Читать книгу Die Kassemacher - Michel Rodzynek - Страница 12

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In Kapstadt war es mittlerweile 17:00 Uhr und die Sonne brannte nicht mehr ganz so heiß. Irina hatte die drei Stunden am Hotelpool genossen und spürte eine leichte Hautreizung an Armen und Beinen. Sie dachte kurz an das herbstliche Wetter zu Hause und konnte auf die trüben Tage mit viel Regen und stürmischen Winden in Hamburg gut verzichten. Die angenehme Wärme und das wunderbare Licht in Südafrika waren herrlich. Ebenso die tollen Restaurants mit vielen kreativen Gerichten. Kapstadt war ein kulinarisches Paradies für Feinschmecker und Weingenießer.

Wann würde Udo wohl von seiner ganztägigen Weinbergtour zurückkommen und was stand abends auf dem Programm? Hoffentlich konnte sich Udo freimachen, denn sie hatte keine Lust auf die ganze Gruppe und noch weniger auf diesen lauten Jan Siebert. Sie mochte ihn einfach nicht und in seiner Gegenwart kam auch Udo ihr fremd vor. Sie benahmen sich wie Komplizen, die etwas zu verheimlichen hatten.

Als sie leicht dösend in der Sonne lag, hatte sie mehrfach darüber nachgedacht, ob sie wirklich eine längerfristige Beziehung mit ihrem Liebhaber wollte. Natürlich konnte er ihr die begehrte Stellung beschaffen. Sie würde gern Fachärztin in der Onkologie werden. Allerdings waren ihr gerade auf dieser Werbereise der Pharmafirma Chemtec erhebliche Zweifel gekommen, ob sie diesen ganzen Schmu in der Medizin mitmachen wollte. Sie hatte erhebliche moralische Bedenken. War Onkologie wirklich der richtige Fachbereich für sie?

Irina Herzberg hatte den zunehmenden Eindruck, dass es der Pharmaindustrie sowie vielen Kliniken und Ärzten in der Realität mehr ums Geldverdienen als um das Schicksal krebskranker Patienten ging. Gehörte auch ihr Liebhaber dazu, steckte er womöglich mit diesen Profitgeiern unter einer Decke? Eine schreckliche Vorstellung.

Recht bedenklich empfand sie auch das auffallend freundschaftliche Verhältnis zwischen Udo und Chemtec-Chef Siebert. Was steckte dahinter? Gab es vielleicht sogar geschäftliche Verbindungen zwischen dem Chef-Onkologen der Hanse CityClinic und dieser Firma? Und möglicherweise auch mit anderen Unternehmen? Beunruhigende Gedanken, die Irina zu verdrängen versuchte. Aber sie kamen immer wieder; inzwischen mehr denn je.

Sobald sie wieder in Hamburg zurück war, würde sie über ihre private und berufliche Situation neu nachdenken und auch entsprechende Entscheidungen treffen müssen. Vielleicht könnte ihr der Ärztliche Direktor helfen. Sie hatte Vertrauen zu Prof. Andreas Winkmann, der von ihrer Liaison mit seinem Kollegen wusste und ihr auf dem letzten Sommerfest angeboten hatte, sie bei ihren beruflichen Überlegungen gern beraten zu wollen.

Ja, sie würde mit diesem sympathischen Gentleman über ihre berufliche Zukunft sprechen. Sie hatte den größten Respekt vor der Art, wie er seine berufliche Kompetenz als Ärztlicher Direktor mit privater Integrität verband. Für Irina gehörte Prof. Andreas Winkmann zu den zunehmend seltenen Persönlichkeiten, die unermüdlich gegen den Strom agierten und die es verstanden, zwischen persönlichen und beruflichen Interessen zu unterscheiden. Morgen Abend würde sie mit Udo in der bequemen Business Class zurückfliegen und sich gleich nach ihrer Ankunft um einen Termin beim Ärztlichen Direktor bemühen.

