Читать книгу Die Kassemacher - Michel Rodzynek - Страница 14
ОглавлениеAli Abdoul Bebehani war zutiefst genervt und trommelte mit seinen kleinen fleischigen Fingern hektisch auf die Glasplatte seines Bürotisches. Der füllige Kuwaiter stammte aus der großen Familie des Emirs. Seine vermögenden Eltern hatten ihn mit 14 auf ein Schweizer Internat in Lausanne geschickt. Nach dem Schulabschluss mieteten sie ihm eine sündhaft teure 3-Zimmer-Wohnung in Manhattan direkt an der Madison Avenue.
Ali sollte Medizin studieren und als Arzt seiner angesehenen Familie große Ehre erweisen. Doch daraus wurde nichts. Er verließ die Uni zum Leidwesen seines Vaters schon nach wenigen Wochen und genoss stattdessen das abwechslungsreiche Partyleben in New York. Ein Jahr später zog er nach London und heiratete mit 22 eine gleichaltrige Frau aus Beirut, die er nur wenige Wochen zuvor im libanesischen Restaurant Noura kennengelernt hatte.
Mit ihr zeugte er drei Söhne, die mittlerweile 12, 15 und 17 waren. Die Jungs lebten seit der Trennung des Paares auf einem renommierten Internat in der Nähe von Oxford. Nach ihrer Scheidung ging Alis Frau in den Libanon zurück und verliebte sich in den Sohn eines bekannten Juweliers, der fünf Jahre jünger als sie war und aus einer christlichen Familie stammte. Mit ihm erlebte sie das Glück, das ihr mit Ali versagt geblieben war. Sie fragte sich manchmal, ob die schwer erduldete Frauenfeindlichkeit des wohlhabenden Abkömmlings der angesehenen Scheichdynastie in Kuwait typisch für reiche Männer in den Ölstaaten am Golf sei. Die Erinnerungen an ihren Ehemann waren auch Jahre danach noch schwer erträglich.
Nachdem er das Partyleben der englischen Metropole bis zum Überdruss genossen hatte und zu der Erkenntnis kam, dass dies nicht alles im Leben sein konnte, verließ Ali mit 40 die britische Metropole. Gemeinsam mit einem Jugendfreund eröffnete er ein Büro in Hamburg, das offiziell medizinische Produkte in den Nahen und Mittleren Osten exportierte. Das wirkliche Geschäft der kleinen Firma war jedoch der illegale Handel mit menschlichen Organen. Sie suchten vor allem nach lebenden Spendern, die gegen eine Entlohnung bereit waren, eine Niere oder einen Teil ihrer Leber zu verkaufen. Ein äußerst schwieriges Geschäft, das internationale Beziehungen in dubiose Kreise erforderte. Solche Organspender gab es vor allem in armen Bevölkerungsschichten in der Dritten Welt und teilweise auch in Osteuropa. Abnehmer waren in der Regel sehr reiche Patienten in den Emiraten und Saudi-Arabien. Sie zahlten bis zu siebenstellige Beträge, von denen gleichwohl nur ein kleiner Anteil bei den Organspendern landete. Das größte Stück dieser Torte steckten sich die Vermittler und Organisatoren dieses ungesetzlichen Geschäfts mit menschlichen Organen in die Tasche. So auch Ali Abdoul Bebehani.
Auf die Idee hatte ihn sein Partner und langjähriger Freund Jassem Sabah vor zwei Jahren bei einem Abendessen im Palace Hotel von Montana Vermala gebracht. Er kannte dieses Skiparadies in der französischen Schweiz aus jungen Jahren, denn hier unterhielt sein früheres College eine Dependance über die Wintermonate. Ein Ort mit vielen Erinnerungen für den Mann aus den Emiraten. Deshalb zog es ihn immer wieder dorthin. Er dachte gern an diese Zeit zurück. Auch an das Gespräch mit seinem saudischen Freund aus Riad konnte er sich gut erinnern und er hatte Jassems Erklärungen noch sehr genau im Ohr.
