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Kapitel 6

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Am Ostrand der Stadt Eternas lagen die Töpfereien. Sie standen nahe des

Flusses, dessen lehmiges Ufer reichen Rohstoff für Töpfe, Teller und Becher,

für Vasen und Schalen bot. Inmitten der Töpfereien stand ein kleines Haus,

das sich deutlich von den anderen unterschied, denn davor waren nicht die

üblichen Regale mit feilgebotenen Tonwaren aufgebaut, sondern Gestelle, die

mit ungewöhnlich kleinen Fellen bespannt waren. Sie stammten von jenen

Nagetieren, welche die Bewohner plagten, indem sie sich an ihren Vorräten

gütlich taten.


An einem der Gestelle stand ein grobschlächtig wirkender, stämmiger

Mann mit dichtem schwarzem Haar und einem buschig wirkenden Vollbart,

an dem abzulesen war, dass der Mann vor Kurzem ein Ei gegessen hatte. Der

Mann fädelte sorgfältig einen dünnen Lederriemen durch das Fell eines

Nagers und verspannte den Faden am Rahmen.


»Man muss sehr darauf achten, dass man die kleinen Kerle nicht

zerquetscht«, sagte der stämmige Mann zu einem anderen, der ihm bei der

Arbeit zusah. »Wenn die Körper aufplatzen, leidet das Fell darunter, Toslot.«


Toslot war einer der Bauern Eternas’ und von eher schmächtiger Statur. Er

wurde von ebenjenen Nagetieren geplagt, die der stämmige Mann namens

Barus mit erstaunlicher Kunstfertigkeit erlegte. Barus war stolz auf seine

Fähigkeiten, denn er jagte die Nager nicht nur mit Fallen, sondern vor allem

mit der mächtigen Holzkeule, die zu seinem Markenzeichen geworden war.

Er verstand diese Keule zielsicher zu schwingen und ebenso effektiv zu

werfen.


Barus strich über einige der getrockneten Felle. »Die kleinen Kerle mögen

ja ein Ärgernis sein, Toslot, aber sie haben ein wunderschönes weiches Fell.

Daraus lassen sich erstklassige Pelze fertigen.«


Toslot rieb sich die Nase und beäugte die Rahmen vor Barus’ Haus. »Da

braucht man aber viele Felle für einen ordentlichen Pelz.«


Barus lachte auf. »Es gibt ja auch viele Nager, mein Freund.«


Dann musterte er den Bauern nachdenklich. »Ich stehe dir natürlich gerne

zu Diensten, Toslot. Du sagst, auf deinem Feld und in deinem Speicher

tummeln sich viele von ihnen?«


»Schrecklich viele«, seufzte der Bauer. »Sie fressen mir noch alle Körner

vom Acker.«


»Ja nun.« Barus blickte zu seiner Keule, die an der Wand seines Hauses

lehnte. »Das hört sich nach einer Menge Arbeit an. Es wird nicht billig,

Toslot, mein Freund.«


Toslot legte die Ohren an und erinnerte Barus in diesem Moment an ein

verschrecktes Spitzohr der Orks. Natürlich kannte Barus die Orks. Er hatte

gegen sie gekämpft, als sie die Hochmark überfielen. Der schmächtige Bauer

seufzte leise. »Vielleicht sind es doch nicht ganz so viele. Außerdem ist deine

Keule ziemlich groß. Es mag ja sein, dass du gleich mehrere auf einen Schlag

triffst.«


»Unsinn«, knurrte Barus. »Nicht, dass ich diese Kunst nicht beherrschen

würde. Wenn sie einer beherrscht, dann ich. Aber wenn ich mehrere auf einen

Schlag erwischen will, muss ich sehr kraftvoll zuschlagen. Das ruiniert mir

die Felle, Toslot, mein Freund. Ich kann sie dann nicht mehr zu Pelz

verarbeiten lassen.« Er strich sich über den Vollbart, und etwas Eigelb tropfte

auf den Boden. »Den Verlust müsstest du mir dann natürlich ersetzen.«


»Ich, äh, könnte Hardim fragen«, wandte Toslot zögernd ein, um den Preis

etwas zu drücken.


