Читать книгу Der geheime Pfad von Cholula - Michael Hamberger - Страница 12

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An dem Frühstück nahm wieder die ganze Familie teil. Alle hatten im Haus der Großmutter übernachtet und es war Layla wieder einmal ein Rätsel, wie diese Menge an Personen einen Platz zum Schlafen finden konnte. Es war ein herzliches Miteinander und sie lachten wiederum viel. Auch Layla wurde immer wieder umarmt oder auf die Wange geküsst, oder beides. Sie genoss dies sichtlich, aber trotzdem war sie sehr nachdenklich und auffallend ruhig. Es war klar, dass sie das Geschehene sehr beschäftigte. Layla glaubte zwar nicht an übernatürliche Phänomene, was war aber dann dies, was eben hier in dieser Küche mit ihrer Großmutter und dem unbezahlbar wertvollen Silberamulett, das jetzt anscheinend ihres war, geschehen war? War dies alles nur ein wunderbarer Traum gewesen, war es eine Illusion, oder war es wirklich eine Erscheinung? Wer oder was war diese geisterhafte Gestalt, die erschienen war und ihrer Großmutter und ihr die Hand auf die Schulter gelegt hatte? Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass es die Virgen de Guadalupe selbst gewesen sein sollte. Was war es aber dann? Ihre Großmutter wusste es, da war sie sich sicher. Mit vor Glück leuchtenden Augen saß diese in ihrer angestammten Ecke und schlürfte an ihrem Kaffee. Immer wieder sah sie liebevoll zu Layla und lächelte.

„Layla, ich habe Dir den Leihwagen besorgt, so wie Du es gewünscht hast. Er steht vor dem Haus!“

Layla schreckte zusammen. Sie war noch ganz in ihrem wunderbaren Traum gefangen gewesen und der Übergang zur Wirklichkeit fiel ihr etwas schwer. Doch Daniel hatte Recht. So sehr sie es auch bedauerte, sie hatte einfach keine Zeit, den ganzen Tag einfach nur vor sich hinzuträumen. Dafür hatte sie zu viel vor. Sie wollte gleich aufbrechen und sich in Cholula umsehen. Vielleicht konnte sie dort ein paar Leute zum geheimen Pfad interviewen und sie hoffte, dass sie die alte Frau fand, die sie in ihrer Internet Recherche gefunden hatte, die, die behauptet hatte, dass sie eine der verschwundenen Frauen direkt auf dem geheimen Pfad schreien gehört hatte. Zum Glück hatte sie alles auf ihrem Laptop gespeichert. Mann, war ihre Internetrecherche wirklich erst zwei Tage her? Es schien ihr fast so, als ob in der Zwischenzeit ein ganzes neues Leben an ihr vorbeigezogen wäre. Es hatte sich in der Zwischenzeit soviel für Layla geändert, und sie war sich auch sicher, dass sie selbst auch nie wieder die Selbe sein würde.

Da fiel ihr Blick auf ein Bild in der Zeitung, die Daniel gerade aufschlug. Das war doch, nein, das konnte unmöglich sein. Sie riss dem verdutzten Daniel die Zeitung regelrecht aus der Hand und wurde leichenblass. Unter einem Photo einer jungen, blonden Frau stand:

„wer kenn diese Frau? Sie wurde gestern Abend tot auf dem Parkplatz des Plaza Cristal aufgefunden. Für sachdienliche Hinweise…“

Weiter konnte Layla dann nicht mehr lesen. Sie war zu geschockt. Sie kannte diese Frau. Gut, „gekannt“ war wahrscheinlich zu viel des Guten. Sie wusste, wer das war. Die tote junge Frau auf dem Bild war die Blondine, mit der Antonio Gonzales López gestern im Flugzeug angebandelt hatte und mit der er sie dann in Puebla am Busbahnhof gesehen hatte. Sie zeigte das Bild Lupi, die hinter sie getreten war.

