wie er es auch im Flugzeug, als er an ihr vorbeigegangen war, getan hatte.
„Junge Dame, kenne ich Sie? Ich glaube sie müssen mich verwechseln!“
„Aha, ein supercooler Superwitzbold. Das ist ja toll. Antonio hören Sie mir zu! Ich lasse mich von meinem Vorhaben nicht abbringen, nicht von Ihnen, nicht von Sergio Alcazar und auch nicht von Pater Mark Bishop“
„Soll mir dies etwas sagen? Ich habe wirklich keine Ahnung wovon Sie sprechen, aber lassen Sie mich ihnen einen Tipp geben. Sehen Sie sich gut an mit wem Sie reden. Manche lassen sich ihre Unverschämtheiten nicht gefallen!“
Damit nahm er seine blonde Tussi in den Arm und ging von dannen. Was für ein Megaarschloch. Der glaubte doch nicht wirklich, dass sie sich damit beeindrucken ließe? Die Intention war wohl klar. Sie sollte weiter durcheinander gebracht werden. Ihr Konzept sollte ins Wanken gebracht werden. Fast war es Antonio Gonzales López tatsächlich gelungen. Layla war nicht mehr so felsenfest davon überzeugt, das Richtige zu tun. Wieder hatte sie das Gefühl, dass sie dieser ganzen Sache absolut nicht gewachsen war. Trotzig stampfte Layla auf. Sie hatte es Mercedes versprochen, also hatte sie sich verdammt noch mal zusammenzunehmen. Warum war sie plötzlich so schwach, so anfällig? In Indonesien hatte sie sich ja auch mit der kompletten Unterwelt, die mafiaartig organisiert war, angelegt und dies ohne Angst und ohne eine Sekunde zu zögern. Was war nur jetzt mit ihr los? Sie kannte sich ja selbst gar nicht mehr.
„¿Quién era ese fulano? Me dio miedo.“ Wer war denn dieser Typ, er machte mir Angst
„Nadie. Solamente un pendejo“ Niemand, nur ein Dummkopf.
Von der Straße hupte Daniel. Layla und Lupi hatten gar nicht bemerkt, wie er mit dem Auto ankam. Hinter ihm bildete sich schon langsam eine Schlange, sodass sich die beiden entschieden, schnell zu Auto zu rennen und einzusteigen.
Auf dem Weg zum Haus ihrer Großmutter fiel die Anspannung schnell wieder von Layla ab. Lupi hatte wieder ihren Turbo eingeschaltet und hörte gar nicht mehr auf, zu schnattern. Das brachte Layla aber auch wieder in die Spanische Sprache, sodass sie nicht mehr im Geiste übersetzen musste, sondern direkt in Spanisch denken konnte. Dadurch konnte sie Lupi jetzt auch besser folgen. Die drei lachten viel.
Angekommen am Haus ihrer Großmutter sah Layla diese schon vor der Türe warten. Die Tränen stiegen ihr in die Augen. Ihre Großmutter hatte sich in den fünf Jahren kein bisschen verändert. Durch die stolze Haltung sah man ihr die fast 70 Jahre, die sie hatte, auf keinen Fall an. Trotz ihrer kleinen, schlanken Statur, lediglich 1,50 Metern groß, strahlte ihre Großmutter eine natürliche Würde aus, um die sie sehr viele große Staatmänner beneiden würden. Das Auto hatte noch gar nicht richtig gehalten, da sprang Layla auch schon heraus und umarmte ihre Großmutter.
„Hallo Layla, mi hijita, was bringt Dich letztendlich dazu, Deine arme alte Großmutter zu besuchen?“
Dabei sah sie ihre Großmutter mit ihren gutmütigen Augen an. Es war sehr viel Liebe in diesem Blick, Layla konnte jedoch auch eine tiefe Traurigkeit darin erkennen. Aber da war auch noch etwas anderes diesem Blick, etwas, dass Layla nicht so leicht deuten konnte. Auch war ein leichtes Zittern in der Umarmung zu spüren, und ihre Großmutter drückte sie etwas stärker, als es nötig gewesen wäre. Fast so, als wolle sie Layla nicht wieder loslassen, fast so, als wolle sie damit sagen „Gehe nicht wieder fort“. Aber Laylas Intuition sagte ihr, dass selbst dies noch nicht alles war. Da war noch etwas viel, viel tiefer Liegendes in dieser diesem Blick und in dieser Umarmung. Layla spürte genau, wie es ihre Großmutter beschäftigte, wie es sie fast marterte. Layla meinte auch Angst zu spüren? Doch Angst wovor? Fast schien es Layla so, dass ihre Großmutter Angst um sie hätte, denn eines war ihr vom ersten Blick in diese ausdrucksvollen Augen an klar gewesen: Ihre Großmutter wusste ganz genau, warum sie hier war. So war ihre Großmutter schon immer. Sie schien immer ganz genau zu wissen, was jemand dachte oder fühlte, ob er/sie gute, oder böse Absichten hatte, ja sogar, ob dieses Vorhaben mit Erfolg gekrönt sein wurde, oder in einem totalen Desaster enden würde.
„Abuelita, er tut mir leid, aber ich war immer so sehr beschäftigt“
„Für die Familie muss immer Zeit sein. In Zeiten, wie diesen ist es oftmals der einzige Halt. Auch wenn alle anderen einem verlassen, die Familie ist immer noch da, wie ein Fels selbst in der stärksten Brandung.“
„Du hast ja Recht, Abuelita, ich verspreche auch, mich zu bessern.“
Wieder dieser wissende Blick, fast so, als ob ihre Großmutter tief in ihrer Seele kontrollieren wollte, ob diese Worte auch mit dem Vorhaben übereinstimmten. Layla spürte die unbändige Lust, sich einfach in diesen Blick fallen zu lassen, ihrer Großmutter alle ihre Zweifel und Ängste mitzuteilen, im Vertrauen darauf, dass sie auch dafür eine Lösung parat hatte.
„Na, jetzt bist Du erst mal hier“
Die Großmutter machte sich sanft von der Umarmung los und führte sie ins Haus. Dort erwartete sie die nächste große Überraschung. Alle ihre Familienmitglieder, also ihre Onkel und Tanten, Vetter und Cousinen, Neffen und Nichten, wirklich alle waren da. Es schien fast, wie eine große Geburtstagsüberraschungsparty. Layla freute sich so sehr, die ihr noch verbliebene Familie zu sehen, dass alle ihre Bedenken bezüglich ihres Vorhabens, wie weggeblasen waren. Sie versuchte, alle auf einmal zu umarmen. Ein tiefes Vertrauen durchströmte, Laylas Körper. Alles würde gut werden.