Irina verspürte allmählich Hunger. Sie hatte zu ihrem morgendlichen Cappuccino nur ein Croissant gegessen. Die junge Frau mied volle Frühstücksräume mit diesen vielen Menschen, die sich an den Buffets drängten. Und der Appetit meldete sich bei ihr meistens erst ab nachmittags. Am liebsten würde sie sich jetzt einfach eine Jeans mit T-Shirt überziehen und sich eine große Portion köstlichen Sashimi im Codfather gönnen. Danach, sofern sie noch Hunger hätte, ein paar wilde Tiger-Langusten mit knackigem Gemüse vom Grill. Sie hatte immer weniger Lust, auf die Rückkehr der Gruppe zu warten. Wahrscheinlich war Udo von der anstrengenden Tour müde, gut gesättigt und hatte bestimmt keinen Appetit mehr.

Irina beschloss, ins Codfather zu gehen. Das ebenso renommierte wie freundliche Restaurant, nur in Steinwurfnähe von ihrem Hotel entfernt, gehörte Benzi Malka. Ein 60-jähriger Israeli, dessen ursprünglich aus Marokko stammende Familie unmittelbar nach Staatsgründung mit einem Schiff in Haifa gelandet war. Benzi war viele Jahre Berufsoffizier in der israelischen Armee und danach Sky-Marshall bei der nationalen Fluggesellschaft ELAL gewesen. Als Sicherheitsbegleiter flog er rund um die Welt und entwickelte mit den Jahren eine große Zuneigung für Kapstadt. Mit Mitte 40 entschloss er sich, seine schöne Wohnung auf dem Carmel-Berg in Haifa aufzugeben und mit seiner Frau Marlis, einer gebürtigen Deutschen, nach Südafrika zu ziehen. Seine beiden Töchter und sein Sohn waren bereits aus dem Haus. Sie hatten längst ihr eigenes Leben in Israel.

Die Eröffnung eines Restaurants mit Spezialitäten aus dem Meer war ein langjähriger Traum des passionierten Hobbykochs. Auf einer Urlaubsreise vor 20 Jahren erfüllte sich dann der große Wunsch durch das interessante Angebot einer Gastronomiefläche auf der Etage eines alten Hauses in Camps Bay. Mit seinem Schwerpunkt auf fangfrischem Fisch vom Grill, der vor den Augen seiner Gäste zubereitet wurde, traf er genau den Geschmack seines internationalen Publikums, das die unkomplizierte Gastlichkeit im Codfather schätzte. Und der charmante Gastronom erfreute sich ebenso bei einheimischen Gästen wie den vielen Touristen größter Beliebtheit.

Benzi hatte Irina bei ihrem Besuch mit einem vertrauten Lächeln angesprochen; die feingliedrige Halskette mit dem kleinen goldenen Davidstern am Hals war ihm nicht verborgen geblieben. Ein Geschenk ihres geliebten Vaters, das sie immer trug und nur bei Untersuchungen oder Massagen abnahm.

Sie genoss die offenkundige Freude des gut aussehenden Seniors, der den erfolgreichen Chefarzt an ihrer Seite völlig ignorierte und seine ganze Aufmerksamkeit dieser jungen Frau schenkte.

»Israel ist vor allem auch bekannt für seine hübschen Frauen. Ihr Anblick ist der beste Beweis. Herzlich willkommen im Codfather. Verraten Sie mir Ihren Namen?«

»Irina. Und ich komme nicht aus Israel. Leider, weil ich das Land sehr liebe. Mein Vater war Jude und wir sind vor über zehn Jahren von St. Petersburg nach Deutschland umgezogen. Ich lebe seither in Hamburg, war aber schon öfter in Israel.«

Udo Krüger stand sprach- und regungslos an der Seite. Er fragte sich, wie lange dieser Smalltalk noch dauern würde. Nur weil zwei Menschen jüdischen Glaubens sich zufällig in der weiten Welt begegneten. Ist schon ein merkwürdiges Volk, das so tut, als seien sie alle miteinander verwandt. Allmählich verlor Udo die Geduld und empfand leichte Verärgerung. Bislang war es immer umgekehrt. Er, der bekannte Arzt, stand im Mittelpunkt, seine Begleitung, egal, wer es war, immer im zweiten Glied daneben. Und jetzt behandelten die beiden ihn, als sei er Luft. Hier wurden die Rollen vertauscht. Er machte einen Schritt zur Seite. »Ich gehe schon mal zu unserem Tisch; du kannst ja gern mit dem Herrn weiter plaudern.«

