Читать книгу Die Pferdelords 02 - Die Kristallstadt der Zwerge - Michael Schenk - Страница 7
Kapitel 5
ОглавлениеDie Höhle lag weit im Osten, noch ein gutes Stück hinter den weißen
Sümpfen. Es war eine große Höhle, eigentlich eher ein Höhlensystem. In dem
oberen Gewölbe konnte man auf einem Felsabsatz Ruinen erkennen, die
verrieten, dass einst Zwerge hier gelebt und geschürft hatten, doch nun reichte
das Labyrinth aus Gängen und Kavernen sehr viel tiefer in die Erde hinein,
als Zwerge je gegraben hätten. Je tiefer man kam, desto wärmer wurde es,
und aus manchen Spalten im Fels loderten die Flammen brennenden Gesteins
hervor. An den Wänden der Höhle zogen sich breite Stege entlang, die aus
Holz und Metall errichtet waren und mit dem umgebenden Stein
verschmolzen schienen, als seien sie gleichsam daraus hervorgewachsen.
Seltsam harmonisch und zugleich doch offensichtlich Fremdkörper.
Die Höhlen waren von einer Kakofonie der verschiedensten Geräusche
erfüllt. Man hörte das Hämmern von Schmieden, das Knarren riesiger Räder,
welche vom Wasser herabstürzender Bäche angetrieben wurden, und das
Gebrüll der Wesen, die diese Welt mit dumpfem Leben erfüllten.
Die Decke der oberen Höhle, welche einst die Zwergenstadt barg, war
aufgebrochen worden, damit man rasch an die Oberfläche gelangen konnte.
Dort oben stand eine Stadt, die eine für menschliche Sinne verwirrende
Ordnung aufwies. Aber es war ja auch eine Stadt der Orks. Hier gab es weder
Geschäfte noch Schenken, nur endlos scheinende Reihen von kleinen Hütten,
die aus Stein oder aus Holz errichtet waren und bei deren Bau offensichtlich
alles Verwendung gefunden hatte, was den Besitzern der Hütten in die Hände
fiel. In die Mauern waren wahllos Rüstungsteile eingelassen, die sowohl von
Orks als auch von deren Feinden stammten. Manchmal schienen die Trophäen
dazu zu dienen, den Ruhm des Hüttenbesitzers zu bezeugen, doch meist
verdeckten sie nur Löcher und Risse in den Wänden oder Dächern.
An verschiedenen Stellen der Stadt waren Fütterungsstellen angelegt, über
denen beständig Rauch aufstieg. Hier sammelten sich die Orks, um ihre
Rationen zu empfangen, wobei immer wieder Streit entstand, der von
bewaffneten Rundohren rücksichtslos geschlichtet wurde. Und wer mit seiner
Essensration nicht zufrieden war, endete rasch selbst als Nahrung.
Diese Stadt schien ohne Ordnung und unbeständig, denn da die Legionen
täglich wuchsen, dehnte sich auch die Stadt jeden Tag weiter aus.
Einst hatten hier riesige Wälder gestanden. Uralte Bäume mit runden oder
spitzen Blättern und gewaltigen Stämmen. Nun wucherte die Stadt der Orks
auf einem immer größer werdenden baumlosen Areal. Kolonnen von
Arbeitern rückten in endlosen Strömen aus, schlugen Bäume und schleiften
sie in die Stadt. Dort wurden die Äste abgetrennt und, so sie eine akzeptable
Länge und einen geraden Wuchs aufwiesen, zu Lanzen und Pfeilen
verarbeitet. Die Stämme warf man durch das große Loch in das unterirdische
Höhlensystem, doch der Bedarf an Holz war kaum zu stillen, denn die
Legionen wuchsen.
In einer Seitenhöhle des Gangsystems beobachtete ein Ork in einer
tiefroten Robe, wie fast gleichzeitig ein Spitzohr und ein Rundohr aus ihren
Schleimbeuteln hervorgezerrt wurden. Der Ork war der Brutmeister dieser
Stätte und als Herr über Leben und Tod verantwortlich für das Wachstum der
Legionen. Als der frische Wurf von seinem Schleim befreit wurde, stieß der
Brutmeister ein heiseres Knurren aus, und in seinem fast menschlich
wirkenden Gesicht zeigten sich für einen Moment die kräftigen Fänge eines
Rundohrs. Er packte einen der Brutgehilfen bei dessen brauner Robe und zog
ihn zu sich heran.
»Du da, der Schwarze Lord ist nicht zufrieden. Er will eine höhere
Wurfrate.«
Das Spitzohr quiekte ängstlich. »Er will immer eine höhere Wurfrate.
