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EIN BAUERNSOHN

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Thomas Crean erblickte am 20. Juli 1877 in Gurtachrane das Licht der Welt, einem abgelegenen Landstrich westlich von Anascaul auf der Dingle-Halbinsel in der Grafschaft Kerry, Irland. Das genaue Datum ist neuerdings mit Zweifeln behaftet, weil Nachforschungen den 25. Februar 1877 zutage förderten. In allen offiziellen Dokumenten, die sich in Creans Marineakte finden und die meist von ihm selbst ausgefüllt wurden, wird aber der 20. Juli 1877 als Geburtstag genannt. Die Gegend, in die er hineingeboren wurde, ist bis heute eine unspektakuläre Ansammlung von Wohnhäusern und Bauernhöfen inmitten sanfter grüner Hügel.

Der Kontrast zum feindseligen, eisigen antarktischen Kontinent, wo Crean seine beeindruckende Karriere erlebte, könnte kaum größer sein. Der Zufall wollte es, dass Edmund Hillary, der Erstbesteiger des Mount Everest, der ebenfalls die Antarktis bereist hat und zu den großen Abenteurern des 20. Jahrhunderts gehört, zwar deutlich später, aber doch zum selben Datum wie Crean geboren wurde.

Die Dingle-Halbinsel ist reich an Traditionen, deren Ursprünge bis zu den ersten Siedlern in Europa zurückreichen. Sie war ein Zentrum der Christianisierung, und obwohl Anglonormannen wie auch Engländer die Halbinsel zeitweise besetzt hielten, hat die Region über Jahrhunderte politischer und religiöser Unterdrückung und Verfolgung getrotzt. Die Menschen waren hart im Nehmen und nicht gewillt, sich unterkriegen zu lassen. So nimmt es nicht wunder, dass in Kerry besonders erbittert um den Erhalt der irischen Sprache gekämpft wurde. Bis heute zählt die Dingle-Halbinsel zu den Gaeltacht, jenen Gebieten, in denen noch Irisch gesprochen wird.

Am Ende des 19. Jahrhunderts war es auf der ganzen Halbinsel Umgangs- und Verkehrssprache, und Creans Eltern gehörten zu der letzten Generation, die mit Irisch als Muttersprache aufwuchs. Tom Crean wuchs bereits zweisprachig auf und lernte neben Irisch auch Englisch.

Er wurde in eine typische irische Großfamilie hineingeboren, die wie so viele Landbewohner in jener Zeit mit großer Armut und der ständigen Angst vor Missernten und Hungersnöten zurechtkommen musste. Der Name Crean ist in Kerry recht verbreitet und wahrscheinlich von Curran abgeleitet. Aber auch Creen und Curreen mögen Pate gestanden haben, denn auf Irisch wird der Name O Cuirin geschrieben.

Toms Eltern, Patrick Crean und Catherine Courtney, waren Bauern in Gurtachrane und setzten in den 1860er- und 1870er-Jahren zehn Kinder in die Welt. Ihr Leben war entbehrungsreich, ohne Luxus und mit geringen Aussichten, dem permanenten Kampf ums tägliche Brot zu entkommen.

Zum Zeitpunkt von Creans Geburt litt Irland noch unter den Folgen der großen Hungersnot drei Jahrzehnte zuvor, der – infolge einer Missernte beim Hauptnahrungsmittel Kartoffel – zwischen 800 000 und einer Million Menschen zum Opfer gefallen waren – ein Achtel der gesamten Bevölkerung. Diese Katastrophe lastete schwer auf der irischen Seele und veranlasste etwa zwei Millionen Menschen, das Land zu verlassen und ihr Glück in der Neuen Welt zu suchen. Wer blieb, fühlte sich in der Überzeugung bestärkt, dass Irland endlich Herr im eigenen Haus sein sollte.

Doch schon Ende der 1870er-Jahre drohte eine neue Hungersnot und schürte die Angst, der Schrecken könnte sich wiederholen. 1877, Creans Geburtsjahr, war extrem niederschlagsreich, was mit nur wenig Verzögerung katastrophale Folgen hatte, weil in den Jahren darauf die Kartoffelernte massiv litt. Weil gleichzeitig die Getreidepreise in den Keller fielen, steckten viele Farmer in der Armutsfalle, da sie sich die exorbitante Pacht, die ihnen die verhassten englischen Großgrundbesitzer auferlegten, nicht mehr leisten konnten. In vielen Bauernfamilien, insbesondere im Westen Irlands, ging der Hunger einher mit der Angst, von ihrem Grund und Boden vertrieben zu werden. Diese Menschen hätten sehr genau gewusst, was dreißig Jahre später ein Landsmann namens George Bernard Shaw meinte, als er die Armut das größte Übel und das schlimmste Verbrechen nannte.


