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1.3.3. Mittel charismatischer Seelsorge

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Die charismatische Seelsorgespezialistin Leanne Payne hebt insbesondere die Bedeutung des Gebets hervor. Durch den von Zungenrede begleiteten Lobpreis soll eine innige Gemeinschaft zwischen Seelsorger und Gott hergestellt werden. In der darauf folgenden Gebetsstille hören alle Beteiligten auf das Reden Gottes durch Bilder und Eindrücke. Weiteres Gebet könne dann auch spontan verwandelnde Kräfte freisetzten. Diese Instrumentalisierung vergißt die Zusage Jesu, ständig in der Nähe seiner Jünger zu sein (Mt 18,20; 28,20) und rückt das Gebet in die Nähe einer mechanischen Methode. Das Gebet als ganzheitliche Aussprache Gott gegenüber tritt hier zurück, ebenso die freie Entscheidung Gottes zu antworten oder zu schweigen.

Charismatische Seelsorger tendieren dazu, ihre Ratschläge in Form göttlicher Zusagen zu geben. Ihre Aussagen verstehen sie als Wort der Erkenntnis (1Kor 12,8; 14,1-4). Die während des Hörens auf innere Stimmen (hörendes Gebet) empfangenen Eindrücke über die Situation des Hilfesuchenden werden diesem als göttliche Mitteilung weitergegeben, gelegentlich sogar in der Propheten- Form: „So spricht der Herr …” Förderlich für derartige Eindrücke soll das Zungenreden sein. Natürlich besteht hier die Gefahr, Ratsuchende unter Druck zu setzten, weil sie den Eindruck haben, mit Gott selbst konfrontiert zu sein. Hören sie nicht auf den Rat des Seelsorgers, wiederstreben sie Gott.

Charismatische Seelsorge bedient sich ferner der Träume und Visionen. Diese können zufällig empfangen oder auch bewusst konstruiert werden, um die negativen Bilder aus der Kindheit durch positive zu ersetzen.28 Solche positiven Bilder sind die Vaterliebe Gottes, Vergebung, totale Annahme, Gesundheit usw. Das hörende Gebet soll helfen, das passende Bild von Gott zu erhalten. Nach einer Phase des Lobpreises hören die Beteiligten innerlich auf eine mögliche Antwort Gottes. Heilende Bilder könnten außerdem durch Meditation über Bibeltexte oder in Träumen auftauchen. Diese Suche nach inneren Bildern hat eine große Ähnlichkeit mit der buddhistisch- esoterischen Praxis der Traumreisen in der bewusst erzeugte geistige Bilder zur inneren Entspannung eingesetzt werden. Berichte von Träumen und Visionen finden sich sowohl im Alten als auch im Neuen Testament. Besonders gehäuft spricht Gott während der Geburtsgeschichte Jesu zu den Menschen. Ein Engel mahnt Joseph im Traum seine schwangere Verlobte Maria nicht zu verstoßen (Mt 1,20ff). Die Weisen werden im Traum gewarnt nicht zu Herodes zurückzukehren (Mt 2,12). Joseph wird durch einen Traum aufgefordert nach Ägypten zu fliehen (Mt 2,13; 2,19f). Petrus wird durch eine Vision auf die Begegnung mit Kornelius vorbereitet (Apg 10). Paulus wird in einer Vision motiviert, seine Missionsarbeit in Mazedonien fortzuführen (Apg 16,9f). Der größte Teil der Offenbarung beruht auf einer Vision des Johannes, dem Gott Einzelheiten seines zukünftigen Handelns mitteilt. Im Gegensatz zu charismatischen Visionen zeichnen sich die biblischen allerdings durch relativ große Eindeutigkeit aus. Auch treten sie nur auf Initiative Gottes, nicht aber im Rahmen menschlicher Methoden auf. Die Empfänger können recht schnell zwischen ihren eigenen Träumen und Gedanken auf der einen und dem Reden Gottes auf der anderen Seite unterscheiden. Besonders im Alten Testament wird immer wieder vor falschen Propheten gewarnt, die mit ihren als göttlich ausgegebenen Träumen das Volk verführen (Jer 23,25ff; 29,8ff). Dabei setzen auch sie geistige Bilder und Allegorien ein, um Israel zu manipulieren. In der charismatischen Seelsorge wird gewöhnlich nur unzureichend zwischen menschlichen und göttlichen Visionen und Träumen unterschieden. Darüberhinaus wird zu wenig die Deutungsbedürftigkeit solcher Bilder und damit ihre Subjektivität beachtet.

