Читать книгу Die Pferdelords 02 - Die Kristallstadt der Zwerge - Michael Schenk - Страница 5

Kapitel 3

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Der Mann war von ungewöhnlich kleiner Statur, und hätte er nicht auf dem

Rücken eines grobknochigen Wallachs gesessen und den grünen Umhang

eines Pferdelords getragen, so hätte man ihn wohl für einen Knaben oder

einen der sagenumwobenen Zwerge gehalten. Hinzu kam, dass der Mann eine

gewaltige, seine Statur noch überragende Streitaxt geschultert hatte. Das

Gesicht des Reiters war faltig und von Wind und Wetter gegerbt. Von der

rechten Wange her zog sich eine breite Narbe bis zum Kinn hinunter,

wodurch sein Lächeln verzerrt und grimmig wirkte. Der Name des Reiters

war Dorkemunt.


Vor Jahren hatte er seine gesamte Familie bei einem Überfall der Orks

verloren, und es hatte ihn mit den Pferdelords des Königs in die Hochmark

verschlagen, wo er eine neue Heimat fand. Dorkemunt war kein Schwertmann

Garodems, wie man an seiner Ausrüstung erkennen konnte. Er trug keinen

metallenen Panzer, nicht einmal ein Kettenhemd, sondern lediglich einen

Brustharnisch aus dickem und sorgsam poliertem Leder. Dieses war ebenso

mit Messingringen verziert wie der mit Leder bespannte Metallhelm, der glatt

und rund war, an dem jedoch der Rosshaarschweif der Schwertmänner fehlte.


Dennoch ritt Dorkemunt bei dieser Patrouille einer kleinen Schar von

Männern aus Garodems ständiger Wache voran, denn die Instinkte des

kleinwüchsigen Mannes waren in der Hochmark legendär. Dorkemunt war

auf eigene Faust durch die Marken des Königs gezogen, damals, als die

Legionen der Dunklen Mächte das Land zu überfluten schienen, und er hatte

an den Bestien Rache für den Mord an seiner Familie genommen. Dabei war

er Nedeam, einem Knaben aus der Hochmark, begegnet und zu dessen

Mentor geworden. Gemeinsam mit den Truppen des Königs der Pferdelords

waren sie in die Hochmark zurückgekehrt, gerade rechtzeitig, um die

Menschen von Eternas zu retten. Damals hatte Dorkemunt den Anführer der

orkischen Legion im Zweikampf bezwungen. Nun bewirtschaftete er

zusammen mit Nedeam den Hof von dessen Mutter Meowyn, doch der

kleinwüchsige Pferdelord war plötzlich von einer unbestimmten Unruhe

erfüllt worden. Er hätte sie nicht in Worte fassen können, und viele Worte

waren ohnehin nicht nach seinem Geschmack. Aber dieses vage Gefühl hatte

ihn dazu getrieben, sich einer Patrouille der Schwertmänner anzuschließen,

welche die nördliche Grenze der Hochmark, und damit auch des

Herrschaftsgebietes der Pferdelords, abreiten sollte. An Dorkemunts Seite ritt

Kormund, Schwertmann Garodems und Befehlshaber der kleinen Schar. Der

stämmige Mann führte an seiner Lanze den Wimpel des Beritts, ein langes

dreieckiges Tuch in der grünen Farbe der Pferdelords. Es war mit dem blauen

Saum der Hochmark eingefasst und zeigte in weißer Stickerei das Symbol der

Mark.


Die kleine Schar war seit mehreren Tagen unterwegs und hatte bislang

keinen Feind zu Gesicht bekommen, aber das hatte eigentlich auch niemand

erwartet. An den südlichen und westlichen Grenzen der Hochmark konnten

gelegentlich Barbaren eindringen, doch waren es meist nur kleine Gruppen,

und die Pferdelords vermuteten, dass es sich weniger um organisierte

Raubzüge denn um lose Verbände von Barbaren handelte, die von ihren

Stämmen verstoßen waren und sich auf der Suche nach Essbarem

zusammengeschlossen hatten. Diese kleinen Gruppen begnügten sich meist

damit, einsame Gehöfte zu belauern und von dort Wolltiere oder Hornvieh zu

stehlen. Nur selten griffen sie die Bewohner an, denn sie wussten, welche

Rache die Pferdelords nehmen würden.


Kein Windhauch rührte sich über der alten Straße, der die Schar der

Pferdelords bereits seit drei Tagen folgte. Kormund klemmte die Lanze mit

dem Wimpel an den Körper und löste den Kinnriemen seines Helms.

