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1.4.2. Dämonenaustreibung und Besessenheit

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Der charismatische Buchautor Charles Kraft gründet seine Ausführungen auf die Betreuung von rund 200 dämonisierten Menschen. Seinen Angaben zufolge können alle Menschen, auch gläubige Christen, unter den Einfluss von Dämonen kommen.42 Diese nähmen den Menschen nicht immer gänzlich in Besitz, sondern übten auf ihn einen Einfluss aus, den Kraft auf einer Skala von eins bis zehn misst.43 Oftmals wüßten die Betroffenen von ihrer dämonischen Belastung nichts. Allerdings könnten äußere Symptome wie regelmäßige Schläfrigkeit oder Kopf- und Rückenschmerzen auf die Anwesenheit von Dämonen hindeuten.44 Manche Dämonen meldeten sich auf Anfrage, andere schwiegen trotz Drohungen des Seelsorgers. Dämonisierungen können durch die willentliche Einladung eines Geistes, aber auch durch Vererbung oder Flüche auftreten, meint Kraft. 45 „Man sollte einen Generationsgeist vermuten, wenn man bei dem Hilfesuchenden und in vergangenen Generationen der Familie desjenigen Probleme wie Alkoholismus, Depression, … Furchtsamkeit, Krebs, Diabetes oder beinahe jedes andere emotionale oder körperliche Problem … erkennt“46 Flüche wie „Ich hasse …!“, „Du wirst es nie zu etwas bringen!“ oder ich wünschte, … wäre tot!“ können nach Kraft dazu führen, dass die angesprochene Person dämonisiert wird. Auch die Beschäftigung mit Esoterik, Freimaurerei und Scientology, „sogar viele der harmlos erscheinenden Aktivitäten (z.B. mit der Gesundheit und der Umwelt verbundene) [bringen] die Teilnehmer in die große Gefahr, dämonisiert zu werden.”47 Im Allgemeinen fallen die Dämonen nicht sonderlich auf. Sie verstärken lediglich psychische Probleme, die aus der Vergangenheit des Betreffenden stammen. Probleme mit der Sexualität, mit Zorn, Neid, Konkurrenzdenken, Arbeit, Familie, Lernen usw. können nach Kraft auf dämonischen Einfluss hinweisen.48 Auch Müdigkeit beim Bibellesen oder im Gottesdienst, negative Gedanken im Gespräch mit anderen Christen oder Zweifel an geistlichen Wahrheiten sind für Kraft Hinweise auf die Aktivität von Dämonen.49 Wer keine angenehmen und positiven Gedanken über das Leben und über sich selbst hat oder wessen Selbstachtung niedrig ist, stünde vermutlich unter dämonischem Einfluss.50 Okkulte Bindungen werden, so Kraft, geschwächt, wenn man die emotionalen Probleme des Menschen bekämpft, die den Dämonen als Nahrung dienen.51 Manchmal soll auch ein laut ausgesprochener Befehl den Einfluss von Dämonen bannen. „Wenn ich also in einem Streit gefangen bin oder auf dem Weg zu einem wichtigen Termin in dichtem Verkehr aufgehalten werde, wenn ich das Gefühl habe betrogen, zu werden wenn ich frustriert bin, wenn ich etwas vergeblich suche … all das sind Signale für mich, bösen Geistern zu befehlen, sich aus meinen Angelegenheiten rauszuhalten.”52