»Hardim?« Barus sah den Bauern ungläubig an und brach dann in

schallendes Gelächter aus. Seit die Bevölkerung Eternas’ gewachsen war,

hatte Barus Konkurrenz bekommen. Er schlug dem schmächtigen Mann

belustigt auf die Schulter, und Toslot taumelte gegen die Wand des Hauses.

»Hardim, diese alte, kraftlose Gestalt? Der kann doch kaum noch sehen. Und

wenn er irgendwo hinsieht, dann schielt er dabei.« Barus lachte erneut und

schlug sich amüsiert auf den Schenkel. »Du kannst ihn vielleicht als

Vogelscheuche auf die Felder schicken, dafür mag er taugen. Weißt du

übrigens, warum er an dem einen Fuß nur noch vier Zehen hat? Weil der halb

blinde Hardim in seine eigene Nagerfalle getappt ist.« Er lachte erneut. »Aber

gut, hol nur Hardim, deine Nager werden sich jedenfalls darüber freuen.«


»Schon gut.« Toslot stieß ein leises Keuchen aus. »Es würde mir reichen,

wenn du mir den Kornspeicher frei hältst.«


Barus wurde plötzlich ernst und sah den Bauern forschend an. »Zwei

Becher Korn für jeden Nager.«


»Was?« Toslot riss entsetzt die Augen auf. »So viel frisst kein Nager. Du

nimmst mir mehr als diese kleinen Ungeheuer.«


»Unsinn.« Barus wies auf seine Felle. »Ich nehme das Korn nur einmal.

Ein Nager bedient sich öfter bei dir.«


Toslot seufzte. Diesem Argument hatte er nichts entgegenzusetzen. »Also

gut. Einen Becher.«


»Anderthalb.«


»Abgemacht.«


Barus und Toslot stießen die Knöchel ihrer Fäuste aneinander, um ihr

Geschäft zu besiegeln, und der Bauer konnte nur mühsam einem zweiten

freundschaftlichen Stoß des Nagerjägers ausweichen. Barus nahm seine Keule

und legte sie über seine Schulter. »Darauf sollten wir einen Becher heben,

Toslot, mein Freund. Lass uns zum ›Donnerhuf‹ gehen und hören, was es

Neues gibt.«


Barus’ gewalttätiges Handwerk rief bei ihm oftmals einen starken Durst

hervor, und daher gehörte der stämmige Nagerjäger zur Stammkundschaft des

»Donnerhufs”. Der »Donnerhuf« lag nahe dem Ortseingang der Stadt. Der

Wirt Malvin, ein ehemaliger Pferdelord, hatte diesen Ort mit Bedacht

gewählt. Der Blick durstiger Heimkehrer wurde magisch von dem Schild des

Gasthauses angezogen. Zudem lag die Schenke weit genug von der Burg

entfernt, damit sich deren Pferdelords gelegentlich ein wenig Entspannung

verschaffen konnten, ohne dass die Burgwache es sofort bemerkte.


Die Schenke hatte vor einigen Jahren beim Angriff der Orks schwer

gelitten. Ein aggressives Rundohr war einfach durch eine der dünnen Wände

gestürmt, hatte Fenster und Türen demoliert und schließlich die

Inneneinrichtung in ihre Einzelteile zerlegt. Zu Malvins Verdruss hatte das

Rundohr auch noch die im Keller befindlichen Alkoholvorräte entdeckt, und

als die Orks bezwungen waren, waren dem Wirt nur zwei Fässer seines

berüchtigten, nach eigener Rezeptur angesetzten Blutweins geblieben, deren

Inhalt nun noch übler gerochen hatte als zuvor. Malvin hatte ernsthaft

vermutet, dass das betrunkene Rundohr sich in die Fässer erleichtert hatte,

aber er sagte sich auch, dass der Alkohol alle schädlichen Substanzen

vernichtet haben würde, und letztendlich hatten die Gäste auch dieses Zeug

anstandslos getrunken. Malvin hatte den »Donnerhuf« wieder aufgebaut,

sogar etwas größer als zuvor, denn der Angriff der Orks auf die Hochmark

lieferte eine Menge guter Geschichten, und gute Geschichten riefen guten

Durst hervor.


Die Geschichten und der Durst seiner Gäste hatten Malvin zu einem

gewissen Wohlstand verholfen, was an dem schmalen Gehweg und dem

Vordach aus echtem Holz erkennbar war, die der Wirt des »Donnerhufs«

hatte errichten lassen.