Seufzend wischte er sich den Schweiß von der Stirn. »Hier gibt es nichts als

Felsen, Stein und Staub«, knurrte der Scharführer missgelaunt. »Ich sollte

froh darüber sein, doch ein wenig Abwechslung täte mir wohl.«


Dorkemunt blickte die Straße entlang. Nun, gegen Mittag, schien die

Sonne mit ganzer Kraft in die Schluchten des Gebirges hinein und erfüllte sie

mit gleißendem Licht und sengender Wärme. »Ich glaube, diese Straße ist

schon seit Generationen nicht mehr benutzt worden. Man sagt, früher habe

man über diese Straße Handel mit den Zwergen getrieben.«


»Zwerge.« Kormund setzte den Helm wieder auf und zurrte den

Kinnriemen fest. Er blickte zu den anderen Reitern der Schar zurück. Die

Hufe der Pferde wirbelten den feinen Staub auf, der den Boden bedeckte, und

die beiden letzten Männer der Gruppe wirkten grau gepudert. Selbst die

blauen Rosshaarschweife ihrer Helme hatten an Farbkraft eingebüßt. »Sie

gehören sicher zum Reich der Sage, diese Zwerge.«


»Ja.« Dorkemunt lachte. »Genauso wie die Elfen.«


Die beiden erfahrenen Pferdelords grinsten einander an. Vor Jahren hatten

sie alle geglaubt, es gäbe keine Elfen, doch dann waren Lotaras und Leoryn in

die Hochmark gekommen. »Nun gut, es mag sie geben«, räumte Kormund

ein. »Irgendwo im Gebirge, mein Freund.« Er grinste breit. »Vielleicht reiten

wir gerade in diesem Augenblick über eine ihrer Städte hinweg? Wer vermag

das zu sagen?«


»Wir sind jetzt drei volle Tage unterwegs«, meinte einer der Reiter hinter

ihnen. »Was können wir hier noch finden? Wir sollten umkehren, Kormund.«


»Ah, Mortwin, du hast nur Angst, das Spiel zu versäumen«, sagte der

neben dem Mann reitende Pferdelord.


»Und selbst wenn.« Mortwin beugte sich im Sattel vor und spähte mit

theatralischer Geste um sich. »Hier draußen ist nichts. Nichts außer Steinen

und Staub.«


»Du brauchst dich nicht zu hetzen, Mortwin«, lachte sein Flankenreiter.

»Ihr vom Horngrundweiler werdet ohnehin verlieren.«


»Das ist nicht wahr«, ereiferte Mortwin sich. »Wir sind weitaus besser als

…«


»Haltet eure Zungen im Gehege eurer Zähne«, knurrte Kormund. »Ihr keift

wie alte Weiber. Da könnte sich ja eine ganze Legion von Orks anschleichen,

ohne dass wir etwas mitbekommen.« Er hob die Hand. »Wir rasten hier,

Männer. Sitzt ab, aber haltet Augen und Ohren offen. Wir werden danach

noch ein kurzes Stück reiten und dann wieder umkehren.«


Sie hätten gerne Schatten aufgesucht, aber zu dieser Tageszeit boten die

umliegenden Felsen keinen Schutz. Die Männer saßen ab, nahmen die Helme

vom Kopf und füllten etwas Wasser aus den Feldflaschen hinein, um den

Tieren davon zu saufen zu geben, dann ließen sie ihre Pferde frei laufen. Es

waren ausgebildete Pferde, die sich nicht weit von ihren Reitern entfernten.

Im Kampf stellten ihre Hufe und Gebisse tödliche Waffen dar, allerdings

dauerte es seine Zeit, ein Pferd auf diese Weise zu schulen, denn es musste an

Lärm und Blut und alle sonstigen Begleiterscheinungen eines Kampfes

gewöhnt werden. Allein der flatternde Wimpel eines Beritts konnte ein Pferd

dann noch nervös machen.


Kormund stöhnte, als er die Lanze mit dem Wimpel den spitzen

Bodendorn voran in den steinigen Untergrund rammte.


Dabei beobachtete Dorkemunt, wie der stämmige Mann eine Hand unter

seinen Brustpanzer schob und sich über die Brust rieb. »Schmerzt die

Narbe?«


Kormund stöhnte erneut. »Wie verrückt. Ich glaube, wir bekommen einen

Gewittersturm. Dann schmerzt sie nämlich immer höllisch.«


Kormund war beim Angriff der Orks auf die Burg Eternas durch einen

Pfeilschuss in die Brust getroffen worden, doch er hatte überlebt. Und obwohl

die Narbe ihn sichtlich behinderte, war der Scharführer nicht bereit, es sich

selbst oder anderen einzugestehen.