Durch Kathryn Kuhlmann, Kim Collins und John Wimber fand das Ruhen im Geist Eingang in die charismatische Seelsorge. Zumeist werden die vorbereiteten Teilnehmer einer charismatischen Veranstaltung angeblasen oder am Kopf berührt. Daraufhin fallen sie hinten über und werden von bereitstehenden Helfern auf den Boden gelegt. In diesem Zustand körperlichen Entspannung erleben sie, eigenen Aussagen zufolge, ein neues Offensein für Gott, eine neue Intensität des Glaubens als Vertrauen zu Jesus, eine wachsende Freude zum Gebet oder zum Bibellesen, die Heilung seelischer Wunden, Berufungen und Wegweisungen für die Lebensplanung oder Sündenerkenntnis, die zur Buße führt. Charismatiker interpretieren diese Erfahrung als Frucht des Heiligen Geistes (Gal 5,22) und als Vorwegnahme des himmlischen Friedens. Allerdings wird das Ruhen im Geist nicht selten missverstanden als höhere Glaubensstufe oder als Flucht aus dem anstrengenden Alltag. Dieses auch in außerchristlichen Großveranstaltungen zu beobachtende Phänomen ist besonders anfällig für Manipulation und Massensuggestion.29 Der biblische Bezug fehlt beim Ruhen im Geist vollkommen, obwohl es natürlich situationsunabhängige Aussagen über das Ruhen in Christus gibt (Mt 11,29; 2Kor 2,13; 1Petr 4,14), die mit diesem Phänomen aber nicht vergleichbar sind. Am ehesten könnte man ein solches Ruhen im Geist als autogenes Training mit christlichem Anstrich bezeichnen.

Durch charismatische Kongresse wurde auch das Lachen im Geist als Mittel der Seelsorge bekannt. Menschen brechen beglückt von der Erfahrung der Vergebung, Befreiung oder Heilung in unkontrolliertes Lachen aus.30 Das Lachen im Geist gibt Charismatikern die Möglichkeit, sich im vertrauten Rahmen Gleichgesinnter einfach emotional fallenzulassen, alle Hemmungen zu vernachlässigen. Ähnlich wie in anderen esoterischen Praktiken (Urschrei- Therapie, freie Sexualität) soll die Möglichkeit gegeben werden, jenseits persönlicher und gesellschaftlicher Schranken Gefühle exzessiv ausdrücken zu können. Psychologisch mag das sinnvoll sein, biblisch begründen lässt sich diese Praxis nicht. Auch lässt sich kein positiver Nachweis führen, dass dies heilige Lachen tatsächlich auf Gottes Initiative zurückgeht. Manche Charismatiker wollen darin eine Frucht des Geistes (Gal 5,22) sehen oder eine Vorwegnahme der endzeitlichen Freude.

Charismatische Seelsorge bedient sich ferner des Segnens, körperlich vermittelt durch Handauflegung oder Salbung. Nach dem Alten Testament ist das Segnen nicht nur in Israel, sondern auch in den angerenzenden Ländern ein weit verbreitetes Phänomen. Gott erweist sich Israel als der einzige und wahre Ursprung allen Segens. Dieser kann sich in hohem Lebensalter, zahlreicher Nachkommenschaft, Landbesitz, Reichtum und bleibendem Andenken niederschlagen. Auch im Neuen Testament gibt es neben dem geistlichen einen handfesten, materiellen Segen den Gott seinen Kindern zusagt (Lk 18,28ff). Alle Sorgen um die Dinge des Alltags sollen nicht einfach vergessen, sondern Gott abgegeben werden, der dem Gläubigen gibt, was er benötigt (Mt 6,25-32; 7,7-11; Jak 1,17). Allerdings erschöpft sich Gottes Segen nicht in dieser materiellen Versorgung (Mk 13,11; Eph 1,3ff). Vor allem aber gibt es keinen Automatismus. Über Wohlergehen, Gesundheit, Reichtum usw. verfügen nicht alle Gläubigen, gleichzeitig fragen sich diese: Warum geht es den Gottlosen so gut?” (Ps 73,2f; 16f). Charismatische Segenshandlungen erwecken gelegentlich den Eindruck das menschlich Gewünschte herbeizwingen zu wollen, ohne zu berücksichtigen, dass Gott seinen Kindern auch Leid, Krankheit und Armut zumutet (Mt 5,1-12; 6,19ff; Joh 15,20; 2Kor 11,16-28). Darüberhinaus ist der charismatische Segen häufig zu individualistisch und übersieht das globale und heilsgeschichtliche Segnen Gottes über Völker und Zeiten hinweg (1Mo 1,28; 8,21ff; 12,1-3; 2Sam 7,11-13; Jes 55,3; Apg 3,26). Gottes Segen umfasst ganze Generationen (5Mo 7,9), die Frommen und die weniger Frommen (Mt 5,45; Lk 6,35). Segnen war in biblischem Zusammenhang mehr als eine Bitte um Alltägliches. Häufig fand eine Segnung an wichtigen politische, persönlichen oder geistlichen Wegscheiden statt (1Mo 12,1f; 27; 49; 4Mo 6,22ff; 5Mo 30; Jos 8,33f; Lk 1,42).31

