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1.2.3 Dimensionen der Komplexität

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Bei der Komplexität handelt es sich um ein mehrdimensionales Konstrukt (Kirchhof 2003; Allen/ Varga/ Strathern 2010; Nedopil/ Steger/ Ammann 2011; Raynard 2016, S. 312 ff.; Bretzke 2020, S. 45 ff.). Eindimensionale Konzepte, die alternativ entweder Größe (z. B. Anzahl der Stakeholder oder der Iterationen, Massenproduktion) oder Unsicherheit (z. B. Zufälligkeit, Diskontinuität, Turbulenz) fokussieren, sind nicht in der Lage, alle relevanten Komplexitätsaspekte zu erfassen. Ebenso inadäquat ist es, Komplexität lediglich anhand der Zahl der Wissenselemente und der Zahl der Interdependenzen zu messen (Simon 1962). Selbst zweidimensionale Modelle wie die Duncan-Matrix (Komplexität und Dynamik, Duncan 1972), die Stacey-Matrix (Spezifikationsdefizite von Problem und von Problemlösung, Stacey 1997), das Cynefin-Modell (Snowden/ Boone 2007), der Boston Consulting-Ansatz (Diversity und Dynamism), Verknüpfungen von Vielzahl/ Vielfalt und Veränderung/ Eigendynamik (Ulrich/ Probst 1995, S. 249 ff.) sind unterdimensioniert. Selbst dreidimensionale Ansätze wie das Diversität-Ambiguität-Turbulenz-Modell erfassen nicht alle Facetten der Komplexität, weil sie deren dimensionale Metakomplexität unterschätzen.

Als brauchbarer erweisen sich vierdimensionale Modelle wie das sogenannte VUCA- oder VUKA-Weltmodell (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Ambiguität) oder die vier »Vs of Big Data« (Volume, Variety, Velocity und Veracity) von IBM. Ihnen mangelt es dennoch an Ganzheitlichkeit, weil die Verbundbeziehungen zwischen den einzelnen Dimensionen ungeklärt bleiben. Folglich werden Komplexitätskonstrukte wie Hybridität, Ungewissheit, Diversity, Interdisziplinarität, Agilität sowie einige komplexitätsaffine Anti-Patterns (z. B. Paralyse durch Analyse) als separate Phänomene und nicht als Facetten eines mehrdimensionalen Komplexitätskonstrukts behandelt. Besser geeignet ist das vierdimensionale Modell aus Vielzahl, Vielfalt, Vieldeutigkeit und Veränderlichkeit (Reiss 2020, S. 8 ff.; Reiss 2013, S. 78). Die Beispiele für hohe Komplexität in Abbildung 2 veranschaulichen sowohl die Komplexitätslast (Listen auf den jeweiligen linken Seiten) als auch das Komplexitätspotenzial (Listen auf den rechten Seiten).


Abb. 2: Dimensionen der Komplexität

Zur Konkretisierung und Ergänzung der generisch gehaltenen Auflistungen in Abbildung 2 lässt sich die Mehrdimensionalität von Komplexität anhand einiger markanter Beispiele für hohe bzw. für niedrige Komplexität auf den vier Dimensionen charakterisieren:

Vielzahl: Typische Beispiele für Vielzahl sind Massen (z. B. Massenproduktion, kritische Masse), Mächtigkeit (von Mengen), Mehrheiten, Produkt- und Datenmengen (z. B. Mengengerüst von Kosten, Mengenrabatte, große Datenmengen wie Big Data oder Data Deluge), Häufigkeiten (z. B. Prävalenz und Inzidenz von Krankheitsfällen in einer Population), Dichte (z. B. Zahl existierender zur Zahl möglicher Netzwerkbeziehungen), Lines of Code, Anzahl von Iterationen, Multihoming (ein Rechner wird z. B. sowohl mit einem WLAN als auch einem VPN verbunden), Zeitkomplexität eines Lösungsverfahrens (größte Anzahl der zur Problemlösung benötigten Elementaroperationen), Anzahl von Zwischenstationen (z. B. Router, Umsteigen, Zwischenlandungen, Stopps eines Fahrstuhls, Hop Count) oder die Pfaddistanz in Netzwerken, also die kürzeste Verbindung zwischen zwei Netzwerkknoten. Hinzu kommen Distanzen in Raum und Zeit, z. B. Kreditlaufzeiten, Realzeitkommunikation oder On-Demand-Bereitstellung, d. h. eine kurze Distanz zwischen Bestellzeitpunkt und Produktionszeitpunkt.