„Erkennst Du diese Frau?“

„Ja, dass ist doch die wunderschöne Frau, mit der dieser unheimliche Typ, mit dem Du gestern am Busbahnhof gesprochen hast, weggegangen ist.“

„Sie ist tot! Wir müssen sofort zur Polizei“

„Natürlich, ich komme mit!“

Dankbar nahm Layla das Angebot von Lupi an. Nicht, dass sie nicht auch alleine mit der Polizei fertig geworden wäre, aber es war einfach besser, jemanden von Vertrauen mit dabei zu haben. Layla sprang auf. Sie hatte es plötzlich sehr eilig. Sie musste noch duschen, sich anziehen und ihre Tasche wieder zusammenpacken.

Layla schaffte dies auch in Rekordzeit und war erstaunt, dass sowohl Lupi, als auch Daniel schon bereit an der Türe standen und auf sie warteten. Daniel hatte den Autoschlüssel in der Hand

„Ich fahre Euch. Heute habe ich frei und habe auch nichts Besseres vor!“

„Wie kommt es, dass Du mal nicht arbeiten gehst. Du würdest doch sogar noch sonntags gehen!“

Von all ihren Primos, war ihr Daniel der Liebste. Er war alles, was man sich wünschen konnte. Herzlich, ehrlich, vertrauenswürdig, verschwiegen, lustig, witzig und immer gut gelaunt. Er hatte zwar eine feste Freundin, verstand sich aber nicht ganz so gut mit der. Die beiden stritten oft, wobei sich Layla gar nicht vorstellen konnte, wie man mit Daniel streiten konnte. Er arbeitete als Software – Spezialist bei einer Computerfirma. Er war dort verantwortlich für die Entwicklung und Anpassung von Sicherheitssoftware. Dabei hatte er sich in einen Namen gemacht. Selbst die besten Hacker schienen ihn als gleichwertigen Gegner zu sehen. Sah man Daniel an, dann meinte man gar nicht, dass er solch ein Computergenie war. Er sah eigentlich ganz normal, fast unscheinbar aus. Er war circa 1,75 groß und schlank. Sein dunkelbrauner Teint gefiel den Frauen gut, ihm selbst aber weniger gut. Das markanteste an Daniel waren aber seine Augen. Layla hatte in ihren ganzen Leben niemals mehr einen Mann gesehen, der solch ehrlich blickenden, eindrucksvollen Augen hatte. Typisch Mexikanisch gab sich auch Daniel gerne, wie ein Macho, aber wenn man ihn kannte, dann wusste man, dass er genau das Gegenteil davon war. Auch jetzt sah Daniel sie wieder mit diesen unglaublichen Augen an, bevor er sich umdrehte und zur Eingangstüre ging. Lupi hackte sich bei ihr unter und die beiden gingen ihm stumm hinterher.

Dieser Umweg über die Polizei brachte Laylas geplanten Tagesablauf natürlich mächtig durcheinander. Sie wusste, wie es dort aussehen würde. Hunderte von Menschen, die dort wirr in der überfüllten, stickigen Polizeistation herumstanden und durcheinander schwätzten, überforderte Beamten, die versuchten, die Protokolle aufzunehmen und daneben die höheren Beamten die arrogant und selbstherrlich herumstanden, oder nichts tuend in ihren Büros saßen.

*

Als Layla, Lupi und Daniel dort ankamen, war alles noch viel schlimmer, als Layla es sich vorgestellt hatte. Es hatte einen furchtbaren Verkehrsunfall mit zwei Toten gegeben und die Beamten waren gerade damit beschäftigt, die Zeugen zu verhören. Das konnte Stunden dauern, bis sie hier ihre Aussage würden machen konnten.

