Читать книгу Die Kassemacher - Michel Rodzynek - Страница 15
ОглавлениеGerd Sommer war heiß; sein Hemd hatte unter seinen Achseln Schweißflecken in der Größe von Untertassen. Er fühlte sich miserabel. Der Pressesprecher war schlichtweg mit der Aufgabe überfordert, in wenigen Minuten ein Statement zu formulieren, das einen so schweren Vorwurf weder abstritt noch zugab. Wie sollte er bloß die Ansprüche der Klinikleitung mit den Erwartungen des Magazins Ex-Press vereinen? Beides zusammen konnte doch gar nicht gehen.
Ihm gegenüber saß Prof. Heinz-Wilhelm Carl, der in Minutenabständen immer wieder bohrte. »Wie weit sind Sie denn? Nun lesen Sie endlich mal vor.«
»Ich bin hoch konzentriert dabei«, seufzte Gerd Sommer, »aber das ist ein wahnsinnig schwieriges Statement, das ich hier schreiben soll. Vor allem muss es uns die Redaktion abnehmen. Und Heinz Wagner, der zuständige Redakteur, glaubt uns bestimmt kein Wort. Der ist uns auch nicht wohlgesonnen und wartet nur darauf, uns einen reinzuwürgen.«
Prof. Carl protestierte mit hochrotem Kopf. »Mensch, Sommer, hier geht es um meinen guten Ruf. Sehen Sie zu, dass Sie das hinkriegen.«
»Wenn wir jetzt noch lange diskutieren, werden wir nicht fertig«, protestierte der Pressemann und löschte zum wiederholten Mal den letzten Satz seiner Meldung. Er hatte noch maximal zehn Minuten. Während er nach einer besseren Formulierung suchte, sprang seine Bürotür auf und Klinikinhaber von Assberg stand Sekunden später in bedrohlicher Haltung vor seinem Schreibtisch.
»Und, was macht das Kunstwerk? Lassen Sie mal sehen.« Er überflog den Text und schimpfte: »Das kann nicht Ihr Ernst sein. Ihre Stellungnahme liest sich wie ein Schuldeingeständnis. Nein, meine Herren, wir müssen den Spieß umdrehen und uns bei der Industrie bedanken. Zum Beispiel sollten wir Folgendes schreiben: ›Die finanziellen Zuwendungen haben anspruchsvolle Fortbildungen unserer medizinisch angesehenen Kardiologie ermöglicht, von denen in erster Linie die Patienten profitieren.‹« Er schaute kurz seinen Kardiologen an, dem diese Erklärung gefiel. Dann redete er weiter: »›Wir würden uns über eine langfristige Fortsetzung dieser partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit unseren Lieferanten freuen, die selbstverständlich völlig unabhängig von Liefervereinbarungen erfolgt. Bei der Auswahl von medizinischen Geräten sind ausschließlich qualitative Aspekte maßgebend. Wir können diverse Beispiele für Kaufentscheidungen zugunsten von Herstellern aufzeigen, deren Erzeugnisse sich gegen Produkte von Kooperationspartnern durchgesetzt haben.‹ Haben Sie das Sommer? Und dann bringen Sie noch ein nettes Zitat von Prof. Carl, der den internationalen Informations- und Meinungsaustausch mit angesehenen Kollegen aus aller Welt auf den Studienreisen für ausgesprochen wichtig hält. Auch hiervon hat vor allem der Patient den größten Nutzen. Im Übrigen haben diese wissenschaftlichen Teilnahmen unseres Chefarztes finanzielle Nachteile für die Hanse CityClinic, da an diesen Tagen auf erhebliche Einnahmen verzichtet wird.«
Prof. Heinz-Wilhelm Carl musste schmunzeln. Egal, was über Bernd von Assberg gesagt wurde, der Mann hatte Selbstbewusstsein und Überzeugungskraft. Er war mit diesem Statement sehr zufrieden und warf abschließend einen mitleidvollen Blick auf den ratlos wirkenden Pressesprecher. Es würde ihn nicht wundern, wenn es hier bald zu einem Personalwechsel kommen würde. Der gute Mann war seiner Aufgabe einfach nicht gewachsen.
Nicht schlecht, dachte Heinz Wagner, als er das Statement der Hanse CityClinic sorgfältig studierte. Die Flucht nach vorn war in solchen Situationen immer die beste Strategie. Trotzdem würde das Haus sein Fett wegbekommen, denn inhaltlich war die Argumentation nicht sehr glaubhaft. Aber der geschickte Hinweis auf die nicht von der Hand zu weisenden Vorteile für die Patienten war ein gutes Argument, um die Vorwürfe wenigstens abzumildern.
Trotzdem wird dieser arrogante von Assberg wenig Freude an dem knackigen Bericht haben, versprach sich der Chefreporter und war zugleich recht sicher, dass die Tage von Pressesprecher Gerd Sommer damit quasi gezählt waren.
Eine Vermutung, die sich zeitgleich mit der Veröffentlichung der für die Klinikbranche peinlichen Story bestätigen sollte. Denn schon einen Tag später bat Bernd von Assberg seinen Personalchef, mit Gerd Sommer eine vorzeitige Auflösung des Arbeitsvertrages auszuhandeln und sich nach einem neuen Kandidaten umzusehen, der über kommunikative Professionalität auch in Krisenmomenten verfügte.