Barus stapfte schwerfällig neben Toslot her über die hölzernen Bohlen des

Gehwegs auf den »Donnerhuf« zu und stieß dann die Tür zum Schankraum

auf. Selbst zu dieser Tageszeit war der »Donnerhuf« halb voll mit Gästen. Die

Hochmark hatte sich schnell von dem Ansturm der Orks erholt, und

Zuwanderer aus anderen Marken strömten herbei, sodass die Zahl der

durstigen Kehlen gestiegen war. Insoweit konnte Malvin sehr zufrieden mit

den Entwicklungen sein. Aber inzwischen gab es auch unangenehme

Gerüchte. Sehr unangenehme Gerüchte, denn man erwog offenbar, eine

zweite Schenke in Eternas zu eröffnen. Immerhin kannte nur er das Rezept für

den echten Blutwein, und bei ihm waren die besten Geschichten zu hören. Er

schätzte daher vor allem jene Gäste, die eine gute Geschichte zu erzählen

wussten, wie Guntram, der alte Schmied, und vor allem Barus, der als

Nagerjäger weit herumkam. Doch leider hatte Barus in der letzten Zeit einen

zunehmenden Durst entwickelt, der dem Fluss seiner Erzählungen abträglich

war.


Malvin sah daher mit einem zwiespältigen Lächeln zu Barus hinüber,

während er mit einem Lappen über die polierte Steinplatte seines Tresens

wischte. Die Platte war mit wertvollen Intarsien aus Holz geschmückt, doch

Malvin ärgerte sich inzwischen über seine Angeberei, denn Blutwein,

Gerstensaft und der Mageninhalt betrunkener Gäste hatten Spuren auf dem

kostbaren Holz hinterlassen, die auch durch eifriges Reiben nicht mehr zu

entfernen waren.


»Barus, mein Freund«, grüßte er jovial und breitete die Arme aus. »Es hat

den Anschein, als brächtest du guten Durst mit. Einen Gerstensaft?«


»Was sonst.« Barus lehnte sich an den Tresen. »Und rühr vorher nicht so

darin herum. Du weißt, ich mag den Gerstensaft lieber als den Schaum.«


»Sicher, mein Freund, sicher.« Malvin beugte sich zu dem Fass hinunter,

ließ Gerstensaft in einen gebrannten Becher fließen und schüttelte ihn

unauffällig. Ein gewisses Maß an Schaum gehörte zum Gerstensaft einfach

dazu, das war besser für den Geschmack – und für Malvins Vorräte.


Barus hörte eine merkwürdig keifende Stimme aus dem Hintergrund der

Kneipe hervordringen. Er runzelte die Stirn. »Esyne?«


»Wer sonst«, seufzte der Wirt. »Ganz im Vertrauen, Barus, mein Freund,

manchmal frage ich mich wirklich, ob es nicht besser gewesen wäre, die

verdammten Orks hätten sie erwischt.«


»Ja«, stimmte Toslot zu, der an die Theke getreten war und ebenfalls einen

Gerstensaft bestellt hatte. »Es wäre zumindest besser für unsere Ohren.«


Barus zuckte die Achseln. »Sie macht gute Schuhe.«


Esyne war eine der Schuhmacherinnen von Eternas, und ihre

Kunstfertigkeit wurde geschätzt. Zudem war die blonde Frau überaus attraktiv

und zog die Blicke der Männer auf sich. Doch Esyne war auch für ihre

Streitlust und ihre scharfe Zunge bekannt, und sie schreckte auch nicht davor

zurück, ihre Argumente handgreiflich zu untermauern. Ihre Stimme war

unverkennbar. Offensichtlich stritt die blonde Frau gerade mit einem der

anderen Gäste, und viele hörten der hübschen Esyne belustigt zu, deren

Repertoire an unflätigen Bemerkungen beträchtlich war.


In jener Nacht, als Orks in die Stadt Eternas eindrangen und viele ihrer

Bewohner erschlugen, hatte Barus mit ansehen müssen, wie eine blonde Frau

von den Orks getötet wurde, und dabei geglaubt, Esyne erkannt zu haben.

Damals hatte er überrascht festgestellt, dass ein Verlust der Schuhmacherin

ihn schmerzen würde. Doch dann hatte sich herausgestellt, dass es eine andere

Frau gewesen war, und als Barus nun die keifende Stimme hörte, musste er

sich über seine damaligen Gefühle wundern.


