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3.2 Wachheit, Kapazität und Grenzen von AufmerksamkeitAufmerksamkeit

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Aufmerksamkeitsprozesse sind notwendig, weil unsere Ressourcen, Wahrnehmungs- und Verarbeitungskapazitäten begrenzt sind (vgl. Broadbent 1958). Das hat sowohl strukturelle wie auch energetische Ursachenenergetische Ursachen, die im Aufbau und der Funktionsweise unseres Gehirns als Organ begründet liegen. Der energetische Aspekt der AufmerksamkeitAufmerksamkeit ist direkt erfahrbar. Jeder, der sich schon einmal über längere Zeit konzentriert einer Aufgabe gewidmet hat, kennt das Phänomen der Ermüdung. Sind wir ermüdet, lässt unsere Fähigkeit, die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten, nach. Wie intensiv wir die prinzipiell vorhandenen Verarbeitungskapazitäten nutzen können, ist also abhängig von unserer Wachheit. Mehrere Aspekte tragen zu einem hohen Grad an Wachheit bei. Der eine ist schlicht die Versorgung des Gehirns mit EnergieEnergie in Form von Glucose1 und mit ausreichend Sauerstoff. Ohne diese beiden „Brennstoffe“ sind die Gehirnfunktionen deutlich eingeschränkt. Der zweite Aspekt ist unsere allgemeine Wachheit im Gegensatz zum SchlafSchlaf. Der Schlaf-Wach-Rhythmus wird vom ThalamusThalamus und HypothalamusHypothalamus im Zwischenhirn und von der Formatio reticularis im HirnstammHirnstamm gesteuert. Bestimmte Teile der Formatio reticularis sind zentrale Signalgeber für Wachheit und unterstützen Aufmerksamkeitsprozesse. Dieses sogenannte aufsteigende retikuläre Aktivierungssystem besteht aus einem tonischen Anteil, der an der unspezifischen allgemeinen Wachheit oder Müdigkeit beteiligt ist, und aus einem phasischen Anteil, der über Botenstoffe spezifisch auf die verschiedenen Teile der GroßhirnrindeGroßhirnrinde einwirken kann und diese in einen Zustand erhöhter AktivierungAktivierung versetzt (vgl. Carter 2012: 303–304). Somit trägt das aufsteigende retikuläre Aktivierungssystem auf zwei Wegen zu unserer Aufmerksamkeit bei und bestimmt u.a. wie lange wir unsere Aufmerksamkeit aufrechterhalten können, z.B. auch unsere Aufmerksamkeitsspanne in langweiligen, reizarmen Situationen (zu Langeweile im Unterricht vgl. 3.7), unter Bedingungen, in denen immer das Gleiche passiert oder wenn monotone Handlungen gefordert sind (etwa bei der Fließbandarbeit).

Natürlich sind Wachheit und AufmerksamkeitAufmerksamkeit nicht nur von automatisch ablaufenden biologischen Mechanismen abhängig. Vielmehr reagiert unser Organismus auf äußere Ereignisse ebenso wie auf innere „Ereignisse“, etwa eine emotionale Bewertung und emotionale Bedeutsamkeit einer Situation. Verschiedene positive und negative EmotionenEmotion (Schreck, Angst, Überraschung, Freude, Verliebtheit, vgl. Kap. 4) führen zu einer höheren Erregung und damit zu einer verbesserten Möglichkeit, aufmerksam zu sein. Auch unsere MotivationMotivation und das Interesse an einem Gegenstand oder Geschehen steigert die Aufmerksamkeitskapazität. Intrinsische Motivation und echtes Interesse spiegeln die interne Bewertung „wichtig“ und wenn etwas wichtig ist, dann unterstützt das Gehirn die Hinwendung der Aufmerksamkeit. Die bewertungsbasierte Hinwendung ist daher mit wenig Anstrengung verbunden. Ganz anders ist das, wenn wir uns bewusst einem Gegenstand, einer Handlung oder einem Geschehen zuwenden, weil wir das für notwendig halten, obgleich uns dieser Gegenstand nicht wirklich interessiert. Das passiert z.B. häufig, wenn wir uns ganz bewusst anstrengen, um etwas zu lernen. Vielleicht interessieren uns die Mechanik fester Körper oder die Zeitformen französischer Verben überhaupt nicht. Wir lernen sie aber trotzdem, weil wir eine gute Note brauchen, um unser Traumfach studieren zu können. In einer solchen Situation laufen zwei Prozesse parallel ab, nämlich erstens die Verarbeitung des Lernstoffs und zweitens die bewusste, willentliche Aufrechterhaltung von Wachheit und Aufmerksamkeit. Dadurch ist der Gesamtvorgang natürlich wesentlich energieraubender als ein LernprozessLernprozesse, der ohne erzwungene Anstrengung abläuft, etwa weil eine große NeugierNeugier und Motivation uns dazu treiben, uns mit dem Lerngegenstand auseinander zu setzen. Dementsprechend erreichen wir bei bewusster Anstrengung schneller die Grenze unserer energetischen Erschöpfung und damit das Ende der Aufmerksamkeitskapazität.