Benzi musste schmunzeln und kannte solche Szenen zur Genüge aus seiner langen Zeit als Gastronom. »Irina, was macht eine Frau wie Sie in Deutschland? Die Eltern meiner Frau stammen übrigens aus Lübeck. Wir haben uns aber in Israel kennengelernt. Marlis ist zum jüdischen Glauben übergetreten und spricht perfekt Hebräisch.«

Irina hätte sich sehr gern weiter mit Benzi unterhalten, ahnte aber die zunehmend schlechte Laune von Udo, der sehr eifersüchtig sein konnte. »Ich muss jetzt schnell zu unserem Tisch; mein Begleiter wird bereits sehr ungeduldig. Vielleicht ergibt sich ja in den nächsten Tagen die Gelegenheit, das Gespräch fortzusetzen. Ich würde mich sehr freuen und fühle mich hier sehr gut. Danke für Ihre Herzlichkeit.«

Warum sollte sie nicht am letzten Abend vor dem Rückflug die Gelegenheit wahrnehmen, noch einmal ins Codfather zu gehen? Diesmal allein. Ehrlich, wie sie war, gestand sie sich auch ein, dass es nicht nur die Lust auf köstlichen Fisch war, die sie dazu bewegte. Irina hoffte, Benzi anzutreffen und mit ihm ein wenig über das Leben und ihre Gemeinsamkeiten zu plaudern.

Rasch schlüpfte sie in ihre Jeans und streifte sich ein weißes T-Shirt über. Ihr dezentes Kettchen mit dem Davidstern trug sie darüber. Ohne dieses ihr so bedeutende Symbol hätte Benzi sie wahrscheinlich nicht angesprochen. Sie musste an ihren Vater denken, den sie sehr vermisste. In diesem Moment ganz besonders. Gegen 21:30 Uhr war Irina nach ihrem Besuch im Codfather wieder zurück in ihrem Hotelzimmer. Sie hatte sich an der Sushi-Bar vier kleine Sashimi-Teller mit Thunfisch, Lachs, Garnele und Makrele vom Band genommen. Danach bestellte sie sich eine kleine Portion Langusten mit Salat. Sie hatte zwar mehr als sonst gegessen, spürte jedoch keine Übersättigung. Sie fühlte sich einfach wohl.

Benzi war zu dieser Zeit nicht im Restaurant gewesen. Schade, dachte sie. Irina hätte ihn gern wiedergesehen. Nachdem sie bezahlt hatte, machte sie sich auf den Weg zurück ins Hotel. Auf halber Treppe ging sie jedoch wieder zurück und gab dem Restaurantleiter ihre Visitenkarte mit der Bitte, diese mit herzlichen Grüßen an Benzi weiterzugeben. Warum denn nicht?, sagte sie sich. Oder war das vielleicht etwas aufdringlich?

Von Udo gab es weder eine Spur noch eine Nachricht. Einerseits war sie verärgert, andererseits aber auch erleichtert, den Abend nicht mit der Chemtec-Truppe verbringen zu müssen. Die ersten beiden Tage war ihr Udo nicht von der Seite gewichen; gestern und auch heute schien er spürbar das Interesse an ihr verloren zu haben. Oder hatte er Verpflichtungen gegenüber Jan Siebert, die er vor der Rückreise wahrnehmen musste? Morgen würde es über London zurück nach Deutschland gehen. Sie wollte jetzt auch zurück nach Hause. Irina war fest entschlossen, bei der nächsten Gelegenheit wieder nach Südafrika zu fliegen. Besonders gefielen ihr die freundlichen Menschen und sie war beeindruckt von der hohen Lebensqualität in dieser Region. Natürlich musste man hierfür zur gesellschaftlichen Schicht gehören, die sich diesen Standard auch leisten konnte. In der Metropole am südlichen Zipfel herrschten zugleich extremer Reichtum und elende Armut. Auch in und um Kapstadt lebten mehrere hunderttausend Menschen in den berüchtigten Townships. Diese größtenteils sehr primitiven Wohnsiedlungen sind während der Rassentrennungspolitik in Südafrika für die schwarze, farbige und auch indische Bevölkerung entstanden. Allein in Khayelitsha am Stadtrand lebten aktuell rund 400.000 Menschen.