Immer mehr. Was sollen wir denn machen? Der Schleim gibt nicht mehr
her.«
Der Brutmeister fauchte, und das Spitzohr legte unterwürfig seine Ohren
an. »Brutmeister, wir tun, was wir können. Wir haben ein Stück tiefer weitere
Höhlen angelegt. Dort ist die Hitze größer, aber die Nährstoffe sind knapp. Ihr
wisst doch, Brutmeister, die große Hitze zerstört die Nährstoffe.« Das
Spitzohr deutete mit seinen Händen zwei Schüsseln an und verschob sie dann
langsam gegeneinander. »Es gilt abzuwägen, Brutmeister, zwischen der Hitze
und dem Gehalt der Nährstoffe. Zu viel von dem einen bedeutet zu wenig von
dem anderen.«
Der Brutmeister ließ das Spitzohr los. »Der Schwarze Lord interessiert sich
nicht dafür. Er erwartet Ergebnisse. Die Formierung der Legionen dauert ihm
zu lange. Er will mehr Legionen, und er will sie schneller.«
»Er will mehr Legionen, und er will sie schneller«, äffte das Spitzohr nach
und machte einen Satz nach hinten, als die Klaue des Brutmeisters
vorschnellte. Das Spitzohr war zu langsam, und der Brutmeister schnürte
seine Hand um die Kehle des Brutgehilfen, der erneut quiekte und dann
ängstlich unter sich auf den Boden machte.
Der Brutmeister bleckte seine Fänge. »Vielleicht solltest du öfter unter
dich machen, du Made«, zischte er. »Wenigstens ein paar Nährstoffe, die du
hervorbringst. Aber vielleicht sollte ich dich auch gleich ganz verfüttern, was
meinst du?«
Das Spitzohr schüttelte hastig den Kopf, streckte diesen dann in den
Nacken und entblößte unterwürfig seine Kehle. Der Brutmeister knurrte
verächtlich und ließ das Spitzohr fallen, das nun eilig aus der Reichweite
seiner Arme krabbelte.
Dann sah der Brutmeister zu den frisch geschlüpften Orks und
beobachtete, wie man ihnen die Augen auswusch. »Gibt es wenigstens
Fortschritte bei den Augen?«
Die Ohren des Brutgehilfen legten sich noch platter an den Schädel als
zuvor. Ȁh, Brutmeister, wir haben wirklich alles versucht. Die
unterschiedlichsten Zusammensetzungen der Nährstoffe, Wechselwärme …«
»Also ein Fehlschlag«, stellte der Brutmeister fest.
»Unsere Augen sind hervorragend«, sagte das Spitzohr hastig. »In der
Nacht sehen wir weitaus besser als die Menschenwesen.«
»Das ist es ja, du Made!«, brüllte der Brutmeister wütend, und hätte das
Spitzohr noch über ein wenig Darminhalt verfügt, hätte es nun gewiss auch
diesen unrühmlich verloren. »Wir sehen gut in der Nacht, das ist wahr, doch
das Tageslicht blendet uns viel stärker als die Menschen. Sie machen sich das
zunutze, du Made. Sie blenden uns mit Feuern, die sie von den Wällen ihrer
Festungen werfen, oder formieren sich so, dass uns die Sonne in die Augen
scheint. Wir brauchen Augen, die den ihrigen auch am Tag ebenbürtig sind.
Der Schwarze Lord kann nicht immer dunkle Wolken schicken, die unsere
Augen abschirmen.«
»Aber das müsste ihm doch leichtfallen, bei all seiner Macht.«
Der Brutmeister musterte den Gehilfen. »Was willst du denn damit
sagen?«
»Nichts«, versicherte das Spitzohr hastig. »Gar nichts.«
Der Brutmeister wies auf die geschlüpften Orks. »Rote Augen. Immer nur
rote Augen. Sie sind tagsüber zu empfindlich. Schaffe mir Orks mit einem
roten und einem blauen Auge, und der Schwarze Lord wird zufrieden sein.«
»Aber das geht nicht, Brutmeister«, beteuerte das Spitzohr. Dann dachte es
an das Schicksal einiger seiner Vorgänger und fügte schnell hinzu, dass man
es natürlich versuchen werde. »Immer weiter werden wir es versuchen,
Brutmeister, und bald wird es uns sicherlich gelingen.«
»Es sei dir angeraten, Made.« Der Brutmeister spuckte aus und wandte
sich um.
