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Zwei Jakobswege führen zusammen

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4. August, Pamplona → Puente la Reina

Hinter Pamplona folgt eine Ebene mit ausgedehnten Feldern, auf denen Weizen und Sonnenblumen gedeihen. Bald ist das Ende des Tals erreicht, ein steiler Anstieg führt einen schmalen Pfad hinauf und verläuft danach an einem Bergkamm entlang. Windräder erheben sich vor einem blauen Himmel. Auf dem Schotterpfad überhole ich Radfahrer, die hier aufwärts nur schieben können und stellenweise ihren fahrbaren Untersatz den Weg hinauf tragen müssen.

Mittags - die Sonne brennt, kein Schatten weit und breit. Ein äußerst anstrengender Aufstieg für jeden, vor allem wegen der großen runden Kieselsteine, die immer ein Stück abwärts rollen, auf denen die Füße kaum Halt finden. Langsam geht es vorwärts - einen Schritt vor, einen halben zurück.

Auf dem höchsten Punkt wird man für die Strapazen mit einem weiten Blick über die Felder und Berge ringsum belohnt. Und mit einer grandiosen Kulisse aus lebensgroßen Pilgerfiguren, die vor dem Horizont entlangziehen. Alto del Perdón, wörtlich übersetzt die ›Höhe der Gnade‹. Die Bezeichnung passt, den kräftezehrenden Aufstieg hat man nun heil überstanden. Das könnte man denken, wenn man hier zum ersten Mal unterwegs ist - man kennt den Abstieg eben noch nicht. Fast alle Pilger, die ich abends oder ein paar Tage später treffe, hatten nach diesem steilen Hang abwärts ernsthafte Probleme mit Blasen an den Füßen oder sich starke Gelenkschmerzen zugezogen, wie ich.

Unterwegs beim Abstieg treffe ich einen Koreaner und wir wandern einige Zeit zusammen. Die Unterhaltung gestaltet sich sehr schwierig, da er mit einem starken asiatischen Akzent englisch spricht, in einer Art Silbensprache. Er hätte, so verstehe ich, den Jakobsweg in Szechuan begonnen.

Das kann ich kaum glauben und finde es sehr ungewöhnlich, dass er von einer Provinz in China gestartet ist. Bei dem Gedanken an die chinesische Küche und die Spezialität ›Hühnchen nach Szechuan-Art‹ läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Beeindruckt davon, wie weit er schon unterwegs sein müsste, den Weg quer durch Asien, durch Europa und jetzt hier in Spanien bis nach Santiago de Compostela, äußere ich ihm meinen Respekt und frage, wie lange er denn schon gewandert wäre? Der Koreaner entgegnet, der Weg wäre schon sehr weit, aber er wäre erst im Juli gestartet. »Dieses Jahr?«, frage ich. Verdutzt bin ich, als die Antwort lautet: »Ja!«. Wie lange man für die Entfernung zu Fuß braucht, kann ich nicht einschätzen, aber diese in wenigen Wochen zurückzulegen, wäre schon außergewöhnlich.

Irgendwann beginnen sich seine Schuhe in ihre einzelnen Plastikbestandteile aufzulösen. Traurig erzählt er, diese wären besonders teuer gewesen, fast neu - die Marke seiner Schuhe nenne ich lieber nicht, wegen eventueller Klagen eines viel beworbenen Sportschuhherstellers. Der Koreaner wechselt dann in Gummischuhe, eine Notlösung, die eher für den Hausgebrauch gedacht ist. Im nächsten Ort setzt er sich ab und will warten, bis die Geschäfte zum Ende der nachmittäglichen Siesta wieder öffnen und erklärt, er wolle sich hier nach einem Schuster erkundigen oder Ersatzschuhe organisieren.

Wieder allein auf dem Weg, denke ich darüber nach, was der Koreaner erzählt hatte. Keinen ganzen Monat sei er unterwegs gewesen von Szechuan. Unmöglich! Vielleicht gibt es ja einen Ort, der so ähnlich klingt. Mir kommt die passende Idee und ich klatsche mir auf die Stirn. Er meint Saint Jean! Die Stadt in den Pyrenäen, in der ich ebenso gestartet bin. St.-Jean-Pied-de-Port!

Die Sonne wirft schon lange Schatten, als ich in Puente-la-Reina ankomme und das erste Gebäude erreiche - das eine private Herberge ist. Die Angestellte am Empfang meint entschuldigend, sie wären leider weitgehend belegt, die restlichen Betten hätten andere reserviert. Schon wieder Pech mit der Unterkunft, denke ich, so spät bin ich heute doch gar nicht. Sie ergänzt, eine halbe Stunde könne ich warten, denn um 19 Uhr abends würden die reservierten Plätze an andere Pilger vergeben, wenn bis dahin keiner aufgetaucht ist. Ich habe Glück, da diese verschollen bleiben - ich habe damit ein Bett für die Nacht.

Hier gibt es auch eine Waschecke, im Garten ist eine Wäscheleine gespannt. Sehr gut. Meine seit Roncesvalles feucht gebliebene Wäsche entwickelt in der Plastiktüte mittlerweile einen unangenehmen Geruch von Schimmel, deswegen begebe ich mich ans erneute Waschen.

Ein Pilgermenü gibt es im Angebot: Für 10,90 Euro darf man sich bei einem umfangreichen Buffet so reichlich bedienen, wie man will. Zwei Hauptgerichte gibt es zur Auswahl, dazu eine Flasche Wein. Da kann ich nicht nein sagen. Den Bauch schlage ich mir mit allem Möglichen voll, besonders vorzüglich schmecken die spanischen Tapas. Und die Paella, bei der ich mir reichlich von den Muscheln und Krabben herausfische.

Abends mache ich es mir im Aufenthaltsraum gemütlich, denn es gibt hier WLAN-Zugang, einige Zeit beschäftige ich mich mit meinem Smartphone. Bis eine Pilgerfamilie erscheint. Der Familienvater packt eine Creme aus und massiert seinem ersten Sohn damit die Beine. Im Raum breitet sich ein penetranter Geruch aus, nach Eukalyptus vermutlich. Er verwendet immer mehr Creme und mit der Zeit wabert durch den Raum eine Wolke mit bestialischem Gestank, ich kann kaum noch atmen. Dann kommt sein zweiter Sohn an die Reihe, mit einer Beinmassage und der gleichen Creme. Das halte ich nicht mehr aus und ergreife die Flucht. Wahrscheinlich funktioniert die schmerzstillende Wirkung der Creme derart, dass der ätzende Geruch in der Nase alle sonstigen Empfindungen überdeckt und man die Schmerzen nicht mehr wahrnimmt.

In Puente la Reina, dem Namen nach die Brücke der Königin, vereinigen sich zwei Alternativen des Camino Francés: die Navarrische Route, auf der ich unterwegs bin, und die Aragonesische Route. Zweitere ist eine höhere und längere Variante - man überquert die Pyrenänen über den Somport-Pass.

Eine Pilgerreise zum Ende der Welt

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