Читать книгу KISHOU I - Michael Kornas-Danisch - Страница 5
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ujie!“
„Was ist?“. Die Gerufene trat an das Fenster und stieß dessen rechten Flügel nach außen, der schon lange nur noch kraftlos an einem seiner Scharniere hing, und bei jedem Windzug halb zuklappte.
„Komm heraus, wenn du dich traust!“ Halem Saii stand ein Stück weit vor dem Haus, und übte sich schon den halben Tag in der Führung seines schweren Schwertes. Er hatte es sich von Ramon, dem alten Schmied, erst vor Kurzem nach seinen strengen Anweisungen anfertigen lassen – und es war ihm gut gelungen.
„Du spinnst!“, rief ihm Mujie zu. „Wo ist Rassl?“ Sie hatte durchaus bemerkt, dass schon vor einer Weile das Klirren und Schaben von Eisen auf Eisen aufgehört hatte. Rassl war der älteste Sohn jener Familie, deren Haus nur einen Steinwurf von ihnen, hinter der brüchigen kleinen Mauer stand. Er übte fast täglich mit dem Freund.
„Er ist aufs Feld!“, rief ihr der Bruder zu.
„Das solltest du auch tun, und Vater und Mutter helfen, anstatt die Vögel mit deinem Krach zu verschrecken!“
Halem lachte laut auf. „Ich wusste nicht, dass ich eine so ängstliche Schwester habe, dass sie grad' das Klirren von blechernen Tiegeln und Töpfen erträgt!“
Mujie Saii verdrehte unter einem Seufzer die Augen, zog ihr Schwert von der Halterung an der Wand, und verließ das Haus.
„Ich weiß nicht, warum ich dieses Ding hier heraus trage – ein Besen sollte reichen!“ Mit dem ,Ding’ meinte sie ihr Schwert, das sie durchaus noch zu führen verstand – nicht mehr mit jenem Geschick, das ihr früher zuteil war, der Schleier des Vergessens hatte sich wohl auch darüber gelegt – doch gut genug für manch kurzweilige Ablenkung vom Alltag. Sie warf ihre verfilzten Locken mit der Hand von der Schulter, die der raue Wind jedoch sofort wieder zurück trug, und stellte sich vor den Bruder auf.
„Ist es denn etwas anderes, was du in der Hand hältst?“, lachte Halem, und ließ in einer jähen Kreisbewegung die Klinge seines Schwertes seitwärts gegen die Schwester rennen.
Es war ein ungleicher Kampf, in dem Halem durchaus darauf bedacht war, dass die Schwester seine Schläge mit nicht all zu viel Mühe parieren konnte. Dennoch war sie sehr bald in die Defensive gedrängt. Mit dem Jauchzer des Übermuts wich er den wenigen Attacken der Schwester aus, die er ihr noch beließ. „Meine kleine Schwester ist mit ihrem Besen recht schnell!“, lachte Halem anerkennend – wohl um sie bei Laune zu halten.
Mujies Antwort war ein schneller Frontalstoß mit der Schwertspitze, dem der Bruder einmal mehr mit einem Jauchzer, und dem schnellen Öffnen seines Körpers auswich, so dass der Stoß Mujies ins Leere ging. Im vorläufigen Rückzug schwang Mujie die Klinge kreisförmig hinter sich, um nun mit einem Hieb von oben zu kommen. Wieder wich Halem elegant und übermütig jauchzend der Parade aus – doch die Klinge Mujies stoppte jäh in der Waagerechten. Ihr Körper drehte sich blitzschnell um die eigene Achse, und die Fläche ihrer Klinge klatsche hörbar auf das Hinterteil des Bruders.
Für einen Augenblick war tatsächlich eine Verblüffung in den weit geöffneten Augen Halems zu entdecken. „Du bist hinterhältig!“, beschwerte er sich. Aber es war wohl eher ein gespielter Vorwurf. Halem Saii liebte seine Schwester sehr.
„Na und?“, blinzelte Mujie ihn mit hochgezogenen Augenbrauen und einem frechen Grinsen an. Doch plötzlich spannte sich ihr Gesicht und ihr Blick fiel zum Himmel – in dessen schwere Wolken. „Es ist still geworden!“, sagte sie aufhorchend. Ihre Augen weiteten sich, als sehe sie dort oben etwas.
