Читать книгу Didaktik und Neurowissenschaften - Michaela Sambanis - Страница 18
2.5.3 Was lange währt… : Der präfrontale Cortexpräfrontaler Cortex
ОглавлениеViele Unterschiede zwischen dem sich entwickelnden und dem erwachsenen Gehirn hängen mit dem präfrontalen Cortexpräfrontaler Cortex zusammen. Das ist auf die lange Entwicklungszeit des präfrontalen CortexCortex zurückzuführen. Die Bezeichnung präfrontaler Cortex umfasst die Hirngebiete im FrontallappenFrontallappen, die nicht zu den motorischen Arealemotorisches Arealn gehören (vgl. Abb. 4). Ihre Aufgabe ist die Handlungsplanung und -steuerung im engeren wie im weiteren Sinne. Die Gebiete des präfrontalen Cortex, die direkt vor den motorischen Bereichen liegen, sind mit der Planung ganz konkreter Handlungen, Bewegungen und Bewegungsfolgen befasst. Sie wählen die passenden Handlungen oder Bewegungen aus und geben diese Information an die motorischen Bereiche weiter. Auch „geistige Handlungen“ wie Kopfrechnen, Problemlöseaufgaben, Nachdenken und Überlegen laufen in den präfrontalen Arealen ab, die dabei mit anderen Hirnarealen zusammenarbeiten, in denen das jeweils benötigte Wissen gespeichert ist. Je weiter vorne im präfrontalen Cortex ein Areal liegt, umso weniger stark ist es mit der konkreten Bewegungs- und Handlungsumsetzung verbunden. Die weiter vorne und unten liegenden Areale dienen dazu, Pläne zu machen, um Neues auszuprobieren oder Unbekanntes zu untersuchen und um Handlungen im Geiste durchzuspielen. Ebenso verläuft das Abwägen vor Entscheidungen im präfrontalen Cortex. Bei diesen Prozessen werden Fakten, die zum Teil in anderen Hirnbereichen gespeichert sind, abgerufen und im präfrontalen Cortex kognitiv und emotional bewertet. Die möglichen Folgen der geplanten Handlung oder der Entscheidung werden antizipiert und moralische und soziale Aspekte werden bei der Handlungsplanung oder Entscheidung berücksichtigt. Die verschiedenen Komponenten dieser komplexen Prozesse sind in verschiedenen Bereichen des präfrontalen Cortex repräsentiert (vgl. Abb. 4). Die weiter vorne liegenden Bereiche des präfrontalen Cortex erlauben es, mittel- und langfristige Pläne zu entwickeln und zu verfolgen. Dazu gehört es, ein Ziel über längere Zeit im Auge zu behalten und konsequent immer wieder Entscheidungen zu treffen und Handlungen auszuführen, die der Verwirklichung der Pläne dienen. Je weiter vorne im präfrontalen Cortex ein Areal liegt, umso länger dauert der Reifungsprozess.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass der präfrontale Cortexpräfrontaler Cortex von Kindern inaktiv wäre. Vielmehr zeigen Untersuchungen mittels Kernspin, dass er bei vielen Aufgaben äußerst aktiv ist und dass bei Kindern im Vergleich zu Erwachsenen oft eine stärkere AktivierungAktivierung in großen Bereichen des präfrontalen CortexCortex zu finden ist (vgl. Durston et al. 2006). Die Ausdehnung der Aktivierung im präfrontalen Cortex nimmt zwischen dem Ende des zweiten und dem Ende des dritten Hirnwachstumsschubes merklich ab (ebd.). Die hohe Aktivierung in Verbindung mit schlechteren Ergebnissen und höheren Fehlerraten zeigt, dass bestimmte Aufgaben für das kindliche Gehirn eine große Herausforderung darstellen, während Erwachsene mit einem ausgereiften präfrontalen Cortex im wahrsten Sinne des Wortes „nur wenig Hirnschmalz verwenden müssen“, um die Aufgaben ohne große Anstrengungen erfolgreich zu erledigen (vgl. Blakemore & Choudhury 2006). Das bedeutet, dass bis zum Alter von etwa 11 bis 12 Jahren die Funktionen zwar zur Verfügung stehen, aber nur eingeschränkt, dass sie weniger verlässlich sind und ihre Nutzung mit einer hohen Anstrengung verbunden ist.