Resignierend lehnte sich Layla gegen die Wand. Einen freien Stuhl zu erwischen war wohl illusorisch. Doch nicht einmal zwei Minuten später näherte sich ihnen ein höherer Beamter, deutlich erkennbar an der dunklen Anzughose und der hässlichen, farblich überhaupt nicht zum Anzug passendend Krawatte. Er fragte in überheblichem, fast arroganten Ton:

„Was kann ich für Sie tun!“

Dabei stellte er sich so hin, dass Layla seinen Gürtel an dem eine beeindruckende Waffe und die Dienstmarke, sowie ein Handy und ein Sprechfunkgerät befestigt waren. Mein Gott, dachte Layla, was konnte man an einem einzigen Gürtel noch alles mit sich herumschleifen. Aha, er war also „Teniente“, also Leutnant und demnach wirklich ein höheres Tier. Teniente Marco Chavala Jiménez.

Ein dickerer, ungepflegter Mann näherte sich, stellte sich direkt vor den Teniente. Er fuchtelte aufgebracht mit den Armen und sagte in ärgerlichem Tonfall:

„Oficial, wir waren zuerst da!“

„Gehen Sie zurück, sonst lasse ich Sie umgehend verhaften!“

Eingeschüchtert ging der Mann zurück zu seiner Familie und setzte sich auf einen alten abgewetzten Stuhl. Layla war erschüttert zu sehen, wie viel Angst der Mann hatte. Aha, dachte sie, solch ein wohltuender Hüter des Rechts war also dieser Teniente Marco Chavala Jiménez. Sie wollte gerade zu einer schärferen Bemerkung ansetzten, da sagte Lupi.

„Die tote blonde Frau aus der Zeitung, die, die auf dem Parkplatz der Plaza Cristal gefunden wurde. Meine Cousine weiß, wer das ist!“

Chavala sah Layla mit abschätzigem Blick an, wobei seine Augen jeden weiblichen Teil von Laylas Körper regelrecht an grapschten. Layla fühlte sich fast nackt unter diesem geilen Blick. Trotzdem weigerte sie sich, ihre Arme schützend vor ihren Körper zu legen. Es würde Schwäche zeigen und die wollte sie bei diesem prächtigen Exemplar der Gattung Halbaffe mit Sicherheit nicht zeigen. Deshalb blickte sie ihm selbstbewusst und unnachgiebig in die Augen. Und obwohl gut einen Kopf kleiner, gewann sie dieses erste Duell. Teniente Chavala drehte sich wortlos um und gab über die Schulter mit dem großen Finger ein Zeichen, dass sie ihm folgen sollten. Layla ging hinter ihm her, gefolgt von Lupi und Daniel.

„Nur die Señorita! Ihr beiden wartet hier!“

Unschlüssig standen Lupi und Daniel auf halben Weg. Layla gab ihnen ein beruhigendes Zeichen und sagte:

„Schon gut, nicht so schlimm. Wollt ihr in der Zwischenzeit einen Kaffee trinken gehen. Ich rufe Daniel auf dem Handy an, wenn ich fertig bin!“

Der Offizier war ohne inne zu halten weitergelaufen. Er war schon fast in seinem Büro. Trotzdem ging ihm Layla ohne Eile hinterher. Wohl war ihr nicht dabei, alleine mit diesem arroganten Arsch in diesem dunklen Loch, das er sein Büro nannte, eingesperrt zu sein, aber nichtsdestoweniger zeigte sie auch hierbei kein Zögern. Als sie dann in sein Büro eintrat, saß der Leutnant schon an seinem Tisch. Seine Ellenbogen lagen auf dem unaufgeräumten Schreibtisch auf. Die Finger beider Hände waren ausgestreckt und gespreizt und berührten sich an den Spitzen. Die Szenerie sah dabei einstudiert und fast lächerlich aus. Layla musste fast laut auflachen. Mann, dass konnte ja richtig lustig werden, dachte sie sarkastisch.