»Man sollte einmal ordentlich mit ihr knarrzen«, murrte Toslot und trank

durstig von seinem Gerstensaft. »Dann käme sie auf andere Gedanken.«


»Es gibt nicht wenige, die sie gerne einmal in ihre Bettstatt nehmen

würden«, stimmte Barus zu. »Doch zuvor müsste man sie vermutlich

knebeln.«


»Das würde mich nicht sonderlich stören«, bekannte der schmächtige

Bauer.


Toslot trank erneut, und Barus sah den Wirt augenzwinkernd an. »Drei?«


Es war bekannt, dass der Bauer nicht viel vertrug, und Malvin schüttelte

bedauernd den Kopf. »Barus, du weißt doch, was Esyne immer sagt, nicht

wahr? Toslot verträgt nicht mehr als zwei Becher und den Schaum vom

dritten.«


»Ihr Narren, allesamt seid ihr Narren«, drang Esynes Stimme durch die

Schenke, und Toslot verschluckte sich, als sich die Gestalt der blonden

Schuhmacherin auf die Theke zubewegte.


»Allesamt seid ihr Narren«, wiederholte die hübsche Frau und lehnte sich

neben Barus an den Tresen. »Ach, hallo, Barus, ich dachte mir doch gleich,

dass ich diese Keule kenne.« Sie blickte zu Toslot. »Mach langsam, Toslot,

dir steigt schon der Schaum vor den Mund. Nicht mehr lange, und der Rest

wird nachfolgen.«


Der schmächtige Bauer errötete und schob sich ein wenig zur Seite. Esyne

bestellte sich Blutwein und prostete Barus damit zu. »Ich sage dir, Barus,

seitdem wir wieder Handel mit den Marken des Königs treiben, wimmelt es

hier nur so von Narren. Ich bin bekannt für meine guten Schuhe, nicht wahr,

Barus, mein Freund?«


»Ja, das stimmt.« Barus nickte bekräftigend. »Meine Stiefel sind auch von

dir gefertigt, und ich muss sagen, es sind sehr gute Stiefel.«


»Na also.« Esyne lächelte wohlwollend und sah kurz zu Toslot hin, dessen

Augen bereits leicht glasig wurden. Dann warf sie Malvin einen fragenden

Blick zu. »Wie viele hat er schon?« Malvin hielt zwei Finger hoch, und Esyne

nickte. »Dann fällt er gleich um.«


»Was hat dich eigentlich so erzürnt?«, brummte Barus und wies mit dem

Kopf zu der Ecke, in der Esyne zuvor gesessen hatte.


»Ach, es geht um Helderim, diesen Narren.«


»Den Händler?«


»Ja«, fauchte sie. »Helderim, den Händler. Dieser Narr. Soll er sich ruhig

ins Unglück stürzen.«


»Was für ein Unglück?« Malvin beugte sich interessiert vor. »Ist etwas

passiert?«


»Noch nicht«, knurrte Esyne, und Malvin machte ein enttäuschtes Gesicht.

»Ich fertige wirklich ausgezeichnete Schuhe, wie ihr wisst.«


»Ja, das tust du«, bestätigte Barus nochmals und sah zu Toslot, als dieser

einen leisen Seufzer ausstieß. Toslot schaute Barus mit glasigem Blick an,

verdrehte dann die Augen und kippte unvermittelt aus dem Gesichtsfeld des

Nagerjägers. Der Bauer war seinem gewohnten Maß treu geblieben.


Esyne blickte kurz über Barus hinweg und grinste breit. »Ah, es lohnt sich

nicht einmal, Wetten auf ihn anzunehmen. Es sind immer zwei Becher und

…«


»… der Schaum vom dritten«, ergänzten Malvin und Barus gleichzeitig


»Wenigstens verunreinigt er heute nicht den Boden«, brummte Malvin

erleichtert.


Doch Toslot schien die Bemerkung gehört zu haben, und während er die

Scharte auswetzte, blickte der Wirt ächzend zur Decke der Schenke hinauf.

»Also bleibt er sich auch darin treu.«


»Nun, was ist mit Helderim, dem Händler?«, nahm Barus den Faden

wieder auf.