»Bei uns in der arabischen Welt ist der Bedarf an Ersatzorganen riesig. Saudische Patienten zahlen Millionen, um eine neue Niere oder Leber zu bekommen.« Ali runzelte die Stirn und hörte weiter gespannt zu. »Bekanntlich ist die Nachfrage erheblich größer als das Angebot. Und in Europa wird die Verteilung gespendeter Organe zentral von einer übergreifenden Organisation in den Niederlanden gesteuert. Wenn es uns gelingt, dieses System zu umgehen und möglicherweise mit den Kliniken oder den zuständigen Ärzten direkt ins Geschäft zu kommen, schwimmen wir sehr schnell im großen Geld.« Hochinteressant, dachte sich Ali. »Wie stellst du dir das vor, lieber Jassem? Woher bekommen wir diese Organe und wie soll das organisatorisch funktionieren? Oder willst du sie mit einem Paketdienst verschicken?«
Diese Frage hatte Jassem natürlich erwartet. »Zunächst müssen wir in den Kliniken Ärzte oder Manager finden, die zu einer Kooperation mit uns bereit sind. Dann gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder werden unsere Patienten hier in Hamburg operiert oder bei uns zu Hause. Am besten durch die Chirurgen von hier. Ali, mit Geld ist alles möglich.«
Der Kuwaiter überlegte und rechnete. Sofern die Empfänger der beschafften Organe wirklich tief in die Tasche greifen würden, könnte sich dieses Geschäft außerordentlich gut bezahlt machen. Selbst wenn die Partner auf der Klinikseite einen relativ hohen Anteil bekommen würden. Fast zu schön, um wahr zu sein. Allerdings fragte er sich, ob Jassem wirklich Zugang zu dieser besonderen Klientel hatte.
»Und du kommst an Patienten ran, die ein neues Organ benötigen?«
»Hier kommt Aziz ins Spiel, der als Generalmanager für die größte Privatklinik in Riad verantwortlich ist. Er sitzt direkt an der Quelle und hat eine ziemlich lange Warteliste mit Patienten, die dringend auf eine Transplantation warten. Die meisten sind steinreich und bereit, hohe Summen dafür zu bezahlen, um weiter normal leben zu dürfen. Und Freund Aziz braucht eine weitere Einnahmequelle, um seinen extravaganten Lebensstil finanzieren zu können.«
Ali konnte sich das Ganze noch nicht so richtig vorstellen und hakte nach. »Jassem, über welche Organe reden wir eigentlich? Und wer soll sie spenden?«
»Nieren und Leber werden sehr oft von lebenden Patienten gespendet. Der Mensch kann auch mit einer Niere weiterleben. Bei der Leber ist das anders. Die Chirurgen teilen das Organ, machen also zwei aus einer. Die Fachleute nennen das Splitleber. Alle anderen Organe wie vor allem Herz und Lunge werden natürlich erst nach dem Tod des Spenders entnommen.« Er machte eine kurze Pause, nahm einen kräftigen Schluck Mineralwasser und fuhr fort: »In Deutschland beispielsweise geht das nur, wenn der betreffende Patient einen Spenderausweis hat. In anderen Ländern wie Spanien und Österreich gilt die Widerspruchslösung. Dann ist quasi jeder ein Spender, wenn das nicht ausdrücklich verweigert wird. Wenn du Interesse hast, dieses einträgliche Geschäft mit mir aufzuziehen, treffen wir uns in vier Wochen am besten in Hamburg. Ich lege dir dann ein detailliertes Konzept auf den Tisch. Du müsstest in der Zwischenzeit ein kleines Büro finden, das wir nach außen als Pharma-Exportfirma für den Nahen und Mittleren Osten deklarieren. Als Personal brauchen wir nur eine Sekretärin. Sie muss in Englisch kommunizieren können und sollte nicht zu viele Fragen stellen.«
Ali nickte und versprach, die erforderlichen Voraussetzungen bis zum nächsten Treffen mit seinem Freund zu schaffen. Was riskierte er schon, außer möglicherweise ein paar Monate Miete? Der Versuch war es absolut wert.
