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WIE MAN IN DER DDR JOURNALISTIK-DOZENTIN WURDE

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Sigrid Hoyer kenne ich inzwischen ein bisschen und weiß, dass sie sich nie auf so ein Podium setzen würde. Selbst in der Publikumsrolle ist Sigrid Hoyer heute »aufgewühlt«, wie sie das nennt, weil wir beide gerade in ihrem Gedächtnis gegraben haben, in einem langen Gespräch, das nun noch autorisiert werden muss und dabei vieles zurückgeholt hat und noch zurückholen wird, was verdrängt war, vergessen war. »Herr Meyen«, sagt sie, »ich bin jetzt doch dankbar. Ich werde endlich damit abschließen können«. Sie hat sich lange dagegen gesträubt, dieses Interview zu führen. Ich werde noch bis Anfang Februar auf das Manuskript warten und es vielleicht überhaupt nur bekommen, weil uns die Herkunft verbindet. Wir sind beide an der Ostsee aufgewachsen, haben bei der gleichen Zeitung angefangen und den Draht nach Norden nie gekappt. Das darf man nicht unterschätzen in einer Stadt wie Leipzig, in der sich die Einheimischen zuerst an der Sprache erkennen.

Sigrid Hoyer ist fünf Jahre jünger als Karl-Heinz Röhr. Geboren 1940 in Demmin, Abitur an der Hansaschule in Stralsund, in der Stadt, kein Scherz, als »Rotes Kloster verrufen«.30 Sie war gut im Unterricht und mochte die neuen Lehrer, die aus Potsdam direkt von der Hochschule kamen, weil die alten »scharenweise in den Westen« gegangen waren und dem NWDR Stoff für Berichte geliefert hatten. In Deutsch gab es jetzt Brecht. 1957 saß Sigrid in einem der ersten Freundschaftszüge in die Sowjetunion. Das schreibt sich heute so leicht hin, wo die Teenager schon über alle Weltmeere geflogen sind. In der DDR gab es damals Brot und Fleisch auf Marken, genau wie Kartoffeln und Kohlen. Das Leben eines Mädchens wie Sigrid spielte zwischen Barth, wo die Großeltern wohnten, und Stralsund. Auslandsreisen waren im Drehbuch nicht vorgesehen. Als kleines Mädchen war sie mit der Mutter einmal in Bydgoszcz gewesen, wo der Vater mit seiner Einheit stationiert war, und einmal in Bad Neuenahr, wo er dann im Lazarett lag. Als sie 1957 aus der Sowjetunion zurückkam und in Velgast ausstieg, sagt Sigrid Hoyer heute, »dachte ich, ich komme vom Mond«.

Daheim auf Erden hörte der Opa, ein Schumacher, den Rias. Er mochte die DDR nicht, aber seine kleine Enkelin. Zur Einschulung hat er ihr einen Ranzen gemacht, und sie war die einzige, die Lederschuhe trug. Später rief er Sigrid, »wenn im Radio eine Reportage aus dem Ausland lief«. Sowas musst du auch mal machen, Kind. In Stralsund gab es kein Funkhaus. Also Reporterin für die Kreisredaktion der Ostsee-Zeitung. Sigrid Hoyer weiß noch mehr als 60 Jahre später, dass der Lokalredakteur Dieter Lander hieß. »Ihm verdanke ich viele gute Ratschläge«. Sie war dabei, wenn sich die Volkskorrespondenten trafen, und hat einmal sogar über die Ostseerundfahrt berichten dürfen. Egon Adler, Erich Hagen, Täve Schur. Die Helden der neuen Zeit fuhren Fahrrad.

