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VORWORT

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Mit ihrer Mischung aus sanften Hügeln und einer schroffen Küste, die weit in den Atlantik hinausragt, gehört die Dingle-Halbinsel in der Grafschaft Kerry zu den schönsten Regionen Irlands – Natur wie aus dem Bilderbuch. Aus aller Welt reisen Gäste an, um die dramatische Szenerie zu bewundern.

Ungefähr in der Mitte der Halbinsel, in einem vergleichsweise schlichten, unspektakulären Landstrich, liegt die kleine Ortschaft Anascaul, auf Irisch Abhainn An Scáil. In den Bergen über der Stadt wurde, so heißt es, der letzte irische Wolf getötet. Besucher, die die Hauptstraße von Anascaul benutzen, geraten eher beim Anblick eines der letzten Häuser ins Staunen, die sie bei ihrer Fahrt Richtung Westen ins beliebte Dingle und zu den Wellen des Atlantiks passieren, die sich an der Küste brechen. In dem Haus ist ein Pub mit einem höchst ungewöhnlichen Namen untergebracht: South Pole Inn. Der kleine, träge dahinfließende Fluss und die charmante Brücke aus Stein in unmittelbarer Nachbarschaft lassen an vieles denken, aber mit Sicherheit nicht an den Südpol.

Und doch: Man kann weder nach Anascaul hinein- noch aus Anascaul hinausfahren, ohne einen Blick auf das kleine Haus zu erhaschen und sich verwundert zu fragen, wie ein Wirtshaus in einem Dorf auf der irischen Dingle-Halbinsel, das von Feldern und Wiesen umgeben ist, an den Namen »South Pole Inn« geraten ist.

Wer sich die Zeit dafür nimmt, findet die Antwort auf einer kleinen grauen Schiefertafel, die über dem Eingang zum Pub hängt und folgende Inschrift trägt:

TOM CREAN

Antarktisreisender

1877–1938

Das South Pole Inn war das Zuhause von Thomas Crean, gebürtig aus Anascaul, der der ländlichen Gemeinde in der Grafschaft Kerry früh den Rücken kehrte und zu einem der bedeutendsten Akteure in der Geschichte der Polarexpeditionen am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde – dem Goldenen Zeitalter der Antarktisforschung.

Nur wenige Männer haben zur Erkundung der Antarktis mehr beigetragen als Tom Crean, und nur wenige wurden von ihren Kameraden, wie berühmt sie auch gewesen sein mögen, so respektiert wie der zurückhaltende Mann aus Kerry. Und doch ist Creans Beitrag zu den Errungenschaften des Goldenen Zeitalters lange unterbewertet, wenn nicht ignoriert worden.

Dieses Goldene Zeitalter der Antarktisforschung, das die ersten beiden Dekaden des 20. Jahrhunderts umfasst, hat einige der erstaunlichsten und bemerkenswertesten Geschichten und Persönlichkeiten hervorgebracht. Selbst hundert Jahre danach schlagen die Erlebnisse von Scott und Shackleton die Menschen noch immer in den Bann, vor allem wohl wegen der Tragik und des Heldentums, der Tapferkeit und Entschlossenheit, mit denen sie gespickt sind, und wegen der Gleichzeitigkeit von Erfolg und Scheitern, einer Dramatik, an die heutiges Vorstellungsvermögen kaum heranreicht.

Und doch wäre es falsch, anzunehmen, dass die Taten und Errungenschaften in der Antarktis, die wir heute mit dem Goldenen Zeitalter verbinden, allein Scott und Shackleton zuzuschreiben wären. An den Expeditionen dieser Jahre waren Männer beteiligt, die zwar nicht Offiziere oder Wissenschaftler, für den Erfolg dieser Unternehmungen aber unverzichtbar waren. Ihr Beitrag wurde später meist übergangen oder bestenfalls unter ferner liefen abgehandelt. Dabei waren diese Männer zwar weniger bekannt, aber nicht weniger wichtig und bestimmt nicht weniger beeindruckend. Ein Mann von diesem Schlage ist Thomas Crean.

