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5. Dezember – Luke

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Luke saß in dem Hotelzimmer, drehte die Visitenkarte ständig zwischen den Fingern hin und her.

Wie sollte er sich jetzt verhalten?

So schnell hatte er wirklich noch keine Frau kennengelernt, eine die ihn von sich aus angesprochen hatte. Ein etwas seltsames Gefühl. Normalerweise war er derjenige, der die Initiative ergriff.

Zu seinem Leidwesen verkörperte sie genau die Art Frau, die schon lange nicht mehr zu seinem Beuteschema gehörte.

Wie sollte er sich denn da mit ihr verabreden? War das nicht ohnehin von vorneherein zum Scheitern verurteilt?

In diesem Moment fühlte er sich verdammt hilflos, kraftlos und am schlimmsten – mutlos. Kalt lief ihn ein Schauer den Rücken hinunter, tausende Gedanken stürmten augenblicklich auf ihn ein. Erinnerungen von vor zwanzig Jahren, Begebenheiten von den letzten Monaten, er war nicht in der Lage sie zu stoppen. Wie eine reflektierende Lichtmaschine im Kino flimmerten die einzelnen Bilder vor seinen Augen.

Er sah seinen Vater aufgebahrt in der Kirche ruhen. Die tiefe Verzweiflung seiner Mutter spürend, seine eigene immense Traurigkeit, wie er langsam die Hand in die seiner Mutter schob, um sie zuhalten, zu stützen, an sich zu binden. Der Verlust zerbrach sie fast. Er hörte immer noch den einen Satz, den sie immer wieder vor sich hin flüsterte „Wie soll ich weiterleben?“ Sie schuf ihn ihm ein Angstgefühl, das über all die Jahre nicht kleiner wurde, nein, es verfestigten sich weitere Gedanken, die ihn mehr wie beunruhigten.

Er stellte sich Fragen nach dem Sinn des Lebens, wie lange er wohl leben würde, ob er so alt würde wie sein Vater?

Dann sah er seinen Ausbilder, während er ihm sein Zeugnis überreichte und ihm dabei kräftig auf die Schulter klopfte, „Du gehst deinen Weg“ hatte er ihm gut zugesprochen. Von da an, wusste er auch, dass er seine Ziele erreichen konnte, wenn er sich reinhing, weiterbildete und vor allem in die Materie vertiefte. Sein Hauptziel, eine eigene Firma aufzubauen, verlor er nie aus den Augen. Eine Quelle an Informationen tat sich in der Zeit seiner Wanderschaft auf. Nach der Ausbildung arbeitete er zwei Jahre in verschiedenen Firmen, lernte dort von deren Meistern. Nebenbei absolvierte er einen Fernkurs in denen die Grundlagen einer Firmenführung, Buchhaltung, Personalwesen, Kalkulation von Angeboten und Preisen gelehrt wurden. Jede Woche kam er seinem Traum einen Schritt näher.

In dieser Zeit hatte er weder Lust sich um eine Freundin oder geschweige denn, eine Frau zu kümmern. Voll und ganz ging er in seiner Berufung auf, besondere Einzelstücke aus Holz zu fertigen. Mittlerweile war seine Firma derart angewachsen, dass er dreißig Leute aus dem Dorf und den umliegenden Gemeinden beschäftigte. Privatleben gönnte er sich nicht. Wollte er nicht.

Inzwischen glaubte er, den Grund dafür zu kennen. Er wollte einer möglichen Partnerin den Schmerz und die Verzweiflung nicht antun, die er bei seiner Mutter gesehen hatte, als Vater starb. So blieb er lieber allein und beendete Beziehungen bevor sie zu viele Erwartungen weckten.

Nicht nur er beendete sich anbahnende Romanzen, einigen der Damen waren die Landluft zu ländlich, die Stadt zu weit weg, die Partys zu lasch und alles einfach zu öde. Sie wollten mehr, wollten Action in ihrem Leben, was er nicht bereit war zu geben.

Und jetzt funkte ihm seine Mutter mit ihrem unrealistischen Wunsch dazwischen. Aufgelaufene Gefühle des Frustes lösten sich in einer ruckartigen Handbewegung. Gleichzeitig stieß er einen entnervten Ton aus.

Dabei fiel sein Blick wieder auf die Visitenkarte. Jetzt sollte er nur noch abwarten. Bis was? Nein, er hatte keine Zeit zum Warten. Der 24. war nicht mehr weit. Und möglicherweise lag seine Mutter ihm dann nicht mehr in den Ohren, nimm dir eine Frau – heirate endlich – gründe eine Familie.

Langsam ließ er sich zurück auf das Bett fallen. Minutenlang starrte er die Decke des Hotelzimmers an. Die weiße Eintönigkeit erinnerte ihn für einen Moment an sein Zuhause, an den weißen unverfälschten Schnee, der meistens um diese Jahreszeit vor seiner Haustür lag. Unberührt und rein.