Der Test für das Studium in Leipzig war in Berlin, im Haus der Presse an der Friedrichstraße. Auch hier gibt es einen Erinnerungsfetzen. Bruno Apitz, Nackt unter Wölfen. Das Buch ist 1958 erschienen, ein Jahr vor der Abiturprüfung von Sigrid Hoyer, die noch Sigrid Mahlow hieß. Die Geschichte vom Kleinkind, das im KZ Buchenwald überlebt, weil Kommunisten ihr Leben riskieren und es im Zweifel auch opfern, gehört genauso zur DDR wie die Ritter der holprigen Landstraßen um Täve Schur. Vielleicht hat sich Sigrid Mahlow selbst in diesem Lagerkind gesehen. Sie ist in diesem Alter in Demmin oft »halb angezogen ins Bett« gegangen, »an der Tür griffbereit ein kleiner Koffer mit dem Wichtigsten«. Wenn die Sirene losheulte, ging es mit der Mutter in den Luftschutzkeller, direkt »neben den Benzintanks einer Autowerkstatt«. Bei der Oma in Barth gab es Ruhe und »Butterschnitten mit selbstgemachter Blaubeermarmelade«, aber für diesen Genuss waren 70 Kilometer Fußmarsch nötig, über Grimmen und Stralsund, mit Übernachtungen in Scheunen oder bei Verwandten. Es war nicht schwer, Nackt unter Wölfen zu loben. »Ich wollte unbedingt Journalistin werden und habe das offensichtlich auch vermittelt«.

Das Aufnahmegespräch in Berlin war das eine, das Braunkohlejahr in Laubusch bei Hoyerswerda das andere. Eine Wohnung zu dritt, dort, wo wenig später Brigitte Reimann aufschlagen und der Ankunfts-Generation ein Denkmal setzen würde.31 Drei Pressemädels unter Arbeitern. Sigrid Mahlow kam in eine Schlosserbrigade und hat Zahnräder befeilt. Sie träumte davon, auf einem Bagger zu sitzen, aber der Körper war vernünftiger als der Kopf. Erst die Hände, dann die Wirbelsäule. Der Betriebsarzt schickte sie zurück nach Stralsund. Damit Sigrid Mahlow mit denen studieren konnte, die sie in der Braunkohle kennengelernt hatte, ging sie für ein Jahr zur Volksstimme nach Karl-Marx-Stadt und arbeitete dort auch kurz in Flöha, wo meine Frau ein Vierteljahrhundert später erst Jugendkorrespondentin war und dann Volontärin. »Ein schönes Jahr«, sagt Sigrid Hoyer heute. »Keine bedrückenden Vorgaben«, weder bei der Recherche noch beim Schreiben.

Die beiden Mitbewohnerinnen aus Hoyerswerda sind dann doch nicht in Leipzig erschienen. Der Weg von der Schulbank an die Universität war im Wortsinn weit. Die Prüfung in Berlin, die Kohle, das Vorpraktikum. Die Redaktionen waren froh, wenn jemand das Handwerk beherrschte, und lockten mit festen Stellen. Der Westen lockte sowieso. Und die Genossen machten es niemandem leicht. Bevor das Studium im Herbst 1961 losging, musste Sigrid Mahlow zum Kartoffeleinsatz, nach Lebien, ein paar Kilometer südöstlich von Wittenberg. Die Junge Welt, Zeitung der Freien Deutschen Jugend, hatte gerade die Aktion »Blitz kontra NATO-Sender« gestartet. Losung: »Der Bonner Strauß darf in kein Haus! Alle sehen und hören die Sender des Sozialismus!«32 Der Spuk war zwar schon nach vier Tagen wieder vorbei, weil sich bei den Verantwortlichen in Berlin die Beschwerden stapelten über FDJ-Brigaden, die Antennen abrissen und Wohnungstüren beschmierten, an der Fakultät für Journalistik in Leipzig aber kam das offenbar nicht sofort an. Die Studenten, die gerade in Lebien Kartoffeln sammelten, sollten mit den Bauern diskutieren. Klassenbewusstsein zeigen, dem Klassenfeind offen ins Auge blicken und ihm klarmachen, dass es mit dem Westfernsehen vorbei ist. Dieser Klassenfeind war allerdings gar nicht so feindlich. Er ließ die Studenten bei seiner Familie wohnen und hat sie »vorzüglich versorgt«, nicht unwichtig in einem Land, in dem es immer noch Kartoffelkarten gab und Butter und Fleisch ad hoc rationiert werden konnten.