Dorkemunt spähte in den blauen Himmel und sog warme Luft durch die

Nase ein. »Es wird aber keinen Gewittersturm geben.«


Kormund spülte sich den staubigen Mund mit einem Schluck aus der

Wasserflasche und spuckte aus, bevor er begann, seinen Durst zu stillen. »Das

Wetter kann in den Bergen von einem Augenblick zum andern umschlagen,

guter Freund. Ah, ich sage dir, ein Gewittersturm in den Bergen ist gewaltig.

Seine Blitze können selbst Felsen spalten.« Kormund nahm erneut einen

langen Schluck. »Mein Vater, ein guter Kämpfer, sagte immer, es sei der

Zorn toter Pferdelords, die nicht den Weg in die Goldenen Wolken gefunden

hätten. Sie seien nicht ehrenhaft gestorben und dazu verurteilt, auf ewig in

dunklem Zorn zu grollen. Er meinte, es sei das Funkeln ihrer Waffen, das die

gleißenden Blitze entsende. Vielleicht wollte er mich damit anspornen, tapfer

zu sein und als wahrer Pferdelord zu den Goldenen Wolken zu reiten.« Er rieb

sich erneut die Brust. »Ich sage dir, Dorkemunt, mein Freund, es wird einen

gewaltigen Gewittersturm geben.«


Dorkemunt blähte schniefend die Nüstern und schüttelte den Kopf. »Es

wird keinen geben. Glaube mir, ich habe ein oder zwei Monde mehr als du

auf dem Buckel, Kormund, mein Freund, und ich garantiere dir, es gibt

keinen Sturm.«


»Nur Felsen, Stein und Staub«, brummte Kormund. »Seit drei Tagen nichts

anderes. Es wird Zeit, dass wir in die grüne Ebene von Eternas zurückkehren.

»Shib!«, fluchte er und rieb sich wieder die Brust. »Ich garantiere dir,

Dorkemunt, es gibt einen Gewittersturm.« Er grinste plötzlich. »Oder hier

schleichen Orks herum, auch dann schmerzt meine Brust.«


Dorkemunt erwiderte den Blick des Scharführers, und sie verstanden

einander. »Ich spüre schon seit Tagen etwas. Ich kann es nicht in Worte

fassen, Kormund, mein Freund, aber ich spüre, dass etwas vor sich geht.«


Kormund sah den alten Reiter forschend an. »Der Instinkt eines alten

Pferdelords?«


Dorkemunt nickte. »Ja, der Instinkt eines alten Pferdelords.«


Kormund stieß ein grimmiges Knurren aus. »Ich bin zu alt, um deine

Vorahnungen auf die leichte Schulter zu nehmen. Ich kann mich noch gut

daran erinnern, wie es damals vor über drei Jahreswenden war. Habe ich dir

einmal erzählt, wie wir den getöteten Boten des Königs am Pass fanden und

dann plötzlich die Orks auftauchten?«


»Du hast es erzählt, mein Freund«, sagte Dorkemunt und reckte sich

ausgiebig.


Sie aßen etwas Brot und Käse und spülten es mit Wasser hinunter.

Kormund schüttelte nachdenklich seine Feldflasche. »Wenn wir sparsam sind,

reicht es gerade noch bis zu dem kleinen Gebirgsbach, an dem wir gestern

vorbeigekommen sind.«


Dort, an der kleinen Quelle, hatten sie eine Raubkralle entdeckt, die hastig

vor ihnen in die Schatten der Felsen geflüchtet war. Aber die Raubkralle war

weit weg von Eternas und stellte keine Gefahr für die dortigen Wolltiere dar.

Zudem war sie so klein gewesen, dass ihr Fell dem Jäger keine Ehre

eingebracht hätte, also hatten sie den verschreckten Räuber laufen lassen.


Kormund zog die Wimpellanze aus dem Boden, gab das Zeichen zum

Aufbruch, und die sechs Männer saßen auf. Langsam ritten sie weiter nach

Norden, und ihre Blicke suchten die alte Straße und die steil aufsteigenden

Felswände ab. Nur Mortwin schlief im Sattel ein und schnarchte leise, bis

sein Flankenreiter ihn anstieß. Das Pochen der beschlagenen Hufe schien

unnatürlich laut von den hoch aufragenden Felswänden widerzuhallen. Die

Schatten begannen allmählich länger zu werden, doch es reichte noch nicht

aus, den Männern und Pferden eine lindernde Kühle zu verschaffen.