Das Bauernhaus in Gurtachrane (Gort an Corráin) unweit von Anascaul, in dem Crean geboren wurde.

In diesem Klima aus drohender Hungersnot, schwindendem Einkommen und einer stetig wachsenden Familie mühten sich Patrick und Catherine Crean redlich, Tom sowie seine fünf Brüder und vier Schwestern großzuziehen. Fraglos hat diese Erfahrung dabei geholfen, den Jungen auf die Entbehrungen und Entsagungen vorzubereiten, die er bei seinen Aufenthalten in der Antarktis durchleiden musste.

Tom besuchte eine Zeit lang die Brackluin School, die katholische Schule in Anascaul, um sie, wie wohl die meisten Kinder seines Alters, so bald wie möglich wieder zu verlassen. Es war nichts Ungewöhnliches, wenn die Kinder bereits mit zwölf Jahren von der Schule abgingen, auch wenn die meisten blieben, bis sie vierzehn waren. So oder so ließ die Ausbildung, die sie erhielten, zu wünschen übrig und vermittelte ihnen kaum mehr als die Fähigkeit, zu lesen und zu schreiben. Wichtiger war es, dass die Kinder ihren Eltern bei der täglichen Arbeit halfen und nach Möglichkeit ihr Scherflein zum Lebensunterhalt beitrugen.

Wenn er in Anascaul war, wird Tom auch manches von dem mitbekommen haben, was sich in dem Ort abspielte, und diese Erlebnisse werden die Lust auf Reisen und Abenteuer geweckt haben.

Anascaul liegt genau dort, wo die Hauptstraße, die sich durch Dingle zieht, den Anascaul River kreuzt, jenen Fluss, der von den umliegenden Hügeln herabkommt. Seit jeher ist es ein Ort, an dem Reisende auf Reisende treffen.

Jahrhundertelang fanden in Anascaul Märkte statt. In seinem Buch über die Dingle-Halbinsel beschreibt Steve MacDonogh, wie wichtig diese Märkte lange Zeit für die Gegend waren. Und er erinnert daran, dass die Anglonormannen, auf die an vielen Orten in Irland derartige Handelsplätze zurückgehen, sich in erheblicher Anzahl in Anascaul und Umgebung niedergelassen haben. Tralee, eine der größeren Städte in Kerry, wurde im 13. Jahrhundert von Anglonormannen gegründet, Ballynahunt und Flemingstown, Dörfer in der Nähe, sollen ihre Existenz ebenfalls ihrer Anwesenheit verdanken.

Anascaul beherbergte jedes Jahr vierzehn solcher Märkte und Messen, die unterschiedlichste Menschen aus nah und fern anlockten. Das galt vor allem für die Pferdemärkte, die zweimal jährlich, im Mai und im Oktober, stattfanden. Sie gehörten zu den ältesten Veranstaltungen in der langen irischen Tradition des Pferdehandels und waren ein Magnet für Interessierte aus allen Landesteilen.

Für Anascaul am bedeutendsten aber waren die monatlich stattfindenden Markttage, die sich zu einer eigentümlichen Mischung aus Handel und Unterhaltung entwickelt hatten. Wobei, wie MacDonogh hervorhebt, die Unterhaltung nicht bloß eine Zugabe zu einem dem Kommerz gewidmeten Ereignis war, sondern, typisch irisch, dessen wesentlicher Bestandteil. MacDonogh beschreibt eine charakteristische Szene:

Glücksräder, Stände, an denen Plunder und Tand verkauft wurden, Frauen im Sonntagsstaat, Männer, deren Kleidung die Anzahl der Jahre wiedergab, die sie in der Fremde zugebracht hatten, Hütchenspieler, Bänkelsänger, Musikanten, Kuppler, Krämer und Bettler – in der Summe eine bunte Mischung von Menschen aus allen sozialen Schichten ebenso wie Gelegenheit für ein gutes Geschäft.1

In den Kneipen und an den Straßenecken machten Geschichten die Runde, und wie unter Iren üblich, wurden alte Anekdoten ausgegraben und in neuer Form erzählt – für die Fantasie eines jungen Bauernsohnes eine wahre Fundgrube. Und vor dem Hintergrund des entbehrungsreichen Lebens müssen die Geschichten aus fernen Ländern auf einen lebenshungrigen jungen Mann eine so große Anziehungskraft ausgeübt haben, dass der Wunsch, die Welt zu sehen, schließlich überhandnahm.