»Damals habe ich angefangen, mich zu fragen, ob ich das eigentlich will. So einfach bei Leuten klopfen, nicht einen Anlass abwarten und dann das Gespräch suchen, sondern agitieren. Damit hatte ich Probleme. Ich merkte, das kann ich nicht. Dazu kam die Sache mit der Partei.« Eigentlich war das keine ›Sache‹ für jemanden wie Sigrid Mahlow, die mit dem Freundschaftszug in die Sowjetunion fuhr, schon als Schülerin für die Parteizeitung schrieb und ohne zu zögern ihre Gesundheit einsetzte, wenn die Funktionäre selbst zierliche Mädchen in die Produktion schickten. Sie hatte schon in der elften Klasse einen Antrag gestellt, zum Geburtstag von Friedrich Engels. Warum nicht. Das Nein kam von ganz oben, von Karl Mewis, Bezirksparteichef in Rostock. Liebe junge Genossin in spe, verstehe bitte, dass wir im Moment nur Arbeiterkinder aufnehmen können. Der Vater dieser jungen Genossin verdiente sein Geld zwar als Betonfacharbeiter, aber das zählte nicht, weil in der Kartei »kaufmännischer Angestellter« stand, sein erster Beruf. Das war damals schon albern, hatte aber sehr konkrete Folgen. Weil sie kein Arbeiterkind war (zumindest nicht nach der offiziellen Definition), bekam Sigrid Mahlow zunächst weniger Stipendium und war finanziell erst gerettet, als ihr ein Leistungsstipendium bewilligt wurde.

Zurück nach Lebien, zurück in den großen Saal des Dorfgasthofs, wo sich die Erntehelfer von der Universität zur SED bekennen sollen. Sofort. Sigrid Hoyer erinnert sich an Thomas Nikolaou, Exilkommunist aus Griechenland und Assistent an der Fakultät für Journalistik, nur drei Jahre älter als sie, und sagt, dass dort »viel Vertrauen zerstört worden« sei. Ihre Erklärung, unterzeichnet am 4. Oktober 1961 mit einem roten Kugelschreiber, hat sie immer noch.

»Aussprachen und Auseinandersetzungen in unserem Kollektiv haben mir geholfen, die gegenwärtige Situation richtig zu verstehen und die entsprechenden Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Deshalb möchte ich mich mit Hilfe eines guten Genossen im Verlauf des ersten Studienjahres auf den Eintritt in die Partei vorbereiten«.

Das Ganze hat sich dann doch ein bisschen gezogen, bis 1965, bis zur letzten Versammlung vor dem Diplom. Dazwischen lagen gute Zeiten und schlechte Zeiten. In unserem Interview nimmt das mehr Platz ein, was genervt hat. Das Zeitungsstudium unter Aufsicht, vor allem nach Parteitagen oder Plenartagungen der SED-Spitze. Die Dokumente durcharbeiten, das Wichtigste unterstreichen, diskutieren. Eine FDJ-Versammlung, noch im Herbst 1961, bei der eine Studentin zur Rede gestellt wurde, die sich ihre Pfennigabsätze bei der Großmutter in Westberlin hatte reparieren lassen. »Sie hatte Blinddarmbeschwerden und krümmte sich vor Schmerzen«. Ein Seminar im Wilhelm-Wolf-Haus in der Tieckstraße, auch im ersten Studienjahr, alle um einen langen Tisch, »jeder konnte jedem in die Augen sehen, eigentlich wunderbar für Diskussionen«. Der Seminarleiter zielte aber auf ein Bekenntnis: Warum wollt ihr Journalisten werden? »Ich glaube, wir haben alle Ähnliches geantwortet. Land und Leute kennenlernen, Interviews führen, beobachten, schreiben. Er war fassungslos, weil niemand gesagt hat, er wolle Parteijournalist werden«.