Halem schaute hinüber zum Gespaltenen Berg, dessen Gipfel sich, wie es fast immer war, im grauen Dunst auflöste, und horchte in die wilde Natur. Tatsächlich. Kein Blatt wurde von einem Wind bewegt – und auch die Vögel waren verstummt.
„Hol den Wagen – beeil dich!“ Fast flüsterte Mujie mit starren und weit aufgerissenen Augen.
„Was ist?“, wollte der Bruder wissen.
„Hol den Wagen – schnell!“ Fast schon lag ein Befehl in ihren Worten.
Halem war verwirrt – seine Blicke tasteten einen Moment unruhig zwischen der Schwester, dem Himmel und dem Gespaltenen Berg hin und hier. Er fand keine Erklärung, und die Dringlichkeit der Worte Mujies gestatteten keine Zeit, danach zu suchen. … „Ja!“, sagte er endlich, bereits im Laufschritt unterwegs zum Schuppen hinter dem Haus.
Nur Augenblicke später erschien er wieder mit dem Pferd, an das ein kleiner klappriger Wagen angespannt war. Mujie sprang auf das hölzerne Brett neben ihren Bruder, und Halem war bemüht, das Tier auf den schnellstmöglichen Trab zu bringen.
Ihr Feld war ein gutes Stück weit entfernt. Es gab in dieser Gegend nicht viel Land, das beackert werden konnte. Zu steinig und ausgewaschen war der Boden hier. Ächzend hastete der Wagen über den ausgefahrenen, holprigen Weg.
Mujies furchtsamer Blick ließ nicht ab von den Wolken über ihnen, als plötzlich ein gellender Schrei aus ihr herausbrach. Im selben Moment zerriss ein gleißender Blitz den Himmel, dem der ohrenbetäubende Schlag eines Donners folgte. Eine schwere Windbö fegte Pferd und Wagen fast von der Straße – und nur Augenblicke später schien der Himmel auf sie herabzufallen. Fluten von Wasser ließen kaum den Weg erkennen, der sie zu ihrem Acker führen sollte.
Halem Saii erschauerte. Nicht, weil der Schrei der Schwester ihn in eine überwunden geglaubte Zeit zurückwarf – er bemerkte diesen Umstand nicht einmal in diesem Moment. Er meinte vielmehr einen solchen Schrei des Schmerzes von ihr nie zuvor gehört zu haben – oder waren es nur die Begleitumstände, die seinen Klang so tief in sein Mark stieß ... Seine Augen versuchten verzweifelt, eine Orientierung durch die herabstürzenden Wasser zu finden, doch dann war es das Pferd, dass seinen Weg kannte. Unter dem nicht enden wollenden Schreien der Schwester bog es plötzlich nach rechts ab. Der Wagen schwankte, und seine hölzernen Räder versanken tief im Morast des Feldes, das sie nunmehr geradewegs überquerten. Endlich verstummte Mujie. Durch die wie aus Kübeln fallenden Wasser konnten ihre Augen erst etwas erkennen, als sie bereits am Ziel waren.
Einige andere Wagen standen da – die von benachbarten Familien. Sie selbst standen im Halbkreis versammelt vor den Überresten eines geborstenen und brandgeschwärzten Baumes.
Halem und Mujie Saii sprangen vom Wagen und wateten eilig durch den klebrigen Morast zu den Versammelten. Halem sah die zwei Leiber, die dort in der getränkten Erde lagen, zuerst – halbseitig schwarz verbrannt. Er versperrte seiner Schwester den Weg und barg ihren Kopf an seine Brust – doch die wusste es wohl längst schon ...
„Wir haben versucht, noch rechtzeitig zu kommen!“, sagte eine Stimme neben ihnen. „Aber wer hätte sie aufhalten können!“ Die Augen dessen, der da sprach, suchten nach dem Gespaltenen Berg – aber die vom Himmel herabstürzenden Wasser versperrten ihnen den Weg zu ihm.