Читать книгу Dezember - Adventsgeschichte - Michaela Leicht - Страница 6

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Eine Woche vor Dezember

Ein lauter Gong ertönte durch alle Sphären. Dumpf, wie ein Donnergrollen, rollte er durch jeden Winkel seiner Behausung.

Träge hob Räuber ein Augenlid, kaum das er die Kraft hatte, es ganz zu öffnen. Seinen Schlafplatz hatte er so kuschelig zurecht gescharrt, dass er in einer kleinen Kuhle ruhte. Zusammengerollt und noch tief im Schlaf gefangen, dröhnte der Gong in ihm nach.

Schwerfällig kämpfte er sich hoch, die Augen ließ er lieber nur einen Spalt offen. Erhob sich auf die Vorderbeine, dehnte dabei jeden einzelnen Muskel in seinem Körper. Krümmte das Kreuz, um gemächlich die Hinterbeine lang von sich zu strecken. Schüttelte sich kurz, damit sein wunderschönes weiches Fell, wieder in Form fiel. Seelenruhig trottete er zu der kleinen Vertiefung weiter hinten im Raum, um schnell einen Schluck Wasser zu saufen. Den Kopf bereits über das Getränk gebeugt, dröhnte dieser verflixte Gong erneut.

Ach Mist – ausgerechnet heute stresste der Boss auch wieder. Das Meeting wurde auch jeden Tag eher angesetzt. Grrrr, so ein Mist – ehrlich –, sein Date gestern mit Chloe verlief dermaßen vielversprechend, dass er völlig die Zeit vergessen hatte und sehr spät den Weg hierher fand. Dementsprechend müde war er noch. Wenn das so weiterginge, müsste er tatsächlich kürzertreten und mehr auf seine Gesundheit achten.

Zwei Schlecker aus dem Wasser genascht, nochmal aufgeschüttelt, dann rannte er aber los.

Die vielen Gänge, Winkel und Etagen überwand er in einer Gedankenschnelligkeit. Vor einer gewaltigen weißen Wand stoppte er und wie durch Zauberhand, öffnete sich eine kleine Tür in seiner Größe.

Mit Schwung schlitterte er durch die Tür und rutschte auf dem glatten Boden mehrere Meter weit in den Raum hinein. Zum Glück standen schon jede Menge Mitarbeiter da, die bremsten ihn mit ihren Körpern, knurrten ihn aber zurechtweisend an.

„Fein – sind wir jetzt vollzählig?“ Die tiefe dunkle Stimme war mehr als respekteinflößend. Wenn ihn dann auch noch der durchdringende Blick traf, kam sich Räuber absolut klein und unbedeutend vor.

„Kommst du jemals pünktlich? Du bist der Einzige, der ständig zwei Aufforderungen bedarf ...“, dann senkte sich die Stimme noch deutlicher und ein vorwurfsvolles „Räuber?“, wurde in den Raum geworfen.

Mit seinen hellen klug und treu schauenden Augen, die er weit aufriss, damit sie kugelrund wirkten, mit leicht angehobenen Brauen, schaute er vertrauensvoll in Richtung des „Boss“. Er wusste, dass dieser Blick unwiderstehlich war, keiner konnte sich dem entziehen. Nicht einmal sein großer und über allem stehender Chef.

Ein leises Brummen ertönte und der Boss rief die Tagesordnung aus.

„So meine Strolche, Räuber, Halunken, Schlitzohren, Schlawiner und welche Namen ihr auch tragen mögt, es ist wieder soweit – wir haben die arbeitsreichste Zeit des Jahres vor uns liegen. Das heißt, wir haben Doppelschichten, Überstunden und wahnsinnig viel Mehrarbeit. Urlaub ist gestrichen, Frei – wagt nicht einmal, danach zu fragen. Die Listen liegen bei den Damen im Verteilungsbüro aus. Ich wünsche euch viel Erfolg – bedenkt bitte immer die Konsequenzen, wenn ich merke, dass ihr nicht mit tausend Prozent bei der Sache seid.“ Mit einer großzügigen Handbewegung entließ er seine Angestellten.

Alle anwesenden Hunde tummelten sich schnell zum Ausgang, die kahle dunstfarbene Wand war verschwunden und der Blick auf eine lange Reihe leicht erhöhter Schreibtischen frei. Wie man es aus den klischeebehafteten Zeichentricksendungen kannte, saßen im Abstand von etwa einem Meter Hunde-Bürodamen. Einige schrecklich schick gestylt andere bieder und mit dicker Hornbrille. Vor den Damen bildeten sich lange Reihen von Mitarbeitern, jeder Hund musste seine Mitarbeiternummer angeben, bekam dann einen Zettel mit dem Einsatzgebiet und den Namen ihrer Schützlinge. Ab und zu war ein erstauntes „Oha“ zu hören oder auch ein enttäuschtes Knurren.

Räuber war wieder einer der Letzten, der den Versammlungsplatz verließ, er trödelte hier und da, schnupperte an fiktiven Punkten. Er hatte es nicht eilig, immerhin würde er so oder so seinen Auftrag erhalten. War ja nicht so, dass nicht genug davon vorhanden wären.

Mit einer geschmeidigen Leichtfüßigkeit setzte er sich in Bewegung, da hielt ihn ein tiefer brummender Laut auf.

„Warte“, oh je, abrupt verhielt Räuber im Schritt.

„Komm schon her, ich muss dir deinen Auftrag etwas näher erläutern.“ In der Stimme seines Chefs lag heute ein seltsamer Unterton. Er arbeitete nun einige Jahre bei ihm, aber in so einer Stimmung hatte er ihn selten erlebt.

