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Оглавление5. Dezember – Jessica
Irgendwo in einer mittleren Großstadt in Deutschland
Am gestrigen Abend saß sie gemütlich auf ihrem Sofa, ein Bein unter das andere geschlagen, in dicken Puschelstrümpfen und ihrem langen bequemen Nachthemd. So würde sie natürlich keinen Schönheitswettbewerb gewinnen, denn ihre Haare sahen aus, wie ein Griff in eine Steckdose.
Der Zettel, den Sabine ihr gegeben hatte, lag, wie sie ihn ihr überreicht hatte, zusammengefaltet und unschuldig auf dem Tisch.
Jessica hielt eine große Tasse Kräutertee mit beiden Händen umfangen, starrte auf das Ding, mit der leisen Hoffnung, dass es sich in Luft auflösen würde.
Zehn Minuten später lag er wie festgenagelt, wie angeschweißt auf dem Tisch. Kein Lufthauch hatte ihn hinweggeweht, kein Feuer ihn verbrannt.
Sie wusste, wenn sie ihn auseinanderfalten würde, musste sie sich mit dem Weihnachtsding auseinandersetzen. Denn das hieß dann, ihre ruhige und ungeschmückte Wohnung zu verlassen, sich in den Tumult des Weihnachtsgeschäftes drängen zu müssen.
Bah, sie ließ sich in ihr Sofa sinken. Dieser Gruppenzwang machte sie wütend. Und hilflos. Und machtlos.
Ach Jessica – reiß dich zusammen!
Mit einem Ruck setzte sie sich wieder auf, stellte ihre Tasse beiseite und griff nach dem Papier.
Argwöhnisch öffnete sie Falte um Falte.
Sie brauchte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie den Zettel so geglättet hatte, um die feinen Buchstaben zu entziffern.
Bei jeder Zeile, die ihr ins Auge sprang, vergrößerten sich erstaunt ihre Augen, ein leicht entsetzter Gesichtsausdruck wechselte mit einer gleichzeitig einsetzenden Erheiterung. Das aufwallende schallende Gekicher löste in ihr die Verspannung. Sabine – Sabine!
Morgen musste sie ihr unbedingt eine Umarmung schenken, auch wenn es nicht ihre Art war.
Die vier Zeilen waren jede für sich ein Hingucker, eine Spezialität – ein wow! Sabine hatte ihr so herrliche Vorschläge aufgeschrieben, die es eigentlich alle verdient hätten, den Weg in das Wichtelpaket zu finden. Dass sie diese Sachen auch gleich bei sich um die Ecke besorgen konnte, war nahezu perfekt. Sie würde sich schnell nochmal anziehen und in den Laden huschen.
Sie blieb dabei, Sabine war ein Schatz.
Auf dem Weg dorthin überlegte sie, was ihr persönlicher Favorit wäre. Die Kaffee-Aromen-Proben? Hm ... nicht unbedingt, sie hatte ihre Sorte und der blieb sie treu. Der Teeadventskalender? Eine gigantische Idee, nur war ja dann schon der 6. Dezember. Das käme vielleicht etwas seltsam rüber. Oder die 24 kleinen zuckersüßen Männer Pos? Bei dem Gedanken musste sie doch breit lächeln. Nein, die nahm sie doch lieber in Natura. Blieb, im Großen und Ganzen, nur noch die kleinen Kamasutra Täfelchen übrig.
Ja, dieser Vorschlag gefiel ihr.
Schnell huschte sie die beträchtlich überfüllte Straße entlang, blieb kurz vor der Confiserie stehen, betrachtete die reichlich dekorierte Auslage und musste kurz feststellen, wenn man einen Plan hatte, war es nicht allzu schwer das Geschenk im Weihnachtstrubel zu organisieren. Die zwei Stufen überwindend, öffnete sie die große Glastür und wurde von einem intensiven Duft von Schokolade, Kaffee und Tee eingehüllt. Diese Gerüche setzten eine Flut von Erinnerungen frei. Kurz blitzten Gedankenfetzen auf, ihre Oma in der Küche am Herd – Plätzchen backend, ihre Eltern am wuchtigen Tisch, wie sie Kaffee tranken. Sie hatte eine von Omas Lieblingstassen in der Hand und trank vorsichtig ihren heißen Kakao.
Da traf sie von hinten ein kalter Luftzug, ein weiterer Kunde wollte eintreten. Mit einer entschuldigenden Geste bewegte sie sich weiter in den Raum. Überall standen schon Menschen, die sich die zauberhaften und geschmackvollen Eventuell-Geschenke besahen, darüber diskutierten, ob es Schwester X, Tante Y oder Oma Z gefallen könnte.
