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1 Grundlagen des Komplexitätsmanagements 1.1 Komplexitätsfokussierte Modellierung 1.1.1 Spektrum von Komplexitätsmodellen

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Die Beispiele in der Einführung belegen, dass es nicht »die« homogene monolithische Komplexität gibt, sondern mehrere Facetten und Varianten der Komplexität. Das macht den Komplexitätsansatz selbst – und nicht nur die eingangs skizzierten Erscheinungsformen in der Realität – zu einem komplexen Konstrukt. Sowohl die Klärung der beschreibenden Bedeutung von Komplexität (Denotation) als auch deren bewertende Bedeutung (Konnotation) stellen eine Herausforderung dar, weil Komplexität selbst durch eine Metakomplexität geprägt ist. Die komplexe Konnotation von Komplexität äußert sich in einer kontroversen Bewertung. So stellt beispielsweise das gesetzlich reglementierte Publikationsverhalten von Unternehmen für die Sender eine Komplexitätslast dar (z. B. jährliche Berichterstattung, Ad-hoc-Publizität). Für die Empfänger hingegen schafft es eine komplexitätsmindernde und vertrauensstiftende Transparenz. Das gilt analog auch für sogenannte Total Cost of Ownership-Modelle: Für den Hersteller komplizieren sie die Angebotskalkulation, fördern jedoch gleichzeitig die Angebotstransparenz für den Abnehmer.

Auch die deskriptive Modellierung eines Komplexitätsphänomens ist insofern komplex, als hierfür einzelne Komplexitätsmerkmale nicht ausreichen. Vielmehr müssen drei Kategorien von Faktoren dieser »Komplexität der Komplexität« oder »Metakomplexität« herangezogen werden:

• Komplexitätsdimensionen: Sie klären, wie Komplexität auftritt. Dies kann beispielsweise in Form von Masse, Widersprüchlichkeit oder Unvorhersagbarkeit geschehen.

• Komplexitätsdomänen: Diese informieren darüber, wo Komplexität auftritt, etwa in Gestalt von komplexen Elementen oder Relationen bzw. von unternehmensinterner oder -externer Komplexität.

• Komplexitätskomponenten: Sie bestimmen, ob Komplexität die Funktion eines Lastfaktors (z. B. Informationsflut) oder eines Leistungsfaktors (z. B. Speicherkapazität) erfüllt.

Streng genommen muss man also bei jeder Verwendung von »Komplexität« drei Angaben machen. Ein solcher »Komplexitätstensor« klärt beispielsweise im Fall des »Euro«, dass durch diese Währung die belastende Vielfalt (Komplexitätsdimension) von Währungen im Euroraum (Domäne) durch eine Einheitswährung (Funktion) reduziert wird.

Zudem umfasst das Spektrum von Komplexitätsansätzen neben subjektiven Phänomenen (»Perceived Complexity«, »gefühlte« Komplexität, z. B. der Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International) auch objektive Komplexitätskonstrukte, die intersubjektiv überprüft werden können. Diese Unterscheidung ist nicht zuletzt aus dem Risiko-Management als einer Sparte des Komplexitätsmanagements vertraut: Dort operiert man mit Einstellungen zum Risiko (z. B. Risikoaversion) oder mit der Einschätzung der Sicherheit (z. B. Bayesscher Wahrscheinlichkeitsbegriff) als subjektiven Bausteinen. Die objektiven Erscheinungsformen verdanken ihren Status einer wissenschaftlichen Analyse oder einem sozialen Konsens. Im Risikomanagement schlägt sich diese Differenzierung in einer Unterscheidung zwischen subjektiven und objektiven Wahrscheinlichkeiten zur Messung von Unsicherheit als einer Facette von Komplexität nieder.