»Nur Felsen, Staub und Stein«, sagte Kormund leise. »Und nicht der

geringste Windhauch.«


»Wir könnten ein wenig galoppieren«, meldete sich Mortwin. »Dann bliese

uns der Reitwind ins Gesicht.«


»Wenn du Wind willst, dann steig ab und laufe«, knurrte Kormund. »Die

Pferde werden jedenfalls geschont.«


Alle zwei Zehnteltage saßen sie ab, um die Pferde zu führen. Selbst wenn

sich keine Gefahr zeigte, schonten die Pferdelords so ihre Rosse für den Fall,

dass eine schnelle Attacke oder ein plötzlicher Rückzug erforderlich würde.

Nur Mortwin stieß jedes Mal ein unwilliges Brummen aus, wenn er absitzen

musste.


Schließlich riss Kormund den Arm mit der Lanze in die Luft, und die

Schar hielt an. »Wir sind weit genug geritten.« Er wollte sein Pferd gerade

herumziehen, als er stutzte. Dorkemunt konnte erkennen, wie sich die Augen

des Scharführers verengten, bevor er sie mit der freien Hand beschattete. »Sag

einmal, Dorkemunt, mein Freund, habe ich dir schon erzählt, wie wir vor

Jahren den getöteten Boten des Königs am Südpass gefunden haben?«


»Ja, mein Freund«, bestätigte der kleinwüchsige Reiter, und sein Blick

wurde forschend. »Das hast du getan«, fügte er dann mit tonloser Stimme

hinzu, denn nun hatte auch er gesehen, was seinen Freund stutzig gemacht

hatte. »Und du hast auch erzählt, dass schon bald darauf die Orks in der

Hochmark auftauchten.«


»Sie haben immer noch nicht gelernt, ordentliche Pfeile herzustellen«,

sagte Kormund leise und hob die Wimpellanze erneut in die Höhe, diesmal

quer über seinen Kopf.


Die vier anderen Pferdelords merkten nun, dass etwas vor sich ging, und

folgten dem Signal des Scharführers. Sie trieben ihre Pferde rechts und links

neben Dorkemunt und Kormund und nahmen die klassische Schwarmreihe

ein. Dabei vergewisserten sie sich, dass die Schwerter griffbereit waren.


»Nein, keine ordentliche Befiederung«, erwiderte Dorkemunt. »Aber es

reicht, um zu töten.«


Ein Stück weiter die staubige Straße entlang lag am Wegrand ein

Gegenstand, der sich deutlich von den umgebenden Felsen abhob. Er zeigte

weder die typische Maserung des Gesteins noch das sanfte Grün der

Moosflechten. Stattdessen leuchtete ein kräftiges Braun unter dem staubigen

Grau hervor. Aus dem braunen Bündel ragte der dünne Schaft eines Pfeils

heraus, dessen struppige schwarze Befiederung den Männern verriet, dass es

sich um den Pfeil eines orkischen Spitzohrs handelte.


Kormund richtete die Wimpellanze nun parallel zum Weg aus und hielt

deren Spitze schräg nach unten, womit er seinen Begleitern bedeutete,

langsam vorwärtszureiten. Hätte er sie waagerecht nach vorn gehalten, so

wäre der Beritt augenblicklich in Galopp verfallen. Aber noch war kein Feind

zu sehen, nur der Gegenstand, aus dem der Pfeil emporragte.


Die schmale Reihe der Pferdelords ritt vorsichtig auf das Bündel zu.

Kormund wusste, dass er sich auf seine Männer verlassen konnte. Die beiden

äußeren Reiter würden ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Felswände

an den Seiten der alten Straße richten, während die restlichen Gefährten diese

selbst im Blick haben würden.


Ein Stück weiter die Schlucht entlang war ein leises Poltern zu hören, und

keiner der Pferdelords ging davon aus, dass die Erosion diesen Stein gelöst

hatte.


»Dorkemunt«, knurrte Kormund, »dein Pferd ist noch am frischesten, und

du bist der leichteste Reiter. Sollten wir in Schwierigkeiten geraten, wirst du

wie ein Elf reiten und die Hochmark warnen. Lass dich hinter die Linie

zurückfallen.«


»Vergiss es, mein Freund«, erwiderte Dorkemunt. »Den Bissen werden wir

uns teilen.«


Die Szenerie vor ihnen war nun in Bewegung geraten.