Nach einigen Minuten gab sie es auf. Sie würde die Kamasutra-Tafeln selber nicht in der riesigen Auswahl finden. So peilte sie eine Verkäuferin an, die sie aufmunternd anlächelte ... Nach dem Motto – musst du mich fragen? Geh doch bitte zu meiner Kollegin! ... Nein, sie hatte Pech, sie war die Auserwählte, sie durfte ihr helfen.
Freundlich und entschlossen lächelte sie ihr entgegen. Versuchte dabei, ihr Lächeln nicht zu genervt erscheinen zu lassen.
„Schönen guten Abend ... Sie können mir doch bestimmt helfen?“ Lächeln – lächeln – lächeln. Bis es weh tut.
„Natürlich, zumindest hoffe ich das.“ Wie nett ... Was, wenn ich einen Elefanten aus Schokolade haben, wöllte? Jessica konnte ihre Gedanken gerade noch zügeln, damit sie den Weg nicht durch ihren Mund fanden. Die liebenswürdige Verkäuferin konnte nun wirklich nichts dafür.
„Sehr schön. Haben Sie noch die Kamasutra-Schokoladen-Täfelchen?“ Nett zu sehen, wie das Gesicht der Bedienung zu einer Maske erstarrte. Verlegen blickte sie nun um sich. Sehr viel leiser und verhaltener klang ihr „... da muss ich nachschauen.“
Jessica lächelte weiterhin, ist doch nichts dabei. Es ist doch nur Schokolade.
Einen Augenblick später kam die freundliche Dame mit einem, A4 großen, Metallkästchen zurück. Jetzt war es an Jessica zu schlucken, so groß hatte sie es sich nicht vorgestellt. Na gut, sie hatte es sich überhaupt nicht vorgestellt. Aber das war schon – groß.
„Sie haben Glück, dieses eine war noch da. Soll ich es Ihnen einpacken? Als Geschenk?“ Guck an, jetzt saß auf deren Gesicht ein verruchter Ausdruck. Für wen dachte die denn, dass sie es kaufen wird?
Aber Jessica konnte auch so.
„Das wäre überaus nett, wenn Sie noch ein Kärtchen hätten und darauf schreiben könnten „Für Tanja – viel Spaß bei der Umsetzung?“ “
Entgleitende Gesichtszüge sind herrlich. Immer wieder.
„Selbstverständlich – kein Problem.“
„Wunderbar.“
Fünf Minuten später hatte sie ihr hübsch eingepacktes Weihnachtsgeschenk, und machte sich umgehend auf den Weg zurück zu ihrer Wohnung.
Sie brauchte wirklich nur die paar hundert Meter zu laufen, gleich konnte sie sich von Neuem auf ihr Sofa räkeln und alles andere vergessen.
Ganz in Gedanken versunken, ihr Päckchen fest unter den Arm geklemmt, lief sie mit eiligen Schritten die Straße entlang.
Sie konnte nur mit Mühe der Katze ausweichen, die kreischend über die Straße lief, fast von einem Auto gerammt wurde und direkt auf sie zusteuerte. Der kleine Satz zur Seite brachte ihr allerdings keine Rettung.
Als sie den einen Fuß wieder aufsetzen wollte, trat sie auf etwas weiches Nachgiebiges. Das sollte auf einer Straße nicht so sein, dachte sie noch. Kam ins Straucheln und fiel, wie im Fernsehen, im Zeitlupentempo nach hinten. Presste das Geschenk an sich, um es vor jeglichen Schaden zu bewahren, und landete auf ihren Allerwertesten.
Ihr erster Gedanke – hoffentlich hatte es keiner gesehen. Denn natürlich musste sie auf Höhe eines Restaurants auf ihr Gesäß fallen. Der zweite Gedanke – war verdammt schmerzhaft.
Ein „Autsch“ brachte sie kurz hervor, dann fiel ihr das Weiche ein. Hatte es gewinselt? Nein, das hatte sie sich doch bestimmt eingebildet? Aber nein, sie horchte genauer, da fietschte doch ganz leise etwas? Was für eine arme Kreatur hatte sie denn da aufgegabelt.
Trotz ihres schmerzenden Hinterns suchte sie die Umgebung ab.
In den schummrigen Lichtverhältnissen unterhalb der großen Fenster konnte sie zuerst überhaupt nichts ausmachen. Es dauerte eine geraume Weile, bis sich ihre Augen langsam an die dunkleren Sichtverhältnisse gewöhnten. Da sah sie es, etwas kauerte ganz dicht an der Mauer etwas Felliges, etwas Kleines.