Zu dieser Zeit entschlossen sich mehrere von Tom Creans Brüdern, Kerry zu verlassen, und MacDonogh zufolge war es unter den Söhnen der Stadt guter Brauch, sich der britischen Navy anzuschließen.

Toms älterer Bruder Martin fand jenseits des Atlantiks bei der aufblühenden kanadischen Eisenbahn Arbeit. Michael ging zur See und mitsamt seinem Schiff unter. Cornelius, sechs Jahre älter als Tom, brachte es zum Polizisten in der Royal Irish Constabulary und wurde im Zuge der Auseinandersetzungen im Nordirlandkonflikt ermordet. Toms Schwester Catherine war ihrerseits mit einem Polizisten verheiratet. Zwei weitere Brüder, Hugh und Daniel, blieben in Kerry und setzten die bäuerliche Familientradition fort. Als ihr Vater Patrick starb, teilten Hugh und Daniel den Hof unter sich auf und verbrachten den Rest ihres Lebens in Gurtachrane.

Die Kindheit in den 1880er- und 1890er-Jahren auf dem elterlichen Bauernhof war kein Zuckerschlecken. Einige Durchsetzungskraft war nötig, um als eines von zehn Kindern zu bestehen, die miteinander und um die Aufmerksamkeit ihrer Eltern kämpften. Patrick Crean hatte alle Hände voll zu tun, um die Familie zu ernähren, und so blieb ihm keine Zeit, seinen Kindern das Maß an Aufmerksamkeit zu geben, das heute von einem Vater erwartet wird.

Es war eine harte Schule, die die Kinder durchliefen. Tom Crean gab sie eine gehörige Portion Unabhängigkeit mit auf den Weg, und diese Unabhängigkeit war es, die ihn bei der ersten Gelegenheit das heimische Nest verlassen ließ.

Seinerzeit war es üblich, dass Musterungsoffiziere durchs Land reisten, um in den Dörfern geeignete junge Männer aufzuspüren und für den Dienst in der Navy zu verpflichten. Die britische Marine benötigte frisches Blut, und die Aussicht, das entbehrungsreiche Leben auf dem Land gegen eine Laufbahn als Seemann eintauschen zu können, schien vielen jungen Iren nur allzu verlockend. So brauchte es nicht viel, um sie zu einer Unterschrift zu bewegen. Zu jener Zeit unterhielt die britische Navy die größte und mächtigste Flotte der Welt, und das Ansehen, das sie genoss, war kaum zu steigern. Für einen jungen Mann wie Tom Crean muss die Verlockung, mit ihrer Hilfe den Unbilden des Landlebens zu entkommen, unwiderstehlich gewesen sein. Die Alternative, den erbarmungslosen Kampf ums tägliche Brot fortzusetzen, war schnell verworfen, und so nimmt es nicht wunder, dass Tom Crean das Elternhaus schon in jungen Jahren verließ.

Wie genau sich sein Abschied von zu Hause zugetragen hat, wissen wir nicht. Manches spricht aber dafür, dass er eine heftige Auseinandersetzung mit seinem Vater gehabt haben muss, weil durch seine Unachtsamkeit Vieh auf das Kartoffelfeld gelangt war und die wertvollen Jungpflanzen niedergetrampelt hatte. In der Erregung soll Tom geschworen haben, den Hof zu verlassen und zur See zu fahren.

Und so machte sich der junge Mann von gerade mal fünfzehn Jahren auf den Weg in die Bucht von Minard, wenige Meilen südwestlich von Anascaul, wo die Royal Navy einen Stützpunkt unterhielt. Begleitet von einem weiteren Jungen aus Anascaul namens Kennedy, trat Tom vor den Werbeoffizier und ließ sich von dessen Sonntagsreden so sehr beeindrucken, dass er sich ohne Umschweife dazu verpflichtete, in Königin Viktorias ruhmreiche Marine einzutreten.

Crean war zwar ein ungestümer, auf seine Unabhängigkeit bedachter junger Mann, aber da er nicht einschätzen konnte, wie der Schritt von seiner Familie aufgenommen werden würde, verzichtete er zunächst darauf, seinen Eltern davon zu erzählen. Das holte er erst nach, als die erforderlichen Unterschriften geleistet waren, weil damit jeder Versuch, ihn zum Bleiben zu bewegen, vergebliche Liebesmüh gewesen wäre.