Der Polizist bot ihr nicht an, Platz zu nehmen, oder hielt sich lange mit Smalltalk auf, er fragte sie nicht einmal nach ihrem Namen, sondern fiel gleich mit der Tür ins Haus

„Woher kennen Sie die Frau?“

„Sie war gestern im gleichen Flugzeug wie ich!“

„Welches Flugzeug?“

„Auf dem Flug der Lufhansa LH 498 von Frankfurt nach Mexiko City“

„Und was hatten Sie mit der Frau zu tun?“

„Nichts, sie saß zwei Reihen vor mir!“

„Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass sie sich die Gesichter all dieser Menschen in diesem Flugzeug eingeprägt haben? Das müssen ja mindestens hundert gewesen sein!“

„Vierhundert um genau zu sein. Nein, das habe ich natürlich nicht. Ich habe sie später in Begleitung eines Mannes hier in Puebla wieder gesehen!“

„Aha, also hatten sie doch etwas mit ihr zu tun?“

„Nein, wir haben kein einziges Wort miteinander gesprochen. Ich kenne den Mann der in ihrer Begleitung war und könnte ihnen Angaben dazu machen!“

„Also ein Eifersuchtsdrama?“

„Überhaupt nicht. Ich habe den Mann selbst erst am Flughafen kennen gelernt!“

„Und wollten ihn für sich selbst. Da ist ihnen aber die bedauerungswürdige Frau zuvorgekommen!“

„In was für eine Richtung denken Sie denn? Nein, ich hatte gar keine Absichten mit dem Mann. Er hat mich am Flughafen angesprochen, weil er meinen Koffer gefunden hat!“

„Den Sie dort wohl genau so positioniert hatten!“

„Jetzt hören Sie schon auf. Ich habe mit dem Tod der armen Frau nichts zu tun. Ich will ihnen nur helfen den Täter zu finden. Sie war auf jeden Fall kurz vor ihrem Tod mit eben diesem Begleiter zusammen. Er heißt Antonio Gonzales López und soviel ich weiß ist er wohnhaft in Aguas Verdes!“

„Sie wollen diesen unbescholtenen Bürger als Mörder anschuldigen? Und woher wissen Sie die Zeit ihres Todes!“

„Teniente Chavala, jetzt hören Sie mir einmal genau zu! Die Todeszeit ist wohl klar. Ich sehe sie am späten Abend am Busbahnhof in Puebla und am folgenden Morgen ist sie tot. Außerdem war sie dort, wie ich Ihnen schon erklärt habe, in Begleitung dieses Mannes namens Antonio Gonzales López, mit dem sie auch fort gegangen ist. Woher wollen Sie wissen, dass Antonio Gonzales López ein unbescholtener Bürger ist, ohne ihn befragt zu haben?“

Ohne weitere Worte zog der Chavala ein Dossier aus dem Schreibtisch und schmiss es in Richtung Layla. Die fing es geschickt auf. Der Teniente machte ein ungeduldiges Zeichen mit der Hand, fast so, als ob Layla seiner Meinung nach das Dossier schon aufgeschlagen und gelesen haben sollte. Layla schlug das Dossier tatsächlich auf, wurde blass und ließ es fast fallen. Gerade konnte sie noch verhindert, dass sie ihre Hände entsetzt vor den Mund hielt. Aus dem Augenwinkel sah sie jedoch das sadistisch anmutende Grinsen von Marco Chavala und deshalb zwang sie sich zur Beherrschung. Sie sah wieder ins Dossier. Dort war ein riesiges Farbfoto von der toten Blondine zu sehen. Laylas Mageninhalt wollte sich selbständig machen. Wie konnte so etwas nur geschehen? Sie war als Journalistin ja einiges gewohnt, aber dieses Bild war so furchtbar, dass es sie zu tiefst erschütterte.