Nach einem seelsorgerlichen Gespräch empfiehlt Kraft die Dämonen herauszufordern, indem man dem Klienten längere Zeit direkt in die Augen schaut, indem man Lobpreis betreibt oder den Dämon durch geweihtes Salböl bzw. geweihtes Wasser verunsichert.53 Dämonen können auch direkt angesprochen werden, meint Kraft: „Meistens versuche ich, den Dämon dadurch herauszufordern, indem ich die Namen von emotionalen oder geistlichen Problemen verwende, von denen ich den Verdacht habe, dass sie von Dämonen verstärkt sind. Typischerweise sage ich etwas wie: Geist des / der …, ich fordere dich im Namen Jesu heraus. Ich befehle dir, dich kenntlich zu machen.“54 Auf die sich anschließende Fragen antworten manche Dämonen durch den Mund des Klienten, andere verzerren seine Stimme, sprechen eine Fremdsprache oder schweigen sich aus.55 Gelegentlich findet die Kommunikation mit den Dämonen auch nur über innerliche Gefühle oder im Hören auf innere Stimmen statt. Kraft hält das Gespräch mit dem Dämon im Hinblick auf das weitere Vorgehen für hilfreich. Zum einen verrät der Geist wann er damit begann, den Klienten an sich zu binden, dann informiert er über die Aktivitäten anderer Dämonen im betreffenden Klienten oder gibt an, mit welcher Strategie er sein Opfer traktiert.56 Durch die Preisgabe dieser Daten wird der Dämon geschwächt, meint Kraft. Außerdem kann der Seelsorger den Dämon später konkret ansprechen und durch die genaue Bezeichnung seiner Tätigkeit, seines Ranges und des Beginns seiner Aktivitäten besser austreiben.57 Nachdem ein Dämon Kraft seine Vorgehensweise verraten hatte, soll dieser erschreckt ausgerufen haben: „Ooooh, jetzt bin ich in Schwierigkeiten!“58 Darüber hinaus sollen die Dämonen im Gespräch an den Tod und die Auferstehung Jesu erinnert werden, was sie zusätzlich schwächt.59 Einzelne Dämonen sind für besondere Sünden (z.B. Zorn, Hass, Furcht, Sorge, Kritik, Zweifel, Spott), psychische Probleme (z.B. Depression, Nervosität, Selbstablehnung, Masturbation, Völlerei, Koffein) oder Weltanschauungen (z.B. Intellektualismus, Zeugen Jehovas, Horoskop, Islam) zuständig, meint Kraft.60 Diese sollten auch als Dämon der Depression, Dämon des Islam usw. angesprochen werden. Häufig finden sich in seinen Klienten mehrere Dämonen. Kraft empfiehlt, sich im Gespräch immer an den Ranghöchsten zu richten.61 „Was bei mir am besten funktioniert, um die Angelegenheit zu besiegeln, ist, Jesus zu bitten, dass er die Engel eine Kiste oder einen Sack über die … Dämonen senken lässt und sie darin einschließt, so dass sie alle zusammen sind und keiner von ihnen entkommen kann.“ 62 Nach einer Sitzung von zwei bis elf Stunden, in der die Dämonen identifiziert und miteinander zusammengebunden werden, befiehlt der Seelsorger den unreinen Geistern zu verschwinden.63 Diese Prozedur kann durch den Einsatz von Engeln unterstützt werden. Zumeist sind die Dämonen eingeschüchtert und kommen dem Befehl nach. Sie verlassen den Menschen durch eine seiner Körperöffnungen (Mund, Nase, Anus, Vagina), schreibt Kraft.64 Das kann sich durch Gähnen, Aufstoßen oder Blähungen äußern. Mancher fühlt sich nach dieser Prozedur glücklich und befreit, ein anderer bedrückt und unsicher.65 Jetzt gelte es, den Klienten mit positiven Segnungen aufzufüllen und die Dämonen an einer Rückkehr zu hindern. Mit den alten Gewohnheiten und Gedanken könnten auch die Dämonen zurückkehren, deshalb müsse Schuld vergeben, der Alltag umorganisiert, neue Gewohnheiten eingeübt und die Beziehung zu Gott gestärkt werden. Dämonisierte Bereiche des Lebensraums sollten befreit werden, wobei geweihtes Öl, gesegnetes Salz, Kreuze, Zungenreden usw. helfen können.66 Oftmals dauere es dann noch lange, bis der emotionale und geistliche Müll, den die Besessenheit hinterlassen hat zu beseitigen.67 „Wenn man zunächst die Dämonen behandelt, denken die Leute oft, dass nun die ganze oder die meiste Arbeit getan sei. Von Dämonen befreit worden zu sein, fühlt sich so toll an und sieht so gut aus, dass es leicht ist, die Notwendigkeit für Innere Heilung zu verdrängen. Die Dämonen können verschwunden sein, aber der wichtigste Teil der Heilung hat nicht stattgefunden …“68 Dazu gehören die Aufarbeitung von Gefühlen der Wertlosigkeit und Selbstablehnung, die aus der Kindheit stammen sollen.

Gelegentlich sollten Menschen sich im Rahmen einer tiefenpsychologischen Sitzung in den Mutterleib hineinversetzen, empfiehlt Kraft. Wenn sie schon als Embryonen dämonisiert wurden, könnten sich die Klienten plötzlich wieder an die geistlichen Ursachen ihres Leidens erinnern.69 Die am häufigsten Dämonen zugeschriebenen und durch geistliche Kampfführung ausgetriebenen Erkrankungen, werden in der Allgemeinmedizin zumeist psychosomatischen Ursachen zugeschrieben.70