Da der präfrontale Cortexpräfrontaler Cortex eine entscheidende Rolle bei der Verhaltenssteuerung und der bewussten Lenkung von AufmerksamkeitAufmerksamkeit spielt, ergibt sich daraus automatisch, dass Kinder, egal wie sehr sie sich anstrengen, noch nicht in der Lage sind, sich in dem Ausmaß und mit der Dauer zu konzentrieren wie Jugendliche oder Erwachsene. Ebenso ist es ihnen einfach aufgrund ihrer Hirnstrukturen schlicht unmöglich, ihr Verhalten zu jedem Zeitpunkt zu kontrollieren. Besonders deutlich wird das dann, wenn Kinder unangemessene oder gerade unpassende Handlungen nicht ausführen sollen. Die Hemmung nicht erwünschter Handlungen ist auch bei Kindern im Alter von 9 bis 12 Jahren noch mit hohen Aktivierungen im FrontallappenFrontallappen verbunden (vgl. Booth et al. 2003), was sehr schön zeigt, dass Handlungskontrolle und -inhibition auch in diesem Alter noch mit größeren Anstrengungen verbunden ist – und trotz der Anstrengung außerdem mehr Fehler auftreten.
Dem kann man mit Ermahnungen „Streng dich mehr an! Konzentriere dich doch endlich!“ nicht entgegenwirken, da die dazu nötige hohe AktivierungAktivierung sehr ermüdend ist und nur begrenzte Zeit aufrechterhalten werden kann. Auch ausführliche Erklärungen, z.B. über die Risiken im Straßenverkehr oder das korrekte Verhalten, sind nur von eingeschränkter WirksamkeitWirksamkeit, da die Verhaltenssteuerung eben nicht immer zuverlässig greift. Das bedeutet natürlich nicht, dass man darauf verzichten sollte. Je besser Kinder Risiken oder den Sinn von Regeln verstehen, umso eher besteht die Chance, dass sie motiviert sind und es ihnen eher und länger gelingt, ihr Verhalten entsprechend zu steuern. Dennoch ist der Zeitraum, in dem das gelingen kann, begrenzt und die Ablenkbarkeit groß.
Insgesamt zeigen Studienergebnisse für Kinder bis zum Ende des zweiten WachstumsschubesWachstumsschub, also etwa bis zum Alter von 11 bis 12 Jahren, dass bestimmte Hirnregionen für bestimmte Aufgaben entweder aufgrund der Reifung der Regionen oder aufgrund noch fehlender VernetzungVernetzung nicht verfügbar sind. Um dies zu kompensieren, verwendet das sich entwickelnde Gehirn die verfügbaren Hirngebiete stärker und trainiert sie durch die verstärkte Nutzung zusätzlich. Hierbei gibt es durchaus individuelle Unterschiede in Abhängigkeit vom jeweiligen Entwicklungsstand der einzelnen Hirnbereiche (vgl. Blumenfeld, Booth & Burman 2006). Zu Beginn der Entwicklung laufen kognitive Prozesse stärker in lokalen Hirngebieten ab, im Alter von 8 ½ bis etwa 11 Jahren findet eine Verschiebung von der lokalen Verarbeitung hin zu einer immer stärkeren Vernetzung der Hirngebiete statt (vgl. Khundrakpam et al. 2013). Einige Hirnforscher sehen in dieser Veränderung eine wichtige Voraussetzung für die umfangreichen Änderungen im Gehirn, die während der PubertätPubertät stattfinden (vgl. Blakemore & Choudhury 2006, Böttger & Sambanis 2017).