Читать книгу Die Pferdelords 02 - Die Kristallstadt der Zwerge - Michael Schenk - Страница 9
Kapitel 7
ОглавлениеEinohr spürte noch immer den Schock in seinen Gliedern. Er war sich völlig
sicher gewesen, dass sie den fliehenden Zwerg stellen und erledigen würden,
doch dann waren plötzlich diese verfluchten Pferdelords aufgetaucht, mit
ihren flatternden grünen Umhängen und ihren scharfen Klingen, und mit den
Pferden, die sie so schnell zwischen die Gruppe der Orks getragen hatten.
Einohr zupfte nervös an dem Stummel, der ihm von seinem linken
Spitzohr geblieben war. Schon einmal war er den Pferdelords begegnet,
damals, als es schien, man würde die Menschenwesen endgültig besiegen
können. Bei der Schlacht hatte die Lanze eines Reiters sein Ohr durchstoßen
und den größten Teil davon abgetrennt. Aber Einohr konnte sich glücklich
schätzen, denn er hatte die Begegnung im Gegensatz zu den meisten anderen
seiner Mitstreiter überlebt. Er vermisste den abgetrennten Teil seines Ohres
auch nicht sonderlich, denn der verstümmelte Rest verhalf ihm zu größerem
Ansehen. Schließlich hatte er mit den Menschenwesen im Kampf gestanden.
Inzwischen war Einohr zum Unterführer aufgestiegen, und seine Schläue
hatte ihn bislang davor bewahrt, im Konkurrenzkampf mit den anderen den
Kürzeren zu ziehen. Niemand ahnte, dass Einohr ein wenig nachgeholfen
hatte, als sein Vorgänger ausgerutscht und in den feurigen Abgrund gestürzt
war. Aber nach Einohrs Auffassung hatte der alte Unterführer sein Schicksal
verdient, denn er war nicht vorsichtig genug gewesen. Einohr hingegen war
vorsichtig. Wenn es gutes Menschenfleisch gab, aß er immer ein Stück abseits
der anderen, um nicht in die Raufereien der Rundohren zu geraten, die zwar
schrecklich dumm, aber auch ungeheuer stark waren. Er achtete auch darauf,
seiner Gruppe niemals voranzugehen, zumindest nicht in gefährlichem
Gelände oder wenn sie dem Feind begegneten. Seine Aufgabe war es
schließlich, seine Gruppe zu führen, und als Kadaver war ihm das kaum
möglich.
Natürlich achtete Einohr darauf, dass er nicht in den Ruf kam, feige zu
sein. Bei der Eroberung der Zwergenstadt hatte er einen tiefen Schnitt
davongetragen und war mit dem Blut von Zwergenwesen bedeckt gewesen.
Wen ging es etwas an, dass der Schnitt von einem scharfkantigen Fels
herrührte, der ihm bei einem Sturz den Arm aufgeschlitzt hatte? Und
immerhin hatte er zwei Zwerge erschlagen, auch wenn es nur zwei ihrer
Weiber gewesen waren. Hatte er nicht lautstark gefordert, auch die restlichen
Überlebenden zu töten, und so seinen Kampfeseifer bewiesen? Aber Blutfang,
der Führer der Legion, hatte dies verweigert, da der Schwarze Lord anderes
mit den Zwergen vorhatte.
Blutfang und der Schwarze Lord. Die beiden bereiteten Einohr großen
Kummer. Wie das verwundete Rundohr, das sich nun zusammen mit Einohr
zur eroberten Stadt der Zwerge zurückschleppte.
Blutfang hatte Einohr den Befehl gegeben, den fliehenden Zwergenkönig
zu stellen, und es hatte nach einem einfachen Auftrag ausgesehen. Einohr
hatte eine halbe Kohorte geführt und war mit siebzig Rundohren und dreißig
Spitzohren aufgebrochen, eine komfortable Übermacht gegenüber den zehn
entkommenen Zwergenwesen.