Crean war ein weit gereister Mann, der an drei der vier wichtigsten britischen Expeditionen in die Antarktis teilgenommen und sich für seine außergewöhnlichen Leistungen allerhöchsten Respekt erworben hat. Er war ein sympathischer und beliebter Kerl und einer der wenigen, die mit derselben Disziplin und Zuverlässigkeit sowohl Scott als auch Shackleton gedient haben.

Crean war ein einfacher und unkomplizierter Mann, der sich durch außergewöhnlich großen Mut und Selbstvertrauen auszeichnete, was ihn in die Lage versetzte, in der unwirtlichsten, physisch wie psychisch extrem zehrenden Gegend der Erde mehrfach schier unglaubliche Leistungen zu vollbringen. Er war gewissermaßen ein Serienheld.

Crean ist weiter vorgedrungen als die meisten jener Entdecker, deren Namen für das Goldene Zeitalter einstehen, und wenige haben derart unauslöschliche Spuren hinterlassen wie der Mann aus Irland. Es ist nur gerecht, dass sein Name auf dem antarktischen Kontinent verewigt ist, dort also, wo er seinen Ruhm begründet hat. Mount Crean, ein Berg in Viktorialand, der bis auf eine Höhe von 2550 Metern reicht, steht auf 159°30' W, 77°53' S. Der sechs Kilometer lange Crean-Gletscher mündet auf 37°1' W, 54°10' S in die Antarctic Bay, eine Bucht auf Südgeorgien, jener Insel, auf der Crean sich so heldenhaft verhalten hat.

Tom Crean ist nicht der Einzige, dessen Abenteuer von Historikern ignoriert worden sind. Auch über Männer wie Edgar Evans, William Lashly und Frank Wild, die gemeinsam mit Crean im Süden waren, ist die Geschichte hinweggegangen. Und doch waren es Männer wie sie, die jene berühmten Expeditionen, die den Schleier vom antarktischen Kontinent gerissen haben, erst ermöglichten. Oft haben sie dafür teuer bezahlt. Das britische Klassensystem degradierte sie zu Bürgern zweiter Klasse, aber das Goldene Zeitalter wäre ohne ihren Beitrag unvollständig geblieben.

Der Gerechtigkeit halber sei zugestanden, dass es für Historiker kein leichtes Unterfangen war und ist, die Geschichte von Männern wie Tom Crean zu erzählen, einem Mann, der vergleichsweise ungebildet war und anders als viele andere Forschungsreisende der Zeit weder Tagebuch geführt noch in nennenswertem Umfang Briefe an Freunde und Familie geschickt hat. Von Crean sind nur einige Briefe überliefert, sodass wir, um uns ein Bild von seinem Leben machen zu können, auf Äußerungen und Aufzeichnungen seiner Zeitgenossen angewiesen sind. Da er ein wichtiger Vertreter des Goldenen Zeitalters war, finden sich in den publizierten wie in den nicht publizierten Berichten über die drei Expeditionen, an denen er teilgenommen hat, glücklicherweise zahlreiche Belege für seine Heldentaten. Dass die bis dato nur unzureichend aufbereitet wurden, ist in Anbetracht der komplizierten Quellenlage aber verständlich.

Doch bringt man nun Creans eigene Aufzeichnungen, die seiner Zeitgenossen sowie die Erinnerungen seiner Familienangehörigen zusammen, lässt sich aus diesen Einzelteilen ein genaues und treffendes Bild vom Leben eines bemerkenswerten Mannes zeichnen.

Seine Zeitgenossen hatten wenig Anlass, an seinen Fähigkeiten zu zweifeln. Frank Debenham, der gemeinsam mit Crean an Scotts tragischer letzter Expedition teilnahm und später Gründungsdirektor des Scott Polar Research Institute in Cambridge wurde, dachte mit großer Warmherzigkeit an den Iren zurück:

Tom Crean war auf seine Art einzigartig; er erinnerte an eine Figur von Kipling oder Masefield, typisch für das Land, aus dem er stammte, und ein großer Gewinn für die drei Expeditionen, an denen er teilnahm. Ich muss nur einen Moment lang die Augen schließen, um mir seine adrette Gestalt und das Lächeln in Erinnerung zu rufen, mit dem er mich eines Morgens verabschiedete: »Leben Sie wohl, Sörr.«

Der stille Held

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