Das Spitzohr lehnte sich ächzend an die Wand, als die große Gestalt mit
der roten Robe die Höhle verlassen hatte, dann schaute es zu den anderen
Spitzohren hinüber. »Gebt euch mehr Mühe, ihr Maden, oder ich lasse euch
als Nährstoff verfüttern. Ihr habt den Meister gehört, strengt euch stärker an.«
Der Brutmeister schritt einen der Stege entlang und musterte zufrieden das
geschäftige Treiben um ihn herum. Die Rüstungsproduktion schritt gut voran.
Sie fanden viel gutes Erz, aus dem sie das Eisen für Harnische und Waffen
gewinnen konnten. Aus einer der Nebenhöhlen drang Gebrüll zu ihm herüber,
und als er einen Blick hineinwarf, sah er, wie sich eine Gruppe von
Rundohren stritt. Die aggressiven Wesen gingen mit Klauen und Fängen
aufeinander los, bis einer der Unterführer dazwischentrat und zwei von ihnen
mit dem Schlagschwert zu Nährstoff verwandelte. »Spart euch eure Kräfte für
die Menschenwesen auf«, knurrte der Unterführer. »Es gibt noch genug
davon für jeden von euch. An ihnen könnt ihr euch gerne austoben, ihr
Maden.«
Der Brutmeister war recht zufrieden mit den Rundohren. Hervorragende
Schläger, die Mut im Kampf bewiesen. Es war bedauerlich, dass sie nicht zu
mehr taugten. Sie waren nicht wirklich dumm, aber sie verspürten keine
Neigung, kompliziertere Handlungen auszuführen, und begnügten sich damit,
mit Rüstung, Schlagschwert und Spieß auf den Feind loszustürmen. Darin
waren sie gut, das machte ihre Stärke aus.
Die kleinen Spitzohren waren schlauer, daher wurden sie auch zu
Bogenschützen ausgebildet. Sie hatten zwar nicht den Mut der Rundohren,
aber sie waren gut geeignet, Hinterhalte zu legen oder Massen von Pfeilen auf
den Feind zu schießen. Etliche von ihnen konnten inzwischen auch gut mit
den neuen Querbogen umgehen, die kleine metallene Bolzen verschossen,
welche jede Rüstung durchschlugen. Die Spitzohren waren es auch, die die
komplizierteren Belagerungsgeräte wie Bolzenwerfer, Katapulte und
Belagerungstürme bedienten. Für Sturmleitern waren die kleinen Burschen
nicht geeignet. Man brauchte nun einmal Mut, die Leitern an eine verteidigte
Mauer zu stellen und hinaufzuklettern, und das lag wiederum eher den
Rundohren.
Der Brutmeister stieß ein leises Fauchen aus, als er wieder an die Augen
denken musste. Sie waren ein wirkliches Ärgernis. In der Dunkelheit, wenn
die Orks den Menschen an Sehkraft überlegen waren, zogen sich diese in den
Schutz ihrer Festungen und Häuser zurück. Und wenn die Orks dann
angriffen, entzündeten die Menschenwesen Feuer oder schleuderten
brennende Bündel über die Mauern hinab, welche die Orks blendeten. Er
konnte den Wunsch des Schwarzen Lords durchaus verstehen, aber noch
niemand hatte einen Weg gefunden, die Augen der Orks weniger
lichtempfindlich werden zu lassen.
Er stieg in die obere Höhle hinauf und sah die Ruinen der alten
Zwergenstadt vor sich liegen.
Es war schon lange her, dass die Legionen sie eingenommen hatten, und
längst waren alle Zwergenwesen als Nährstoff verfüttert worden. Der
Brutmeister räumte ein, dass man möglicherweise ein wenig zu vorschnell
gehandelt hatte, denn inzwischen hatte man entdeckt, dass die Tätigkeit der
Zwerge für die Orks hilfreich sein konnte. Aber vielleicht war es noch nicht
zu spät. Nun hatte man eine andere Zwergenstadt eingenommen, und deren
Bewohner hatte man verschont. Zumindest die meisten von ihnen, denn in der
Legion hatte es einige knurrende Mägen gegeben. Der Brutmeister spürte, wie
ihm der Speichel aus den Fängen sickerte, als er an das saftige Fleisch eines
Zwergenwesens dachte. Doch man würde sich noch ein wenig gedulden
müssen, bis es zum Festmahl kam. Erst mussten die Zwerge ein wenig
arbeiten.
Der Brutmeister stieß ein triumphierendes Brüllen aus, und einige der
Umstehenden sahen ihn furchtsam an. Er bleckte die Zähne. »An die Arbeit,
ihr Maden. Habt ihr nichts zu tun?«
Ah, die Zwerge würden es sein, die endlich den Untergang des
Menschengeschlechts ermöglichten. Er selbst würde dafür sorgen, dass die
Legionen weiter wuchsen.