Aber diese verfluchten Axtschläger hatten sich in den Felsen versteckt und
Einohrs Halbkohorte einen Hinterhalt gelegt, der eines Spitzohrs würdig
gewesen wäre. Fast vierzig Orks hatte die Gruppe verloren und dabei nur eine
Handvoll Zwerge erschlagen können. Sie hatten nicht einmal Zeit gehabt,
ihren Appetit angemessen zu stillen, denn der Zwergenführer war mit dreien
seiner Krieger entkommen, und sie mussten ihm nachstellen. So hatte sich die
kleine Horde nur ein paar der besten Stücke aus dem Fleisch ihrer Opfer
herausschneiden können und war dann hinter den Flüchtenden hergeeilt. Aber
schließlich, nach langer Hetzjagd, war nur noch der Zwergenkönig übrig
geblieben, noch dazu durch einen Pfeil verwundet. Der Trupp war dem
Flüchtigen dicht auf der Spur gewesen, und Einohr hatte den Auftrag schon
als erledigt angesehen, als plötzlich die verfluchten Pferdelords erschienen
waren.
Ah, der feurige Abgrund möge diese Pferdelords verschlingen. Blutfang
würde seine Fänge zeigen, wenn Einohr ihm die Botschaft überbrachte, dass
der Zwerg entkommen war. Einohr musterte das stöhnende Rundohr vor ihm
auf dem Pfad. Die Lanze eines Pferdelords hatte ihm die Seite durchstoßen,
sodass das Rundohr viel Blut verlor. Es war fraglich, ob es bis zur
Zwergenstadt überleben würde. Und selbst wenn, taugte es allenfalls noch als
Madenfutter.
Doch auch der Zwergenkönig war schwer verletzt worden und sicherlich
schon längst verblutet, das würden auch die verfluchten Pferdelords nicht
verhindert haben können. Ja, der Zwerg war so gut wie tot gewesen, daran
gab es keinen Zweifel. Einohr konnte also beruhigt sagen, dass der kleine
Bastard es nicht geschafft hatte, nicht wahr?
»Ist es noch weit?«, stöhnte das Rundohr wieder.
Sie würden noch einen ganzen Tag benötigen. Viel zu weit für das
verletzte Rundohr. Andererseits waren Rundohren oft unerwartet zäh. Was
wäre, wenn Blutfang unangenehme Fragen stellte? Einohr konnte den Kopf
des Zwerges nicht vorweisen. Immerhin, der Zwerg konnte in eine tiefe
Spalte gestürzt sein, was verhinderte, dass er Blutfang die Trophäe brachte.
Aber das Rundohr war viel zu dumm, um sich nicht zu verplappern.
Es würde besser sein, wenn nur Einohr Bericht erstattete.
Das verletzte Rundohr stützte sich vor ihm an einen Felsen, und Einohr
sah, dass zwischen Brustpanzer und Schenkelschutz dunkles Blut
hervorsickerte und am kräftigen Oberschenkel hinunterrann. »Ist es noch …
weit?«
Einen Pfeil durfte er nicht nehmen, denn Zwerge benutzten keine Bogen.
Es blieb also nur der Kampfdolch, den jedes Spitzohr am Gurt trug.
An diesem Abend nagte Einohr lustlos am Schenkelknochen des
Rundohrs, und das Gesicht des Getöteten zeigte noch immer einen
verwunderten Ausdruck. Nach wenigen Bissen warf Einohr den Knochen von
sich. Das Fleisch der Orks war sehnig und zäh und stellte nur gegenüber Brot
oder dem getrockneten Nährbrei eine Alternative dar. Einohr sehnte sich nach
dem saftigen Fleisch eines Menschenwesens oder eines Zwerges. Am
schmackhaftesten waren die Weiber, wenn sie kurz vor dem Kalben standen.
Es war an der Zeit, wieder in die Zwergenstadt zu kommen. Der Brutmeister
würde ja wohl kaum alle Zwerge zum Arbeiten benötigen.
Einohr zupfte an seinem Ohrstummel, dann zog er seinen Dolch aus der
Kehle des Rundohrs und säuberte ihn, indem er ihn einige Male in den
Erdboden stieß. Er dachte erneut an Blutfang. Er würde dem Legionsführer
einen vernünftigen Bericht liefern und dann endlich wieder vernünftiges
Fleisch zwischen die Kiefer bekommen.
Einohr floss Speichel zwischen den Fängen hervor, als er sich im raschen
Trott der Spitzohren auf den Weg in die grüne Kristallstadt der Zwerge
machte. Ja, er würde Blutfang einen guten Bericht abliefern und dann gutes
Fleisch verzehren.