Читать книгу Die Kassemacher - Michel Rodzynek - Страница 11
ОглавлениеDer Anruf schlug wie eine Bombe in der Pressestelle der Klinik ein. Heinz Wagner, Chefreporter des Nachrichtenmagazins Ex-Press konfrontierte Pressesprecher Gerd Sommer mit einer aktuellen Recherche seiner Redaktion über angebliche Vorteilsnahmen mehrerer Herzchirurgen und Kardiologen im gesamten Bundesgebiet. Auch Prof. Heinz-Wilhelm Carl von der Hanse CityClinic soll von einem bekannten kardiologischen Medizingerätehersteller geschmiert worden sein. Die Firma wollte mit finanziellen und sachlichen Zuwendungen den Einsatz ihrer Herzklappen und Schrittmacher bevorzugt wissen.
»Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen«, wandte Gerd Sommer ein. »In unserem Haus herrscht ein sehr strenger code of conduct. Gibts denn für diese schlimmen Vorwürfe überhaupt handfeste Beweise?«
»Uns liegen zwei eindeutige Zeugenaussagen vor, die sogar ganz genau die Höhe und den Zeitpunkt der geleisteten Aufwendungen benennen. Die beiden Informanten werden morgen die vorbereiteten Protokolle in der Redaktion unterschreiben. Natürlich ist es ein Gebot der Fairness, Ihrem Prof. Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben. Wollen Sie ihn hierfür ansprechen oder kann ich ihn direkt kontaktieren? Ich wollte Sie natürlich nicht übergehen.«
Auf der Stirn von Gerd Sommer bildeten sich große Schweißperlen, die ihm allmählich übers Gesicht liefen. Der 43-jährige Ex-Journalist, der erst vor einem Jahr seinen Redakteursposten im Ressort Gesundheit und Wellness bei einem ostwestfälischen Blatt zugunsten dieser anspruchsvollen Herausforderung in einer regional führenden Großstadtklinik getauscht hatte, ahnte die Reaktionen in der Chefetage. Er hatte sowohl bei Eigentümer Bernd von Assberg als auch bei Verwaltungsdirektor Joachim Frankenberg ein schweres Standing. Seine Vorgesetzten hielten ihm mangelnde Kontakte zu den entscheidenden Journalisten vor. Er konnte es bislang nicht verhindern, dass es wiederholt kritische Berichte in den lokalen Medien gab, die allerdings größtenteils der Wahrheit entsprachen. Auch im Haus gab es hierüber viel Diskussion.
»Ich brauche einen Pressesprecher mit Standing und Cleverness. Einen echten Medienprofi, der in den Redaktionen auch Respekt genießt.« Eine Erwartung, die Gerd Sommer von Inhaber Bernd von Assberg immer wieder zu hören bekam. Und nun diese unerwartete Anfrage, die ihn völlig überforderte. Ausgerechnet jetzt, wo es doch für ihn so schön ruhig war. Keine nervigen Anfragen von Journalisten und keinerlei Vorkommnisse, die seine Intervention erfordert hätten. Gerd Sommer war ratlos. Er ahnte schon die zu erwartenden Schlagzeilen in der Lokalpresse und wahrscheinlich auch in einigen überregionalen Magazinen. Sein Boss würde mit hochrotem Kopf toben und ihn für das Desaster verantwortlich machen. Bei diesem Gedanken lief es ihm heiß und kalt über den Rücken. Er musste jetzt zunächst unbedingt Zeit gewinnen.
