Читать книгу Die Kassemacher - Michel Rodzynek - Страница 9

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Prof. Andreas Winkmann verfluchte diesen typischen Montag. Entsprechend schlecht war seine Stimmung. Die täglichen Probleme in seiner Klinik und der unersättliche Geldhunger des Eigentümers vermiesten ihm seine geliebte Arbeit. Er war Arzt aus Leidenschaft, schwere Krankheiten seiner Patienten berührten ihn und erzeugten sein persönliches Mitgefühl. Für ihn war das Wohl der Patienten oberstes Gebot. Er hatte überhaupt kein Verständnis für die größtenteils kleinlichen Querelen seiner Kollegen und empfand sie als kindisch. Meistens steckten doch lächerliche Eitelkeiten oder profilneurotische Machtkämpfe dahinter. Er machte sich angesichts der erheblichen Veränderungen im Gesundheitswesen immer wieder Vorhaltungen, seine Tochter und die beiden Söhne zu einem Medizinstudium gedrängt zu haben.

Der 60-jährige Internist und feinsinnige Musikliebhaber stammte aus einer süddeutschen Arztfamilie, die in seiner Kindheit nach Hamburg umgezogen war. Jetzt wohnte Andreas Winkmann mit seiner Frau Sylvia, eine gebürtige Hamburgerin, und der Jack-Russel-Hündin Püppie in einem gemütlich eingerichteten Reihenhaus am östlichen Randgebiet der Hansestadt. Seine drei Kinder hatten sich in verschiedene Wohngemeinschaften unweit der Hamburger Universität eingemietet.

Vor fünf Jahren wurde der sympathische Internist und Chefarzt für Innere Medizin zum Ärztlichen Direktor ernannt. Seine Kollegen, aber auch die meisten Pflegekräfte und ganz besonders die Patienten, schätzten das insgesamt freundliche Wesen des Arztes mit dem grauen Dreitagebart. Er trug am liebsten braune oder blaue Cordhosen und graue Rollkragenpullover aus hautfreundlicher Merinowolle. Für Prof. Winkmann standen die ethischen Grundsätze seines Berufes mit der großen Verantwortung für die Patienten an erster Stelle. Ebenso wichtig war ihm aber auch die Verpflichtung für die Mitarbeiter. Hierfür war er zu jeder berechtigten Auseinandersetzung mit der klinischen Verwaltung und dem Management bereit. Seine offene Wesensart war so aufrecht wie seine unaufdringliche Gestalt. Meistens zeigte er sein wohlwollendes und optimistisches Lächeln, wenn er zur Visite in einem Patientenzimmer erschien.

An diesem Vormittag hatte er jedoch extrem schlechte Laune. Andreas Winkmann wirkte sehr ernst und nachdenklich. Ihm stand eine weitere unerfreuliche Begegnung bevor. Nach dem ergebnislosen Meeting beim Verwaltungsdirektor erwartete der Ärztliche Direktor in den nächsten Minuten den aufgebrachten Chefarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie. Er ahnte Ungutes, denn ein quasi offizieller Besuch des Kollegen in seinem Büro kam während der täglichen OP-Zeit sehr selten vor. Gewöhnlich begegneten sich die beiden Männer in den Fluren oder beim kurzen Lunch in der Kantine und besprachen in wenigen Minuten alle aktuellen Probleme.

Diesmal musste es schon etwas Ernsteres sein und seine Vorahnung war absolut gerechtfertigt. Dr. Christoph Kistenmeier schäumte vor Wut über die junge Anästhesistin Monika Möller. Die selbstbewusste Frau, die schon als Assistenzärztin von der Autorität der sogenannten Götter in Weiß wenig beeindruckt war, wollte doch tatsächlich von sich aus einen größeren Eingriff bei einem 76-jährigen Patienten mit Dickdarm-Karzinom ablehnen. Als Begründung für ihre starrsinnige Position nannte sie erhebliche Risikofaktoren von Herz und Kreislauf. Was bildete sie sich bloß ein, diese Frau Möller? Sie, die neue Mitarbeiterin, wollte ihm als alteingesessenen Chefarzt erzählen, wo es langging. Eine Unverschämtheit. Nur weil ihr die meisten Männer fasziniert auf ihre aufreizende Figur und ihr so unschuldig anmutendes Gesicht starrten? Natürlich war sie sich dessen voll bewusst und kokettierte immer wieder gern mit ihren femininen Reizen. Dass auch seine Augen gern über ihren fraulichen Blickfang-Körper spazierten, wollte er sich in diesem Moment nicht eingestehen. Jetzt war er richtig sauer auf sie.

»Nicht mit mir«, fluchte der verärgerte Operateur, der sich von so einer nun wirklich nicht vor versammelter OP-Mannschaft das bereitliegende Skalpell aus der Hand nehmen lassen wollte.