Zuerst war es nur ein einzelnes Spitzohr, das sichtlich überrascht war, als

es die Reiter in den grünen Umhängen vor sich erblickte, und der Kopf mit

den spitzen Ohren schien nervös zu zucken. Dann tauchten weitere Orks auf,

Spitzohren im ledernen Harnisch und Rundohren in ihren metallenen

Rüstungen.


»Verdammte Brut«, fluchte Kormund. »Das ist ein ziemlich großer Bissen.

Lasst uns zuschlagen, bevor er zu groß wird. Schneller Ritt …«, gab er die

Losung der Pferdelords.


»… und scharfer Tod«, ergänzten die Männer.


Sie trieben ihre Rosse aus dem Stand in einen schnellen Galopp, und die

Tiere reagierten so spontan auf den Schlachtruf der Pferdelords wie die

Männer selbst. Der Hufschlag hallte von den Felswänden wider, und die

Gruppe der Orks begann ihre Kampfformation einzunehmen. Die Rundohren

schwärmten zu einer schmalen Linie aus, welche die gesamte Breite der

Schlucht einnahm. Dabei schwangen sie ihre groben Schlagschwerter und

brüllten angriffslustig dem Feind entgegen. Hinter den Rundohren hatten die

kleineren Spitzohren eine zweite Linie gebildet und legten nun die Pfeile an

die Sehnen ihrer Bogen.


Schon begannen vereinzelt Pfeile zu zischen, doch die heranstürmenden

Pferdelords ließen sich durch die Geschosse nicht beirren. Sie alle führten die

Rundschilde des Reitervolkes links am Sattel, doch diese Schilde wurden nur

zum Kampf am Boden genutzt. Wer vom Pferderücken aus kämpfte, brauchte

Bewegungsfreiheit, und die Schilde engten diese nur ein. So mussten sie die

Pfeile der Orks hinnehmen, doch sie wussten, dass den Spitzohren nur wenig

Zeit blieb, ihre Bogen einzusetzen.


Dorkemunt hatte seine große Streitaxt zum Hieb bereit an die Schulter

gelegt und fühlte den Schlag, mit dem sich ein Pfeil in den Schaft der Waffe

bohrte. Ein anderer Pfeil durchschlug die am Sattel hängende Wasserflasche,

deren ausfließendes Wasser die Flanke des Pferdes nässte. Dorkemunt liebte

seinen starken Wallach, der sich nicht mehr um rossige Stuten bemühte und

sich schon gar nicht an orkischen Pfeilen störte. Das Tier hatte seinen Kopf

weit vorgereckt und bleckte das Gebiss, begierig darauf, seine Zähne in den

Leib eines Orks zu schlagen.


Der Berittwimpel an Kormunds Lanze knatterte im Wind. In seinem

Rücken hörte der Scharführer einen grimmigen Fluch und wusste, dass einer

seiner Männer getroffen war. Aber er blickte nicht zurück, sondern suchte mit

den Augen sein erstes Ziel, denn die Pferdelords schienen der Gruppe der

Orks förmlich entgegenzufliegen.


Die Orks waren anfangs nur eine knappe Hundertlänge von den

Pferdelords entfernt gewesen, und als die Gruppen aufeinanderprallten, hatten

es die Bogenschützen gerade einmal geschafft, drei bis vier Pfeile je Bogen zu

lösen.


Kormunds Wimpellanze durchdrang mit metallischem Schlag die Rüstung

eines Rundohrs und warf das brüllende Wesen nach hinten, während das

Reittier des Scharführers nach einem quiekenden Spitzohr schnappte, das

vergeblich den gelblichen Zähnen auszuweichen versuchte. Kormund überritt

derweil das sterbende Rundohr, machte eine Drehbewegung mit der Lanze

und löste sie so aus dem Körper des Orks. Der neben ihm reitende Dorkemunt

ignorierte das zur Abwehr erhobene Schlagschwert einer anderen Bestie und

ließ seine Axt durch den Helm des Rundohrs in dessen Schädel sausen.


Auch die anderen Pferdelords brachen kraftvoll in die Linien der Orks ein,

und der Rausch des Kampfes erfasste Menschen, Pferde und Orks

gleichermaßen. Staub wirbelte auf, als die Reiter sich in blutige Zweikämpfe

verwickelten. Auch wenn die Gruppe der Orks klein war, standen doch

wenigstens fünf von ihnen gegen jeden der Menschen. Aber diese Menschen

waren Pferdelords und erfahren im Kampf. Einer der Reiter krümmte sich

aufschreiend im Sattel, während über seinen gebeugten Rücken hinweg die

Lanze eines anderen Pferdelords in das aufgerissene Maul eines Rundohrs

stach. Einer der Reiter schleuderte seine Lanze in die Brust eines Angreifers,

dann zog er mit einer gleitenden Bewegung sein Schwert aus der Scheide und

stieß einen triumphierenden Schrei aus. Blut bespritzte die Kämpfer, und

meist war es das schwarze Blut der Bestien.