Aus der Perspektive des Managements von Komplexität unterscheiden sich die skizzierten Beispiele auch bezüglich der Komplexität des Managements, gemessen anhand der Eingriffsintensität durch Manager: Hier gibt es einerseits Erscheinungsformen einer gewachsenen Komplexität, etwa das Bevölkerungswachstum, die Polarisierung von Gesellschaften oder Extremwetterlagen. Diese Komplexitätsphänomene sind nicht das Resultat von komplexitätsorientierten Interventionen. Vielmehr stellen sie Bedingungen für ein Komplexitätsmanagement dar. Die Palette der Modelle emergenter Komplexitätsphänomene enthält beispielsweise Koevolution, begrenzte Rationalität (infolge von Restriktionen in den kognitiven Infrastrukturen von Menschen), ökologische Rationalität (heuristische Nutzung von Orientierungsdaten im Umsystem), Pfadabhängigkeit, das Transitivitätsprinzip (»Feinde meiner Freunde sind auch meine Feinde«), die Regression zur Mitte (in der Statistik), die Tendenz zur Mitte (bei der Datenerhebung via Befragungen), die virale Verbreitung von Krankheiten und Informationen, etwa Gerüchte oder Mundpropaganda, Faustregeln (»Die Wahrheit liegt in der Mitte«), »Frozen Accidents« (Zufallsereignisse determinieren die langfristige Entwicklung von Systemen), Perkolation (Ausbreitung von Konflikten und Epidemien), Kettenreaktionen, Domino-Effekte (Vielzahl von Betroffenen), Chunking, Framing, Stereotypen, Antifragilität (Bendell 2014), das Gesetz von Brooks, das Einfachheitsparadox, kalte Progression, schleichender Funktionszuwachs (Scope Creep: die unkontrollierte Ausdehnung des Leistungsumfangs eines Projekts bzw. der Anforderungen an die Projektoutputs) und der Second-System Effekt (Nachfolger-Modelle von erfolgreichen Vorgänger-Versionen werden überdimensioniert). Hinzu kommen Varianten unbeabsichtigter Folgen, Paradoxien sowie Trends und Hypes. Tatsächlich befassen sich Modelle emergenter Komplexität sehr oft mit Irrationalität, Dysfunktionalitäten, Fehlfunktionen und Paradoxien, z. B. mit Amnesie, Kannibalisierung zwischen Geschäftsfeldern, dem Umgang mit kognitiver Dissonanz, mit mentalen Verzerrungen (»Biases«, Caputo 2013), mit neurotischen Abwehrmechanismen, bipolaren Störungen oder der Adverse Selection.

Die skizzierten Komplexitätsphänomene unterscheiden sich graduell, mitunter auch radikal von den Erscheinungsformen der gemachten Komplexität, beispielsweise Quotenregelungen und Strategien der Desinformation oder Standardisierung. Diese Komplexitätskonzepte sind das Ergebnis einer intendierten Komplexitätssteigerung oder Komplexitätsverringerung auf der Suche nach einer »optimalen« Komplexität. Sie basieren auf Ziel-Mittel-Modellen der Standardisierung, Commoditisierung, Industrialisierung von Service-Geschäftsmodellen, dem Einsatz von Carry-over-Parts, der Eliminierung (z. B. negativer Aspekte), Glättung, Mittelung, Linearisierung, Beschleunigung, des Versteckens, Tarnens oder des Postponement, etwa der späten Komplettierung einer Computer-Auslieferung mit Software, Netzkabeln oder Manuals (Zinn 2019). Darüber hinaus zielen z. B. einige komplexitätsbasierte Cyber-Angriffe wie E-Mail-Bombardierung darauf ab, die Kapazität von Servern zu überfordern. Bei der Preisgestaltung kann man mehr Transparenz (d. h. weniger Komplexität für die Zielgruppe) durch eine sogenannte partitionierte Preisgestaltung erreichen, weniger Transparenz (d. h. mehr Komplexität) hingegen durch Drip-Pricing (z. B. Sternchen-Preise).

Nicht nur bei der Komplexität, auch beim Management von Komplexität firmiert nicht jede komplexitätsfokussierte Erscheinungsform von Management explizit unter »Komplexitätsmanagement«. So handelt es sich auch beim Innovationsmanagement, Risk Management, Internationalen Management, der Konstruktion von Hybriden (z. B. hybride Wettbewerbsstrategien, Lernmethoden, Pflanzen, Materialien, Fahrzeuge), Change Management und Konfliktmanagement insofern um Teilgebiete des Komplexitätsmanagements, als diese sich jeweils auf eine spezielle Dimension der Komplexität fokussieren.

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