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1.2 Opfer und Eucharistie in den ersten christlichen Jahrhunderten
ОглавлениеDas NT kennt keinen fest umschriebenen Opferbegriff, so dass es zur Aufgabe der patristischen Zeit wird, die Aussagen der neutestamentlichen Schriften hinsichtlich dieser Frage zu bedenken. Mit der Reflexion der heilbringenden Passion Jesu Christi und der Eucharistie in den ersten christlichen Generationen der Gemeinden setzt eine Übertragung des Opferbegriffs auch auf die Eucharistie ein. Es ist der Opfercharakter des Todes des Herrn, der in den Gemeinden zur Übertragung des Opferverständnisses auf die Eucharistie selbst führt. Der 1. Korintherbrief (1 Kor 11,26) bereitet dieses Verständnis vor und bereitet den Boden für die Schlussfolgerung: In der Eucharistie wird Jesu Tod, sein Opfer, gegenwärtig gesetzt.25 Paulus konzentriert das Gedächtnis des Abendmahls auf den Tod Jesu, als das zentrale Heilsereignis, das den eigentlichen Sinn für die Teilnahme an den Mahlfeiern ausmacht. Von daher ist mit diesem Verständnis der Anamnese zugleich die Behauptung des Opfercharakters des Todes Jesu Christi (Gal 2,20; Eph 5,2; 1Kor 5,7) und des Abendmahles (1Kor 10,19ff) inklusive seines kultischen Nachvollzugs gegeben. Die Verknüpfung von Kelchwort mit alttestamentlichem Passah (Lk 22, 15 und 1Kor 5,7) und den Opfertermini, die Jesu Leiden und Sterben betreffen (Mk 10,45; Hebr 7, 27; 9,23-25; 10,10-14; 13,10; Joh 6,51; 19,34ff), prägen den neutestamentlichen Verstehenshorizont der ersten Christen. Die frühe Kirche überwindet ihre Abneigung gegen materialistisch-verdinglichte Opferdarbringung und versteht die Eucharistie als vollkommenes Opfer, das die alttestamentlichen Opfer, wie z.B. in Mal 1,11.14 beschrieben, erfüllt und zugleich überbietet.26 Davon berichtet die Didache (Did 14,1ff):
An jedem Herrentage, wenn ihr zusammenkommt, brecht das Brot und sagt Dank, nachdem ihr zuvor eure Verfehlungen bekannt habt, damit euer Opfer rein sei. Keiner aber, der Streit mit seinem Nächsten hat, soll mit euch zusammenkommen, bis sie sich versöhnt haben, damit euer Opfer nicht entweiht werde. Denn dies ist das vom Herrn gesprochene Wort: ‚An jeder Stelle und zu jeder Zeit mir ein reines Opfer darzubringen; denn ich bin ein großer König, spricht der Herr, und mein Name ist wunderbar unter den Völkern’ [Mal 1,11.14].