In dieser Sekunde beschloss er, auf nichts mehr zu warten. Er winkelte die Arme an, hob den Zettel vor sein Gesicht und betrachtete den Namen. Tanja. Er passte zu ihr. Die Beherzte, die Kämpferische. Zumindest hatte sie gestern so einen Eindruck bei ihm hinterlassen.

Mit einer Hand fingerte er sein Handy aus der Hosentasche und wählte ihre Nummer.

Nach dem dritten Läuten wollte er schon auflegen, da meldete sich ein genervtes „Ja?“.

Für einen Augenblick schwieg er, holte tief Luft und wollte sich vorstellen. „Hallo? Können Sie sich melden?“

Anstelle der sonoren coolen Stimme verhaspelte er sich gleich.

„Wir kennen mich ...!“ Völlig am Boden schlug er sich die Hand an die Stirn. Wie dämlich kann man eigentlich sein. Er stieß einen gedankenverlorenen Seufzer aus. Dann räusperte er sich, so als müsste er über etwas hinwegspielen.

„Hallo Tanja, hier ist Luke. Wir haben uns gestern in dem kleinen Restaurant getroffen.“ Ja, das hörte sich wesentlich besser an. „Zusammen mit Markus“, setzte er noch als Sicherheit hinterher.

Er hatte sich ziemlich zum Trottel gemacht.

„Ja, stimmt. Luke. Das ist aber nett, dass du anrufst. Ich hoffe, du hast ein gutes Zimmer in der Stadt. Oder wohnst du bei Markus?“

„Ich wohne hier im Hotel“, der nächste Stirnklatscher kam. Hier wird es sicherlich nicht nur ein Hotel geben. Luke – hör einfach auf.

„Wie schön, wollen wir zusammen essen gehen?“ Die Frau ging zur Sache.

„Bevor ich noch irgendwelchen Blödsinn rede, ja, das wäre eine tolle Idee.“

„Hast du heute Abend Zeit?“ Ihr anzügliches Grinsen konnte er sich bildlich vorstellen. Im Hintergrund hörte er weitere Stimmen. „Wenn Du zu tun hast, melde ich mich einfach später!“

„Nein, nein, bleib dran. Ich bin nur hier im Großraumbüro und sammle Wichtelgeschenke ein. Das ich mit imaginären Personen im Raum spreche, daran sind die Damen und Herren gewohnt. Also. Wo wollen wir uns treffen?“ Er kam nicht dazu, Luft zu holen.

„Ach, ich weiß ja nicht einmal, ob du dich hier auskennst. Ich mache dir einen Vorschlag!“

„Gerne ...“

„Fein. Ich arbeite noch ungefähr eine Stunde. Dann habe ich für heute Feierabend. Soll ich dich dann im Hotel abholen? Wir können uns auch an meiner Firma treffen. Im Lokal ginge auch. Wie es dir lieber ist.“ Zu viele Optionen.

„Kling super. Sag mir, welches Lokal und ich habe eine Stunde Zeit, es zu finden.“

„Ein richtiger Naturbursche eben – du gefällst mir. Wir sehen uns nachher in „Lottes Stübchen“, da gibt es die besten Drinks und das beste Essen der Stadt. Abgemacht?“

„Ja, bin dabei. Ich mache mich dann mal auf die Suche! Bis gleich.“ Auf der Gegenseite wurde aufgelegt.

Ihn packte neuer Elan, berauscht von einer Idee, die sich in ihm soeben fest gesetzt hatte, sprang er auf, lief in die Dusche, suchte sich danach frische Kleidung und ging zur Rezeption. Dort erkundigte er sich nach dem Weg und ließ sich eine Beschreibung geben. Setzte sich in seinen Pick-up und fuhr in Richtung „Lottes Stübchen“.

So weit war der Weg nicht, der Verkehr einigermaßen flüssig und er fand, zu seinem Erstaunen, auch gleich einen Parkplatz. Eine Viertelstunde hatte er Vorsprung, die schlenderte er über die angrenzende Einkaufspromenade. Seine Einkäufe für die Kiddies standen auch noch an.

Wie er so durch die Straße schlenderte, sich die Auslagen betrachtete, fühlte er sich die ganze Zeit beobachtet. Verstohlen blickte er sich hin und wieder zur Seite um, drehte sich um. Er kam sich in diesem Moment etwas paranoid vor.

Keine Menschenseele sah ihn an. Zumindest nicht bewusst.

Und trotzdem hatte er das Gefühl von Augenpaaren verfolgt zu werden.

Augenpaaren?

Reichte ihm nicht einmal ein Paar?

Soweit er erkennen konnte, fand ihn niemand interessant. Was hatte das nun wieder zu bedeuten.

Über sich selbst konnte er tatsächlich nur noch den Kopf schütteln.

Er brauchte Urlaub. Er war einfach überfordert.

Pünktlich erreichte er den Eingang zu dem Lokal. Nur, um festzustellen, sie hatten keine Vereinbarung getroffen, ob sie sich vor oder im Restaurant treffen wollten.

Ja, so eroberte man Frauenherzen.

Masche - schusseliges Landei.

Wie der Zufall es wollte, traf Tanja genau in diesem Augenblick ein. Sie kam aus der Parkstraße direkt auf ihn zu.