Zwischen diesen, überwiegend auf Erfahrungen beruhenden Empfehlungen und biblischen Aussagen zum Umgang mit Dämonen besteht eine gewisse Spannung. Ohne Zweifel wissen die biblischen Autoren um die Realität von Dämonen (Mt 10,1; 12,43f; Lk 22,3-6; 8,28-31). Sie verstehen darunter übernatürliche Wesen, die gegen Gott arbeiten, Menschen in Abhängigkeit bringen und ihnen schaden wollen. Von dämonisierten Christen lesen wir im Neuen Testament nichts, höchstens von ihrer geistlichen Auseinandersetzung mit dem Bösen (Mt 6,13; Lk 22,31f; Eph 6,10ff; Kol 1,13), der durch Gedanken und Umstände Christen anzugreifen versucht. Dass Dämonen vererbt werden, dass sie sich automatisch mit einem Fluch oder einer negativen Aussage in einem Menschen festsetzen, wird in der Bibel nicht erwähnt. Die ausgedehnte Hierarchie und Namengebung der Dämonen sucht man in der Bibel ebenfalls vergeblich. Eigenschaften wie Neid und Stolz sind werden als sündige Eigenschaften bezeichnet, mit denen sich viele Menschen auseinanderzusetzen haben (Eph 2,1ff; 4,17ff; Jak 1,13ff; 4,1ff), auf einen dämonischen Ursprung dieser Eigenschaften deutet nichts. Für die mehrfach von Kraft empfohlene meditative Rückerinnerung an die eigene Zeugung, Geburt und frühe Kindheit zur Auffindung und Aufarbeitung dämonischer Belastungen, findet sich in biblischen Schriften kein Hinweis. Während der zahlreichen in den Evangelien beschriebenen Exorzismen unterhält sich Jesus nur einmal relativ kurz mit den Dämonen (Lk 8,26ff). Von einer Schwächungsstrategie ist dort wenig zu lesen, auch greift der Sohn Gottes in seiner anschließenden Dämonenaustreibung auf keine der von dem Geist erhaltenen Informationen zurück. In der neutestamentlichen Gemeinde findet sich kein Hinweis darauf, dass Seelsorger sich in längeren Gesprächen an Dämonen wandten.

Überhaupt erinnert der von Kraft geschilderte Umgang mit Dämonen eher der esoterisch, schamanistischen Praxis. Hier nimmt der sachkundige Schamane Kontakt mit der Geisterwelt auf und erfährt die dämonischen Hintergründe körperlicher und seelischer Leiden. Anschließend werden den verantwortlichen Geistern Opfer angeboten oder sie sollen durch Gebete und Rituale zur Aufgabe gebracht werden. Häufig werden in diesem Zusammenhang auch alle alltäglichen Schwierigkeiten auf den Einfluss missgünstiger Geister zurückgeführt.

Bei der hier dargestellten Therapie bestehen verschiedene Gefahren: A. Notwendige medizinische Behandlungen werden unterlassen, weil man sich auf einen vermeintlich dämonischen Hintergrund konzentriert. B. Tiefgehende Angst und Verunsicherung kann dadurch ausgelöst werden, dass alltägliche Charaktereigenschaften und geistlicher Zweifel auf dämonischen Einfluss zurückgeführt werden. C. Regelrechte Verzweiflung kann entstehen, wenn persönliche Probleme, für die Dämonen verantwortlich sein sollen, nicht dauerhaft verschwinden. Der Betreffende wird neben seinen seelischen oder körperlichen Schwierigkeiten noch durch die Vorstellung belastet, ein Dämon wohne in seinem Inneren. D. Durch die Konzentration auf die vorgebliche Aktivität der Dämonen können im Alltag unnötige Ängste geweckt und der Blick auf Gott verstellt werden. E. Es besteht die Gefahr, dass die wahrgenommene Verantwortung für eigenes Handeln zurücktritt, weil Dämonen die Schuld an eigenem Versagen zugesprochen wird. F. Labile Persönlichkeiten können durch die intensive Beschäftigung mit Dämonen eine radikale Verschlechterung ihres Wohlbefindens oder gar den Ausbruch einer psychischen Erkrankung erleben. G. Durch die Konzentration auf eigene übernatürliche Erfahrungen tritt die Bibel als Leitschnur des Glaubens zurück. H. Falsch gehandhabte Konfrontation mit übernatürlichen Mächten, kann statt zu einer Befreiung zu einer Bindung an dieselben führen. I. Die Verwendung von Formeln, Symbolen und heiligen Gegenständen fördert beim Hilfesuchenden magisches Denken. Der Vorstellung wird Vorschub geleistet, in der sichtbaren materiellen Welt verberge sich eine unsichtbare geistliche und man könne diese übernatürlichen Mächte mit innerweltlichen Methoden beherrschen. J. Lange, suggestive Seelsorgegespräche, durch die Erinnerungen an mutmaßliche dämonische Belastungen durch frühere Generationen oder in der frühen Kindheit gesucht werden, können dazu führen, dass betreffende Erinnerungen erst jetzt erzeugt werden und den Klienten unnötig belasten. K. Die Konzentration auf behauptete dämonische Hintergründe entwerten die innerweltlichen Ursachen falschen Verhaltens und erschweren deren Verarbeitung. L. Die hier geschilderten Befreiungspraktiken stehen in der Gefahr, christlichen Glauben unsachgemäß mit schamanistischen und okkulten Vorstellungen zu vermischen. M. Die Dämonisierung fremder Weltanschauungen erschwert die sachliche und intellektuelle Auseinandersetzung mit deren Anhängern.

Biblische Dämonenaustreibung geschieht vor allem durch Gebet, Fasten und gelegentlich mittels Befehl im Namen Jesu (Mk 3,13ff; 9,29; Lk 9,1ff; Apg 16,16ff). Menschen können auch frei werden, wenn sie ihr Leben Jesus Christus anvertrauen.

Die Charismatische Bewegung 2

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