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass charismatische Seelsorge insbesondere das übernatürliche Wirken Gottes im Blick hat. Das ist Stärke und Schwäche zugleich. Einerseits berücksichtigt es das übernatürliche Eingreifen Gottes in den Problemen des Ratsuchenden. Andererseits werden hier häufig die menschlichen Möglichkeiten (Gesprächsführung, psychologische Analyse, praktische Hilfe usw.) und die direkte Anwendung des Wortes Gottes vernachlässigt. Bei der besonderen Betonung der Emotionen (Eindrücke, hörendes Gebet, Bilder, Segnung usw.) wird häufig deren notwendige Kontrolle und Korrektur zu wenig berücksichtigt. Bleibt die versprochene übernatürliche Hilfe in der erhofften Form aus, erzeugt diese Art charismatischer Seelsorge neue praktische und geistliche Probleme (Enttäuschung, Vorwürfe an Gott, Suchen nach nicht vorhandenen Dämonen usw.). Geistliche Befreiungskämpfe vernachlässigen immer wieder die menschliche Verantwortung des Ratsuchenden (Sünde, falsche Denk- und Verhaltensweisen) und die Vergebung der Schuld durch Jesus Christus, die immer im Zentrum der Seelsorge stehen sollte. Der Einfluss übernatürlicher Mächte wird in der charismatischen Seelsorge deutlich überbewertet.

1.4. Power Evangelism: Geistliche Kampfführung und Jesusmärsche Relativ unbestritten ist unter Christen die Überzeugung, dass Gott auch heute noch Wunder wirkt. Unterschiedlich bewertet wird zumeist der Stellenwert dieser Zeichen und der Weg auf dem sie erreicht werden. Die Einen halten das Eingreifen Gottes für möglich, sind aber auch bereit, den normalen Verlauf von Krankheiten oder anderen Leiden zu akzeptieren. Darüber hinaus ist ihr Vertrauen auf Gott nicht unmittelbar von erlebten Wundern abhängig. Die Anderen meinen, Wunder und Zeichen gehörten zum Alltag christlichen Lebens. Sie sehen im spektakulären Eingreifen Gottes einen notwendigen Beleg für die Wahrheit des christlichen Glaubens. Durch erlernbare geistliche Strategien könnte der Christ Dämonen vertreiben, Orte freibeten und Krankheiten beseitigen, sofern er nur genügend Glauben aufbringe.

Wundersuchende Christen stehen allerdings in der Gefahr, ganz gewöhnliche Ereignisse zu vergeistigen und damit zum Wunder zu erklären. Es sind durchaus auch Fälle bekannt geworden, wo versucht wurde, das erwartete Wunder durch den Einsatz unlauterer Mittel selbst zu erzeugen oder zumindest zu beschleunigen. Außerdem sollte immer damit gerechnet werden, dass übernatürliche Phänomene auch durch dämonische Einflüsse verursacht werden können (Mt 24,24; Apg 8,9; Offb 13,14). Wunder müssen gedeutet werden, weil an dem Zeichen selbst normalerweise nicht ersichtlich ist aus welcher Kraft es geschehen ist und was es vermitteln soll. Sogar die Wunder Jesu wurden in seiner Zeit von Zuschauern auf die Wirksamkeit von Dämonen zurückgeführt (Mt 12,24f). Generell sollten Zeichen hinter eindeutigen geistlichen Inhalten zurücktreten (vgl. Mt 20ff; 21,23ff; Lk 10,19f; Joh 5,16; 6,26), da sie zumeist nur zeitlich beschränkt sind und sich lediglich auf das äußerlich Sichtbare beziehen. Über den Wahrheitsgehalt einer geistlichen Aussage sagt das, diese begleitende Wunder nichts.

Die Charismatische Bewegung 2

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