Die strukturelle Begrenztheitstrukturelle Begrenztheit der Aufmerksamkeitskapazität ist eng mit der neuronalen Struktur des Gehirns verbunden, d.h. mit der Struktur der NervenzellenNervenzellen selbst und mit den Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Während die Informationsweiterleitung innerhalb der Neurone relativ zügig verläuft und durch die isolierende Myelinscheide optimiert ist (vgl. 2.4), setzt die Übertragung von Nervenimpulsen an den chemischen SynapsenSynapse der Verarbeitungsgeschwindigkeit zeitliche Grenzen. Zwar hat die chemische Übertragung erhebliche Vorteile, indem sie aufgrund der PlastizitätPlastizität, Umgestaltungs- und Wachstumsfähigkeit der Synapsen eine hohe lebenslange Lernfähigkeit sicherstellt und die Möglichkeit komplexer und adaptiver Vergleichs-, Berechnungs- und Entscheidungsprozesse bietet. Diese Vorteile bezahlen wir aber mit einer Einschränkung in der Verarbeitungsgeschwindigkeit. Man könnte bezüglich der Verarbeitungsgeschwindigkeit das Fazit ziehen „gut Ding will Weile haben“.

Die zweite strukturelle Begrenzung der AufmerksamkeitAufmerksamkeit ergibt sich daraus, dass Wahrnehmungs- und Denkprozesse, wie in Kapitel 2 dargelegt, in den zwei Assoziationsbereichen im parietalen und frontalen Cortexfrontaler Cortex zusammenlaufen. In diesen Zentren werden unsere Wahrnehmungs- und Denkprozesse koordiniert und zusammengefasst. So werden bewusste Wahrnehmung und bewusste Denkprozesse ermöglicht. Die AssoziationsarealeAssoziationsareale aber können zu jedem Zeitpunkt nur eine bestimmte Menge an Informationen für den jeweils aktuellen bewussten Zugriff bereithalten.

Um angesichts der begrenzten Kapazitäten mit der Informationsflut der Sinneseindrücke und der Vielfalt der möglichen Handlungen und Denkprozesse in geordneter Weise umgehen zu können, muss eine Auswahl aus den vorhandenen Möglichkeiten getroffen werden. Dazu werden im Bereich der Wahrnehmung ausgewählte Informationen aus den sensorischen Hirnarealen zusammen mit VorwissenVorwissen zu den jeweiligen Wahrnehmungsinhalten zu einer raum-zeitlichen RepräsentationRepräsentation der Umwelt verbunden, die der derzeitigen Lage sowie unseren Zielen und Bedürfnissen angemessen ist (vgl. Ernst & Bülthoff 2004, Tononi, Edelman & Sporns 1998, vgl. 3.3). Eine ähnliche Auswahl ist für Planungs- und Denkprozesse notwendig (vgl. 6.5).

Im Gehirn sind verschiedene NetzwerkeNetzwerk an der Steuerung der Aufmerksamkeitsprozesse beteiligt. Das sogenannte Arousal-NetzwerkArousal-Netzwerk trägt vor allen Dingen der energetischen Beschränkung unserer Aufmerksamkeitskapazität Rechnung. Es besteht aus subcorticalsubcorticalen Strukturen, wird aber auch von corticalen Bereichen beeinflusst, die im Zusammenhang mit MotivationMotivation stehen, und vom limbischen System, einem wichtigen Zentrum der Emotionsverarbeitung (vgl. Kap. 4). Sowohl auf der neurobiologischen Ebene als auch im Verhaltensexperiment lassen sich weitere Netzwerke nachweisen, die an Aufmerksamkeitsprozessen und deren Steuerung beteiligt sind. Diese sind z.T. auf die Wahrnehmung bezogen und z.T. auf die Planung und Ausführung von Handlungen (vgl. Fan et al. 2002, 2005). Diese Netzwerke und ihre Bedeutung werden im Folgenden beschrieben.

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