Читать книгу »Ich kann's nicht lassen« - Michael Niavarani - Страница 26
Wien
ОглавлениеWenn man will, ist ja die Ringstraße etwas Misslungenes. Da war das Glacis, da war das Paradeisgartl, da waren Grünflächen, da war die Bastion. Die Mölker Bastei, die gab es, auch ihre Reste sind noch immer traumhafte Ecken.
Und plötzlich wurde alles niedergerissen und es wurden eklektische Häuser gebaut. Eines gotisch, eines griechisch, das andere renaissancistisch, und Bäume wurden gepflanzt und Straßenbahnen fuhren verkehrt. Trotzdem ist der Ring eine Umarmung der Stadt geworden, und die Gebäude werden von Jahr zu Jahr schöner. Wenn es uns egal ist, wo die Baumeister den Stil hergestohlen haben und man ihnen den Diebstahl charmant ansieht und verzeiht, dann hat man das Parlament plötzlich sehr gern und ist ganz stolz auf das Rathaus und das Burgtheater vis-à-vis. Man freut sich, dass das eine gotisch und das andere nachgemachte Renaissance oder Barock darstellt. Beide Architekten wussten genau, woher sie es haben.
Ja, die Imitation der Kathedrale der Votivkirche wächst einem immer mehr ans Herz. Und die offenen Plätze, die sich rund um den Ring ergeben, Stadtpark, Volksgarten, Heldenplatz, Rathauspark, werden zu schönen Oasen, und sogar die verwöhnten Italiener, die herrliche Gebäude in Massen besitzen, pilgern nach Wien, weil irgendein ungerechter Atem der Schönheit über der Stadt webt.
Dass es dann immer noch Juwelen gibt, kleine Inseln von alten Gebäuden, von echten Gebäuden, ist so wie wenn Wien sagen würde: Schaut her, ich habe mich ausgebreitet. Der Ausbau der Burg nach dem Abriss des hineingesetzten Burgtheaters, das saß ja drin wie ein Gugelhupf in einer Halbruine, und der mutige imitatorische Ausbau der ganzen Burg hat den Michaelerplatz zu einer Schönheit werden lassen. Tut mir leid, dass da das Burgtheater draufgezahlt hat. Das große Burgtheater hat dann doch Blüten erreicht, die unbeschreiblich sind, obwohl man es ihm nicht zugetraut hat, denn das kleine Burgtheater war ein intimes Natürlichkeitstheater. Dann kam die Theaterburg am Ring. Es hat einige Genies gebraucht, damit wieder der natürliche, echte, ringstraßenmäßige Ton gepflegt und von den genialen Schauspielern beherrscht wurde.
Ein Wunder ist in Wien zum Beispiel, wenn man durch die bewegte Rotenturmstraße geht, kurz abbiegt und im Heiligenkreuzerhof steht. Ein Platz, wo mir fast die Tränen kommen, wenn ich ihn betrete, weil er wie eine Zauberinsel mitten in einer Großstadt existiert, umgeben von einer Gasse, die noch fast etwas Mittelalterliches hat, die Schönlaterngasse mit dem Namen, der schon so altertümlich klingt.
Mir tut es leid, dass die Vorstädte Wiens langsam geschlachtet werden. Die Heurigen sterben und die Weingärten, die einen erlesenen Wein bieten würden. Der Wiener Wein hat Weltklasse, heute besonders. Und wenn da so ein Acker nach dem anderen verschwindet, wird eine Farbe ausgelöscht, die unwiederbringlich ist.