Im Hinblick auf den zwölfstündigen Flug am kommenden Nachmittag entschloss sich Irina, früh ins Bett zu gehen. Weshalb sollte sie Rücksicht auf ihren Freund nehmen, der sie die letzten zwei Tage kaum beachtet hatte? Sie würde nun ohnehin darüber nachdenken, ob sie diese Beziehung wirklich fortsetzen wollte.

Sie war schon eingeschlafen, als Prof. Udo Krüger ins Zimmer kam. Er war leicht angetrunken und unangenehm laut. »Hey, schöne Frau, schläfst du etwa schon? Hast du nicht Lust auf einen Drink an der Hotelbar? Einen kleinen Absacker können wir doch beide gut gebrauchen. Du nimmst ja an nichts teil und machst dein eigenes Programm. Das war aber nicht Sinn und Zweck dieser Reise. Na ja, reden können wir morgen. Wir sitzen ja stundenlang im Flieger. Ich gehe jetzt noch einen trinken und mit den Leuten quatschen. Gute Nacht, Baby.«

Gegen 08:00 Uhr am nächsten Morgen schlüpfte Irina aus dem Bett. Udo lag schnarchend im Tiefschlaf auf seiner Seite. Er roch heftig nach Alkohol und sah ziemlich zerknittert aus. Bei diesem Anblick schien die Attraktivität des älteren Liebhabers verflogen. Sie konnte sich in diesem Moment überhaupt nicht mehr vorstellen, die Geliebte dieses Mannes zu sein. Nein, sie musste die Beziehung unbedingt beenden.

Als das Paar am späteren Nachmittag Richtung London abhob, suchte Udo das Gespräch mit ihr. »Schau Irina, das war ja eine geschäftliche Reise mit etlichen Verpflichtungen für mich. Ich konnte nicht die ganze Zeit für dich da sein. Das musst du verstehen.«

»Na klar, Udo«, antwortete sie mit unüberhörbarer Ironie, »die Verkostung südafrikanischer Weine aus der Region ist ein wichtiger Bestandteil von wissenschaftlichen Konferenzen über neue Chemotherapien. Entschuldige bitte, dass ich den eigentlichen Sinn und Zweck dieser Dienstreise verdrängt habe. Ich bin wohl eine undankbare Spielverderberin. Aber in einigen Stunden sind wir ja wieder zu Hause. Du bei dir und ich bei mir. Und dabei sollten wir es dann auch belassen.«

»Das hört sich wie eine Trennung an!« Irina lächelte ihren irritierten Nachbarn fast mitleidsvoll an. »Aber nein. Was nie so richtig zusammen war, kann sich ja auch nicht wirklich trennen. Ich fand deinen Altherrencharme anfangs recht attraktiv und hab mich ohne weitere Verbindlichkeiten auf eine Beziehung eingelassen. Wir hatten unseren Spaß und du die Bestätigung, auch bei jüngeren Frauen noch landen zu können. Gleichwohl habe ich in den letzten beiden Tagen viel nachgedacht; ich hatte ja auch viel Zeit und Gelegenheit dazu. Wir passen eben doch nicht so richtig zusammen.«

»Und was ist mit deiner beruflichen Karriere?«

Wütend und mit hochrotem Kopf antwortete sie: »In Hollywood müssen vor allem junge Schauspielerinnen mit Regisseuren und Produzenten ins Bett gehen, um die begehrte Filmrolle zu bekommen. Gilt dieses Prinzip auch in der Hanse CityClinic? Müssen junge attraktive Doktorinnen mit alten einflussreichen Chefärzten schlafen, um weiterzukommen?«

Das saß. Darauf wollte Prof. Udo Krüger nicht mehr antworten. Er war stinksauer auf Irina. Ist das der Dank für die Einladung zu dieser wunderbaren Reise nach Kapstadt? Die hätte sie sich doch selbst nie leisten können. Er schloss die Augen und versuchte, sich zu entspannen. Nach dem Abendessen mit drei Gläsern südafrikanischem Merlot brachte er seinen bequemen Sitz in die Schlafposition und drehte sich zur Seite. Bis zur Landung in London Heathrow sprachen sie kein Wort mehr.

Die Kassemacher

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