Die Vollzugsweise des Gedächtnisses, nämlich die Danksagung (die Eucharistie), wird dann in der Folgezeit zur Namensgeberin der ganzen Feier. Das Gedächtnisopfer ist in dieser Zeit wesentlich Dankopfer.27 Wir sehen, dass im Rückgriff auf Mal 1,11.14 zum ersten Mal in der frühchristlichen Literatur die Eucharistie als Opfer bezeichnet wird, womit die ganze Feier gemeint ist. Dabei wird die anabatische Seite des Opfergeschehens betont und in den Mittelpunkt gestellt. Mal 1,11.14 erhält damit eine christologische Implikation ohne Differenzierung, ohne aber vom einmaligen Opfer Jesu zu sprechen.28 Die apostolischen Väter, wie Clemens von Rom, verstehen den neutestamentlichen Kult als Spiegelbild des Alten Bundes, woraufhin eine unbefangene Rezeption opfertheologischer Termini einsetzt. Der Darbringung der Gaben wird allerdings ein anderer Sinn zugewiesen. Der christliche Gehalt des Opfers ist in die Geistigkeit des Darbringens gelegt, doch weiterhin bleibt die Einzigartigkeit des Opfers Christi im Hintergrund.29 Die Dimension der Eucharistie, wie sie in den Anfängen des Christentums etabliert wird, beinhaltet, und das muss hervorgehoben werden, als wesentliches Moment die intentionale Rückwendung und Rückgabe der Gabe an Gott, als deren Ursprung. Dadurch ist die Eucharistie Opfer. Philo erkennt dies (De spec. leg. I 297), wenn er das wahre Opfer nicht in den materiellen Dingen, sondern in den Hymnen, Lobsprüchen und Danksagungen verankert, und hierin den jungen Christengemeinden den weiteren Reflexionsweg weist.30
Den frühen christlichen Theologen geht es bei der Betonung der spiritualisierten Opferauffassung um die Abwehr des heidnischen Vorwurfs, Christen seien gottlos, weil sie eine opferlose Gottesverehrung praktizieren. Das innerkirchliche Leben rückt nicht ins Blickfeld der Literatur in der apologetischen Zeit, und so bleibt letztlich die Verhältnisfrage von Opfer und Eucharistie unreflektiert.31
Mit Justin († um 165) richtet sich der Blick auf die Inkarnation als Gegenstand der Erinnerung bei der Eucharistie. Dabei ist dies kein Gegensatz zur Opfertradition der Eucharistie, sondern Entfaltung und Ausdeutung des johanneischen Ansatzes, der den Blick auf eine Entfaltung bzw. Erfüllung des Opfers lenkt.32 Bei Justin (Apol I 66,2) lesen wir:
„Nicht als gemeinsames Brot und gemeinsamen Trank nehmen wir sie [die Eucharistie]. Vielmehr auf die gleiche Weise, wie der durch den Logos Gottes Fleisch gewordene Jesus Christus, unser Erlöser, um unserer Erlösung willen sowohl Fleisch als auch Blut (angenommen) hatte, so ist … auch die Speise, die durch ein Gebet um den von ihm stammenden Logos zur Eucharistie geworden ist, eben jenes Fleisch gewordenen Jesus Fleisch und Blut, wie denn Fleisch und Blut (überhaupt) aus Speise auf Grund der (Nahrungs-)Umwandlung gebildet werden.“
Nach Justin werden durch Gebet um den Logos Brot und Wein durch eben diesen Logos selbst zur Eucharistie. Damit ist die Analogie von Inkarnation und Eucharistie hergestellt und er ordnet damit die Inkarnation unter die Opferidee ein, da Jesus die Menschwerdung um der Erlösung der Menschen willen auf sich genommen habe. Die Inkarnationsanamnese fügt sich unter die umgreifende Idee der Anamnese des Opfertodes Christi ein. Justin entwickelt ein eucharistisches Inkarnationsprinzip, dass zugleich der Schlüssel zur Abendmahlstradition der griechischen Väter ist. Es handelt es sich dabei um die Logosepiklese durch Gebet über die eucharistischen Gaben.33
Das eucharistische Inkarnationsprinzip findet sich ebenfalls bei Irenäus von Lyon († 202).