Die Frau war nur noch mit Mühe als solche zu erkennen. Wie sie es hinbekommen hatten, daraus ein brauchbares, das heißt erkennbares Photo für die Zeitung zusammenzustellen, war Layla ein Rätsel. Es gab wohl keinen Quadratzentimeter an ihrem Körper, der nicht blutete. Der Körper war vom Unterleib bis zum Brustansatz regelrecht aufgefetzt. Die Kehle wurde ihr herausgerissen, sodass der Kopf nur noch mit wenigen Zentimeter Haut mit dem Torso verbunden war. Das rechte Bein lag in unnatürlichen Winkel fast senkrecht neben dem Körper. An den Händen und Unterarmen hatte sie schreckliche Wunden, fast so, also ob sie die Hände zum Schutz ausgesteckt hatte und direkt in ein Rührwerk gefallen wäre. An beiden Seiten des Oberkörper waren tiefe Löcher, fast so, als wäre sie dort mit einem Fleischerhacken fixiert worden, bevor ihr der Körper zerfleischt wurde.

„Sie wollen doch nicht etwa andeuten, dass ich so etwas getan haben könnte?“

„Warum nicht. Wenn Sie wüssten, was ich schon alles gesehen habe in meiner langen Laufbahn. Ich hoffe, Sie haben ihre Zahnbürste mitgebracht, denn es kann etwas länger dauern, bis Sie dieses Gebäude wieder verlassen!“

„Ich bürge für sie!“

Erschrocken drehte sich Layla zur Tür um, wo der Sprecher stehen sollte. Vor ihr stand… Pater Bishop! Laylas Herz machte trotz der prekären Lage, in der sie sich befindet einen Doppelschlag auf einmal und eine wollige Wärme breitete sich in ihr aus. Beschämt schlug Layla die Augen nieder. Sie war im Begriff, sich in einen Priester zu verlieben. „Mensch, reiß Dich zusammen!“ rief sich Layla selbst zur Ordnung.

„Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“

„Ich bin Pater Mark Bishop, Stellvertretender Leiter des Convento Santo José!“

„Und was haben Sie mit der Frau zu tun!“

„Sie steht unter meinem persönlichen Schutz!“

„Aha, und das soll mich beeindrucken!“

„Teniente Chavala, jetzt hören Sie mir mal genau zu. Sie wissen genau so gut, wie ich, dass diese Frau nichts mit dem Tod des bedauernswerten Opfers zu tun hat. Also lassen wir die Spielchen! Dagegen weiß ich ganz genau, wer sie gefördert hat, dass sie überhaupt in diese Position kommen konnten. Ich weiß auch ganz genau, dass dies eigentlich gar nicht ihr Büro ist und dass sie heute Morgen einen Anruf erhalten haben, der ihnen mitteilte, dass sie hier heute morgen nach dieser Frau Ausschau halten sollten und sie gleich hier einschüchtern sollten!“

Der Teniente war leichenblass geworden und bestätigte damit die Richtigkeit der Aussage. Trotzdem wollte er nicht so leicht aufgeben und schrie, dass ihm die Speichelfäden aus dem Mund spritzten:

„Ich werde Sie alle beide festnehmen lassen. Das werden wir sehen, wer hier am längeren Hebel sitzt!“

Pater Bishop ignorierte ihn jedoch total. Er wusste, dass er gewonnen hat. Er legte Layla die Hand auf die Schulter und sagte sanft:

„Kommen Sie, Layla, ich glaube wir sind hier fertig!“

Layla spürte eine ohnmächtige Wut in sich. Am liebsten hätte sie einen Knüppel genommen und die Scheiße aus diesem korrupten Scheißkerl vor ihr geprügelt. Solche Individuen waren schuld am schlechten Image der Mexikanischen Bürokratie. Der Pater schien ihre Wut zu spüren und bevor Layla was Dummes tun konnte, dass sie später bereuen würde, schob er sie aus dem Büro. Dabei wurden sie nicht aufgehalten. Niemand schien Notiz von ihnen zu nehmen. Ganz im Gegenteil. Die Leute schienen ihren Blicken geradezu auszuweichen.