Obgleich diese OP laut ärztlicher Tumorkonferenz die einzig sinnvolle Behandlungsmethode des früh erkannten Darmgeschwürs war, waren vor allem die kardiologischen Ergebnisse der Voruntersuchung wirklich zu schlecht, um die Verantwortung für eine Vollnarkose in diesem Umfang zu übernehmen. Der Einwand der gewissenhaften Fachärztin war daher medizinisch absolut nachvollziehbar. Dennoch verlor Dr. Kistenmeier fast die Fassung, als er die junge Kollegin weder mit guten Worten noch mit seiner gefürchteten Autorität zu der bereits terminierten Operation bewegen konnte.

»Verehrte Frau Doktor, es handelt sich um einen sehr wohlhabenden Privatpatienten, den ich in einem umfassenden Aufklärungsgespräch über alle Aspekte des Eingriffs informiert habe. Er hat sich unmissverständlich dafür entschieden und mich persönlich darum gebeten, ihn so schnell wie möglich zu operieren. Und nun kommen Sie mit Ihrem quasi unifrischen Wissen und wollen mich belehren und sich gegen den Wunsch des Patienten stellen. Sind Sie sich über die Konsequenzen Ihres Verhaltens im Klaren?« Die unbeirrte Anästhesistin hatte die Botschaft schnell verstanden und konterte mit provokantem Unterton. »Ich soll also die Verantwortung dafür tragen, dass mir ein Hochrisikopatient durch Herzversagen auf dem Tisch bleibt und Sie trotz dieses Misserfolges den Hinterbliebenen eine saftige Rechnung schreiben können? Und wenn ich die Anästhesie bei dieser riskanten OP aus ärztlicher Verantwortung weiterhin verweigere, muss ich wohl mit Ihrer Beschwerde in der Direktion und vielleicht sogar mit einem Rauswurf rechnen. Gehören solche Nötigungen zur neuzeitlichen Ethik des medizinischen Berufes?«

So einen frechen Auftritt hatte sich bislang noch niemand gegen den autoritären Chirurgen erlaubt. Ein absoluter Tiefschlag, auf den er in einer demonstrativen Art und Weise zu reagieren gedachte, damit sich solche Respektlosigkeiten niemals mehr in seinem OP wiederholten. Hier galt es nun, ein klares Zeichen gegenüber dem Personal zu setzen. Derartige Respektlosigkeiten gegen ihn dürfte es nie wieder geben.

Dr. Kistenmeier beauftragte seine Sekretärin, einen schnellen Termin beim Ärztlichen Direktor zu organisieren. Und sollte dieser keine erwarteten Konsequenzen ziehen, würde sich der Chirurg notfalls direkt an von Assberg mit dem Hinweis wenden, dass sich der junge und forsche Medizinnachwuchs leider auch mehr und mehr zu kurzsichtigen Umsatzverhinderern entwickelte. In der Hanse CityClinic stach die Trumpfkarte Geld immer, da konnte die Möller noch so viel von ihrer medizinischen Verantwortung erzählen. Sie sollte mal lieber an ihren Arbeitsplatz denken, den sie heute vielleicht sogar schon verspielt hatte. Zumindest dürfte es einen entsprechenden Eintrag in ihrer Personalakte geben.

Für Andreas Winkmann eine schwierige Situation. Fachlich gab er der Kollegin grundsätzlich recht. Allerdings hätte er sich eine einfühlsamere Vorgehensweise der jungen Frau gewünscht. Sie wusste doch um das primadonnenhafte Gebaren des chirurgischen Großmeisters, von dem sie als fachlich noch relativ junge Fachärztin für Anästhesie eine Menge lernen konnte. Die gewissenhafte und engagierte Narkoseärztin hätte ihre Bedenken doch in einer Weise dem Chirurgen nahebringen können, ohne ihn zu brüskieren. Warum musste sie ihn denn auf diese Art provozieren? Allerdings hatte der Ärztliche Direktor persönlich auch Sympathien für die junge Kollegin, die in ihrer medizinischen Verantwortung weder vor Titeln noch vor Positionen zurückschreckte. Zunächst wollte er aber seinen aufgebrachten Kollegen beschwichtigen.

»Natürlich muss Ihr Patient zeitnah operiert werden. Aber vielleicht sollten wir seinen Kreislauf noch weiter stabilisieren, bevor er zu Ihnen auf den Tisch kommt. Und natürlich zweifelsfrei sicherstellen, dass sein Herz den Eingriff übersteht. Selbstverständlich werde ich unabhängig davon mit Monika Möller ein ernstes Wort reden. So geht das natürlich nicht, die Dame muss sich schon an unseren Umgangsstil halten. Nehmen Sie es bitte nicht persönlich, lieber Kollege.«

Prof. Christoph Kistenmeier nahm das Statement des Ärztlichen Direktors mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis. Er hätte sich schon eine andere Konsequenz gewünscht, wusste aber um die Mentalität des Ärztlichen Direktors, der bekanntermaßen immer nach ausgleichenden Lösungen suchte.

»Ja, vielen Dank, lieber Kollege. Bitte schauen Sie sich dann auch die weiteren Untersuchungen meines Patienten an, damit wir ihn wirklich in den kommenden Tagen operieren können. Damit Frau Möller sieht, dass hier alles mit rechten Dingen zugeht. Aber wir sollten jetzt keine weitere Zeit verlieren.«

Die Kassemacher

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