Vielfalt: Sie erfasst das gleichzeitige Vorkommen von Elementen mit unterschiedlich ausgeprägten Merkmalen in einer Domäne. Vielfalt tritt beispielsweise auf in Form von Arbeitsteilung, Dezentralisation, Delegation und Machtteilung, z. B. der Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Jurisdiktion. Eine schwach ausgeprägte Vielfalt kennzeichnet beispielsweise den Konformismus, die Monokulturen in der Landwirtschaft oder die reduzierte Artenvielfalt durch Artensterben in der Natur. Komplexe Dual-Konzepte erfassen nicht primär die Vielzahl, sondern die Diversität. Dies belegen beispielsweise das duale Bildungssystem, die duale Einkommenssteuer oder die doppelte Buchführung von Geschäftsvorgängen im Journal (zeitliche Ordnung) und im Hauptbuch (sachliche Ordnung). Vielfalt definiert ferner Zweiliniensysteme (z. B. genderdiverse Doppelspitzen, gewählte Schwerbehindertenvertretung und bestellter Inklusionsbeauftragter) oder Prinzipien wie »Ein Land, zwei Systeme«. Hinzu kommen die Multi-Konzepte, etwa multimodale Logistik, multimediale Produkte, multikulturelle Belegschaften, Multi-Rating-Systeme (z. B. 360 Grad-Feedback), multiple Auditierung nach generischen ISO-Normen sowie nach spezifischen Abnehmernormen, Multi-Jobber, Multifunktionsgeräte (wie z. B. Schweizer Armeemesser, Allwetterreifen, All-in-One-Geräte, etwa Tuner & CD-Player oder Drucker-Scanner-Kopierer sowie multifunktionale Geldautomaten), Multi Clouds, sogenannte Mehrarmige Banditen-Beispiele sowie Multi-Sportarten, etwa Triathlon oder Aquathlon. Ferner zählen hierzu die Multiplexität, sprich die Überlagerung unterschiedlicher Arten von Beziehungen zwischen denselben Akteuren: Man denke z. B. an formelle Kommunikationswege (Dienstweg) und informelle Kommunikationswege (»kleiner Dienstweg«, »Flurfunk«) oder Arbeitsbeziehungen und Familienbande in einem Familienunternehmen. Bei Third Country Nationals, etwa einem spanischen Chef der japanischen Beteiligungsgesellschaft eines französischen Konzerns, handelt es sich um eine keinesfalls exotische Kategorie von Managern und Mitarbeitern: Hier stimmen das Geburtsland, das Stammland ihres Arbeitgebers und das Gastland ihres Arbeitsplatzes nicht überein.

Abweichungen als eine meist quantifizierte Erscheinungsform von Vielfalt treten in mehreren Varianten auf. Einerseits geht es um Abweichungen von einer Norm, z. B. Soll-Ist-Abweichungen in Gestalt von Fehlern, Fehlmengen, ungeplanten Terminüberschreitungen oder falschen Aussagen. Hinzu kommen die Ungleichbehandlung, also Diskriminierung in Arbeitsverhältnissen oder Wettbewerbsverzerrungen durch Subventionspolitik, der sogenannte Mittelstandsbauch (schnell steigender Grenzsteuersatz bei den geringen und mittleren Einkommen) oder die Immunität von Mandatsträgern, aber auch das Imparitätsprinzip, d. h. die ungleiche Behandlung nicht realisierter Gewinne und Verluste. Die Palette der Abweichungen enthält ferner mannigfache Erscheinungsformen von abweichendem Verhalten, z. B. ziviler Ungehorsam, Non-Compliance oder Falschfahrer auf Autobahnen, einschließlich illegalem Verhalten, etwa Betrug, Steuerhinterziehung, CEO Fraud, Ransom-Software als Geschäftsmodell oder Insidergeschäfte. Abweichungen zu vermeiden ist das Ziel von Simulationen, Emulationen, Approximationen sowie homomorphen und isomorphen Nachbildungen, etwa digitale Zwillinge, d. h. die weitgehende Übereinstimmung eines Realobjekts und dessen digitaler Repräsentanz.

Hinzu kommen andererseits Abweichungen zwischen zwei Ist-Größen. Beispiele sind die Abweichung von einer Benchmark, von einem Durchschnittswert, z. B. vom Dax, von der zehnjährigen Durchschnittstemperatur sowie vom Vorjahreswert. Abweichungen prägen zudem einige »Alternativ-Konzepte«, etwa »alternative Arbeitszeitmodelle« (Abweichungen vom Normalarbeitsverhältnis), Alternative Dispute Resolution-Verfahren (Konfliktbehebung ohne Gerichtsverfahren), Gleichverteilungen als Abweichung von der Normalverteilung oder ein atypisches bzw. anomales Nachfrageverhalten, z. B. der Snob-Effekt. Hinzu kommen Kreditierung (zeitliche Abweichung zwischen Zurverfügungstellung und Rückzahlung), außerordentliche Aufwendungen und Erträge, Sondereinflüsse, Auffälligkeiten sowie Ausnahmeentscheidungen, z. B. Ministerentscheidungen oder Begnadigungen.

Einige Abweichungen schaffen nicht nur Komplexitätsbedarfe, sondern auch Komplexitätspotenziale. So sorgen beispielsweise die Preisdifferenzierung, das typisierte Bauen oder die personalisierte Medizin für ein Flexibilitätspotenzial. Eine untypische riskante Vorleistung (z. B. die den Geschäftspartnern gewährte Einsichtnahme in Daten des Rechnungswesens) hat eine vertrauensbildende Wirkung.