Draußen angekommen stießen die beiden fast mit Lupi und Daniel zusammen. Als sie die immer noch leicheblasse Layla sahen, war ihnen der Schock ins Gesicht geschrieben und sie wollten Layla auch gleich mit Fragen bestürmen. Aber das musste noch warten. Der Pater schuldete ihr noch einige Erklärungen. Deshalb hob sie abweisend die Hand in Richtung der beiden und sagte:

„Pater, woher wussten Sie, dass ich hier bin?“

„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich immer in Ihrer Nähe sein werde!“

„Und woher wusste Sie all die Dinge von Teniente Chavala!“

„Ich habe meine Hausaufgaben gemacht. Marco Chavala ist das Verbindungsglied von Sergio Alcazar zur Polizei. Immer wenn es etwas zu vertuschen gibt, dann taucht er plötzlich auf!“

„Und was gibt es jetzt zu vertuschen?“

„Ist das nicht offensichtlich?“

„Der Tod der Frau!“

„Genau!“

„Warum sollte mir der Mord angehängt werden?“

„Das war nicht die Absicht. Nicht mal hier in Mexiko kann so eine lächerliche Anklage aufrechterhalten werden. Es soll Ihnen nur Angst eingejagt werden!“

„Das wird denen nicht gelingen. Ich werde am Ball bleiben. Jetzt erst Recht! Jetzt geht es schon um wahrscheinlich zwei Tode, wobei ich immer noch hoffe, dass Mercedes noch am Leben ist!“

„Das wird sie wohl nicht mehr sein, aber Sie haben sich da drinnen wirklich ausgezeichnet gehalten. Grosses Kompliment!“

Layla musste jetzt letztendlich doch lächeln. Das Kompliment des Paters hatte ihr gut getan. Lange blieb das Lächeln aber nicht auf ihrem Gesicht, dafür war die ganze Situation einfach zu grausam und traurig. Sie fragte den Pater:

„Wissen Sie, was mit der armen Frau passiert ist!“

„Ja, aber Sie würden es mir nicht glauben!“

„Versuchen Sie es!“

„Aha, haben Sie sich also der ungewohnten Situation also schon etwas mehr geöffnet. Das letzte Mal haben Sie mich noch weggejagt, wie einen räudigen Hund!“

Layla war peinlich berührt. Sie war wirklich unfair dem Pater gegenüber gewesen, der ihr ja offensichtlich nur helfen wollte. Aber bis zum gestrigen Abend konnte sie sich viele Dinge noch nicht einmal vorstellen, die sich mittlerweile in ihrem Kopf als mögliche Wahrheit manifestierten.

„Entschuldigen Sie bitte mein Verhalten von gestern! Es war unfair.“

„Schon gut. Ich verstehe Sie ja. Also ich bin überzeugt davon, dass die Frau ein Opfer von Antonio Gonzales López wurde. Eigentlich wolle er ja Sie, aber als Sie ihm entwischt sind, da konnte er seinen Hunger nicht mehr kontrollieren und ist über die Frau hergefallen!“

„Meinen Sie, dass wenn ich mit Antonio Gonzales López gefahren wäre, wäre ich so geendet!“

„So, oder ähnlich. Aber erst wären Sie Sergio Alcazar vorgeführt worden!“

Layla wurde wieder leichenblass. Sich nur vorzustellen, dass sie die Frau auf dem Foto gewesen wäre, ließ sie leicht schwanken. Daniel stützte sie ab und sah Pater Bishop vorwurfsvoll an. Oh, die Armen wussten ja noch nicht, um was es ging, also stellte Layla den Pater erst mal vor.

„Lupi, Daniel, dies ist Pater Mark Bishop. Er hat mir gestern das Leben gerettet und heute vor den undurchschaubaren Mahlwerken der Mexikanischen Justiz bewahrt!“

Dann erzählte Layla Lupi und Daniel in aller Kürze, was gestern im Flughafen und jetzt hier in der Polizeistation geschehen war. Beide waren bestürzt. Speziell Lupi war gar nicht mehr zu beruhigen.