„Die Epiklese bringt eine Funktion der Eucharistia, des Danksagungsgebetes, zum Ausdruck und fällt mit diesem letztlich zusammen. Ihr Sinngehalt deckt sich mit dem des Dankes und des Opfers. Dank und Opfer leiten eine Gabe von Gott her und auf ihn zurück. Dieses Geschehen nimmt die Epiklese auf: sie ruft den Logos auf die Gaben herab, um sie zu konsekrieren und dann mittels dieser die Menschen zu Gott zurückzuführen.“34
Irenäus stellt „die Bindung des Gedächtnisses an das ‚Brot u[nd] den Kelch der Danksagung’ (Dial. 41,1ff) sowie den Opfercharakter der Eucharistie“ heraus.35 Bei ihm schreitet der Reflexionsprozess deutlich voran. Sein Augenmerk liegt auf der Abgrenzung der Eucharistielehre von Irrlehren, wie z.B. der Gnosis. Dabei fällt sein Augenmerk auf die Materialität der Gaben, die Zeichen der Einheit von Gott dem Schöpfer und Gott dem Erlöser sein sollen und AT und NT innerlich einigen sollen. Er gelangt zu der Erkenntnis, dass zwar Genus „Opfer“ im Alten und Neuen Bund gleich, aber die Species verändert ist. Der gleiche Grund wird aber von den Kindern der Freiheit, d.h. den Christen, anders gehandhabt als bei den Kindern der Knechtschaft, d.h. dem Volk Israel. Die Geistigkeit des liturgischen Handelns bei gleichzeitiger materieller Gabendarbringung wird von Irenäus konsequent unterstrichen.36
„Irenäus begründet die Existenz des Opfers der Eucharistie, indem er auf zwei Sachverhalte zurückgreift. Hierbei nimmt der Bezug auf die Einsetzung des Abendmahls den hervorgehobenen Rang ein … Die Neuheit des geschlossenen Bundes [im NT] zieht die Neuheit eines Opfers nach sich [in Abhebung, aber nicht in Widerspruch zum AT]. Ihre Stiftung fällt mit der Einsetzung der Eucharistie zusammen. Jesus Christus, der Stifter des Neuen Bundes, hat dieses Opfer selbst eingeführt. Brot und Wein, die aus der Schöpfung genommen sind, bilden die Materie des Opfers; diese werden in das Fleisch und Blut Jesu Christi verwandelt … Die Kirche handelt so, wie Christus einst gehandelt und nachzutun befohlen hat.“37
Für Irenäus ist der Grundgedanke, dass der Zugang Gottes zu den Menschen auf die danksagende Antwort der Menschen wartet. Diese wird durch die Vermittlung Jesu Christi in der Eucharistie Wirklichkeit. In Jesus Christus selbst, als dem Stifter des Neuen Bundes, wurzelt bei Irenäus der Opfergedanke der Eucharistie.38 Ein wichtiger Aspekt, den Irenäus aufzeigt, ist die Bedürfnislosigkeit Gottes. Gott hat kein Bedürfnis nach den menschlichen Gaben, sondern die Menschen haben das Bedürfnis, Gott etwas zu opfern. Die Gaben von Brot und Wein sind jene, welche Christus hernahm. Sie bezeichnen die Schöpfertätigkeit Gottes. Sie werden dargebracht, damit an ihnen die Dankbarkeit erwiesen wird. So können wir bei Irenäus festhalten, dass das Opfer des Neuen Bundes aus den Elementen Brot und Wein besteht, die den Dank ausdrücken, der dem Vater dargebracht wird. Sie sind aber zugleich darauf ausgelegt, Fleisch und Blut des Erlösers zu werden. Leib und Blut Christi bilden somit die wahre Gabe, die Gott dargebracht wird. Die Kirche opfert sich unter den sakramentalen Symbolen selbst, unter denen Christus gegenwärtig geglaubt wird. Dabei wird die Kirche in das Opfer des Christus passus hineingenommen und von Gott in diesem Akt definiert, wie sie sich in ihm zugleich selbst definiert. Die Kirche vollzieht den Auftrag des Stifters, indem sie in seinem Namen und seiner Vollmacht handelt. Dabei bleibt die Kirche nicht beim Christus passus stehen, sondern sie opfert sich im eucharistischen Opfer unter den natürlich sichtbaren Symbolen von Brot und Wein als Hingabe an Gott.39 Der Beitrag von Irenäus zum Verständnis des Abendmahls besteht in der Zusammenführung von verschiedenen Traditionen. Es kommt zur umfassenderen Betrachtung der Eucharistie zugleich als Opfer der Kirche und als an die Heilsereignisse erinnerndes Opfer Jesu Christi.