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1.2. Charismatischer Lobpreis

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Die Bedeutung des Lobpreises für den charismatischen Gottesdienst wird sowohl durch die reichhaltige charismatische Liedproduktion als auch durch zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema unterstrichen.7 In ihrer Bedeutung steht der Lobpreis- und Anbetungsteil charismatischer Gottesdienste zumindest gleichwertig neben der Wortverkündigung. Im Hinblick auf seine zeitliche Länge steht der Lobpreis sogar weit vor der Predigt. Bis zu einer Stunde werden überwiegend jüngere, meist einstrophige Chorusse gesungen. Geführt durch ihren Anbetungsleiter und ein Musikteam stehen die Besucher auf, erheben oder schwenken ihre Hände. Andere Gottesdienstteilnehmer knien oder tanzen, häufig mit geschlossenen Augen. Eine sehnsüchtige Erwartung der Manifestationen des Geistes verbreitet sich. Kurze, von Musik untermalte Wortbeiträge werden durch gemeinsamen triumphal- erhebenden Gesang oder gemeinsames (Zungen-) Gebet abgelöst. Es wird ermutigt, Gefühlsäußerungen spontan Ausdruck zu verleihen, da sie als Wirkungen des Geistes interpretiert werden. Immer wieder entstehen neue kreative Ausdrucksformen geistlicher Ergriffenheit. Bewusst suchen Charismatiker hier das Gegengewicht zu Gottesdienstformen, die sich vorwiegend an den Verstand richten.8 Die eigene Lobpreispraxis soll in der Charismatischen Bewegung durch biblische Vorbilder und Belege begründet werden. Dazu zählen Jesu Ankündigung, dass „die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit“ anbeten werden (Joh 4,23f) und der Hinweis des Paulus, dass der Heilige Geist im Innern des Gläubigen „Abba, lieber Vater“ ruft (Gal 4,6). Überhaupt genießt die Anbetung Gottes als Vater in charismatischen Kreisen hohe Wertschätzung. In den Liedern und Gebeten dominiert eine intime Gottesvorstellung, des sanftmütigen, sensiblen, vergebenden und verständnisvollen Vaters. Kämpferische oder richtende Charakterzüge Gottes werden zumeist nur im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung des Christen mit Dämonen oder der nichtchristlichen Umwelt erwähnt. Ideale charismatische Anbetung soll nicht überlegt und verstandesmäßig formuliert, sondern unmittelbar durch den Geist bewirkt werden (Röm 8,26).9 Freie Formulierungen und unmittelbare Eindrücke sollen für Authentizität und Geisteswirkung stehen. Durch das Erfülltwerden mit dem Heiligen Geist wird der Mensch selbst zur Wohnung Gottes, heilige Räume oder Liturgien werden überflüssig. Als Idealfall wird die Zungenrede angesehen, weil hier jede menschliche Einflussnahme auf den Lobpreis ausgeschlossen scheint, da der Geist selbst spricht.10

Lobpreis soll therapeutisch gegen Schwermut und Traurigkeit helfen und das Gemeindewachstum unterstützen. Bei der Erwartung körperlicher Heilung durch charismatischen Lobpreis liegt ein fast mechanisches Verständnis des Handelns Gottes vor. In der Seelsorge und in der geistlichen Kampfführung soll Lobpreis dabei helfen den Einfluss dämonischer Mächte zurückzudrängen. Hier wird der Lobpreis seinem eigentlichen Wesen entfremdet, er ist nicht mehr Anrede des Menschen Gott gegenüber.

Da das Neue Testament nur wenig Auskunft über den frühchristlichen Gottesdienst gibt, stützt sich die charismatische Lobpreistheologie vor allem auf alttestamentliche Texte, die den Tempelkult Israels beschreiben (1Chr 23,5; 2Chr 29,25-28). Gott offenbart sich in bzw. durch den Lobpreis seines Volkes (Ps 22,4; 50,23). Lobpreis hilft bei geistlichen Auseinandersetzungen (1Sam 16,23) und im Kampf gegen irdische Gegner (Jos 6,20; Ri 7,16). Geistliche Musik kann Menschen zu Gott führen (Ps 40,1-3) und den Empfang von Prophetie vorbereiten (1Sam 10,5; 2Sam 23,2). So wie im Alten Testament kann auch der charismatische Lobpreis heute durch Tanz (2Sam 6,14-16; Ps 149,3; 150,4) und Klatschen begleitet werden (Ps 47,1). Ausgehend von diesen und zahlreichen anderen Details des alttestamentlichen Tempeldienstes entwickelten charismatische Leiter zahlreiche kreative Formen Lobpreis in der Gemeinde auszuüben und zu begleiten. Vor allem ermöglicht charismatischer Lobpreis den Ausdruck von Emotionen und Körperlichkeit in der Gemeinde. Dadurch begegnet er durchaus sinnvoll einer einseitigen Intellektualisierung des Gottesdienstes. Darüberhinaus fördert ein ausgedehnter Lobpreis eine starke Beteiligung der Gemeinde.

Die überwiegend amerikanische Lobpreisliteratur zeichnet das Bild eines liebevollen, den Menschen zugewandten Gottes. Jesus wird hier gelegentlich zu einem Kumpel, der alle Probleme löst, der stets unmittelbar und direkt in den Alltag eingreift und für alle Kleinigkeiten sorgt. Dass Gott Menschen, auch Christen, ermahnt, straft und richtet findet genauso wenig Erwähnung wie die totale Andersartigkeit und Unverständlichkeit Gottes.11

Charismatischer Lobpreis wird auch nicht nur als zweckfreie Hinwendung zu Gott verstanden, sondern als geistliche Waffe betrachtet. „Die Schwierigkeiten in deinem Leben werden sich lösen, Mächte der Krankheit werden weichen müssen, und die Fesseln, die Satan deinem Leben anlegen will, werden zerbrochen werden. Durch Loben und Danken wirst du das Land einnehmen.”12 Lobpreis kann in diesem Zusammenhang zu einer Methode werden, die die Freiheit Gottes weitgehend unberücksichtigt lässt.