Eine extreme Spielart von Vielfalt bilden Ausnahmephänomene. Man denke an Ausreißer, Exoten, Fat Cats in der Vergütungsstatistik, Neobiotika (gebietsfremde Fauna und Flora), Pandemien, obere und untere Perzentile in einer Normalverteilung, Notfälle (im Gesundheitswesen), Inversionswetter, Sonderwirtschaftszonen, kommissarische Leitung, Black Friday im Einzelhandel, Bursts (Spitzen) in Zeitreihen (z. B. Häufigkeit der medialen Behandlung von Hype-Themen), das Dezember- bzw. Novemberfieber, sogenannte »Never Events« (großer Schaden, geringe Wahrscheinlichkeit), Einträge im Guiness Buch der Rekorde, schwarze Schwäne, El Niño, Wunderkinder oder Nachfragespitzen in Absatzzeitreihen, z. B. im Gefolge von Abwrackprämien. Ausnahmen sind zudem das Resultat von Zweckentfremdung (Exaptation), etwa die Umnutzung von Medikamenten, der Einsatz von Baseballschlägern und Fahrzeugen als Waffen, die gewerbliche Nutzung von Wohnraum, die Verwendung von Messe- oder Turnhallen als Übernachtungsmöglichkeit für Katastrophenopfer oder von Handys als Taschenlampen.

Unausgewogenheit begegnet uns z. B. in Gestalt von schiefen Häufigkeitsverteilungen, der Konzentration der Vermögensverteilung (z. B. weniger als ein Prozent der Weltbevölkerung besitzen mehr als 40 Prozent des weltweiten Vermögens) oder unausgewogenen Kostenstrukturen: So zeichnen sich beispielsweise die Kostenstrukturen von digitalen Medienprodukten (z. B. Computerspielen) durch einen sehr niedrigen Anteil von variablen Kosten aus, weshalb hier von »grenzkostenloser Produktion« gesprochen wird. In Server-Client-Systemen mit »Thin Clients« ist die Kostenstruktur beispielsweise durch hohe Gemeinkostenanteile geprägt.

Zahlreiche Erscheinungsformen von Vielfalt gehen auf das Konto der Gegensätzlichkeit von zwei gleichzeitig auftretenden Elementen. Im Zentrum stehen dabei etwa Spannungen in Entscheidungssituationen (Knight/ Paroutis 2017; Karhu/ Ritala 2020), Konflikte, z. B. Standards Wars (»Android versus iOS«), Normengegensätze, z. B. IFRS versus HGB und die Ranglisten unterschiedlicher Boxverbände. Gegensätzlichkeit kennzeichnet ferner den Rassismus, antagonistische Steuerungssysteme, z. B. Gehirnhälften, Gewaltenteilung, Ich, Es und Über-Ich, Sympathikus und Parasympathikus, Contre Rôle-Philosophie des Controllings und die Dialektik, z. B. die Advocatus Diaboli-Methode. Im Katalog der Unverträglichkeiten finden sich außerdem strategische Misfits (z. B. Diversifikationsstrategie in Verbindung mit einer Funktionalorganisation), Unverträglichkeiten zwischen mehreren Medikamenten, Kannibalisierung von Geschäftsfeldern, Widerlegung (Diskrepanz von Hypothese und Evidenz), kognitive Dissonanzen und Disharmonien. Eine wichtige Quelle von Gegensätzlichkeit ist die Rollenhäufung: Sie kann zum einen für ein eher geringes Ausmaß an Gegensätzlichkeit sorgen, etwa im Fall eines Third Party Logistics Provider, der eigene Logistikdienste anbietet und darüber hinaus als Koordinator von Logistik-Subunternehmern agiert, ferner im Fall der Kombination von Händler- und Plattformbetreiber-Rolle, Reviewer und Reviewee in Peer-Review-Verfahren (z. B. Steuerberater) oder bei Selbstbedienung, Customer Self Payment oder Do It Yourself-Aktivitäten. Deutlich mehr Gegensätzlichkeit tritt bei hybriden Rollenkombinationen auf, etwa Anwaltsmediatoren oder bei der Polizei, wenn sie nicht nur als Ordnungshüter, sondern auch als Konfliktmanager bei gleichzeitig stattfindenden Demonstrationen und Gegendemonstrationen agieren soll. Gegensätzlichkeit kann auch Komplexitätspotenziale generieren, etwa in Gestalt von Augmented Reality, Mixed Reality oder sogenannten hybriden Sourcing-Systemen: Hier werden relationale Service Level Agreements mit Spot-Einkaufsverträgen kombiniert.