Als Prof. Günther Heitmann einige Wochen später an einem Freitag gegen 19:00 Uhr an der Tür von Verwaltungsdirektor Joachim Frankenberg klopfte, war es bereits verhältnismäßig ruhig auf den Fluren der Hanse CityClinic. Ein hektischer Tag mit etlichen Notfällen und unvorhergesehen Problemen im klinischen Alltag ging zu Ende. Das Wochenende stand bevor und der Chefarzt für Transplantations-Chirurgie freute sich auf seine zwei freien Tage.
Am Samstag hatte er sich allerdings von einem arabischen Geschäftsmann zum Lunch einladen lassen, der ein wichtiges Thema mit ihm besprechen wollte. Er hatte sich über diesen Herrn Bebehani bei Kollegen im Haus und anderen Kliniken erkundigt, konnte aber nur sehr wenig über diesen merkwürdigen Anrufer erfahren, der recht geheimnisvoll tat und immer wieder von »very interesting for you« sprach. Es klang wie ein nicht koscheres Angebot, wobei er schon vor dem Treffen ein merkwürdiges Gefühl hatte.
Prof. Heitmann war natürlich nicht naiv und täglich mit den Problemen in der Transplantationsmedizin konfrontiert. Der laufende Bedarf an Organen war unverhältnismäßig höher als die verfügbaren Spenden. Über 10.000 Menschen warteten in Deutschland auf ein Ersatzorgan und jeden Tag starben drei Patienten, weil ihnen nicht rechtzeitig geholfen werden konnte. Die größte Nachfrage bestand nach Nieren. Die Warteliste umfasste mehr als 8.000 Personen. An den deutschen Transplantationszentren erhielten jährlich rund 2.000 Menschen eine Ersatzniere. Über ein Viertel dieser Organe stammte von lebenden Spendern. Dahinter folgte die Leber mit jährlich knapp 1.000 Transplantationen. Etwa fünf Prozent waren Teilorgane lebender Spender. In den Gedanken dieser Thematik versunken betrat der 48-jährige Chirurg das Büro des Klinikmanagers.
»Schön, Sie zu sehen, Prof.«, begrüßte ihn Frankenberg mit einem leicht verzogenen Lächeln, »was haben Sie auf dem Herzen? Bitte keine Probleme, davon hatte ich heute schon mehr als genug.«
Prof. Günther Heitmann winkte ab. »Nein, nein, ich möchte Sie nur kurz über einen etwas mysteriösen Anrufer informieren, der mich unbedingt treffen möchte. Er habe einen hochinteressanten Vorschlag für uns, den ich mir unbedingt anhören sollte. Der Mann heißt Ali Abdoul Bebehani und kommt demnach aus dem arabischen Raum. Spricht nur gebrochen Deutsch, aber ein sehr gutes Englisch. Ich habe zwar die Einladung zu einem Mittagessen morgen im Hotel Vier Jahreszeiten angenommen, bin mir aber nicht sicher, ob ich wirklich zu diesem Treffen gehen sollte. Irgendwie habe ich kein gutes Gefühl.« Frankenberg runzelte die Stirn und meinte: »Ist zwar etwas sonderbar, aber anhören kann doch nicht schaden. Ich vermute, dass er Sie für Organtransplantationen wahrscheinlich in den Emiraten oder in Saudi-Arabien gewinnen möchte. Vielleicht will er sich auch nach den Möglichkeiten einer Kooperation mit unserer Klinik erkundigen.«
Angebote für sogenannte Gastoperationen waren für den Chirurgen nicht neu. Was Frankenberg allerdings unter Kooperationen mit der Klinik verstand, war ihm nicht klar. »Was meinen Sie damit, Herr Frankenberg?«