Doch mit der Entscheidung, zur Marine zu gehen, tat sich ein neues Problem für ihn auf. Er besaß nicht nur kein Geld, sondern auch keine Kleidung, mit der er den Schritt in ein neues Leben hätte angehen können. Also borgte er sich hier eine kleinere Summe – von wem, wissen wir nicht – und dort einen Anzug. Im Juli 1893 trennte er sich von seiner abgetragenen Kleidung, schlüpfte in den geliehenen Anzug und verließ den elterlichen Hof.

Viel war es nicht, was er in sein neues Leben mitnahm. Zu den wenigen Dingen gehörte ein Skapulier, das an seinem Hals baumelte und sowohl für seinen christlichen Glauben als auch für seine Herkunft stand. Ein Skapulier besteht aus zwei viereckigen Stücken Stoff von circa fünf mal sechs Zentimetern Größe, die an einem Lederband befestigt sind. Es enthält ein Gebet, das dem Träger Trost und die Zuversicht schenken soll, dass er dereinst nicht in der Hölle schmoren wird. Dieser Gedanke wird Crean ermutigt haben, als er in sein neues Leben aufbrach. Das Skapulier sollte er jedenfalls bis zu seinem Tod nicht mehr ablegen.

Sein Weg führte ihn nach Queenstown (dem heutigen Cobh) unweit von Cork an der irischen Südküste. Begleitet wurde er von James Ashe, einem irischen Matrosen der Handelsmarine. James Ashe war ein enger Verwandter von Thomas Ashe aus Kinard, der zu einem der Anführer der Irisch-Republikanischen Bruderschaft wurde und Märtyrerstatus erlangte, als er sich 1917, auf dem Höhepunkt des Kampfes gegen die Briten, im Mountjoy Prison zu Tode hungerte.

Am 10. Juli 1893 wurde Tom Crean offiziell in die Royal Navy aufgenommen.2 Das war zehn Tage vor seinem sechzehnten Geburtstag, und so hatte er das erforderliche Mindestalter noch nicht erreicht. Es steht zu vermuten, dass er, um unterschreiben zu dürfen, entweder geschwindelt oder sogar seine Papiere gefälscht hat.

Noch war Tom Crean in der Entwicklung und bei Weitem nicht so groß und kräftig, wie er uns auf späteren Fotos von seinen Reisen in die Antarktis begegnet. Wie aus Akten des Marineministeriums ersichtlich wird, maß der Bauernjunge mit dem braunen Wuschelkopf einen Meter und 72 Zentimeter, als er im Juli 1893 seine Unterschrift in die dafür vorgesehene Zeile setzte und sich als Schiffsjunge mit der Dienstnummer 174699 verpflichtete.3

Er wurde zur Marinebasis Devonport in Plymouth geschickt, wo er auf der HMS Impregnable seine Grundausbildung als Seemann erhielt.4


Die HMS Impregnable, das hölzerne Ausbildungsschiff, auf dem Tom Crean ab 1893 seine militärische Grundausbildung durchlief.

Für einen Jungen, der zum ersten Mal in seinem Leben fern von zu Hause war, war das Leben in der Marine nicht einfach. Es herrschten strenge Regeln, auf deren strikte Einhaltung unerbittlich geachtet wurde. Der Einstieg in ein Leben als Seemann geriet so zur ersten wirklichen Nagelprobe seiner Willens- und Charakterstärke – Eigenschaften also, die später zum Markenzeichen seines abenteuerlichen Lebens werden sollten.

Er überlebte die Grundausbildung nicht nur, er beendete sie offenbar erfolgreich, denn er wurde vergleichsweise früh befördert. Schon nach einem Jahr erklomm er die erste Sprosse auf der Karriereleiter und wurde zum Schiffsjungen 1. Klasse ernannt. Kurz darauf, am 28. November 1894, wurde er auf die HMS Devastation verlegt, ein Schiff der Küstenwache, das ebenfalls in Devonport stationiert war.5 Mit diesem Schiff fuhr Crean zum ersten Mal hinaus auf See.

Über die ersten Jahre seiner Laufbahn ist wenig bekannt. Wir wissen aber von Beförderungen wie von Degradierungen, was vermuten lässt, dass der junge Mann sich mit dem ungewohnten neuen Leben an Bord gelegentlich schwertat. In den Quellen finden sich Belege dafür, dass Crean vom Leben als Seemann irgendwann derart ernüchtert war, dass er seinen Abschied einreichen wollte. Ein Autor behauptet gar, dass Crean unter dem schlechten Essen und der spartanischen Unterbringung so sehr litt, dass er mit dem Gedanken spielte, zu desertieren.6

Zweifelsohne richtig ist, dass die Navy in der Spätphase der Regentschaft Königin Viktorias ein Hort von Strenge und Unerbittlichkeit war. Traditionell eine der Säulen, auf die sich das britische Empire stützte, war die Royal Navy gegen Ende des 19. Jahrhunderts nur mehr selbstgenügsam, ineffizient und veraltet. Die Entwicklung war bei Admiral Nelson stehen geblieben, und man setzte noch immer allein auf bedingungslose Disziplin und strikten Gehorsam. Es bedurfte weitreichender Reformen durch den gefürchteten Admiral Sir John »Jackie« Fisher, um die Navy rechtzeitig vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914 zu reformieren.