Vieldeutigkeit: Sie trägt der Tatsache Rechnung, dass Elemente alternativ auftreten. So ist jede Zufallsvariable insofern vieldeutig, als sie eine Menge von alternativen Realisierungen verkörpert, denen Wahrscheinlichkeiten zugeordnet sind. Das Konzept der Opportunitätskosten beispielsweise beruht definitionsgemäß auf zwei alternativen Verwendungen desselben Inputfaktors. Mitunter ist die Fixierung dessen, was als Alternativverwendung gelten soll, relativ willkürlich. Ungewissheit als eine Kategorie von Mehrdeutigkeit äußert sich in alternativen Erwartungen, Szenarien, eingeschränkter Prognostizierbarkeit, Unwägbarkeiten, dubiosen Forderungen (Ausfallrisiken, z. B. bei sogenannten Zombieunternehmen), Unzuverlässigkeit, freibleibenden (d. h. unverbindlichen) Angeboten, schwebenden Verfahren (»Pending«), Orientierungsproblemen, Verwirrung, Konfusion, z. B. Customer Confusion in Einzelhandelsverkaufsstätten (Garaus/ Wagner 2019) und statistischen Irrtumswahrscheinlichkeiten, wenn das Alternativenspektrum auf zwei Hypothesen (Null- und Alternativ-Hypothese) und zwei Aktionen (Annehmen/ Verwerfen) reduziert wird (Bankhofer/ Vogel 2008, S. 125 ff.).

Intransparenz verhindert, dass bestimmte Sachverhalte eindeutig erkannt werden können (Albu/ Flyverbom 2019). Man denke etwa an fehlende Bilanzklarheit oder an die implizite Zustimmung durch Verzicht auf ein Opt-out im Unterschied zur explizit-transparenten Einwilligung durch ein Opt-in. Die intransparenten Sachverhalte werden als »verborgen«, »verdeckt« (z. B. verdeckte Arbeitslosigkeit oder verdeckte Auktionen, bei denen die Gebote nicht allseits bekannt sind), »latent« (z. B. latente Steuern), »still« (z. B. stille Selbstfinanzierung oder stille Reserven) oder »versteckt« (z. B. Hidden Intentions oder Hidden Costs) bezeichnet. Beim Datenschutz, der Geheimhaltung, der Desinformation und der Tarnung handelt es sich um Aktivitäten, mit denen bewusst eine Intransparenz geschaffen werden soll. Ebenfalls durch Intransparenz gekennzeichnet sind Anonymität (z. B. unterdrückte Telefonnummern), implizites Wissen (Tacit Knowledge), das weder verbalisiert noch formalisiert werden kann, der Einsatz von Bargeld, informelle Beziehungen (z. B. psychologische Verträge zur Loyalität zwischen Vertragsparteien), schlecht lesbare Handschriften, sogenannte latente, d. h. nicht beobachtbare Variablen (z. B. Stimmungen, Persönlichkeitseigenschaften, Altruismus), die nur über manifeste Variablen, Indikatoren (Proxies) oder Ersatzgrößen (z. B. Aussagen, Verhaltensweisen, Spendenvolumen) erfasst werden können, Rauschen bei Telefongesprächen, Phasenrauschen (»Jitter«) bei der Internet-Kommunikation sowie positive oder negative externe Effekte von individuellen Entscheidungen auf den Nutzen anderer Akteure. Diese sind nicht transparent in Verträgen geregelt und werden auch nicht in Marktpreisen erfasst.

Intransparenz charakterisiert darüber hinaus den Einfluss einer sogenannten vierten Gewalt (Medien), der Rechtsprechung, wenn diese die Interpretationsspielräume in unzureichend konkretisierten Gesetzen kompensiert oder von Sachverständigen, die den Ausgang von Gerichtsverfahren beeinflussen. Digitale Interaktionen sind intransparent, solange man nicht weiß, ob sich hinter einem Akteur ein Mensch oder ein Roboter verbirgt. Sogenannte Wizard-of-Oz-Experimente sind intransparent, weil die menschlichen Probanden annehmen, mit einem KI-System zu kommunizieren, obwohl tatsächlich andere Menschen die Reaktionen dieses Systems steuern. Die Undurchsichtigkeit wird mitunter bildhaft beschrieben, etwa als Black Box, Kompetenzgerangel, graue Eminenzen, Gremiendschungel, Tafelgeschäfte, Insiderinformationen (nicht der Öffentlichkeit bekannt), Dark Pools (Handelsplattformen für Finanzprodukte außerhalb der Börsenaufsicht), Zaubertricks, Taschenspielertricks und Schleier, z. B. die Lagerhaltung als Schleier, der das Erkennen von Koordinationsdefiziten in Geschäftsprozessen behindert.

Von Unklarheit spricht man, wenn eine eindeutige Spezifikation fehlt. Sie äußert sich beispielsweise in Interpretationsspielräumen, Zweifeln, einem Hinterfragen, der Indifferenz, kritischen Haltungen, »alternativen Fakten« oder einer Bibelexegese. Einige Zeitangaben, die die unterschiedlichen Zeitzonen ignorieren oder nicht zwischen 10 Uhr und 22 Uhr unterscheiden, führen zu Verwechslungen. Alternative Begriffsdefinitionen, etwa von »Institution«, »relevantem Markt«, »Wert« (Substanz-, Rest- oder Zeitwert, diskontierte Wertansätze), der sogenannten MENA-Region (Middle East & North Africa), »Kundenwert« (Wert für den Kunden oder Lifetime Value des Kunden) oder von »Drittparteien«, mit denen entweder Dienstleister für eine der originären Parteien oder integrative Dienstleister (z. B. Logistikdienstleister, Notare, Gerichte) für beide Parteien gemeint sein können. Für Unklarheit sorgen auch zusammengesetzte Muster, die die Abhängigkeiten zwischen zwei Variablen erfassen: Zu den klassischen Beispielen zählen geknickte Preis-Absatz-Funktionen, doppelt geknickte Preis-Absatz-Funktionen und Wendepunkte. So besteht etwa laut Yerkes-Dodson-Gesetz ein umgekehrt U-förmiger Zusammenhang zwischen dem Aktivierungsniveau und der Leistungsfähigkeit.