„Na das ist doch eine Überraschung! Hast du auf mich gewartet?“ Sie umfasste gleich seine Arme und Bussi links und Bussi rechts.

Tja, was antwortet man jetzt als Gentlemen?

„Ich bin gerade erst angekommen.“ War sicherlich nicht so passend. Die Frau schien nicht das Beste aus ihm herauszuholen.

„Dann schauen wir mal, ob wir noch einen Platz ergattern.“ Sie verkehrte scheinbar öfter hier, denn sie öffnete gezielt die Tür, trat ein und wurde auch gleich von der freundlichen Dame im Eingangsbereich begrüßt.

„Hallo Tanja, du siehst gut aus. Schön, dass du mal wieder vorbeischaust.“

„Peggy, Süße, hast du noch einen Tisch für zwei Personen für uns?“ Dabei zeigte sie galant zwischen sich und Luke hin und her.

„Tanja, Sweetheart – für dich doch immer“, sie nahm zwei Speisekartenbücher aus ihrem Fach und deutete ihnen an, ihr zu folgen.

Sie führte sie zu einer kleinen abgelegenen Nische mit einen runden Tisch und zwei Stühlen. Ein großes, mit schweren Vorhängen behangenes Fenster, sehr weihnachtlich dekoriert, ließ einen romantisch abgeschotteten Eindruck entstehen.

Luke hielt Tanja zuvorkommend den Stuhl zurecht. Gentlemanlike eben.

„Wie süß“, kam nur von ihr.

Sollte ihn das jetzt verunsichern?

Er nahm auf dem anderen Stuhl platz, schaute sie leicht erwartungsvoll an. So recht wusste er nicht warum. Aber irgendetwas sagte ihm, dass sie etwas tun sollte.

Er fühlte sich seltsam.

Es fühlte sich seltsam an.

Redlich bemühte er sich um einen flüssigen Gesprächsablauf. Aber irgendwie kam es nicht richtig ins Laufen.

Ein wenig gelungenes Date, würde er sagen.

Immer wieder bildeten sich längere Gesprächspausen, sie fanden keinen wirklichen gemeinsamen Nenner.

Gut, zum ersten Date vielleicht etwas überfordert, aber sollte man nicht wenigstens ein gutes Gefühl dabei haben?

Bis sie zum Thema Wirtschaft kamen, war es eine ziemlich stockende und holprige Unterhaltung. Hier trumpften beide mit ihrem Wissen.

So verging dann doch die Zeit von der Vorspeise bis zur Hauptspeise in einer angemessenen Atmosphäre.

Tanja hatte ihr Urteil gefällt.

Süß, ein bisschen zum Naschen, aber ansonsten nichts außergewöhnliches. Ja, sie fand ihn total goldig, aber das war es auch schon. Ihr erster Eindruck hatte sich bestätigt.

Aber sie wollte nicht ungerecht sein, nach einem kurzen Gespräch mit Markus, bemühte sie sich redlich, dem Treffen einen romantischen Touch zu geben. Nur gelang es ihr heute und hier nicht wirklich.

Möglich, dass es an der Stimmung, dem Wetter oder dem Lokal lag. Hier gegenüber saß keine neue Eroberung. Sie wird Markus aber den Gefallen tun und noch ein oder zweimal mit ihm ausgehen.

Sie waren beim Dessert angelangt, da bemerkten sie einen kleinen Tumult vor den großen Fenstern. Leider war wegen der ganzen Weihnachtsdeko so gut wie nichts zu erkennen. Tanja nahm das aber als Anlass, den Abend zu beenden.

„Du, hör mal, der Tag war recht lang. Ich könnte jetzt eine Dosis Schlaf gebrauchen.“ Sein Gesicht verschloss sich eine winzige Sekunde lang. Diese Gefühlsregung, wurde registriert, sie änderte nach kurzem Überlegen ihre Meinung und er beobachtete, wie es in ihrem Kopf arbeitete.

„Wie wäre es, begleitest du mich morgen zu einer betrieblichen Veranstaltung? Markus kommt auch.“

„Hm, ich weiß nicht, kannst du so einfach jemanden mitbringen?“

„Natürlich ...“, als ob es da Fragen geben könnte, so selbstbewusst war ihr Blick.

Etwas unschlüssig war sich Luke schon. Er hatte bemerkt, dass die Chemie zwischen ihnen beiden nicht wirklich stimmte. Warum sie ihm das jetzt noch so anbot, verwunderte ihn leicht.

Aber gut, er wollte sehen, was sich noch alles ergab. Vielleicht war heute einfach ein schlechter Tag für sinnliche Schwingungen.

Die Aufregung vor dem Lokal hatte sich verflüchtigt. Als beide das Restaurant verließen, hörten sie nur, wie jemand sagte: „Das kann auch nur in der Weihnachtszeit passieren. Das ist so nett von der Frau ...“, Tanja und Luke sahen sich leicht amüsiert an. Verabschiedeten sich und Luke brachte sie zu ihrem Wagen.

Dezember - Adventsgeschichte

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