Von der Flanke her sprangen drei Orks einen der Reiter an und zerrten ihn

aus dem Sattel. Der Pferdelord hieb fluchend mit der Klinge um sich und

tötete zwei der Angreifer, bis ein Schlagschwert ihm beinahe den Kopf vom

Rumpf trennte. Ein anderer Ork versuchte Dorkemunt aus dem Sattel zu

ziehen. Die orkischen Schlagschwerter wirkten mit ihrer langen breiten

Klinge zwar plump, doch konnte man sich mit deren hakenförmigen Spitzen

an einem Reiter festklammern und diesen vom Pferd reißen. Dorkemunts

Wallach schien die Gefahr zu spüren. Er drehte sich ein wenig, und die Hufe

seiner Hinterhand trafen die Brust des Rundohrs, dessen metallene Rüstung

eingedrückt wurde und der Bestie einen qualvollen Erstickungstod bescherte.


Der aufwirbelnde Staub nahm den Kämpfenden zunehmend die Sicht, bis

Freund und Feind nur noch als Schemen zu erkennen waren. Die Orks

orientierten sich daran, dass nur, wer auf dem Pferd saß, auch ein Feind war,

und Dorkemunt machte sich dies zunutze. Er sprang von seinem Pferd und

schwang seine langstielige Axt in weit ausholenden Bewegungen. Mortwin

folgte seinem Beispiel. Er glitt vom Pferd, nahm seinen Rundschild und trat

Rücken an Rücken zu Dorkemunt.


Der Kampf war so überraschend schnell vorbei, wie er begonnen hatte.

Noch eine Weile hörten die Pferdelords das wütende und klagende Gebrüll

einiger vereinzelter Orks, die es vorgezogen hatten, den Klingen der

Menschen zu entfliehen. Dorkemunt schrie ihnen Schmähungen hinterher und

forderte sie auf, stehen zu bleiben und zu kämpfen, aber sie zogen sich

zurück.


Langsam begann sich der Staub zu legen, und statt des Kampfgelärms

waren nur noch das Schnauben der Pferde und das Stöhnen der Verwundeten

zu hören. Dorkemunt legte seine bluttriefende Axt an die Schulter und

bemerkte den abgebrochenen Schaft des Pfeils, der im Stiel seiner Waffe

steckte. Während er sich auf dem Kampfplatz umsah, brach er den

Pfeilstumpf heraus und warf ihn grimmig fluchend von sich.


Der Boden der Schlucht war über und über mit den Leichen der Orks

bedeckt. Ihr Blut hatte Boden und Felsen getränkt. Die dicken Rüstungen der

Rundohren hatten ihre Träger nicht vor den Lanzen und Schwertern der

Pferdelords schützen können. Auch drei Pferdelords waren am Boden, doch

nur einer von ihnen würde sich nie wieder erheben.


Dorkemunt verweilte nur kurz bei dem Toten und ging dann zu den beiden

Verletzten hinüber. Einem von ihnen klaffte eine Pfeilwunde an der Schulter,

dem anderen hatte ein orkisches Schlagschwert das Bein aufgerissen. Auch

zwei der Pferde waren verletzt worden, eines von ihnen so schwer, dass es

wohl nicht zu retten war. Auf dem Weg zu den Verwundeten bemerkte

Dorkemunt die schwache Bewegung eines verletzten Rundohrs, und in einer

wie beiläufig wirkenden Geste schwang er die Axt von der Schulter herunter

und schlug sie in die Brust des Orks.


»Überprüft die Bestien«, sagte Kormund heiser. »Einige könnten sich nur

tot stellen.« Er steckte die Wimpellanze in den Boden. Das dreieckige Tuch

war mit Orkblut besudelt. »Zeige deine Wunde, Haronem. Sie sieht übel aus.«


Der am Bein Verwundete verzog das Gesicht. »Nicht viel mehr als ein

Kratzer.«


»Ein recht großer Kratzer, wie mir scheint«, entgegnete Kormund, als er

das Bein genauer untersuchte. »Aber die Klinge hat tatsächlich keines der

großen Blutgefäße durchtrennt. Du hast Glück gehabt, Haronem. Wirst du

reiten können?«


»Ich werde es schaffen«, versicherte der Pferdelord und begann mit seinem

Dolch einen breiten Tuchstreifen von seinem Umhang abzutrennen, um damit

sein Bein zu verbinden.