Unschärfe im Sinne einer mangelnden Unterscheidbarkeit repräsentiert eine weitere Kategorie von Vieldeutigkeit. Sie ist charakteristisch für multifunktionale Entitäten (z. B. Dual Use-Güter), Karteileichen und zahlreiche Hybridkonstrukte. Man denke etwa an produzierende Dienstleister und dienstleistende Produzenten, arbeitnehmerähnliche Auftragsunternehmer, die mangelnde Trennschärfe zwischen Arbeitszeit und Freizeit, z. B. bei Home Office-Modellen, sowie die Geschäftsbeziehung zwischen Sparern und Banken, die sowohl als eine Überlassung von Finanzmitteln (gegen positive Zinsen) als auch als deren sichere Verwahrung durch die Bank (gegen negative Zinsen) interpretiert werden kann.

Mangelnde Echtheit oder fehlende Authentizität liegen vor, wenn man Sein und Schein nicht auseinanderhalten kann. Diese Komplexität tritt beispielsweise auf im Zusammenhang mit Scheinselbständigkeit (arbeitnehmerähnliche Tätigkeit eines Selbständigen), Nachahmungen und Nachbildungen (z. B. Klone, Digital Twins, naturidentischen Aromastoffen, Marktsimulationen, Verrechnungspreisen statt Markpreisen, Kunstschnee, Dermoplastik), sogenannten Matrixsurrogaten (z. B. gemischt konfigurierte Gruppen), Fake News, Fälschungen, Kopien, Falschgeld, Produktpiraterie (Produktfälschungen), Plagiaten, Gerüchten, Vermutungen, Halbwahrheiten sowie irreführenden Tricks.

Mehrdeutigkeit repräsentiert je nach Kontext nicht nur einen Komplexitätsbedarf, sondern auch ein Komplexitätspotenzial. Auf Mehrdeutigkeit basieren zahlreiche Geschäftsmodelle, nicht nur von Illusionisten, Zauberern oder Bauchrednern, sondern auch von Insidern. Das gilt ebenso für die Vermarktung von Lebensmitteln als Heilmitteln oder von Brillen als modischen Accessoires. Die Beispiele verdeutlichen, dass nicht nur Einzigartigkeit und Unverkennbarkeit, sondern auch Ambiguität als Basis für Wettbewerbsvorteile fungieren kann. Das Spektrum der Ambiguitätspotenziale wird komplettiert durch (kontingente) Alternativpläne, Handlungsspielräume, Ambiguitätstoleranz, Fehlertoleranz, Toleranz von Gruppen gegenüber abweichendem Mitgliederverhalten und durch Robustheit, wenn die Funktionstüchtigkeit eines Systems nicht durch Veränderungen und Fehleinschätzungen beeinträchtigt wird.

Veränderlichkeit fungiert als Sammelbegriff für alternative Ausprägungen, die nicht wie bei der Vieldeutigkeit zum selben Zeitpunkt, sondern sequenziell verteilt über die Zeitachse auftreten. Das Spektrum der Veränderungsmuster umfasst das (annähernd) lineare Wachstum (z. B. globale Erwärmung), das exponentielle Wachstum (z. B. Epidemien, Leverage-Effekte, galoppierende Inflation), aber auch rhythmische Veränderungsmuster. Sie werden induziert durch Legislaturperioden oder Rotationssysteme (z. B. EU-Ratspräsidentschaft) sowie durch Oszillationen, zyklische Phänomene im Konjunkturverlauf, im Klima und im Geschäftsverlauf, etwa Moden, Weihnachtsgeschäft und Kundenfrequenzen im Tagesablauf.

Für hohe Veränderlichkeit sorgen Unstetigkeiten (z. B. erratische Extremwetterlagen, mutierende Viren, Sprünge), hohe Veränderungshäufigkeiten (z. B. Änderungen der Treibstoffpreise pro Tag), Schwellenwerte (etwa Wachstumsschwellen), fluktuierenden Mengen von Sonnen- und Windenergie, kurzlebige Strohfeuer, Hypes und temporäre Lösungsansätze (Braun/ Sydow 2019): Man denke etwa an die Projectification (Geschäfte werden zunehmend als Sonderaufgaben und nicht als Regelaufgaben abgewickelt), das Geschäftsmodell der Gig Economy, das Interim-Management oder die befristete Beschäftigung. Im Gegensatz dazu stehen Stationärität, Stillstand, Reformstau, Habitualisierung oder Pfadabhängigkeit für eine schwach ausgeprägte Veränderlichkeit.

