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Auf der Autobahn zwischen Lübeck und Hamburg herrschte wie an jedem Wochentag dichter Berufsverkehr. Marc Janzen blickte auf seine Uhr und fragte sich, ob er es wohl noch pünktlich bis zur Hanse CityClinic schaffen könnte. Dr. Gellert hatte ihn gebeten, sich bis 09:00 Uhr bei der Aufnahme zu melden. Der Gedanke an einen Krankenhausaufenthalt bereitete ihm Unbehagen.

Als könne sie seine Gedanken lesen, legte ihm Ursula beruhigend ihre Hand auf den Arm, während sie den schweren Geländewagen souverän auf der linken Überholspur lenkte. Marcs Ehefrau war eine passionierte Autofahrerin, die wie ihr Mann hohe Geschwindigkeiten liebte. Eine von den wenigen Interessen, die das Ehepaar gemeinsam hatten.

»Schau, lieber Marc, das ist alles halb so wild. Die checken dich komplett durch und dann bist du in wenigen Tagen wieder entspannt zu Hause. Ich habe mich noch einmal informiert. Deinen Diabetes kann man sehr gut in den Griff bekommen. Zucker haben wohl viele Männer im Alter. Du eben auch.«

Der 56-Jährige war nervös, weil er schlichtweg davor Angst hatte, dass die Untersuchungen vielleicht noch andere Krankheiten entdecken könnten. Zwar fühlte er sich rundherum gut und gesund, aber das war letztendlich keine Garantie. Schließlich ergab sich auch sein hoher Blutzucker erst zufällig bei der kürzlich erfolgten Vorsorge. Er hatte ihn bislang weder gemerkt noch geahnt. Bei hohem Blutdruck ist das wohl ebenso. Er hätte keine spürbaren Symptome. Besonders heimtückisch waren verschiedene Tumorerkrankungen, die erst bei Untersuchungen festgestellt werden. Die betroffenen Patienten erlitten dann im ersten Moment oft einen Schock. Marc wollte darüber gar nicht weiter nachdenken. Er war einfach insgesamt verängstigt und hoffte auf eine befundfreie Diagnose bei seiner Entlassung. Den Zucker würde er schon durch gesunde Ernährung und regelmäßigen Sport auf die Normwerte absenken. Obgleich er ein Genießer war und eine große Schwäche für Süßigkeiten hatte. Auch mochte er so einige Nahrungsmittel, die für Diabetiker völlig ungeeignet waren. Beim Alkohol würde er sich künftig etwas mehr zurückhalten müssen.

»Ich denke über etwas anderes nach, Ursula. Wie du weißt, hat das Gesundheitssystem seit der Umstrukturierung vor einigen Jahren finanziell erhebliche Probleme. Ärzte und auch Kliniken müssen auf ihre Kosten kommen. Das wird immer schwieriger. Und da frage ich mich natürlich, ob denn bei mir wirklich alle Untersuchungen und Behandlungen medizinisch notwendig sind. Kannst du dir nicht vorstellen, dass hier auch ein gewisser Aufwand aus wirtschaftlichen Interessen betrieben wird? Gerade bei uns Privatpatienten.«

Ursula überlegte und konnte die Bedenken ihres Ehemannes gut nachvollziehen. »Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, aber deine Zweifel kann ich gut verstehen. Was wissen wir normale Bürger schon über die Medizin? Genau genommen können wir doch gar nicht mitreden, wenn uns ein Arzt das eine oder andere vorgibt. Da ist schon viel Vertrauen erforderlich.«

Marc nickte. »Siehst du, genau das ist mein Problem. Diesen Dr. Gellert habe ich erst vor wenigen Tagen kennengelernt. Er ist zwar sehr freundlich, aber ich hatte schon den Eindruck, dass er eben auch sehr die Interessen der Klinik vertritt. Was der alles mit mir machen will, bringt doch auch richtig Kohle. Plus der Tagessatz für das teure Zimmer auf dieser Luxusetage. Hier muss doch der Arzt in erster Linie an die Gesundheit und das Wohl seiner Patienten denken. Oder ist das eine altmodische Vorstellung?«

Ursula musste lachen. »Du bist doch alles andere als naiv. Und als romantischer Träumer wärst du nun wirklich nicht der erfolgreiche Unternehmer geworden. Ich glaube eher, dass du dich deshalb nie mit dieser Thematik beschäftigt hast, weil du bislang das Glück der Gesundheit hattest und so gut wie nie einen Arzt aufgesucht hast.« Dann fügte sie mit ernstem Ton hinzu: »Man muss wohl erst selbst krank werden, um die Verhältnisse und Probleme in unserem Gesundheitswesen zu erkennen. Es wird zwar viel darüber geschrieben und trotzdem ist die Öffentlichkeit nicht wirklich informiert.«