Der an der Schulter verletzte Reiter sah Kormund tapfer an. »Er steckt zu

tief, Kormund.«


Der Scharführer nickte. »Dann werden wir ihn durchstoßen müssen, oder

wir brechen ihn ab, und Meowyn, die Heilerin, mag ihn später

herausschneiden.«


»Nichts gegen die Heilerin«, sagte der Verletzte, »aber das Mistding

schmerzt höllisch.«


»Gut«, entschied Kormund. »Dann stoßen wir ihn durch.«


Einfache Jagdpfeile hatten eine glatte Spitze, sodass man sie gut aus einem

erlegten Wild herausziehen konnte, Kriegspfeile dagegen trugen Widerhaken,

damit ein getroffener Feind sie nicht ohne weitere Verletzungen entfernen

konnte. Wenn man sie zur anderen Seite durchstoßen wollte, um die Spitze

abbrechen zu können, musste man achtgeben, dabei keine anderen Organe

oder großen Blutgefäße zu verletzen.


Kormund trennte die Oberbekleidung Haronems mit dem Dolch auf und

betastete die verletzte Schulter. Aufmunternd zwinkerte er ihm zu.


»Du hast Glück. Ich kann die Spitze auf der anderen Seite fühlen.«


Der Verwundete nickte mit zusammengebissenen Zähnen. »Dann bringen

wir es hinter uns. Hoffentlich haben die Orks sie nicht mit irgendeinem Mist

bestrichen.«


Orkblut war für den Menschen giftig, und wenn es in Wunden geriet, gab

es schwere Infektionen, die zum Tod führen konnten. Noch schlimmer war

die Gefahr, wenn die Pfeilspitzen mit orkischen Fäkalien bestrichen waren.

Doch auch hierin hatte Haronem Glück. Kormund stieß den Pfeil mit einem

kurzen Ruck nach hinten durch, brach die Spitze vom Schaft und zog diesen

dann wieder nach vorne aus der Wunde heraus. Haronem war erleichtert, als

er sah, dass an der metallenen Spitze nur sein eigenes Blut schimmerte.


Während Mortwin herbeieilte, um dem Verletzten beim Anlegen eines

Verbandes zu helfen, trat Kormund zu seinem Freund Dorkemunt. »Wir sind

glimpflich davongekommen.«


Dorkemunt nickte. »Der Orkpfeil, der in dem Toten steckte, hat uns

vorgewarnt. Wir waren einfach schneller.«


Sie blickten einander an und dachten an den Toten, der ein gutes Stück die

Straße zurück am Wegrand lag. »Die Bestien waren offenbar hinter dem

Fremden her und haben ihn verfolgt«, sagte Kormund nachdenklich. »Sie

müssen überrascht gewesen sein, uns zu begegnen. Sehen wir uns einmal an,

hinter wem sie so eifrig her waren.«


Sie gingen den Weg zurück und erreichten bald das seltsame braune

Bündel, in dem der Orkpfeil steckte.


»Ein Kind«, brummte Kormund und beugte sich vor.


»Mit einem Helm?« Dorkemunt schüttelte den Kopf. »Das war kein

Kind.«


Sie wälzten den leblosen Körper herum und fuhren zusammen, als sie ein

leises Stöhnen vernahmen. »Bei den Goldenen Wolken«, flüsterte Kormund,

»er lebt noch.«


Es war ein kleinwüchsiges Wesen, noch etwas kleiner als Dorkemunt,

doch seine Statur wirkte ungeheuer kompakt. Die Falten seines Gesichts und

der dichte rote Bart verrieten, dass es sich um einen älteren Mann handeln

musste. Aber konnte man da sicher sein?