»Schuhe und Stiefel«, knurrte Esyne missmutig. »Es geht natürlich um

Schuhe und Stiefel. Helderim meint doch tatsächlich, wir Schuster in Eternas

könnten nicht mehr genug davon anfertigen. Er will jetzt Schuhe und Stiefel

aus der Nordmark erwerben und in seinem Laden anbieten. Aus der

Nordmark, ha!« Esyne leerte ihren Becher mit Blutwein und ließ sich

nachschenken. »Die haben doch keine Ahnung, welches Schuhwerk wir

brauchen. Bei dem steinigen Gelände der Hochmark muss eine Sohle gut und

fest sein. Wir laufen nicht auf solch zartem Boden herum wie die aus der

Nordmark, ha!«


Barus glaubte nicht, dass das Schuhwerk aus der Nordmark schlechter war,

aber Esynes stimmliche Qualitäten geboten ihm, seine Meinung für sich zu

behalten.


»Nun, was ist, was meinst du?« Esyne stieß Barus auffordernd an.

»Brauchen wir das Zeug aus der Nordmark?«


Malvin blickte über sie hinweg zu einem der Fenster und polierte

geistesabwesend die Platte seines Tresens. Der Rahmen des Fensters war mit

frisch geöltem Darm bespannt und bot einen annähernd freien Durchblick auf

die Straße, die am »Donnerhuf« vorbei nach Eternas hineinführte.


Barus bemerkte, dass Malvins Aufmerksamkeit von einem Vorgang auf

der Straße abgelenkt wurde. »Was ist los?«


»Reiter«, murmelte Malvin irritiert und ließ seinen Lappen sinken.


Der Schankwirt war früher ein erfahrener Pferdelord gewesen, und aus

seiner Reaktion schloss Barus, dass an diesen Reitern etwas nicht stimmte. Er

wandte sich um und erkannte den Grund für Malvins Irritation. Einer der

Reiter, der von ungewöhnlich kleiner Statur war, trug einen anderen Mann

vor sich im Sattel.


»Es scheint Ärger gegeben zu haben«, sagte Malvin und trat hinter seinem

Tresen hervor. »Das muss eine der Scharen sein, die an der Grenze

patrouillieren.«


»Vielleicht sind sie dort auf Barbaren gestoßen?«, mutmaßte Barus.


Auch andere Gäste waren auf das Geschehen aufmerksam geworden und

traten nun zu den Fenstern an der Stirnseite des Schankraums, um noch einen

Blick auf die vorbeireitende Gruppe zu werfen. Malvin schob den Lappen

nervös von einer Hand in die andere. »Sie haben Verwundete, und es fehlt ein

Pferd. Es hat offenbar eine Menge Ärger gegeben.«


Sie traten hinaus unter das kleine Vordach der Schenke und sahen der

Gruppe nach, die langsam zwischen den Häusern verschwand.


»Ich glaube, der Kleine war Dorkemunt«, sagte Esyne. »Den kenne ich.

Für den habe ich ein paar wirklich feine Stiefel gemacht.«


»Wir alle kennen Dorkemunt«, brummte Barus. »Er hat damals den

Anführer der orkischen Legion erschlagen. Aber wer, bei den Goldenen

Wolken, war denn bloß der andere Kleine auf seinem Sattel?«


Das hätte Malvin auch zu gerne gewusst. Es sah ganz nach Neuigkeiten

und durstigen Kehlen aus.


Sie wollten sich gerade wieder in die Schenke begeben, als Barus in

südlicher Richtung erneut eine Bewegung auf der Straße wahrnahm. »Da

kommt noch jemand. Sieht aber nicht nach einem Pferdelord aus.«


Sie sahen eine einsame Gestalt, die drei Packpferde hinter sich herzog,

welche mit Bündeln und kleinen Kisten beladen waren. Es war ungewöhnlich,

dass der Mann kein Reittier dabeihatte, denn kein vernünftiger Mensch

machte sich allein auf einen weiten Fußweg. Und dass dieser Mann weit

gewandert war, erkannte man an seiner Erschöpfung und an der Staubschicht,

die Mensch und Tiere gleichermaßen bedeckte. Die drei Pferde waren an den

Zügeln miteinander verbunden und trugen keine Sättel, sondern die typischen

Tragegestelle mit ihrer ledernen Verschnürung.