Nicht selten deckt jede der vier Komplexitätsdimensionen weitere Komplexitätsaspekte als Subdimensionen ab. So wird in der Zeitreihenanalyse von Konjunkturdaten oder Klimadaten davon ausgegangen, dass die Dynamik aus einem oder mehreren systematischen Mustern (z. B. Erderwärmungstrend, saisonale Schwankungen, Langzeitzyklen) und zufälligem Rauschen (z. B. extreme und unregelmäßige Wetterphänomene, Schocks) besteht.

Wie in Abbildung 2 dargestellt, kann das gesamte Spektrum der Beispiele für Komplexität durch eine Kombination von vier Komplexitätsdimensionen ausgelegt und erklärt werden. Dieses Dachkonzept vereint die getrennte Modellierung von Komplexität, Vielzahligkeit, Dynamik und Unsicherheit. Hieraus ergeben sich zunächst marginale Konsequenzen für die Komplexitätssemantik. So müssen bei der Anwendung der vierdimensionalen 4V-Terminologie die Begriffe »komplexes adaptives System« oder »komplexe dynamische Systeme« (McDaniel jr. 2007; Schneider/ Somers 2006; Turner/ Baker/ Morris 2018) dahingehend umformuliert werden, dass auf zwei Dimensionen der Komplexität verwiesen wird, z. B. auf »heterogen konfigurierte und adaptive/dynamische Systeme«.

Deutlich mehr Relevanz hat die Notwendigkeit, bestimmte Domänen nicht selektiv anhand einer einzigen Komplexitätsdimension, sondern anhand eines vierdimensionalen 4V-Komplexitätsprofils zu beschreiben. Komplexe Interaktionen im 4V-Profil sind beispielsweise durch mehrere Akteure (Beschreibungsformeln: »It Takes Three to Tango« oder »Triple Win«), Machtunterschiede (z. B. Informationsasymmetrie), Mixed Motives, den Aufbau von Gemeinsamkeiten (z. B. einer Vertrauensbasis) oder den Wechsel von Zusammenarbeit zu Wettbewerb gekennzeichnet. Das Komplexitätsprofil des vollkommenen Marktes steht im Zeichen einer extrem reduzierten Komplexität. Sie äußert sich in der Homogenität von Gütern bzw. der Präferenzfreiheit von Akteursbeziehungen (Gesetz von der Unterschiedslosigkeit der Preise), in einmaligen Spot-Transaktionen und dem Fehlen von Intransparenz, externen Effekten, Unsicherheit, Reaktions- und Wirkungslags sowie Informationsdefiziten. Wenn man im Zusammenhang mit diesem Lehrbuchkonzept von »hoher Komplexität« sprechen kann, dann lediglich mit Verweis auf die extreme Abweichung des Konzepts von der Realität.

Das 4V-Komplexitätsprofil des Kostenbegriffs setzt sich aus dem Mengengerüst, der Vielfalt von Kostenkategorien (z. B. fixe und variable Kosten, Vorlauf- und Betriebskosten in Lebenszykluskostenmodell), der mangelnden Zurechenbarkeit von Gemeinkosten (»indirekte Kosten«) sowie der Kostenreagibilität gegenüber Kosteneinflussgrößen zusammen. Das Komplexitätsprofil des Versicherungsprinzips ist durch das Spannungsfeld zwischen der Vielzahl (Umfang des Risikoausgleichskollektivs, Gesetz der großen Zahl) einerseits und der Vielfalt, d. h. der Ausgewogenheit von guten und schlechten Risiken, andererseits geprägt. Vieldeutigkeit betrifft nicht nur die Risiken als die generische Ursache für Versicherungen. Hinzu kommen institutionelle Risiken aus den Vertragsbeziehungen, etwa Manipulationsrisiko, Versicherungsbetrug, Doppelversicherung oder die Adverse Selektion. Veränderlichkeit im Versicherungswesen hat u. a. exogene Ursachen, beispielsweise den demographischen Wandel, die Niedrigzins-Konstellation auf Anlagemärkten, vermehrt auftretende Naturkatastrophen oder innovative informationstechnische Infrastrukturen zur Erfassung von Daten über Versicherungsnehmer, etwa für sogenannte Telematik-Tarife in der Kraftfahrzeugversicherung.

Das Komplexitätsprofil von Demokratie ist geprägt durch das Mehrheitsprinzip (z. B. absolute und einfache Mehrheiten), Mehrparteien-Systeme, Gewaltenteilung, Mischung von direkter und indirekter Willensbildung sowie durch das Gleichheitsprinzip. Dadurch kann z. B. Pluralismus zustande kommen, zusätzlich abgesichert durch einen Minderheitenschutz, um die »Tyrannei der Mehrheit« zu vermeiden. Ein Mehrparteiensystem aus kleineren Parteien erschwert die Prognostizierbarkeit der Regierungsbildung. Der Wechsel von Regierungen geschieht nach einem regelmäßigen Muster (Legislaturperioden, Amtszeiten) oder durch ereignisinduzierte Misstrauensvoten bzw. Rücktritte.