»Ich kümmere mich sofort darum und werde gleich die wichtigen Personen im Haus kontaktieren. Bis spätestens morgen früh hören Sie von mir.«
Heinz Wagner schüttelte den Kopf und erwiderte: »Aber wo denken Sie hin, Herr Kollege? Morgen ist viel zu spät. Wir fangen schon heute Nachmittag an, die Story zu Papier zu bringen. Es ist jetzt gleich 14:00 Uhr. Ich gebe Ihnen maximal zwei Stunden. Wenn wir bis dahin kein Statement von Ihrem Herzchirurgen oder Klinikboss haben, erscheint die Geschichte allerdings dann ohne Kommentar aus Ihrer Klinik. Sie haben die Wahl.« Heinz Wagner kannte das abgedroschene Zeitspiel von diesen Pressesprechern nur allzu gut. Er wusste aus langjähriger Erfahrung auch, dass Gerd Sommer seine Story gern verzögern oder am liebsten noch ganz verhindern würde. Aber da ist er beim Ex-Press an der falschen Adresse. Die Öffentlichkeit hatte ein Anrecht auf enthüllende Informationen über korrupte Ärzte, die unter der branchenweit herrschenden Krankheit einer unersättlichen Gier litten. Diese schwarzen Schafe waren mitschuldig am zunehmend leidenden Ruf der Ärzteschaft in Deutschland. Natürlich lag die Initiative von Vorteilsnahmen auf der industriellen Seite. Aber die sozusagen empfänglichen Ärzte verdienten doch nun wirklich genug Geld, um solche verlockenden Angebote abzulehnen. Als er den Anruf auf seinem Smartphone beenden wollte, meldete sich Gerd Sommer noch einmal mit holpriger Stimme. »Eine Frage habe ich noch. Was sagt denn der beschuldigte Hersteller zu diesen Vorwürfen? Hat er diese Zuwendungen zugegeben? Und wenn ja, auch an unseren Prof.?«
Für wie blöd hält der mich?, fragte sich der Journalist und antwortete leicht genervt: »Das möchten Sie wohl gern wissen. Eine ziemlich dumme Frage, Herr Pressesprecher. Oder kennen Sie Übeltäter, die nicht zuerst einmal alles abstreiten? Wie gesagt, wir haben zwei Zeugen mit eindeutigen Aussagen. Da wir davon ausgehen, dass dieser Skandal vor Gericht landet, werden sich die Dinge ja spätestens bei der Verhandlung aufklären. Also, melden Sie sich oder besser noch Ihr Prof. bitte in den nächsten zwei Stunden bei mir. Time is running. Meine Mobilnummer haben Sie oder notieren Sie sie bitte. Vielen Dank für Ihre Kooperation.«
Fast panikartig eilte der durch seine Leibesfülle behäbige Gerd Sommer aus seinem kleinen Büro. Bevor er Prof. Heinz-Wilhelm Carl kontaktierte, wollte er zunächst das weitere Vorgehen mit dem Verwaltungsdirektor abstimmen. Vielleicht hatte ja Joachim Frankenberg die rettende Idee, einen Ausweg aus der ausweglos anmutenden Zwickmühle. Am meisten Sorgen bereiteten ihm aber die gezielt oft theatralisch eingesetzten Wutausbrüche von Bernd von Assberg. Da konnte er sich schon jetzt auf etwas gefasst machen. Es kam, wie es kommen musste. Das erhoffte Vorgespräch mit dem Verwaltungsdirektor war nicht möglich, da Joachim Frankenberg in einer anderen Besprechung war. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als den Eigentümer jetzt gleich persönlich zu informieren. Bernd von Assberg hatte daraufhin umgehend seinen Führungsstab zusammengerufen. Verwaltungsdirektor Frankenberg, seinen Ärztlichen Direktor Prof. Andreas Winkmann, den Justiziar Gady Blaustein sowie den beschuldigten Herzchirurgen Prof. Heinz-Wilhelm Carl und seinen bedrückten Pressemann, der schon nervös auf seinem Platz herumrutschte. Er hatte am anderen Tischende Platz genommen, als würde ihn das etwas aus der Schusslinie nehmen. Sie alle saßen mit leicht gesenkten Köpfen am großen Konferenztisch im Chefbüro. Insgesamt hatten zwölf Personen bequem Platz, die erlesenen Konferenzstühle einer bekannten Marke aus der Schweiz verfügten über eine verstellbare Neigung. Sie waren erheblich bequemer als die meisten Themen, die an diesem Tisch aus massivem Eichenholz besprochen wurden.
Der Eigentümer liebte solche Runden, in denen er gern den Teilnehmern demonstrierte, wer Chef im Ring war. Fast immer eröffnete der Firmenpatriarch die Gespräche, ließ die befragten Personen meistens nicht ausreden und hatte eine allgemeine Not, anderen zuhören zu können. Wer zu solchen Unterredungen eingeladen oder besser gesagt zur Teilnahme verpflichtet war, musste sich am besten kurzfassen. Auch jetzt war der aufgebrachte Bernd von Assberg höchst ungeduldig und warf dem Pressesprecher einen bösen Blick zu.