»Bei den Goldenen Wolken, wer ist das?«, knurrte Malvin und musterte

den Neuankömmling, der den »Donnerhuf« nun fast erreicht hatte,

interessiert. »Hallo, Fremder, möge Euer Pferd Euch weit tragen«, grüßte

Malvin den Mann. »Und Euch zu einem guten Heim führen.«


»Oh, es hat mich bereits weit getragen.« Der Mann lächelte. »Oder besser

gesagt, ich habe es weit geführt.«


»Willkommen in Eternas«, sagte Malvin eifrig und wies auf die offene Tür

seiner Schenke. »Ihr könnt sicher eine kleine Erfrischung gebrauchen.«


»Das ist wohl wahr«, bestätigte der Fremde. Seine Stimme klang

angenehm sanft, doch war sein Gesicht von der Kapuze seines langen

Gewandes verborgen, die er trotz der Wärme übergestreift hatte. Jetzt trat der

Mann an den Vorbau des »Donnerhufs« heran und schlang die Zügel des

Führungspferdes an einen der metallenen Ringe, die für diesen Zweck dort

eingelassen waren. Als er nun die Kapuze nach hinten streifte, kam ein

freundliches Gesicht zum Vorschein. Es war schmal geschnitten und von

grauem Haar umkränzt. Über seinem rechten Auge hob sich deutlich eine

Narbe ab. »Mein Name ist Lomorwin«, stellte er sich vor. »Ich bin Händler

und komme aus der Südmark.«


»Händler?« Esynes Stimme hatte diesen unterschwelligen Ton, den sie

immer dann annahm, wenn ihre Besitzerin bereit war, einen Streit vom Zaun

zu brechen. »Was denn für ein Händler?«


»Feinste Handelswaren, gute Frau«, sagte Lomorwin lächelnd und deutete

auf die zahlreichen Bündel an seinen Pferden. »Stoffe und feine Nadeln und

Schmuck aus der weißen Stadt Alneris …«


»Alneris«, unterbrach Malvin überrascht. »Ihr wart in der weißen Stadt des

Königreichs Alnoa?«


Lomorwin nickte. »Mein Weg führte mich weit, guter Herr.«


»Dann solltet Ihr Euch stärken, guter Herr Lomorwin«, sagte Malvin

hastig. Ein Mann, der das ferne Königreich der weißen Bäume gesehen hatte,

würde viele interessante Geschichten zu erzählen haben. Viele Geschichten

für viele durstige Kehlen. »Kommt herein in mein bescheidenes Haus. Der

›Donnerhuf‹ steht Euch zu Diensten, guter Herr Lomorwin.«


»Was habt Ihr sonst noch zu bieten?«, bohrte Esyne nach.


»Feine Geschmeide …«


»Das sagtet Ihr schon«, unterbrach Esyne schnippisch.


»Ihr mögt ihr verzeihen«, beschwichtigte Malvin. »Esyne ist unsere beste

Schuhmacherin.«


»Ah, Schuhe.« Der Mann musterte Esyne. »Ich bedauere, aber Schuhe

habe ich nicht in meinem Angebot, gute Frau Schuhmacherin.«


»Keine Schuhe?« Die Miene der blonden Frau hellte sich schlagartig auf.

»Auch keine Stiefel?«


»Nein«, bestätigte der Händler. Er sah Esyne forschend an. »Aber ich

könnte wohl damit handeln, wenn Ihr mir feine Ware bietet.«


Esyne lachte leise auf und stupste den Händler erleichtert an den Arm.

