Читать книгу KISHOU I - Michael Kornas-Danisch - Страница 13
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ОглавлениеKishou verschlang ihr Frühstück, als wäre zu befürchten, dass sie nie wieder etwas bekommen würde. Was sie aber keinesfalls daran hinderte, ihre nun doch wieder aufkommenden Zweifel aus ihrem Mund herauszulassen, wie sie zeitgleich Milch und Brot in denselben hineinstopfte. „Lebt denn da niemand? ... ich meine – können die das nicht alleine machen? ... und überhaupt: Die sind doch zugeschlossen – die Tore – hast du gesagt. Ich meine, wie soll ich die denn aufkriegen? Die Tore sind bestimmt ziemlich groß und ... na ja ...“
Trautel Melanchful kramte lächelnd in der Tasche ihrer verblichenen Schürze, und legte ihr das seltsame Ding vor den Teller, das sie in jener Nacht aus der kleinen Truhe gefischt hatte.
„Du hast einen Schlüssel!“
Kishou verstummte für einen Moment und hielt sogar mit dem Kauen inne. Unwillig betrachtete sie den seltsamen Gegenstand.. „Das soll ein Schlüssel sein?“, nörgelte und kaute sie bald weiter. „Der hat ja nicht mal einen Bart. Das wichtige an einem Schlüssel ist der Bart – hast du mir mal gesagt! Der hat aber keinen. Da kann doch jeder mit einem Stock ....“
Trautel Melanchful lächelte fast amüsiert über die mauligen Einwände Kishous, die offenkundig nur der Ablenkung dienten. „Er hat einen Bart – einen sehr Besonderen, denn sein Schloß ist nicht geschmiedet! Du kannst ihn noch nicht sehen, weil du noch nichts von ihm weißt!“ Sie verließ die Küche, um bald mit einem kleinen Nähkästchen zurück zu kehren, während Kishou ungläubig das seltsame Ding – und vor allem seinen kristallenen Schafft – von allen Seiten untersuchte. „Der Weg wird dich lehren, ihn zu entdecken!", wurde sie noch einmal belehrt, während Trautel Melanchful nun begann, ein Band aus blauer Seide durch die filigranen Verstrebungen seines großen Knaufs zu ziehen. Mit einem soliden Knoten verknüpfte sie die beiden Enden des Bandes. „Solange achte gut auf ihn und sein Geheimnis. Wenn er verloren ist, ist alles verloren!“
„Aber dieser ... diese Sul Kral ... ich meine, wenn die das mitkriegt ? Ich meine ... die ist doch so stark, wie du gesagt hast ...“
„Suäl Graal!“, wurde sie von der Alten unterbrochen. „Ja das ist wahr. Suäl Graal ist sehr mächtig.“
„... na, und sie wird bestimmt nicht wollen, dass ich die Großen Tore der Großen Wasser aufmache!“
Trautel Melanchful lächelte ein seltsames Lächeln. „Nein, das wird sie ganz bestimmt nicht wollen!“
„Und wenn sie nun versucht, mich daran zu hindern?“, fragte Kishou, obwohl alles in ihr die Antwort fürchtete.
„Das wird sie!“, antwortete Trautel Melanchful mit dem selben seltsamen Lächeln. „Sie wird es mit allen ihren Möglichkeiten!“
Es war genau die Antwort, von der sie gehofft hatte, dass sie ihr erspart bliebe. Nun war es ihr doch wieder sehr mulmig. Sie hörte zu Essen auf, und begann sich nervös am Bäuchlein zu kratzen.
„Aber ... aber ...“, stammelte sie „... dann kann ich das doch nicht machen ...“
„Doch, du kannst!“
„Sie wird mich gleich am Anfang finden und ...“
„Ja, das wird sie!“
„Sie wird sich an mir rächen ...“
„Sie wird nichts unversucht lassen!“
„Und sie wird mich vielleicht sogar ...“ Sie wagte den letzten Gedanken nicht auszusprechen und schluckte heftig.
„Sei jeder Zeit darauf gefasst!“
Kishou verstummte. Ihr Gesicht verlor von einem Augenblick zum Anderen jegliche Farbe, und es schien ihr, als wollte das Frühstück sie sofort auf dem selben Wege verlassen, wie es in sie hineingekommen war. Nichts schien plötzlich mehr übrig von dem Mut und der Ruhe, die sie in den letzten Tagen verspürt hatte. Was immer nur eine Ahnung, dann eine Vorstellung war, wurde nunmehr Gewissheit. Die Stunde des Aufbruchs war da. Und es konnte nichts mehr sein, wie es einmal gewesen ist ...
Trautel Melanchful strich Kishou über den Kopf und nahm sie in die Arme.
„Da waren manche Zeiten, als es dir so erging.
Zeiten des Verweigerns, wo doch keine Kraft dafür war.