Halbherzig drehte er sich um, er ahnte bereits, dass das was jetzt kam, wiedermal nicht so ein Null-Acht-fünfzehn-Ding werden würde. Mist.

„Gibt es ein Problem?“ Räuber ließ sich nicht gern irreführen. Lieber behielt er die Oberhand und den Durchblick.

Die riesenhafte dunstartige Wolkengestalt formte sich zu einem Bernhardiner. Räuber bewunderte ihn dafür immer, er mimte bei solchen Gesprächen nie den Überboss. Natürlich war er ständig „größer“, ups, jetzt wäre ihm doch fast „menschlich“ im Kopf herumgeschwirrt.

Er hoffte, dass ER zu abgelenkt war, um seine Gedanken aufzuschnappen, zuzuordnen.

„Einige“, kam eine missgelaunte Antwort aus dem Bernhardiner.

Räuber fand, dass es jetzt an der Zeit war, endlich die Karten auf den Tisch zu legen, immerhin wollte er noch mit Chloe ausgehen.

„Du bearbeitest einen etwas komplizierteren Auftrag!“ Zugegeben allein bei diesen Worten musste Räuber innerlich stöhnen. Geflissentlich unterließ er jeden Kommentar. Bei allem, was recht ist – „Nicht schon wieder“, lag ihm jedoch auf der Zunge.

Vor einigen Jahren zum Beispiel konnten nur eine Verlängerung der Frist sowie eine zweite Chance für ihn und seine Schutzbefohlenen eine Katastrophe vermeiden. In letzter Minute haben die beiden Schützlinge ihre Liebe doch noch entdeckt und in den jeweils anderen gefunden.

Dann etwas später, ein oder zwei Jahre nach bereits erwähnten Vorfall, haben sich seine Schützlinge in total unvorhergesehene Kandidaten verliebt. Es kam, als das „Jahr von Räubers Katastrophe“, in die Geschichtsbücher der Abteilung. Über dieses Jahr sprach er verdammt ungern, am liebsten gar nicht.

Und wieder durfte er so einen vertrackten Auftrag ausführen. Irgendjemand schien ihn sehr zu hassen oder besonders zu mögen. Keine Ahnung. Aber mittlerweile fiel es auf.

Ein lauter Hüsteln drang durch seine Gedankengänge. Scheinbar waren hier nicht einmal die Gedanken privat, denn sein Boss sah ihn mit zusammengekniffenen Augen und hochgezogener Augenbraue an (sofern man bei Hunden von Augenbrauen spricht).

OH – ups ... schnell dachte er an eine weite Wiese, wo er genüsslich an einen Baum pinkelt.

Na, der Gedanke schien dem Boss auch nicht zu gefallen, denn ein vorwurfsvolles „Muss das sein?“, schlich sich in seinen Kopf, flog wie kleine Sprechblasen über die weite grüne Fläche, auf die er eben noch so genussvoll gepinkelt hatte.

Kann ein Hund rot werden?

„Räuber, jetzt im Ernst! Du bekommst zwei sehr nette und, jeder für sich, auch händelbare Schützlinge – sie passen perfekt zueinander – nur wissen sie es halt noch nicht. Und da kommst du wieder ins Spiel.“

Sein Boss setzte sich auf die große zottelige Kehrseite, nahm eins der langen behaarten Hinterbeine und kratzte sich genießerisch hinter dem Ohr.

„Und was ist, wenn sie aufeinandertreffen? Ein bisschen himmlisches Pfefferspray? Schon schauen sie sich verliebt in die Augen ... Lieben sich ein Leben lang, schwören ewige Treue, sehen nie wieder andere an ....“, leise grummelte er in seinen Bart „... so eine Verschwendung ...“

Fast sah es so aus, als würde sich der große Hund vor ihm verlegen am Kopf kratzen.

„Naja, so einfach wird es leider nicht ... Tu mir einen Gefallen – lerne sie kennen, beobachte sie jetzt die nächsten Tage und mach dir einen Plan! Aber einen – der dieses Mal funktioniert!“ Pfatsch – autsch – da war er – der Seitenhieb. Etwas bedröppelt starrte er auf den Boden, ja, er hatte doch recht ... Aber er würde es überleben.

„Habe ich eine Deadline?“ Er war einfach doch professionell, ließ sich nichts von dem kleinen Schwachpunkt anmerken.

„Natürlich – der 24.12. - gibt es da Fragen? Sie müssen zusammen an einem Weihnachtsbaum sitzen! Und es muss dieses Jahr funktionieren – wir verlieren sonst unsere Glaubwürdigkeit!“

„Wir?“ Räubers Einwurf war frech. Sehr frech, denn ein Knurren, tief und nicht freundlich, drang aus dem Bernhardiner.

„Natürlich wir! Denkst du, wir leiden nicht auch unter Budgetkürzungen“, seine Stimme nahm einen resignierten Klang an. Der Boss stieß ein gefrustetes Prusten aus.

„Halt dich ran, ich weiß, dass du das kannst!“

Na prima, welch Motivation. Schon bei dem Gedanken verwandelte sich der große Hund vor ihm, wieder in eine ätherische, von innen leuchtende, körperlose Lichtgestalt.

Räuber schüttelte sich kurz, kratzte sich mit der Vorderpfote über die Augen und trotte zu dem letzten noch offenen freien Schalter.

„Chloe – mein Schatz, wie sieht es mit unserem Date aus?“ Die hübsche Hündin hinter dem Tresen blinzelte ihm verlockend zu. Und mit einem Schlag waren die Worte des Vorgesetzten in Vergessenheit geraten.

Dezember - Adventsgeschichte

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