»Darüber können wir ja noch reden, guter Herr Lomorwin.«


Malvin zupfte nun eindringlich am Ärmel des Händlers, und Lomorwin

trat in die Schenke ein. Die Anwesenden sahen den Fremden neugierig an,

woraufhin Malvin ihn seinen Gästen vorstellte. »Der gute Herr Lomorwin

wird viel zu erzählen haben«, fügte er hinzu. »Er ist ein weit gereister Mann,

gerade kommt er aus dem Reich des Königs der weißen Bäume.«


»Der erste Becher geht aufs Haus«, verkündete Malvin und trat hinter

seinen Tresen. Dann warf er einen abschätzigen Blick auf den Bauern Toslot,

der friedlich vor sich hin schnarchte, und ärgerte sich darüber, den Boden

noch nicht gereinigt zu haben. »Seht es mir nach, guter Herr Lomorwin, und

stört Euch nicht an dem guten Herrn Toslot. Er ist ein anständiger Bauer, aber

er verträgt nicht viel. Mögt Ihr Blutwein, guter Herr Lomorwin? Ihr werdet

nirgendwo etwas Besseres getrunken haben, darauf könnte ich wetten. Es

wachsen die fruchtigsten Trauben bei uns in der Hochmark. Ihr wart noch nie

in der Hochmark, nicht wahr?«


»Meine Wege führen mich weit herum«, bekannte der Händler, »doch in

eurer schönen Mark bin ich nun zum ersten Mal. Ich habe einen kleinen

Laden in Enderonas, der Hauptstadt der Königsmark.«


»Ah, Ihr kennt den König?«


»Ich habe die Gunst, den Hof mit feinen Stoffen zu beliefern.« Lomorwin

zupfte wie zur Bestätigung an seinem Gewand. Es war bodenlang, von

mittelblauer Farbe und an den Seiten tief geschlitzt, um dem Träger

Bewegungsfreiheit zu gewähren. Die Säume waren in unterschiedlichen

Grüntönen gehalten und sorgsam bestickt. Esyne hatte sich leicht vorgebeugt

und studierte aufmerksam die fein gearbeiteten springenden Pferde, die auf

sie den Eindruck machten, als seien sie ineinander verschlungen. Im Licht

schienen die kleinen Pferde sogar leicht zu schimmern. Lomorwin bemerkte

Esynes Interesse. »Feinste Kristalle, die mit sorgsamen Stichen auf den Stoff

genäht sind. Fühlt einmal, wie weich die Stickereien sind.«


Der Händler war sichtlich stolz auf die Qualität der Arbeit. Um die Taille

trug Lomorwin einen breiten, geflochtenen Ledergürtel, an dem einige kleine

Beutel und Taschen befestigt waren. In einer metallbeschlagenen Scheide

steckte ein kurzer Dolch, sonst schien er keine Waffen zu tragen.


»Habt Ihr keine Begleiter, guter Herr Lomorwin?«, fragte Malvin

interessiert und wies auf den Dolch. »Es drohen Euch auf Euren Wegen doch

sicher mancherlei Gefahren.«


»Ah, ich hatte bewaffnete Begleiter dabei«, seufzte Lomorwin. »Doch ein

schreckliches Unglück kostete meine Gefährten das Leben. Es geschah auf

der Handelsstraße, die vom Süden heraufführt. Wir hatten den Hammerturm

und die alte Grenzfeste hinter uns gelassen und gerade die Ausläufer des

Gebirges erreicht, als sich ein Steinschlag löste und meine Gefährten

erschlug.«


»Entsetzlich«, sagte Malvin mitfühlend. »Dann werdet Ihr für den

Rückweg sicher Begleitung brauchen.«


Lomorwin zuckte die Achseln. »Wir werden sehen, guter Herr Wirt. Gibt

es eine ordentliche Herberge in Eternas?«


»Wozu eine Herberge?« Malvin beugte sich ein wenig vor. »Sie wird Euch

nicht gefallen, guter Lomorwin«, flüsterte er verschwörerisch. »Sie ist nicht

gerade komfortabel, und außerdem wimmelt es dort von Nagern.«


Barus runzelte die Stirn und wollte einwenden, dass ihm bei seinem letzten

Besuch in der Herberge nichts dergleichen aufgefallen war, aber dann sah er

Malvins beschwörenden Blick. Der Wirt räusperte sich. »Ich kann Euch ein

bescheidenes Gemach im ›Donnerhuf‹ anbieten, guter Herr. Gelegentlich mag

es hier vielleicht ein wenig laut zugehen, doch dafür werdet Ihr an diesem Ort

viele Kunden finden.«


»Und dankbare Ohren für Eure Geschichten«, fügte Esyne mit einem

spöttischen Seitenblick auf Malvin hinzu, der nur die Achseln zuckte.


»Nun gut, sagt mir, was Ihr für den Raum verlangt, guter Herr Malvin.«

Der Händler löste einen ledernen Beutel von seinem Gürtel, und man hörte

leises Klirren. Malvin sah gespannt zu, wie der Mann den Beutel öffnete und

eine Reihe glänzender Scheiben hervorholte.