Mittlerweile war es recht heiß geworden und so direkt in der Sonne zu stehen, war wohl nicht so intelligent. Deshalb sagte Pater Bishop:

„Sorry, ich muss zurück an meine Hausaufgaben. Erinnere Dich Layla, ich bin immer in Deiner Nähe!“

Dann drehte sich der Pater um und ging davon. Er drehte sich noch einmal um und winkte, dann ging er um die Ecke und war verschwunden. Layla wunderte sich darüber, dass der Pater wieder, wie am Flughafen in das intimere „Du“ übergegangen war, nachdem er sie plötzlich gesiezt hatte. Layla amüsierte sich aber auch köstlich darüber. Dies passierte ihr oft, dass sie die Leute zu Beginn kurz nach dem Kennen lernen duzen, eben weil sie eher wie ein 16 – jähriges Mädchen erschien und dann, wenn sie deren Respekt bekommen hatte, begannen sie Layla zu siezen. Layla liebte es regelrecht, damit zu spielen und den Leuten ihre Voreingenommenheit vorzuführen. Pater Bishop jedoch schien über diesen Status schon wieder hinweggekommen zu sein und begann sie, fast wie einen Freund zu duzen. Layla hatte da auch gar nichts dagegen und dachte sich, dass ein Mann, der ihr das Leben gerettet hatte, dass Recht dazu hatte, sie zu duzen.

Die drei gingen zurück zum Auto. Daniel hatte das Kunststück fertig gebracht einen freien Parkplatz in einer Gasse nur wenige Meter von Eingang entfernt zu finden. In Mexiko war es keine Seltenheit, dass man kilometerweit vom eigentlichen Ziel entfernt parken musste und dann noch einen hübschen Fußweg zu bewältigen hatte, bis man letztendlich beim Ziel angekommen war. Bei diesem Klima war das wirklich kein Vergnügen. Es gab zwar auch öffentliche Verkehrsmittel, speziell die berühmt-berüchtigten Mikrobusse, also alte VW Kombi Fahrzeuge, die in Mexiko, eben hier in Puebla bis vor wenigen Jahren immer noch gebaut wurden. Dort passten eigentlich nur 9 bis maximal 11 Personen hinein. Oftmals waren aber auch 20 Mitfahrer oder sogar noch mehr darin zu finden. Und die Fahrer waren bekannt für ihre rasante, rücksichtslose Fahrweise. Da war es schon besser, den langen Fußweg auf sich zu nehmen. Taxis gab es natürlich auch, nur waren die nicht wesentlich sicherer, als die Mikrobusse. Außerdem hatte Layla keine Lust sich in die oft stinkenden, fleckigen alten Autos zu setzen. „Da ist sie typisch Deutsch“, dachte Layla und lächelte.