Andererseits klingt es wenig glaubhaft, dass sich ein junger Mann, der soeben seiner armen ländlichen Heimat in den Bergen Kerrys entflohen war, die ihre Bewohner kaum ernähren konnte, über schlechte Nahrung und unbequeme Betten mokiert haben soll. Möglicherweise waren ganz andere Dinge für Creans Unzufriedenheit verantwortlich, Dinge, die eher seinem Alter geschuldet waren. Vielleicht litt er aber auch bloß unter Heimweh. Verbrieft jedoch ist, dass Crean einigen Trost daraus zog, dass weitere junge Iren an Bord waren, und so irgendwann beschloss, sich nicht unterkriegen zu lassen.

An seinem 18. Geburtstag, nach exakt zwei Jahren in der Navy, wurde Crean zum Gefreiten befördert. Seinen Dienst verrichtete er zu dieser Zeit auf der HMS Royal Arthur, einem Flaggschiff der Pazifikflotte. Ein knappes Jahr später, 1896, stand die nächste Beförderung an, und er wurde als Obergefreiter auf die HMS Wild Swan abkommandiert, ein mit fünfzig Metern Länge vergleichsweise kleines Versorgungsschiff, das vorwiegend im Pazifik operierte.

1898 entwickelte Crean offenbar den Ehrgeiz, etwas Neues zu erleben, und wechselte nach Devonport auf das Ausbildungsschiff HMS Cambridge, wo er den Umgang mit allerlei Geschützen lernte. Sechs Monate später, kurz vor Weihnachten 1898, wechselte er auf die HMS Defiance, die ebenfalls in Devonport lag und der Ausbildung von Torpedoschützen vorbehalten war. In Chatham, der größten Marinebasis der Navy, vervollständigte er schließlich die Ausbildung durch Schulung an weiteren Waffensystemen.7

In dieser Zeit erwarb sich Crean den Ruf, besonders zuverlässig zu sein, und die Beurteilung, die sich in seinen Akten findet, ist durchaus beeindruckend. Obwohl es in den Anfangsjahren einzelne Verstöße gegen die Disziplinarordnung gab, bewerten Creans Vorgesetzte sein Verhalten im Dienst als »ausgezeichnet«.

Etwa zu dieser Zeit – in den Jahren 1899 und 1900 – geriet Creans bis dahin nahtloser Aufstieg jedoch kurz ins Stocken, und in den Unterlagen findet sich der einzige verbriefte Makel, der seiner Laufbahn anhaftet. Ob sich darin eine allgemeine Unzufriedenheit ausdrückt oder ob Crean nach sechs Jahren Dienst in der Navy Sinn und Zweck seines Tuns aus den Augen verloren hatte, wissen wir nicht. Möglicherweise war es aber auch so, dass Crean, wie zahllose Seeleute vor und nach ihm, Opfer seines Alkoholkonsums geworden war, der Geißel der Seefahrt. Alkohol war ein fester Bestandteil des Alltags, und jeder Landgang mündete früher oder später in Gelagen, die oft aus dem Ruder liefen – mit entsprechenden Folgen für die Beteiligten. Auch Crean war kein Kostverächter, und der gesellige und kontaktfreudige junge Mann fühlte sich in Gesellschaft seiner trinkenden Kameraden wohl.

Ende September 1899 – Crean diente auf der HMS Vivid in Devonport – wurde er gleichwohl zum Obermaat ernannt. Es folgte eine kurze Zeit an Bord des Ausbildungsschiffes HMS Northampton, ehe Crean jenen Schritt vollzog, der sein Leben für immer verändern sollte.

Dieser erfolgte am 15. Februar 1900, als Obermaat Crean nach Australien und auf einen Torpedokreuzer mit einem ungewöhnlichen Namen abkommandiert wurde: HMS Ringarooma.8 Dieser Schritt war der Beginn einer neuen und gänzlich anderen Herausforderung, als der virile Zweiundzwanzigjährige sie kannte: die Begegnung mit den Härten einer Polarexpedition und Männern wie Scott, Shackleton, Wild, Evans und Lashly.

Der stille Held

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