Unvollständige Komplexitätsprofile beeinträchtigen die Brauchbarkeit der jeweiligen Modelle. Ein Paradebeispiel für lückenhafte Komplexitätsprofile sind die Modelle unter Sicherheit wie z. B. die Kennzahlen der Netzwerkanalyse, Entscheidungsmodelle unter Sicherheit oder Prioritätsregeln. Sie enthalten keinerlei Aussagen über die Komplexitätsdimensionen »Ambiguität«, »Unsicherheit« und »Veränderlichkeit«.

Zum besseren Verständnis des Wesens der Komplexität sind die vier Dimensionen in Abbildung 2 auf zwei »Archetypen« komprimiert worden: Die beiden Dimensionen der »Sowohl als auch-«, »Konjunktiv-« oder »Additiv«-Komplexität (mitunter auch »Kompliziertheit« oder organisierte Komplexität genannt) können zu Diversität konsolidiert werden, da Diversität stets mindestens zwei Elemente und damit eine Vielzahl impliziert. Analog werden die beiden Dimensionen der »Entweder-Oder-«, »Disjunktiv-« oder »Alternativ«-Komplexität (»unorganisierte Komplexität«) zur Dynamik zusammengefasst, da Veränderlichkeit wie auch Vieldeutigkeit die Identität einer Entität im Laufe der Zeit verringern. Will man eine extrem komprimierte Charakterisierung anhand von Symbolen vornehmen, kann man auf das Summenzeichen (»Σ«) für die Additiv-Komplexität und auf das Fragezeichen (»?«) für die Alternativ-Komplexität zurückgreifen.

Basierend auf dem Komplexitätskonstrukt aus zwei Komplexitätskomponenten, werden den beiden Komplexitätsbedarfen »Diversität« und »Dynamik« zwei korrespondierende Komplexitätspotenziale zugeordnet: ein Integrationspotenzial zur Bewältigung der Additiv-Komplexität, also von großen Zahlen oder von Heterogenität sowie ein Flexibilitätspotenzial zur Bewältigung von Alternativ-Komplexität, sprich Unschärfe und Volatilität (Bernardes/ Hanna 2009; Farjoun 2010; Kapoor/ Klueter 2015; Pérez Pérez/ Serrano Bedia/López Fernández 2016; Reiss 2018a). »Integration« dient dabei als Sammelbegriff für Aktivitäten der Konfliktlösung, Herstellung von Interoperabilität, für das ganzheitliche Product Lifecycle Management und für die Schaffung von Synergie. »Flexibilität« steht für Ambiguitätstoleranz, Responsiveness, Anpassungsfähigkeit, Wandlungsfähigkeit, Change Readiness und Agilität. In der Organisationsdomäne korrespondiert die Additiv-Komplexität mit dem Komplexitätspotenzial mechanistisch funktionierender Organisationen (d. h. Disziplin, Maschinen-Modell eines Unternehmens, Kommando und Kontrolle), die Alternativ-Komplexität mit dem organischen Funktionieren, also Flexibilität und Anpassungsfähigkeit (z. B. Organismusmodell eines Unternehmens).

Dieser kompakte zweidimensionale Ansatz ermöglicht auch eine Unterscheidung zwischen »einfacher« und »komplexer« Komplexität: Eine extrem komplexe Komplexitätsbelastung ergibt sich aus einer Kumulation von Diversität und Dynamik. Die parallele Koexistenz von additiver Komplexität (Diversität) und alternativer Komplexität (Dynamik) kennzeichnet die Hyperkomplexität (Jehle/ Hildebrandt/ Meister 2016; Reiss 2018a). Diese Herausforderung geht über die bloße Ausbreitung von Komplexität über die vier Dimensionen, z. B. die Ausbreitung von Volumen in Vielfalt, Vielfalt in Mehrdeutigkeit oder Mehrdeutigkeit in Volatilität hinaus ( Kap. 1.2.5.3). »Integrierte Flexibilität« oder »flexible Integration« bezeichnet das Komplexitätspotenzial zur Handhabung der Hyperkomplexität.

Vor diesem Hintergrund sollte man bedenken, dass der Oberbegriff »Komplexität« zwei extrem unterschiedliche Arten von Komplexität beinhaltet. Diese Heterogenität lässt sich beispielsweise an zwei komplexitätsfokussierten Interpretationen von »Seltenheit« illustrieren: Zum einen steht »selten« für eine geringe Häufigkeit und damit geringe Additiv-Komplexität, etwa im Fall seltener Krankheiten oder seltener Erden. Zum anderen signalisiert »selten« eine kleine Wahrscheinlichkeit (z. B. des Auftretens schwarzer Schwäne, Hajikazemi et al. 2016) und damit eine hohe Alternativ-Komplexität, also Entropie als Maß der Überraschung durch ein unerwartetes Ereigniss. Analog repräsentieren Hierarchien einerseits eine Variante komplexer Organisationsstrukturen, weil sie infolge vieler und feinkörniger Regelungen eine hohe Additiv-Komplexität aufweisen. Andererseits sind nicht-hierarchische Organisationsformen (z. B. spontane Ordnungen) insofern alternativ-komplex, als sie auf sehr wenigen und interpretationsfähigen Regelungen beruhen, z. B. auf Öffnungsklauseln, unvollständigen Verträgen, »Punktuation«, Documents of Understanding, Absichtserklärungen und Delegation. Dieses inhärente Spannungsfeld unterscheidet Komplexität von anderen multidimensionalen Konstrukten wie z. B. Intelligenz, Macht oder Betriebsklima.