»Na, nun tun Sie mal nicht so naiv.« Der Verwaltungsdirektor schüttelte den Kopf und fuhr fort: »Wir wissen doch beide um den grauen Markt für Ersatzorgane. Auf der einen Seite gibt es kranke Menschen, die dringend ein neues Organ benötigen und dafür sehr viel Geld zu zahlen bereit sind. Zum anderen gibt es aber auch arme Menschen, die für eine entsprechende Summe eine Niere oder ihre halbe Leber zu spenden bereit sind. Und dazwischen agieren clevere Geschäftsleute, die das eine Ende mit dem anderen verbinden. Natürlich gehts hierbei um Geld. Sehr viel Geld.«
»Sie meinen den illegalen Handel mit menschlichen Organen. Und da sollen wir mitmachen? Das ist doch nicht Ihr Ernst, Herr Frankenberg.«
»Moment mal«, protestierte dieser, »davon ist überhaupt nicht die Rede. Wir handeln und vermitteln nicht, sondern stehen helfend dazwischen. Würden Sie eine Operation verweigern, wenn beispielsweise ein lebensbedrohter Patient dringend eine Niere benötigt und sich quasi ein Ersatzorgan hat organisieren lassen?«
»Ich weiß es nicht«, konterte der Mediziner, »und gottlob war ich noch nicht in dieser Situation. Unsere Transplantationen erfüllen ausnahmslos alle geltenden Vorgaben und Gesetze. Wir kooperieren eng und offen mit Eurotransplant in den Niederlanden, das alle Organe für Deutschland, Österreich, die Benelux-Länder sowie Slowenien, Kroatien und Ungarn vermittelt.«
Das war natürlich auch dem Verwaltungsdirektor bekannt. «Aber Sie sollten schon bedenken, dass auch wir mehr und mehr solche Anfragen erhalten. Einschließlich der Organangebote von armen Spendern, die eine Niere oder Teilleber verkaufen möchten. Das ist heute durchaus üblich. Leider.«
»Und wie reagieren Sie auf solche Offerten?«, wollte Prof. Heitmann nun wissen. »Sie wollen doch nicht etwa mit diesen Leuten zusammenarbeiten? Ich stehe dafür jedenfalls nicht zur Verfügung. Auch nicht die anderen Ärzte und Pflegekräfte in meiner Abteilung.«
Joachim Frankenberg wollte das Gespräch an dieser Stelle nicht vertiefen. Er hatte mit dieser Haltung bei Prof. Heitmann gerechnet. »Berichten Sie mir doch am Montag, was dieser Bebehani genau von Ihnen wollte. Und dann reden wir noch einmal darüber. Ich bin ganz froh, dass Sie jetzt mit dieser Information zu mir gekommen sind. Irgendwann hätte ich Sie übrigens auf dieses Thema von mir aus angesprochen. Es ist ziemlich aktuell und überaus wichtig.«
Der Transplantations-Chirurg wusste nicht so recht, was er von dieser Aussage halten sollte und verließ nachdenklich das Büro des Verwaltungsdirektors. Irgendwie hatte er den Eindruck, als würde sich Joachim Frankenberg gern mit diesen skrupellosen Organhändlern einlassen wollen. Ja, er würde morgen zu diesem Lunch-Termin fahren, aber alles kategorisch ablehnen, was in irgendeiner Form nicht seinen moralischen Prinzipien entsprach und zu einem persönlichen Risiko für ihn werden könnte. Allzu gern würde er mehr Menschen mit dringend benötigten Ersatzorganen ein »neues« Leben schenken, aber um keinen Preis wollte er sich am Handel von Organen beteiligen. Das widersprach in jeder Hinsicht seiner Überzeugung als Arzt und als Mensch.