»Was genau wollte dieser Schmierfink von der Journaille wissen?« Kleinlaut erwiderte Gerd Sommer: »Heinz Wagner ist seit Jahren Chefreporter beim Ex-Press. Er hat unter Kollegen ein angesehenes Standing und aufgrund seiner Kompetenz ist sein Einfluss bis in die Politik nicht zu unterschätzen.« Der Eigentümer fiel ihm ungeduldig ins Wort. »Mich interessiert nicht seine Lebensgeschichte. Was weiß er? Womit bedroht er uns? Haben Sie seine Vorwürfe eruiert? Was wirft er welchen Personen vor? Nun kommen Sie mal endlich zur Sache.«
»Entschuldigung, Herr von Assberg, ich wollte ja nur darauf hinweisen, dass man diesen Mann unbedingt ernst nehmen soll.« Wieder unterbrach ihn der Klinikchef: »Mich bitte auch, Herr Sommer. Können wir denn endlich mal zur Sache kommen? Es geht ja wohl um angebliches Fehlverhalten in unserer Kardiologie. Oder wollen Sie uns jetzt gleich etwas dazu sagen, Prof. Carl? Sie wissen ja wohl mehr als wir alle hier in diesem Raum.«
Bevor der angesprochene Arzt reagieren konnte, ergriff der Pressesprecher das Wort und schilderte kurz das Telefonat mit dem Ex-Press. Seine Stimme klang jetzt wesentlich fester. Gerd Sommer hatte den ersten Schock verdaut und war jetzt nicht mehr bereit, sich vom Oberboss weiter zum Kasper machen zu lassen. Schließlich hatte er nichts verbrochen. Als er mit seiner Zusammenfassung fertig war, legte von Assberg los: »Ach du liebe Scheiße«, schimpfte er und sprang aus seinem Sessel. Er malte sich schon die bevorstehenden Schlagzeilen in dem Nachrichtenmagazin aus, das Getuschel auf den Klinikgängen und das Risiko eines wahrscheinlich langwierigen Gerichtsverfahrens mit fortlaufender Berichterstattung in den Medien. Ganz abgesehen von den höchst unangenehmen Diskussionen mit den politischen Entscheidungsträgern der Stadt und dem wahrscheinlichen Rechtsstreit mit den Krankenkassen. Mit den Gesellschaften bestand ja zurzeit ohnehin mehr Konfrontation als Kooperation. Seine schlechte Laune erreichte einen absoluten Höhepunkt. Er klopfte mit der Faust heftig auf die Tischplatte. Vorwurfsvoll blickte er auf seinen Kardiologen. »Also mein lieber, hochgeschätzter Prof. Carl, nun erzählen Sie doch mal, was da wirklich gelaufen ist. Von nichts kommt nichts, da muss ja schon was Wahres dran sein an dieser für Sie wie für uns üblen Geschichte. Und bitte, reden Sie die Dinge nicht schön. Ich erwarte eine schonungslose Wahrheit oder soll ich lieber gleich Geständnis sagen?«
Prof. Heinz-Wilhelm Carl spürte, wie ihm das Blut in den tomatenroten Kopf schoss und sein Herzschlag auf eine Frequenz anstieg, die er sonst nach 20 Minuten Laufband im Fitnessstudio erreichte. Der Kardiologe zwang sich zur Ruhe, rückte sich die teure Seidenkrawatte mit den kleinen Elefanten zurecht und sprach auffallend betont und langsam. »Ich habe mit mehreren Kollegen aus ganz Deutschland und auch aus der Schweiz und Österreich an einigen Studienreisen der Firma teilgenommen.«
»Sie meinen Lustreisen, auf denen man mehr die Flaschenetiketten edler Weine als wissenschaftliche Dokumentationen studiert«, fiel ihm von Assberg ins Wort.
Prof. Heinz-Wilhelm Carl kannte diese Einwände und die größtenteils berechtigte Kritik an der Industrie, die unter dem Vorwand von Studienreisen mehr Goodwill bei den Teilnehmern erzeugen als fachliches Wissen vermitteln wollte. Dieses Marketingtool war mittlerweile allerdings in die Jahre gekommen; die Firmen müssten sich allmählich eine neue Strategie einfallen lassen.