Aufgrund der vielfältigen Zusammenhänge zwischen den vier Komplexitätsdimensionen ( Kap. 1.2.5.3) besteht die Komplexität jedoch nicht aus zwei stringent getrennten Inseln. Tatsächlich dienen die Verbindungen, z. B. in Form einer Komplexitätsausbreitung über die vier Dimensionen, als Brücken zwischen diesen Inseln. Beispielsweise verwendet man üblicherweise zwei gegensätzliche, aber verbundene Komplexitätsdimensionen zur Charakterisierung von Paradoxien oder Hybridkonstrukten: Zum einen die Vielfalt (»Fusion zweier Welten«, d. h. Sowohl-als-Auch-Charakterisierung), zum anderen die Mehrdeutigkeit (»Mangel an Identität«, d. h. Weder-noch-Charakterisierung).

Auf der Seite der Komplexitätspotenziale lassen sich die beiden Potenzialkategorien folgendermaßen konkretisieren: Ein Integrationspotenzial besitzen beispielsweise Lebenszyklusmanagement-Ansätze, One Stop Shopping-Modelle (kurze Wege in Einkaufszentren) oder virtuelle Kraftwerke, das sind Cluster aus Dezentralen Erzeugungsanlagen (DEA). Ein Flexibilitätspotenzial wird z. B. durch Slack bereitgestellt, etwa in Gestalt von Puffern, Redundanzstationen, Ausweichterminen, Vertretungen oder Zweitbesetzungen, Nachtragshaushalten, Modellen der Barrierefreiheit sowie diversen »fluiden« Organisationsformen wie die zellulare, fraktale, I-Form-, Lattice-, Spaghetti- oder Freedom-Form-Organisation (Schreyögg/ Sydow 2010).

Im Gegensatz zu der häufiger auftretenden Akkumulation von Diversität und Dynamik in der Bedarfskomponente besteht ein Risiko des Konflikts zwischen der gleichzeitigen Verfügbarkeit eines Integrationspotenzials für den Umgang mit Diversität und eines Flexibilitätspotenzials für den Umgang mit Turbulenzen. Vordergründig wird diese Gegensätzlichkeit durch die antithetischen Slogans »Big is beautiful!« (wegen des Integrationspotenzials) versus »Small is beautiful!« (wegen des Flexibilitätspotenzials) zum Ausdruck gebracht. Ein Problembewusstsein für das Spannungsverhältnis resultiert auch aus dem sogenannten organisatorischen Dilemma: Es besagt, dass eine heterogene Teamkonfiguration zwar Flexibilität fördert (z. B. kreative Problemlösungen), aber die Integration im Sinne einer Konsensfindung behindert. Ein ähnliches Spannungsverhältnis besteht zwischen Freiheit (Flexibilität) und Solidarität (Integration). In gleicher Weise unterstützt die unverbundene Diversifizierung (d. h. ein hohes Maß an Vielfalt in Form einer konglomeraten Diversifizierung) die Flexibilität, z. B. die Handhabung von Risiken. Sie erzeugt aber keine Synergien, d. h. Integrationsvorteile. Im Gegensatz dazu dient die verbundene Diversifikation als Synergiequelle, ist aber nicht in der Lage, das Risikomanagement zu unterstützen.

Dass eine Lösung dieses Konflikts zwischen Integration und Flexibilität möglich ist, signalisiert vordergründig die Formel »Small within big is beautiful!«. Auch die Euro-Münzen bringen durch ihre Vor- bzw. Rückseiten eine »Einheit in der Vielheit« zum Ausdruck. Eine Vereinbarkeit kommt (in metaphorischer Darstellung) durch eine hybride »Flottenkonfiguration« aus schwerfälligen, aber integrativen Supertankern (Konzernzentrale) und beweglichen Schnellbooten (Spin-offs, Start-ups), ferner durch das arbeitsteilige Zusammenwirken von Sponsor-Einheiten und Venture-Einheiten im Innovationsmanagement oder von Corporate Center und Business Centern in der Konzernorganisation zustande ( Kap. 1.4.4.4). Ebenso unterstützen Hybridstrategien wie das Two-Part-Tariffs-Pricing oder die Mass Customization sowohl Integration (kostengünstige Herstellung von Standardmodulen) als auch Flexibilität, also die kundenspezifische Konfiguration von Modulen. Weiterhin beruht Portabilität, also die Übertragbarkeit von Betriebsrenten (Versorgungsanwartschaften), Urlaubsansprüchen, Rufnummern (bei Anbieterwechsel) oder Software und Anwendungen von Cloud zu Cloud auf einem kombinierten Flexibilitätspotenzial (Reaktion auf Kontextänderungen, z. B. Wechsel des Arbeitgebers) und Integrationspotenzial (Kompatibilität durch Schnittstellenstandards).

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