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Gemütlichkeit

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Ein Haus, ein Ferienhaus, eine Wohnung, ein gemietetes Zimmer, ein Retiro, sie alle müssen einen geradezu umarmen. Wenn du eine Wohnung betrittst und dir die Schuhe ausziehst – die Asiaten empfinden das als selbstverständlich, und immer öfter wird es auch in unseren Kreisen üblich –, dich sofort irgendwo niederlassen kannst und aus dem Fenster schaust, musst du das Gefühl haben: Da möchte ich bleiben. Hast du das nicht, stimmt etwas nicht mit der Wohnung. Entweder ist der Lärm zu groß oder du schaust durchs Fenster auf eine blöde Wand, oder du hast einen falschen Fußboden, eine falsche Farbe, die falschen Bücher aufgestellt, ungemütliche Bilder an die Wand gehängt. Es müssen keine wertvollen sein. Ein Bild, das an der Wand hängt, muss gemütlich sein, finde ich. Wenn ich einen Rembrandt hätte, würde ich einen Vorhang davorhängen und ihn nur dann zur Seite ziehen, wenn ich mir den Rembrandt anschauen möchte zu einer Art Rembrandt-Gebet. Nach diesem Rembrandt-Gebet würde ich den Vorhang wieder zuziehen.

Meine Bilder sind so ausgewählt, dass sie mich in Ruhe lassen und mir teppichartige Gemütlichkeit vermitteln. Sie schauen mir ruhig zu. Ich habe zum Beispiel gerne Gesichter um mich, das ist Geschmackssache. Es könnten auch Landschaften sein. Aber nicht von Monet! Diese Landschaften hätten wieder Vorhänge nötig und haben mehr verdient, als nur als Wandschmuck verwendet zu werden. Sie sind anbetungswürdig und verpflichten zum gezielten Anschauen.

Wenn Gäste kommen, kann man ihnen den Anblick der Bilder bieten. Auch für längere Zeit vielleicht. Sind die Gäste gegangen, ist man mit diesen wertvollen Bildern wieder allein. Dann soll man sie in Ruhe lassen.

Dieses Problem habe ich Gott sei Dank oder leider nicht, weil ich mir Bilder, die mir wahnsinnig gefallen, überhaupt nicht leisten kann. Weder verrückte moderne, noch klassische alte Werke. An meinen Wänden hängt eine Sekundärgalerie. Eines dieser geliebten Bilder ist das Bild meines Großvaters, der interessanterweise genau meine Hände hat.

Es gibt keinen Fachmann und kein Fach in der Architektur, das die Gemütlichkeit genügend behandelt. Ich wünsche mir Gemütlichkeitsarchitekten. Sogar die Innenarchitekten lassen zu wünschen übrig, was Gemütlichkeit betrifft. Ich habe einmal gelesen, dass sie einen geradezu dazu verpflichten, in Entwürfen zu leben.

Meine Frau ist eine geniale Gemütlichkeitsarchitektin. Sie hat mir bereits die zweite Wohnung und ein Landhaus so eingerichtet, dass ich beim Betreten nicht mehr woanders hinmöchte. Dieses Nestgefühl ist nicht abhängig von der Größe des Objektes. Ein riesiger Raum kann unerhört gemütlich sein und ein kleiner Raum kann einen kosend umfangen. Das Umgekehrte ist eigentlich die Regel. Der kleine Raum ist ein enger Käfig, und der große Raum ist eine kalte Halle. Was Gemütlichkeit ist, ist so wie Humor, aber sehr schwer zu definieren und hängt von unendlich vielen Kleinigkeiten ab. Sehr leicht zerstörbar, sehr leicht verwundbar, sehr schwer zu schaffen oder zu erleben.

Wohnungen haben etwas von Nestern und Nester gibt es in verschiedener Form. Es gibt Höhlennester, die einen beschützen, und es gibt Nester, die einem das Fliegen vorgaukeln. Veranden, Balkone, Terrassen, die einem allerdings nicht das Abstürzen und das Ausrutschen empfehlen. Es gibt Hölzer, die einen das Wachsen und Gewachsensein empfinden lassen. Es gibt Balken, die können gemütlich sein, und Balken, die können bedrohen. Es gibt Teppiche, die können zum Bodenkriechen einladen, und es gibt Teppiche, die widerlich unbetretbar erscheinen. Es gibt Bilder, die einen anglotzen, und Bilder, die einen liebend beruhigen.

Dann gibt es Bibliotheken, die fast immer eine angenehme Ausstrahlung besitzen. Allerdings haben auch die etwas Bedrohendes. Zu hoch untergebrachte Bücher liest man selten. Man steigt nicht gern auf die Leiter, um ein Buch herunterzuholen. Bücher, die wir lieben und brauchen, sollten erreichbar hineingestellt werden. Und Bücher, die ganz oben verschwinden, sieht man nur alle fünf Jahre wieder einmal. Vielleicht ist es dann ein sehr schönes Wiederfinden.

Sammlungen können eine Wohnung vernichten. Ich kenne Leute, die Sessel sammeln, und es gibt keinen Platz zum Niedersetzen in ihrer Wohnung. Es gibt Leute, ich exkludiere mich da nicht, die Vasen sammeln und in der größten Verlegenheit sind, wenn einem jemand Blumen bringt, weil jede Vase, die man hat, zum Blumenaufbewahren zu kostbar ist. Es gibt Tellersammler, die große Schwierigkeiten haben, jemandem eine Speise zu servieren, weil ihre Teller nicht dem Essen dienen. Es gibt Spielzeugsammler und elektrische Eisenbahn-Sammler, die den Kindern jede Spielmöglichkeit verpatzen.

»So gibt es halt allerhand Leut’ auf der Welt«, sagt schon Nestroy.

»Ich kann's nicht lassen«

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