»Meinst du, das ist ein Zwerg?« Dorkemunt kratzte sich im Nacken. »Was

hat ihn hierhergeführt? Und sieh dir seine Rüstung an. Sie ist sehr kunstvoll

gearbeitet. Ihr Träger muss von hohem Rang sein.«


»Das alles werden wir wohl nur erfahren, wenn ihr Träger auch am Leben

bleibt.« Kormund begann die Schnallen der Rüstung zu lösen und zog diese

dann behutsam vom Körper des Verwundeten. Das dicke Wams des Mannes

war rot durchnässt. »Er hat viel Blut verloren. Der Pfeil steckt tief, und ich

kann ihn nicht entfernen.«


»Dann schneide ihn ab. Wir sollten feste Polster um den Schaft binden,

damit der Bursche nicht noch mehr Blut verliert.« Dorkemunt seufzte. »Wir

müssen ihn zu Meowyn bringen, aber ich glaube nicht, dass er es durchstehen

wird.«


Haronem kam vom Kampfplatz herüber. Er hatte seine zerschnittene

Oberbekleidung notdürftig umgelegt. »Was ist mit Hosmund?«


Der tote Pferdelord. Sie mussten ihn bestatten, wie es der Brauch

verlangte.


Sie versorgten den Unbekannten, so gut sie es vermochten, dann schritt

Dorkemunt zu dem schwer verwundeten Pferd und erlöste es mit einem Hieb

seiner Axt. Es war Hosmunds Reittier gewesen, und so würde es ihn auf dem

letzten Ritt zu den Goldenen Wolken begleiten. Dorkemunt trennte die Zügel

des toten Tieres ab und ging zu der Stelle, wo die anderen bereits ein flaches

Grab aushoben. Als es tief genug war, legten sie Hosmund hinein, wobei sie

darauf achteten, dass sein Kopf richtig gebettet war. Dann gaben sie dem

Toten seine Klinge in die eine Hand und die Zügel seines erschlagenen

Pferdes in die andere, und Kormund sprach den Eid der Pferdelords. »In des

Lebens Wonne und des Todes Not, soll Eile sein stets das Gebot, in Treue fest

dem Pferdevolk, der Hufschlag meines Rosses grollt, soll Lanze bersten,

Schild zersplittern, so wird mein Mut doch nie erzittern, ich stehe fest in jeder

Not, mit schnellem Ritt und scharfem Tod.«


Der Scharführer seufzte leise. »Hosmund war ein guter Schwertmann und

Pferdelord. Er hat dem grünen Umhang wirklich alle Ehre bereitet. So lasst

ihn uns nun zu den Goldenen Wolken geleiten.«


Sie bedeckten das Grab mit Steinen, dann nahmen sie die grünen

Rundschilde auf und schlugen rhythmisch mit den Klingen ihrer Schwerter

dagegen. Der Rhythmus glich dem Hufschlag eines Pferdes, und das

Trommeln wurde immer schneller, bis es mit einem letzten Schlag

verstummte.


»Möge er zwischen den Goldenen Wolken noch lange reiten«, sagte

Mortwin leise.


Haronem schnüffelte an seinem Umhang und rümpfte die Nase. »Wir

sollten zusehen, dass wir zu dem kleinen Bach kommen. Wir müssen unsere

Kleidung und Rüstung säubern. Es riecht recht übel.«


Dorkemunt nickte. »Das Blut der Bestien stinkt wie ihre Kadaver. Wir

haben reichlich davon vergossen und einiges davon abbekommen.«


»Steckt eure Schwerter nicht in die Scheiden, bis ihr die Klingen gereinigt

habt«, riet Kormund.


Mortwin lachte spöttisch auf. »Wir haben nicht zum ersten Mal das Blut

der Bestien an den Klingen, guter Herr Scharführer. Und wir wissen, dass

man es kaum aus den Scheiden herausbekommt.«


»Schon gut.« Kormund wischte sein Schwert an einem Stück seines

Umhangs ab. Er würde ihn am Bachlauf auswaschen. »Ich habe mich nur um

deine empfindliche Nase gesorgt, guter Mortwin.«


Dorkemunt war der Leichteste von ihnen, und so fiel ihm die Aufgabe zu,

den seltsamen kleinen Mann vor sich in den Sattel zu nehmen. Sie brauchten

zwei Männer, um den Körper des Verletzten hochzustemmen. »Was ihm an

Größe fehlt«, knurrte Dorkemunt, »macht der kleine Herr durch sein Gewicht

wieder wett.«


Kormund ließ die Männer aufsteigen und setzte sich mit dem Berittwimpel

an ihre Spitze. »Die Hochmark muss erfahren, dass erneut Orks an der Grenze

aufgetaucht sind«, sagte er entschlossen. »Und wir müssen herausfinden, was

es mit diesem kleinen Mann auf sich hat. So lasst uns nun eilen, wie es das

Gebot der Pferdelords ist.«


Und so ritten sie an und trugen Balruk, den König der grünen Kristallstadt

Nal’t’rund, in das Land der Pferdelords.


Die Pferdelords 02 - Die Kristallstadt der Zwerge

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