Zeiten der Flucht, wo es doch kein Entrinnen gab,
und Zeiten des Kampfes, der unverstanden
doch nicht zu gewinnen war.
Vieles hast du erfahren,
in all der Zeit.
Schon weit führte dein Weg,
in den vergangenen Zeiten
Alles wirst du erinnern,
in der kommenden Zeit.
Nichts wird dich nunmehr aufhalten können.
Dies ist die Zeit.“
Kishou hörte nicht, was die Alte sagte. Sie hätte wohl auch nichts davon verstanden. Es waren nicht die Worte Trautel Melanchfuls, die auf seltsame Weise in sie eindrangen. Es war eine andere Kraft, die von den Worten getragen wurde, wie ein Wind den mächtigsten Vogel aufsteigen lässt.
In ihr waren nur noch Empfindungen. Eine ihr bis dahin unbekannte unendliche Ruhe begann sich in ihr auszubreiten. Die Ruhe eines mächtigen Berges, der in Erfahrenheit der vielen Zeiten alles Wissen in sich barg. Eine unüberwindliche Kraft, wie sie nur in der tiefen Ruhe der Erfahrenheit der Zeiten aufgehoben sein kann. ... Nein, es war eigentlich nicht wirklich so, dass Trautel Melanchfuls Arme sich schützend um Kishou legten – vielmehr barg Kishou Trautel Melanchful in ihre schützenden Arme ... War es jemals anders gewesen?
„Entschuldige!“, hauchte sie Trautel Melanchful ins Ohr. „Es sind so viele Gefühle in mir. Ich habe noch keine Macht über sie.“
„Ja!“, flüsterte Trautel Melanchful.
Es dauerte noch eine Zeit, bis die Alte sie wieder aus ihren Armen entließ. Kishou stand seltsam still und ohne jede Bewegung, und ihr Blick schien in die Unendlichkeit zu fallen. Trautel Melanchful nahm das seidene Band mit dem Schlüssel und legte es ihr um den Hals.
Kishou zuckte etwas zusammen, als der schwere Schlüssel an ihre Brust fiel. Etwas irritiert, als wäre sie aus einem Tagtraum erwacht, schaute sie auf ihn herab. „Du hast mir von der Sippe der Chemuren erzählt, und dass sie mir helfen werden, ins Vierte Tal der Vierten Ebene des Vierten Droms zu kommen. Wo werde ich die denn finden?“, fragte sie noch immer etwas abwesend, während einer ihrer Finger prüfend über den bartlosen Schafft des Schlüssels strich.
„Du wirst zur rechten Zeit auf sie treffen, mach dir darum keine Gedanken. Das erste Drom, das du durchqueren wirst, ist das Drom der Ky. Es wird dir fremd erscheinen, denn noch ist keine Erinnerung in dir von diesem Land, und du kennst nicht sein Geheimnis. Doch denke immer daran: Man fürchtet nur solange etwas, wie man es nicht versteht! Dort, in dessen Erster Ebene des Ersten Tals wirst du auf Boorh treffen!“
Kishous große, schwarze Augen klappten nach oben. „Das ist einer von der Sippe der Chemuren?“, vergewisserte sie sich.
„Ja!“, bestätigte Trautel Melanchful.
„Wie kann ich ihn erkennen?“
„Er wird dich erkennen!“ Trautel Melanchfuls Gesichtsausdruck hatte plötzlich etwas regelrecht Verschmitztes an sich, was nur höchst selten bei ihr vorkam. „Sei nicht ungerecht mit ihm, er ist zuweilen etwas ungestüm ...“
„Wie meinst du das?“, wollte Kishou wissen.
„Nun ja – du wirst sehen.“ wich die Alte aus. „Er ist sehr stark, und du wirst sehr viel von ihm erfahren!“
„Aber der ist doch in Ordnung, oder?“, fragte Kishou nun doch etwas beunruhigt – das verschmitzte Lächeln Trautel Melanchfuls war ihr natürlich nicht entgangen.
Die Alte kicherte nun schon fast. „Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen. Und wenn ich dich so anschaue ...“ Sie nahm Kishou bei den Schultern und betrachtete sie wohlwollend. „Es wird nichts geben, was er nicht riskieren würde, um dich zu schützen. Du kannst ihm vertrauen!“. Sie machte sich nun daran, ein Bündel für Kishou zu schnüren, das sie bequem um der Schulter tragen konnte.
Etwas resigniert wollte sich Kishou daran machen, den Tisch abzuräumen. Jede Frage, die sich ihr stellte, schienen seit einigen Tagen eher tausend neue Fragen zu erzeugen, als auch nur eine davon wirklich zu beantworten ...
„Lass es nur stehen!“, meinte Trautel Melanchful. „Es wird mich eine Weile an Dich erinnern!“