»Was ist das, guter Herr Lomorwin?« Malvins Interesse war ein wenig

abgekühlt, denn augenscheinlich handelte es sich nur um Gold.


»Die Währung des Königreichs Alnoa, guter Herr Wirt. Damit bezahlt man

dort Waren und Arbeitsleistungen.«


»Damit?« Malvin nahm eine der goldenen Scheiben und untersuchte sie

genauer. Eigentlich war es gar keine Scheibe. Das Goldstück hatte den

Durchmesser eines kräftigen Daumens und war relativ dünn. Doch seine

Form entsprach eher einer winzigen Schüssel als einer Scheibe. »Was soll

denn daran von Wert sein?«


Lomorwin lächelte. »Es ist natürlich nicht das Material, guter Herr Malvin.

Gold ist recht hübsch anzusehen und widersteht der Witterung, doch

ansonsten ist es nur von geringem Wert. Es ist das Siegel des Königs, das den

Schüsselchen ihren Wert verleiht. Seht hier, in der Mitte der Wölbung.«


Auch Esyne beugte sich interessiert vor. Im Boden des goldenen

Näpfchens konnte sie eine Prägung mit der stilisierten Darstellung eines der

weißen Bäume erkennen.


»Das ist das Siegel des Königs?«, fragte die Schuhmacherin verblüfft.


»Des Königs von Alnoa, richtig«, bestätigte der Händler. »So bürgt er mit

seinem Namen für den Wert der Goldstücke.« Er bemerkte die Skepsis der

anderen. »Damit bezahlt man alle Waren und Leistungen. Jede hat ihren

Gegenwert in Schüsselchen, und nur der König darf diese fertigen lassen.«


Malvin zuckte die Achseln. »Ich denke nicht, dass sie von Wert sind. Das

Gold kann schließlich jeder aus dem Boden kratzen, und selbst der Baum lässt

sich von einem Schmied mühelos prägen.«


»Ja, das stimmt«, räumte Lomorwin ein. »Aber ein Schmied, der dies ohne

Einwilligung des Königs täte, würde von der Gilde ausgestoßen werden, und

ihr könnt Euch sicherlich denken, was das bedeutet.«


Jeder wusste, was eine Gilde war. Sie prüfte die Fertigkeiten eines jeden

Handwerkers, bevor er seine Berufsbezeichnung führen durfte. Ein schwerer

Verstoß gegen das Recht der Gilde konnte dazu führen, dass man

ausgeschlossen wurde, was wiederum zur Folge hatte, dass der Verstoßene

keine Arbeiten mehr ausführen durfte, ganz gleich in welchem Handwerk.

Dann blieb ihm nur noch die schlecht entlohnte Arbeit auf einem der Gehöfte,

wenn er nicht verhungern wollte.


»Und Ihr sagt, guter Herr Lomorwin, mit diesen Schüsseln lassen sich

Waren und Leistungen erwerben?«


Lomorwin nickte. »Überall im Königreich von Alnoa, und inzwischen

auch in den unteren Marken der Pferdelords. Euer König Reyodem erwägt

nun, eigene Goldschüsselchen zu prägen.« Der Händler schob die Näpfchen

in seinen Beutel zurück. »Nun sagt mir also, guter Herr Wirt, was Ihr für die

Unterkunft verlangt.«


Malvins Augen funkelten einen Moment lang vor Gier. Er war zunächst

versucht, die kleinen Holzscheiben zu fordern, welche der Hochmark so lange

als Währung gedient hatten. Aber ihr Wert war mittlerweile ebenso wie der

des Holzes gesunken. »Nun, Eisenplättchen oder diese goldenen

Schüsselchen wären wohl recht. Wie lange wollt Ihr bleiben?«


»Ich weiß es noch nicht«, räumte der Händler ein. »Ich will sehen, mit

welchen Waren ich hier handeln kann.«


»Dann bezahlt mich bei Eurer Abreise, werter Herr Lomorwin«, entschied

Malvin und griff nach dem tönernen Krug. »Noch etwas Blutwein?«


Besser konnte es kaum laufen. Eine Patrouille, die offenbar an der Grenze

einen Kampf gefochten hatte, und nun ein weit gereister Händler. Es würde in

den kommenden Tagen viele Geschichten geben und viele durstige Zuhörer.


Die Pferdelords 02 - Die Kristallstadt der Zwerge

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