Gebet ist für viele Charismatiker nicht nur die Bitte des Menschen an Gott, sondern ein übernatürliches Geschehen, ein Charisma, Gott und Mensch treten in eine geistgewirkte Zwiesprache ein.13 Tatsächlich spricht Paulus davon, dass der Heilige Geist im Christen die Gewissheit seiner Gotteskindschaft bewirkt (Röm 8,15; Gal 4,6f) und ihn zum Gebet treibt (Röm 8,14f). Über die Bibel hinaus aber gehen charismatische Interpretationen, die den Eindruck erwecken, jeder Christ könne im Gebet Gottes Stimme unmittelbar akustisch hören und in einen direkten Dialog mit Gott eintreten. Oft tritt dadurch die Exklusivität der biblischen Inspiration zurück.14 Ebenfalls nicht biblisch gedeckt ist die in charismatischen Lobpreisseminaren vermittelte Auffassung, Zungenrede und Zungengesang sei eigentlicher Ziel- und Gipfelpunkt der Anbetung. Oft werden die emotionalen Erfahrungen während des charismatischen Lobpreis und Zungenredens als Garantie göttlicher Nähe interpretiert und dabei vergessen, dass religiöse Gefühle ebenso wie Wunder, immer interpretationsbedürftig sind, da sie weder ihre Bedeutung noch ihre Aussagekraft offensichtlich in sich tragen. Schließlich würde auch kaum ein charismatischer Christ dem Buch Mormon zustimmen, nur weil ein Mormone ihm versichert, Gott habe ihm dessen Wahrheit durch eine innere Gewissheit und ein „Brennen in der Brust” mitgeteilt.

Zweifellos ist es eine Stärke charismatischen Lobpreises, dass er die Emotionen des Menschen anspricht und gleichzeitig die Vielfalt des Gotteslobes erweitert. Gleichzeitig besteht bei der außerordentlichen Betonung des Lobpreises die Gefahr der Vereinseitigung. Gerade „verstandesmäßig orientierte Menschen werden dadurch leicht abgestoßen und fühlen sich unter Druck gebracht, im Gottesdienst emotional und körperlich zu agieren.”15 Die ständige Wiederholung der gleichen Anbetungslieder, dazu noch mit ordentlicher Lautstärke steht in der Gefahr bei den Gottesdienstteilnehmern ein frommes Gefühl der Gottesnähe lediglich manipulativ zu erzeugen. Nicht wenige Anbetungsgottesdienste zeigen eine Tendenz zu gewollter Stimmungsmache und Routine.

Auch besteht allzu häufig die Illusion, ein kreativ ausgedrückter Lobpreis garantiere für echte geistliche Motivation oder schütze vor Traditionalismus. Das ist jedoch ein Irrtum. Immer häufiger wird charismatischer Lobpreis lediglich zu einer neuen Liturgie, die die Erwartungen der daran gewöhnten Teilnehmer befriedigt. Nicht unproblematisch ist darüberhinaus die stilistische und inhaltliche Einseitigkeit charismatischer Lobpreislieder. Zumeist handelt es sich dabei um sehr kurze, einfach formulierte Anbetungstexte mit eingängig meditativer Melodie. Häufig liegen den Liedern biblische Texte zugrunde (Ps 22,4.23; 97,9; 145-150; Offb 4,11). Gott wird als König, Herrscher, Sieger und Herr aller Herren angebetet. Gottes Anmut, Schönheit, Macht und Liebe werden hervorgehoben. Andererseits fehlen bei charismatischem Lobpreis fast vollkommen Gottes Heilstaten, die Erlösung von Sünde, Gottes Zorn und alle Hinweise auf die alltäglichen menschlichen Probleme. „Dadurch entsteht in charismatischen Versammlungen häufig der Eindruck einer Scheinwirklichkeit. Es wird eine heile Welt vorgetäuscht, in der man sich über die Probleme des Lebens hinwegjubiliert.16 Die Illusion wird genährt, dass es ein Leben ohne Alltagssorgen geben könnte. Die Freude an Gott schlägt um in die Sucht, Gott genießen zu wollen.17 So kann ein unguter geistlicher Triumphalismus entstehen, der den Besucher charismatischer Veranstaltungen den Schein einer geistlichen Parallelgesellschaft vermittelt, in der Gottes Herrlichkeit schon jetzt ganz greifbar und genießbar ist. Das Werkstattheft Lobpreis verspricht in diesem Zusammenhang: „Gebet und Lobpreis sind zwei Flügel, durch die unsere Seele in den Himmel fliegt. … Lobpreis erfüllt ein Leben mit der Atmosphäre des Himmels.”18 Das wirkt zumindest einseitig, wenn nicht wirklichkeitsfern. Zumeist konzentriert sich der Lobpreis auf die gottesdienstliche Gegenwart der Singenden und vernachlässigt dabei das Wirken Gottes in Vergangenheit und Zukunft.19 Dieser Lebensoptimismus und die Gegenwartsbezogenheit des charismatischen Lobpreises sind ein getreues Spiegelbild der amerikanischen Gesellschaft und liefert mit der Ausblendung der Klage die religiöse Legitimation eines „Everything is OK, everything must be in control, everything is manageable!”20 Die biblische Perspektive des Christseins aber umfasst auch Klage, Unverständnis und Trauer, sowie den Blick in Vergangenheit und Zukunft.

Die Charismatische Bewegung 2

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