Читать книгу »Ich kann's nicht lassen« - Michael Niavarani - Страница 28
Lieblingsessen
ОглавлениеDie Frage nach meinem Lieblingsessen beantworte ich so: Ein Butterbrot, das ich in Würfeln geschnitten in saure Milch eintunke.
Aber Lieblingsessen soll man nicht so oft benützen, sonst lassen sie einen im Stich und plötzlich erwecken sie Grausen, wenn man sie überfordert. Man erleidet das Schicksal der Sängerknaben, die bei Einladungen auf Auslandstourneen überall mit Wiener Schnitzel und Apfelstrudel belästigt werden, die ihnen die Heimat vorgaukeln möchten.
Es ist so ähnlich, wie es Antonín Dvořák bei seinem Amerika-Besuch erging, als er unbedingt Kontakte mit Indianermusik und Volksmusik gesucht hat und in allen feinen Häusern, in denen er eingeladen war, gequält wurde mit faden Streichquartetten und von Töchtern, die ihre Hausmusik vorführten.
Ich wage mein Lieblingsessen nicht zu nennen, weil ich fürchte, dass ich dann bei jeder Einladung damit gefüttert werde. So habe ich mich auf saure Milch mit eingebröckelten Butterbrotwürfeln zurückgezogen. Ich glaube nicht, dass dieses Essen einladungsdinnerfähig ist. Es ist eine Schutzmaßnahme.
Oft eingeladene Leute warne ich, ihre Lieblingsspeise zu nennen. Wenn einem der Lieblingswunsch Erdäpfelgulasch auskommt, kann es Ihnen passieren, dass Sie in den nächsten Wochen bei Einladungen in Erdäpfelgulasch ertrinken.
Das Schwierigste am Kochen, mit dem ich mich immer wieder dilettantisch befasst habe, ist das Herstellen von einfachen Speisen. Geröstete Erdäpfel, Rotkraut, Wiener Schnitzel, Kalbsbraten, vom Schweinsbraten gar nicht zu reden, sind am leichtesten zu ermordende Gerichte, und man ahnt nicht, wie schlecht die sein können, ungenießbar geradezu.
Zum guten Koch gehört eigentlich eine Portion Appetitlosigkeit. Hunger ist der schlechteste Koch. Nur das, was einem wirklich analytisch schmeckt, wenn man nicht gerade heißhungrig ist, zählt.
Ein Essen muss etwas Pikantes, Bekanntes, Heimatliches beim Schmecken auslösen, so ähnlich, wie man sagt: »Die Mama hat’s gemacht«, und trotzdem muss es auch das Fernweh bedienen und etwas Einmaliges sein, das man herausschmecken kann. Wie man das macht, ist ein gewaltiges Rätsel. Weder Haubenköche noch Hausfrauen haben es endgültig gelöst, und in der Appetitlosigkeit meines hohen Alters bin ich ein sehr empfindlicher und missmutiger Schmecker geworden. Ich fürchte mich vor jeder Einladung, vor jedem Lokal, vor jedem Haubenkoch, vor jeder Hausfrau und könnte alle umarmen, denen es gelingt, mich nur im Entferntesten zu befriedigen.
Man soll aber ja nicht glauben, dass Appetitlosigkeit oder Verweigerung von vielen Speisen vor Fettleibigkeit schützt. Man irrt herum auf der Suche nach etwas Gutem und frisst ununterbrochen dick machendes Neutrales in sich hinein, und das Neutrale macht am dicksten. Brotmengen, vier Semmeln zum nicht so guten Gulasch, das Fleisch überlassend und dafür drei Knödel essend, zwischendurch sich mit Schokoladen vollstopfend, eine Bonbonniere vor sich und neugierig sein, wie jedes einzelne Stück schmeckt, in der Hoffnung endlich auf ein wohlschmeckendes zu stoßen, all das führt dazu, dass man bis zu zwölf Zuckerln probiert, die einem nicht einmal sehr geschmeckt haben. Eine schlechte Bonbonniere macht daher dicker als eine gute, bei der man sich vielleicht schon mit dem ersten Bonbon einigermaßen zufrieden gibt.