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1.3.1. Innere Heilung

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Zur spezifisch charismatischen Seelsorge gehört das Angebot der inneren Heilung. Das Konzept geht auf Agnes Sanfords Heilung der Erinnerung zurück. Darin verbindet sie psychoanalytische Elemente C.G.Jungs mit dem Gebet um Heilung. Seele und Gefühle sollen von Bindungen befreit werden, die durch Erfahrungen in der Vergangenheit hervorgerufen wurden. Im Einklang mit der Psychoanalyse wird davon ausgegangen, dass diese Erfahrungen im Unterbewusstsein für Gefühls- und Verhaltensstörungen, für schmerzliche Erinnerungen und schädliche Denkmuster verantwortlich sind. Die innere Heilung umfasst drei Phasen: 1. Bewusstmachung der Erinnerung einschließlich aller dazugehörigen Gefühle, 2. Heilungsgebet, 3. Ablegen alter Verhaltens- und Denkmuster, sowie Einüben neuer Gewohnheiten. In der ersten Phase sollen Literatur und Vorträge zur Selbsterkenntnis innerer Verletzungen beitragen. John Wimber unterscheidet drei Formen innerer Verletzungen: 1. Verletzungen durch den unheilen Zustand der Welt, 2. Verletzungen durch Mitmenschen, 3. selbstverschuldete Wunden. Mit dem sich anschließenden Heilungsgebet soll die Gegenwart Jesu Christi im Heiligen Geist bewirkt werden. Der Hilfesuchende soll sich in die Situation versetzen, in der das traumatische Erlebnis stattfand. Unterstützt von seinem Seelsorger soll sich der Betroffene nun bildlich vorstellen, dass Jesus anstelle der damals beteiligten Menschen positiv reagiert und damit den Ausgangspunkt der psychischen Probleme verändert. Z.B. stellt sich der Betroffene Jesus vor, der Kinder auf seinen Schoß nimmt, damit er die Erfahrung der Ablehnung während der Kindheit überwindet. Es soll sozusagen die negative Erfahrung der Vergangenheit durch eine positive ersetzt werden. Van Dam: „Wir bitten den Herrn, der uns vom Lebensanfang gekannt und geliebt hat, in die Vergangenheit des Verwundeten zurückzugehen, um dort Gottes heilende Liebe einströmen zu lassen.”23 Der Mensch soll sich selber loslassen und auch gefühlsmäßig in Gott ruhen. Nur dann sei er in der Lage Hass, Groll, Bitterkeit usw. zuzugeben und denen zu vergeben, die diese Verletzungen mitverursacht haben. Währenddessen signalisiert der Seelsorger durch Handauflegung oder Umarmung menschliche und körperliche Nähe. In der dritten Phase soll der Hilfesuchende in der Begleitung des Seelsorgers alte Denk- und Verhaltensweisen überwinden und neue einüben.

Im Hintergrund dieser inneren Heilung sehen charismatische Seelsorger das Wirken des Heiligen Geistes. Mit Bibelversen wie Joh 16,13: „Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten” (vgl. Röm 8,27) wird begründet, dass der Heilige Geist die Wahrheit über verborgene, verdrängte oder verzerrte Probleme im Inneren des Menschen offenbart. Der im Heiligen Geist anwesende Jesus Christus soll nun die Verletzungen der Vergangenheit heilen. „Wir bitten ihn, das kleine Kind bzw. den Jugendlichen zu heilen, der diese Erfahrung durchlebte - jene Dinge … durch die er in diesem Wachstumsstadium steckenblieb.”24 Die so geheilte Erinnerung soll dazu beitragen, auch die daraus resultierenden Emotionen und Verhaltensweisen zu verändern. Anstelle der destruktiven Gefühle bewirkt der Heilige Geist in ihm Liebe, Frieden und Freude.

Zu Recht betont das Konzept der inneren Heilung die Bedeutung der Vergangenheit für den Zustand jedes Menschen. Schlechte Erfahrungen, falsche Erwartungen oder mangelnde Vergebungsbereitschaft verhärten und belasten den Hilfesuchenden. Durch den Seelsorger kann der Heilige Geist hier ein sinnvolles Umdenken bewirken. Nicht ganz unproblematisch ist die einseitige Konzentration auf Gott als liebendes, vergebendes Gegenüber. Gottes strafende Seite oder die Schuld des Patienten gerät dabei leicht in Vergessenheit. Auch die Gleichsetzung von innerer Heilung und Vergebung entspricht nicht der Realität. Wird dem Verursacher psychischer Probleme vergeben, ist noch keinesfalls gesichert, dass dann auch die gefühlten Verletzungen und die daraus resultierenden Verhaltensweisen verändert werden. Bedacht werden sollte auch die recht unkritische Übernahme psychoanalytischer Konzepte des Unterbewusstseins und der Heilung durch Rückerinnerung. Vor einer übermäßigen Suche nach Ursachen für die gegenwärtige Lebenslage in der Vergangenheit wird in der Bibel gelegentlich gewarnt (Lk 9,62; Phil 3,13). Allzuleicht kann hier eigenes Versagen Personen aus der Vergangenheit zugeschoben werden, um von eigenen Schwächen abzusehen. Auch gerät die biblische Orientierung an der geistlich zu erstrebenden Zukunft in den Hintergrund. Die biblischen Autoren hingegen heben dieses aktive Streben des Christen nach Veränderung deutlich hervor (Mk 9,47; Röm 12,1f; 1Kor 6,9-11). Die hier geforderte Veränderung aber ist unabhängig von innerer Heilung und beruht in der grundsätzlichen Erneuerung des Menschen in seiner Begegnung mit Gott (Röm 6,4; 2Kor 5,17). Die Methodisierung und Instrumentalisierung der unverfügbaren Wirkung des Heiligen Geistes ist ebenfalls problematisch. Dem Geist Gottes wird kaum Möglichkeit eingeräumt, vergangene Verletzungen nicht aufzudecken oder nicht positiv zu neutralisieren. Andere mögliche Ursprünge falschen Verhaltens und schmerzhafter Erfahrungen bleiben weitgehend unberücksichtigt. Unzulässig methodengläubig wird gelegentlich empfohlen, das Wirken des Geistes durch Lobpreis und Zungenrede zu beschleunigen. Die starke Betonung des Heiligen Geistes in der Arbeit des Seelsorgers kann diesen dazu verführen, die verstandesmäßige Analyse der Problemlage zu vernachlässigen. Bei dem Patienten kann die Hervorhebung der Wirkung des Heiligen Geistes durch den Seelsorger dazu führen, diesen als quasi göttliche, unhinterfragbare Instanz zu betrachten und zu übersehen, dass jede Seelsorge auch menschliche Aspekte beinhaltet.25

Die Charismatische Bewegung 2

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