Marc nickte zustimmend. »Na ja, ich werde jedenfalls bei meinem bevorstehenden Programm in der Klinik alles im Detail hinterfragen. Leichtes Spiel werden die mit mir bestimmt nicht haben. Und die geplante Magen- und Darmspiegelung verschiebe ich erst einmal. Mir ist dafür übrigens ein hervorragender Spezialist in Lübeck empfohlen worden. Das steht bei mir im nächsten Jahr auf dem Zettel. Die machen das ambulant; ich muss dafür nicht ins Krankenhaus. Ich verstehe übrigens noch immer nicht ganz, weshalb ich für die jetzt anberaumten Untersuchungen in der Klinik bleiben muss.«

Kurz nach 09:00 Uhr saß Marc Janzen in der Aufnahme einer etwas schroffen Sachbearbeiterin gegenüber, die seine Geduld erheblich strapazierte und vor allem sein Unbehagen bekräftigte.

Die passt eher in eine Abteilung für Kundenabwehr, befand er mit leichtem Kopfschütteln. Am liebsten würde er den Termin absagen und Ursula bitten, ihn schnell wieder abzuholen. Andererseits gestand er sich aber ein, nur nach Vorwänden zu suchen, den bevorstehenden Klinikaufenthalt zu umgehen. Der lag ihm seit dem letzten Gespräch mit dem Internisten im Magen. Er riss sich zusammen und beantwortete dann doch recht freundlich alle Fragen. Wobei er mehr und mehr den Eindruck gewann, bei einer Behörde und nicht als Privatpatient auf der Komfortstation einer Klinik gelandet zu sein. Nach einer halben Stunde nervender Formalitäten wurde Marc von einer netten Schwester abgeholt.

»Ich zeige Ihnen zunächst Ihr schickes Zimmer. Richten Sie sich ein. Danach nehmen wir ein bisschen Blut ab, messen Ihren aktuellen Zuckerstatus und natürlich auch Ihren Blutdruck. Der ist bei Diabetes-Patienten oft zu hoch. Um 12:00 Uhr sind sie zum Ultraschall bei Dr. Moritz. Dann schaut er sich Ihre Halsschlagadern, die Schilddrüse und die Bauchorgane an. Sie werden noch von ihm genau informiert. Im Anschluss bekommen Sie auf dem Zimmer Ihr Mittagessen. Gleich danach müssen wir Sie leider wieder piksen, um den Blutzucker während der Verdauungsphase zu messen. Wir wollen auch sehen, wie schnell Ihr Körper ihn wieder abbaut. Ihnen wird bei uns nicht langweilig werden, lieber Herr Janzen. Auf Ihrem Programm stehen zudem Gespräche mit unserer Diätassistentin. Da bekommen Sie eine sehr professionelle Ernährungsberatung, damit Sie wissen, was Sie künftig essen sollten und was nicht. Das dürfte Ihnen bei der erforderlichen Umstellung beziehungsweise Anpassung Ihrer künftigen Essgewohnheiten sehr helfen. Mit Diabetes ist nicht zu spaßen, Herr Janzen. Aber wir kriegen das schon hin.«

Die Komfortstation der Hanse CityClinic entsprach tatsächlich eher einem ordentlichen 4-Sterne-Hotel als einem typischen Krankenhaus. Eine clevere Idee, dachte Marc, wobei ihm natürlich klar war, dass er sich das nur als erfolgreicher Geschäftsmann leisten konnte. So ließ es sich schon einige Tage aushalten, wenngleich er während dieser Zeit in einem typischen Klinikbett schlafen musste. Sah nicht gerade bequem aus dieses verkabelte Gestell, in dem man das Rückenteil um fast 90 Grad hochstellen konnte. Kein Vergleich mit seinem geliebten Haute-Couture-Bett zu Hause, in dem er wie ein Baby schlummerte. Nun ja, auch das würde er überstehen. Er packte seine wenigen Sachen in den Schrank. Zahnbürste, Shampoo und Duschgel sowie Rasierapparat deponierte er im Bad. Über dem kleinen Schreibtisch entdeckte er die dringend benötigten Steckdosen für die Ladegeräte seines Laptops und Smartphones. Darüber blieb er mit der Welt verbunden. Und vor allem auch mit seiner Firma, die ihn auf einer plötzlich erforderlichen Geschäftsreise wähnte. Wenn die wüssten, wo ich gelandet bin, dachte er. Dann tauschte er Jeans und Pulli gegen einen gemütlichen Jogginganzug. Nun konnte es losgehen.

Bereits wenige Minuten später klopfte es an der Tür. »Herr Janzen, wir wären dann so weit. Ich bringe Sie jetzt zum Ultraschall. Dr. Moritz freut sich schon auf Sie. Er ist übrigens ein passionierter Freund klassischer Automobile. Da haben Sie ja einiges zu bequatschen. Sie werden sehen, er ist sehr nett und vor allem ein richtig guter Spezialist für diese bildgebenden Untersuchungen. Keine Sorge, ist ganz harmlos und Sie liegen dabei ganz entspannt.«

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