Die Studentin Sigrid Mahlow ist einmal auch selbst in die Schusslinie der Erzieher geraten, sehr öffentlich, im Forum, einem Wochenblatt der FDJ, »Zeitung der Studenten und der jungen Intelligenz«. Der Artikel heißt Experiment mit Sigrid, eine ganze Seite am 22. März 1962. Das ›Experiment‹: Man hat Sigrid Mahlow in die FDJ-Leitung gewählt und sie, so schreibt es Frank Wimmer, der Vorsitzende, auf diese Weise zum »Vorbild für die gesamte Gruppe« gemacht. Fast noch erhellender ist das, was dieser kleine Funktionär über die Atmosphäre an der Fakultät für Journalistik berichtet. »Zuspätkommen« (vor allem bei den beiden »wöchentlichen Argumentationen«, registriert über eine Strichliste), »Stipendienabzug« für zwei notorische »Bummelanten«, »ewige Schweiger« wie Sigrid Mahlow und Hans-Dieter Hoyer, ihr späterer Ehemann, »Betrug in den Seminaren« (Russischnacherzählungen einfach vom Blatt abgelesen) und, man höre und staune, »ein Freund«, der »sein FDJ-Dokument« verloren hat.33 Es war selbst dann nicht leicht, bis zum Diplom durchzuhalten, wenn man die DDR mochte und der Westen keine Option war.

Sigrid Hoyer ist sogar an der Fakultät in Leipzig geblieben, als das Studium vorbei war, eine Art persönliches Experiment, das sie heute auch mit der Frauenquote erklärt und mit einem Praktikum in der Wirtschaftsredaktion bei der Ostsee-Zeitung in Rostock, wo sie unter einem »dogmatischen Abteilungsleiter« litt und unter den »vielen Vorgaben«. »Dort keimte vielleicht erstmals der Gedanke, es möge mir erspart bleiben, nach dem Studium in so eine Redaktion delegiert zu werden«. So ähnlich wird es auch mir viele Jahre später gehen. Vom ersten Studientag an haben wir überlegt, was die Redakteure denken mögen, die 1990 verkünden werden, dass das Wohnungsbauprogramm erfüllt ist. Jedem eine Wohnung, warm, trocken, sicher: So hatte es der VIII. Parteitag der SED 1971 versprochen. Im Herbst 1988 musste man blind durch Leipzig laufen, um daran noch zu glauben. Warum also nicht länger an der Universität bleiben, zumal die Medienblase im ganzen Land von Glasnost und Perestroika blubberte und schwer vorstellbar schien, dass all die aufgeregten Geister um mich herum alles beim Alten lassen würden, wenn sie erst ausgeschwärmt waren in die Schreibstuben von Wolgast bis Suhl.

Karl-Heinz Röhr, der Sigrid Hoyer bei ihrem Aufstieg zur Dozentur immer ein wenig schubste, wenn sie sich selbst noch nicht bereit fühlte, stützt den Eindruck, dass die Brutstätte für Journalistinnen und Journalisten in Leipzig in gewisser Weise vogelfrei war, wenn es denn so etwas in der DDR überhaupt geben konnte. »Die politische Linie der Partei«, na klar, die hatte jeder »im Kopf«, der dort lehrte. Dekan und Direktor wurden Politiker, nicht herausragende Wissenschaftler. Emil Dusiska, der Röhr als Parteisekretär sehen wollte, hatte im Apparat Karriere gemacht, bevor er mit Anfang 50 zum Akademiker mutierte, ohne Abitur oder sonst einen höheren Abschluss. Es gab in Leipzig Professoren wie Wolfgang Wittenbecher, noch so jemand ohne nennenswerte Publikation, die darauf drängten, »dass zu jedem Seminar Literatur von Marx und Lenin angegeben« wird, was schon deshalb schwierig war, weil sich die beiden Klassiker »nicht zu jeder Frage geäußert« hatten, zur Recherche zum Beispiel nicht oder dazu, »wie man eine Nachricht schreibt«. Karl-Heinz Röhr hat das alles erlebt und war selbst »einer der Privilegierten«, die hin und wieder zum Zentralkomitee der Partei fuhren. »Ich habe nie irgendwelche Anweisungen bekommen«, sagt er. »Die politische Atmosphäre war bei uns besser und freier als in den Redaktionen. Dort gab es viel mehr Druck aus den Bezirksleitungen und aus der Abteilung Agitation. Bei uns schaute kein Mensch außer uns selbst richtig hin, und unsere Studenten waren junge Menschen, die viele Fragen hatten und sich nicht alles gefallen ließen«.34