»So ist das nun auch nicht«, beschwichtigte der Kardiologe, »auf diesen Reisen wird auch sehr viel über neue Produktentwicklungen und -anwendungen diskutiert. Und der Erfahrungsaustausch kommt letztendlich den Patienten zugute.«
»Amen, das hört sich an wie das Wort zum Sonntag«, lästerte von Assberg. Er wandte sich seinem Justiziar zu, der bislang schwieg und schon seit Minuten seinen Kopf schüttelte. Nun endlich kam Gady Blaustein zu Wort und nutzte die Gelegenheit, noch einen draufzulegen. »Juristisch machen mir die Studienreisen weniger Sorgen als die finanziellen Zuwendungen, die man sich wohl auch in diesem Haus in die Tasche gesteckt hat. Selbst wenn dieses Geld auf einem sogenannten Forschungskonto gelandet ist und tatsächlich für die Fortbildung in unserer Kardiologie verwendet wurde, riecht es doch stark nach Vorteilsnahme. Seit langer Zeit warne ich vor solchen Handhabungen dieser Firmen, die uns – wie man jetzt sieht – in eine sehr schlechte Situation bringen.«
Das wollte Prof. Heinz-Wilhelm Carl nicht wortlos auf sich sitzen lassen. Lautstark protestierte er mit bösen Blicken auf den Justiziar. »Dieses Geld ermöglicht uns die dringende Forschungsarbeit. Ich habe diese legitimen Spenden nur im Interesse unserer Patienten entgegengenommen. Für die von Ihnen, Herr von Assberg, so gewünschte Wissenschaft, für die von Ihnen leider nur bedingt Mittel zur Verfügung gestellt werden. Diese Unterstützung dient ausschließlich wichtigen Projekten in der Kardiologie.« Er musterte den Eigentümer, der ihm mit steinerner Miene zuhörte. Dann fuhr er fort: »Wie auch Sie wissen, fehlen uns Mittel an allen Ecken und Kanten. Mal abgesehen von viel zu wenig Personal und den fehlenden Ausstattungen können wir weder Gastwissenschaftler noch Fortbildungsveranstaltungen bezahlen. Beides wäre aber bei unseren medizinischen Ansprüchen außerordentlich wichtig. Ihre Ansprüche, Herr von Assberg. Nur deshalb habe ich mich auf das Angebot eingelassen. Das hat jetzt bedauerlicherweise die Presse erfahren und Sie wollen mir daraus einen Strick drehen.«
»Bullshit«, schimpfte von Assberg. »Sie sind ein hochbezahlter Chefarzt.«
Prof. Carl protestierte. »Ich beschwere mich nicht über mein Gehalt, sondern über fehlende Finanzmittel für die medizinische Leistungsoptimierung der Kardiologie in diesem Haus. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Diese Fördermittel sind weder in meiner Tasche noch auf einem Konto meiner Mitarbeiter gelandet. Von Vorteilsnahmen kann also absolut nicht die Rede sein. Wir wären wohl kaum in dieser Situation, wenn Sie als Eigentümer die medizinische Wissenschaft nicht mit Füßen treten würden. Sie sollten lieber Ihren Verpflichtungen nachkommen und nicht Ihren angesehenen Wissenschaftlern und Ärzten in den Rücken fallen.«
»Das haben Sie aber schön gesagt, Herr Prof.«, spottete von Assberg, »aber die Presse hat Sie und nicht mich im Visier. Hier gehts um Vorteilsnahmen oder deutlicher gesagt um Korruption.« Bernd von Assberg wandte sich an den Verwaltungsdirektor. Dieser runzelte die Stirn und schaute ungeduldig auf seine Uhr. »Wir dürfen keine weitere Zeit für Diskussionen verschwenden, sondern müssen jetzt schnell aktiv werden. Prof. Carl und Mediensprecher Sommer sollten sich jetzt zurückziehen und ein überzeugendes Statement formulieren, das die Vorwürfe relativiert, ohne diese wirklich zu bestreiten. Wir reden ja hier über ein branchenweites Übel und nicht um eine spezielle Verfehlung der Hanse CityClinic.«
»Das sehe ich genauso«, bekräftige von Assberg mit schnellem Kopfnicken. »Worauf warten Sie noch, meine Herren?«, und er rief seinem Pressesprecher zu: »Nun können Sie mal beweisen, was Sie wirklich draufhaben, Herr Sommer. Wir erwarten Ihren Entwurf in der nächsten halben Stunde und sehen dann weiter.«