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22. Februar

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Es wird nicht mehr lange dauern, bis sich die Leute zu wundern anfangen, dass früher fotografiert wurde, während das Objektiv vom einem wegzeigte.


Heute das erste Mal den sanft hysterischen Harpyiensang von Frau Katrin Göring-Eckardt live im Bundestag gehört. Dass eine Person von solch monströser Schlichtheit in diesem Land eine politische Karriere hinlegen kann, indem sie jahrein jahraus die immergleichen anklagenden Worthülsen möglichst lauthals in jedes verfügbare Mikrophon schalmeit, mag einen Scherzbold mit dem deprimierenden Mangel an Humor im sogenannten Hohen Haus versöhnen. (Ich läse gar zu gern eine Studie über die Korrelation von IQ und Lautstärke bei öffentlich Redenden; ich bin sicher, dass es sie, also die Korrelation, gibt.) Es ging heute um Europa, angeblich; tatsächlich drehte sich die Debatte wie stets bloß um die EU. Das semantische Schurkenstück unserer Tage besteht ja darin, dass die Eurokraten und Zentralisten es geschafft haben, EU und Europa in eins zu setzen und die Verteidiger der europäischen Vielfalt zu Europafeinden zu erklären.

Nun wäre natürlich die große Frage, wie viele Bundestagsabgeordnete überhaupt noch über ein Sensorium für diese Vielfaltverfügen, die ja aus geistigen, kulturellen, lebensartlichen, ästhetischen, kulinarischen und, warum nicht, spirituellen Unterschieden besteht, aus unterschiedlichen Landschaften, Sprachen, Mentalitäten, Architekturen, Musiken, Traditionen, Küchen, aus einem Kosmos von Konkurrenz, Konvergenz und Kontrapunkt. Doch bei der grünen Spitzentörin fallen als Attribute Europas zuerst Begriffe wie »solidarisch« und »sozial«, auch »Freiheit«, wobei man nicht recht weiß, was Grüne darunter verstehen, wie sie ja auch ihre Solidarität möglichst auf die gesamte Menschengattung ausdehnen wollen, solange sie für diese Forderung angemessen honoriert und beklatscht werden und nicht gerade alte weiße Männer davon profitieren. Der Begriff »Recht« kommt dem späten Mädel (bei einem Bento-Komsomolzen las ich, dass man Nazis daran erkenne, dass sie »Mädel« sagen) nicht in den Sinn. Den Grünen oder Roten den Gedanken zu vermitteln, dass das, was sie Rassismus und Abschottung nennen, womöglich der einzige Weg ist, die europäische Freiheit und Vielfalt – und meinetwegen auch den Sozialstaat – zu erhalten, dürfte dem Versuch gleichkommen, einem Ameisenhaufen das Evangelium zu predigen.


Wiederholte Lektüre von Emmanuel Macrons Rede zur »Neubegründung Europas« an der Sorbonne. Neben den hinreichend thematisierten Vorschlägen des französischen Präsidenten zur weiteren Vergemeinschaftung und Zentralisierung europäischer Institutionen fallen mir ein paar Dinge auf, die bislang weniger Aufmerksamkeit fanden.

Erstens: Macron hat nicht ein Mal die Begriffe »Christentum« oder »christlich« erwähnt.

Zweitens: Er verbreitete passagenweise im Göring-EckardtStil Hass, Spaltung und Abschottung, etwa: »Ich überlasse nichts denen, die Hass, Spaltung oder nationale Abschottung versprechen. Ich überlasse ihnen keinen einzigen Vorschlag.« Ross und Reiter nannte er nicht.

Drittens: Er sprach, wie zuletzt auch Merkel, im Margot-Honecker-Duktus von »unseren Bevölkerungen«.

Viertens: Er klagte tatsächlich, die Befürworter der Vereinigten Staaten von Europa hätten »zugelassen«, dass sich in besagten Bevölkerungen gegenüber ihrem Projekt »Zweifel einnisten«.

Fünftens: Er erklärte »die kohlenstofffreie und kostengünstige Atomenergie« für »unerlässlich«.

Sechstens: Er verteidigte mit Verve die Urheberrechte von Autoren im Zeitalter der Digitalisierung, und dies mit Worten, wie sie wohl nur ein Franzose sprechen kann: »Diejenigen, die die etymologischen Boten dessen sind, was uns wirklich zusammenhält, die wahre Autorität in Europa, das sind die Autoren.« (Je ne vous crois pas, Monsieur le Président, mais mille fois merci.)

Siebentens: Anders als selbstvergessene und bildungsferne deutsche Eurokraten will Macron die Vielfalt der europäischen Sprachen erhalten und forderte, dass jedes europäische Schulkind mindestens zwei europäische Sprachen beherrschen soll.

Achtens: Macron hat sich dafür ausgesprochen, die frei werdenden 73 Sitze der britischen EU-Abgeordneten »als europäische Antwort auf den Brexit« einer transnationalen Liste zur Verfügung zu stellen. »Ich setze mich dafür ein, 2019« – also bei den Europawahlen – »transnationale Listen zu haben«, erklärte er. Und nach Macrons Willen soll »bei den darauffolgenden Wahlen die Hälfte des europäischen Parlaments über diese transnationalen Listen gewählt« werden. Die Brüder meinen es ernst.

Goldstück-Variationen

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