Sigrid Hoyer mag das nicht ganz so stehen lassen. »Karl-Heinz wollte das auch so sehen«, sagt sie. »Ich habe ihn als Familienmenschen erlebt, der uns alle gern an einem großen Tisch versammelte. Ihm war der ehrliche Gedankenaustausch wichtig. Eine offene Gesprächsatmosphäre«.35 Es ist unklar, ob sich das auf den Parteisekretär Karl-Heinz Röhr bezieht oder auf den Professor für journalistische Methodik. Wahrscheinlich auf beide. Röhr hat überall versucht, sein »Sozialismusbild zu praktizieren«. Miteinander reden, auf die Menschen achten. »Bei mir gab es keine Parteiverfahren oder irgendwelche Strafen. Vorher war das gang und gäbe«.36 Sigrid Hoyer erinnert sich »an manche ratlose, ja quälende Diskussion«, vor allem kurz vor Schluss. »Dieses ewige Zwischen-den-Zeilen-Lesen«, diese Suche nach dem »kleinsten Ansatz einer Erklärung«. Nach der Wende hat sie gehört, dass »auch in diesem Raum Wanzen hingen«. Die »familiäre Atmosphäre«, die ihr Mentor Karl-Heinz Röhr bis heute beschwört und in seinen Veteranenrunden lebt: Sigrid Hoyer vermutet, dass dieser Wunsch in den 1960er-Jahren wurzelt, in der Idylle der Villa, in der die Fakultät untergebracht war, bevor das Hochhaus am Karl-Marx-Platz gebaut wurde, »ein wenig abgeschirmt vom Rest der Universität«. Ja: Dort gab es diese Strichlisten und übereifrige FDJ-Gruppenleiter, aber sonst war »alles sehr unakademisch«, freimütig, ohne die üblichen Hierarchien. Die Lehrer kaum älter als die Studenten und alle zusammen dabei, eine Journalistikwissenschaft zu erfinden, die Reinhard Bohse, der Mann vom Neuen Forum, heute für einen gar nicht so kleinen Teil des großen Übels hält.

Was hier nicht vergessen werden soll: Sigrid Hoyer ist auch deshalb dabeigeblieben, weil sie als Studentin auf Texte und auf Menschen gestoßen ist, die sie bis heute faszinieren. Willy Walther, der 1963 zur Genreforschung promoviert hat.37 »Als ich das gelesen hatte, spürte ich: So kann man journalistisches Tun durchschaubar, nach und nach handhabbar und damit auch lehrbar machen. Ein verführerischer Gedanke«. Ende 1962 eine Konferenz zum »Q in der journalistischen Arbeit«, ein Buchstabe, der im DDR-Deutsch für Qualität stand.38 »Dort wurden Fragen diskutiert, die mich sehr interessierten: Was Sprache alles mit Inhalten machen kann, wie originelle Blickwinkel einen Stoff zum Leuchten bringen und dem Leser Genuss bereiten«. Und ein Aufsatz von Dietrich Schmidt, erschienen 1961 in der Zeitschrift für Journalistik und auch noch Ende der 1990er-Jahre in den Seminarplänen von Sigrid Hoyer, obwohl die Überschrift eher Reinhard Bohse weckt (Journalistische Genres als Gestaltungs- und als Kampfformen) und der Autor schon auf der ersten Seite keinen Zweifel daran lässt, dass Genres für ihn nicht nur »Ausdrucksformen« sind, sondern auch »Waffen politischer Institutionen«.39 Wer weiterliest, merkt schnell, dass Dietrich Schmidt trotzdem nicht den Sprachrohr-Journalismus predigt, der die Massen im Herbst 1989 auf die Straße trieb. Sein Credo: Die Wirklichkeit dokumentieren, dabei eng an den Tatsachen bleiben, aktuell sein, verständlich, manchmal sogar sinnlich. Diese Denkschule hat Hans Poerschke geprägt, der heute Abend der Hauptredner sein wird,40 und Sigrid Hoyer zunächst alles geliefert, was sie für ihre Diplomarbeit brauchte,41 um sie dann fast ein halbes Jahrhundert in Forschung und Lehre zu begleiten.

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