Daniel schloss die Tür auf und die drei stiegen ein. Er wollte gerade den Motor starten, da zuckte Layla zusammen und hielt ihn mit einer Handbewegung davon ab. Direkt vor ihrem Fahrzeug lief Antonio Gonzales López vorbei. Er blieb circa 20 – 25 Meter vor ihnen stehen und schaute sich um, konnte sie aber wegen der getönten Scheibe des Fahrzeugs nicht sehen. Wären sie nur 10 Sekunden länger auf der Strasse stehen geblieben, wären sie förmlich ineinander gelaufen. Lupi wollte etwas sagen, aber Layla hielt sie davon ab, als ob sie Angst hätte, Antonio könnte sie trotz der geschlossenen Türen hören. Kurz später kam eine zweite Person. Leider konnten die drei nicht erkennen, um wen es sich dabei handelt. Antonio unterhielt sich angeregt mit ihm. Man sah ihm an, dass es immer wütender wurde. Plötzlich schlug Antonio zu und der andere Mann wurde förmlich aus den Stiefeln gehauen. Er fiel hart auf die Straße und rutschte fast drei Meter weiter. Da konnte Layla erkennen, um wen es sich handelte. Es war Teniente Marco Chavala! Durch den Schlag war Antonios Wut noch nicht verraucht. Mit einem fast unglaublichen Sprung war er über dem Teniente Chavala und prügelte weiter auf ihn ein. Der Mann konnte sich nicht wehren. Er war Antonio in allen Belangen total unterlegen. Layla hatte Angst Antonio könnte den Polizist direkt vor ihren Augen totschlagen und wollte schon Daniel fragen, kurz auf die Hupe zu drücken, obwohl sie dies wohl in tödliche Gefahr bringen würde, als Antonio plötzlich innehielt und lauschte. Hatte er sie auch so gehört? Panik begann in Layla aufzusteigen, dann sah sie, dass ein Auto um die Ecke bog. Offensichtlich noch jemand, der einen Parkplatz suchte. Mit einer unvorstellbaren, fast unmenschlichen Geschwindigkeit sprang Antonio Gonzales López auf die Beine, rannte davon und ließ den schwer verletzten Teniente auf der Strasse liegen. Der Autofahrer sah den auf den Boden liegenden Polizisten, aber anstatt zu helfen drehte er einfach um und fuhr mit durchdrehenden Reifen davon. Layla wollte aus dem Auto springen, aber diesmal war es Daniel der sie davon abhielt. Er nahm sein Handy, drückte einige Tasten. Dann erklärte er den beiden Anderen.

„Mit diesem Handy können keine Anrufe zurückverfolgt werden!“

Daniel startete den Motor und fuhr los. Als es an der Ecke angekommen war, holte er eine Karte aus der Tasche, die er in der Polizeistation an sich genommen hatte, wählte eine elend lange Nummer und wartete. Als der Anruf dann endlich angenommen wurde, sagte er mit verstellter Stimme und mit einem furchtbaren Amerikanisch – Englischen Akzent:

„Vor der Station, da liegt ein verletzter Mann vor der Türe. Gleich um die Ecke. Ist ein Polizist!“

Dann legte er auf und beschleunigte den Wagen. Layla war am Boden zerstört. Dieser Sergio Alcazar und sein Lakai Antonio Gonzales López schienen wirklich das ganze Land zu kontrollieren. Was sollte sie tun? Konnte sie immer noch einfach so in Aguas Verdes einmarschieren und die Leute dort befragen, als ob nie was geschehen wäre. Layla musste zugeben, dass sie furchtbare Angst hatte. Trotzdem konnte sie nicht so einfach aufhören, einfach so die Segel streichen. Sie war es Mercedes und in gewissem Maß auch der Frau, die wohl an ihrer Stelle gestorben war, schuldig. Aber ihr selbstbewusster Drive, der sie bei der Recherche ihrer Stories immer so auszeichnete, der hatte doch einen kräftigen Dämpfer bekommen. Layla wusste genau, dass sie nur dann eine reelle Chance hatte, die Geschichte zu einem guten Ende zu führen, wenn sie ihre volle Kraft zur Verfügung hatte, wenn sie sich auch in Aguas Verdes selbstbewusst und ohne Rücksicht auf Verluste, voll in die Aufklärung der Zusammenhänge stürzen konnte.

Was Layla ebenfalls deprimierte, war, dass sie keine Ahnung hatte, was Pater Mark Bishops Rolle bei dieser ganzen Geschichte war? Er schien zu den Guten zu gehören und hatte auch versprochen, immer in ihrer Nähe zu sein, wenn Layla in brauchte. Er hatte sie auch schon zweimal mächtig aus der Scheiße herausgehauen. Layla war sich mittlerweile sicher, dass sie ihm vertrauen konnte. Aber konnte er sie auch wirklich beschützen, wenn es wirklich hart auf hart käme? Und wenn er so ein furchtloser Kämpfer war, warum kämpfte dann nicht er selbst an vorderster Front gegen diese Horrorgestalten? Layla hatte noch so viele Fragen, die ganz dringend auf eine Beantwortung warteten.

Der geheime Pfad von Cholula

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