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1. Normenhierarchie
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Die nur bei entsprechendem Anlass vorzunehmende Prüfung der Wirksamkeit der Ermächtigungsgrundlage (Rn. 123) richtet sich danach, ob es sich bei dieser um eine in einem förmlichen Parlamentsgesetz enthaltene Norm oder aber um eine Rechtsverordnung bzw. Satzung handelt. Denn gemäß der Rangordnung der Rechtsquellen (Normenhierarchie) müssen die niederrangigeren mit den höherrangigeren Rechtssätzen vereinbar sein, d.h. die vom Parlament erlassenen Gesetze müssen in Einklang mit der Verfassung (die ihrerseits wiederum namentlich sowohl dem primären[24] als auch dem sekundären[25] EU-Recht im Rang nachsteht)[26] und Rechtsverordnungen sowie Satzungen müssen in Einklang mit den einfachen Parlamentsgesetzen und der Verfassung (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie dem EU-Recht stehen. Das gilt sowohl auf Ebene des Bundes- als auch des diesem gegenüber nachrangigen (Art. 31 GG) Landesrechts.[27]
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Steht eine rangniedere Norm im Widerspruch zu einer ranghöheren Norm des nationalen Rechts, so ist die rangniedere Norm aufgrund des Geltungsvorrangs der ranghöheren Norm grundsätzlich nichtig (lex superior derogat legi inferiori) bzw. ist eine dem EU-Recht widersprechende deutsche Rechtsvorschrift nicht anwendbar (Anwendungsvorrang des EU-Rechts; Rn. 137). Bevor allerdings in der Fallbearbeitung von der Unwirksam- bzw. Unanwendbarkeit einer niederrangigeren Norm aufgrund eines scheinbaren Verstoßes gegen höherrangiges Recht ausgegangen wird, ist die betreffende Vorschrift in einem vorausgehenden Schritt daraufhin zu untersuchen, ob sie nicht derart flexibel gefasst ist, dass sie namentlich einer verfassungs- bzw. europarechtskonformen Auslegung (Rn. 183 und Rn. 321) zugänglich ist. Ist dies der Fall und lässt sich nach entsprechender Norminterpretation ein mit dem einschlägigen (einfachen) Gesetzes-, Verfassungs- bzw. Europarecht kompatibles Ergebnis erzielen, so ist die niederrangige Norm damit sehr wohl wirksam bzw. anwendbar.[28]
Beispiel[29]
Wer die Absicht hat, eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel zu veranstalten, hat dies nach § 14 Abs. 1 VersammlG spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe der zuständigen Behörde unter Angabe des Gegenstands der Versammlung anzumelden. Ist eine Versammlung nicht angemeldet, so kann die zuständige Behörde diese gem. § 15 Abs. 3 VersammlG auflösen.
Diese einfachgesetzlichen Ordnungsvorschriften des VersammlG sind im Lichte des höherrangigen Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) anzuwenden. Aus der demnach gebotenen verfassungskonformen Auslegung ergibt sich speziell im Hinblick auf § 15 Abs. 3 VersammlG, dass die Auflösung einer nicht angemeldeten Versammlung keine Rechtspflicht der zuständigen Behörde ist, sondern lediglich eine Ermächtigung („kann“), von welcher die Behörde angesichts der hohen Bedeutung der Versammlungsfreiheit im Allgemeinen nur dann pflichtgemäß Gebrauch machen darf, wenn weitere Voraussetzungen für ein Eingreifen hinzukommen. Die bloße Verletzung der Anmeldepflicht des § 14 Abs. 1 VersammlG darf daher regelmäßig nicht zur Auflösung der Versammlung führen.
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Handelt es sich bei der Ermächtigungsgrundlage für den jeweiligen Verwaltungsakt um eine Vorschrift in einem vom Parlament (Bundestag bzw. Landtag, nicht dagegen: Gemeinderat) erlassenen Gesetz (im formellen Sinn; Rn. 8), so ist die Ermächtigungsgrundlage dann wirksam, wenn sie verfassungsgemäß ist, d.h. in Einklang mit dem Grundgesetz – und ggf. mit der betreffenden Landesverfassung – steht. Andernfalls ist das Gesetz grundsätzlich nichtig.
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Beruht der Verwaltungsakt dagegen nicht unmittelbar auf einem Gesetz im formellen Sinn, sondern auf einer Rechtsverordnung oder einer Satzung als Gesetz im nur materiellen Sinn (Rn. 8), so ist zunächst die Rechtmäßigkeit der Rechtsverordnung bzw. Satzung zu prüfen. Die Rechtsverordnung muss der Verordnungsermächtigung entsprechen, die Satzung muss innerhalb des Bereichs der Satzungsautonomie verbleiben, welcher durch das Verfassungsrecht und die einfachen Gesetze vorgegeben wird. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so ist in einem zweiten Schritt die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zu prüfen, auf dem die Rechtsverordnung bzw. Satzung beruht.[30] Rechtswidrige Satzungen sind – vorbehaltlich der etwaigen Unbeachtlichkeit eines Fehlers (z.B. §§ 214 f. BauGB; § 7 Abs. 6 GO NRW) – ebenso wie rechtswidrige Rechtsverordnungen grundsätzlich ipso iure nichtig.[31]
Beispiel[32]
Heranziehung eines Hundehalters zur Hundesteuer durch Verwaltungsakt.
Der Hundesteuerbescheid ist nur dann rechtmäßig, wenn er mit der betreffenden kommunalen Hundesteuersatzung als Ermächtigungsgrundlage in Einklang steht, die ihrerseits sowohl den einschlägigen einfach-gesetzlichen als auch verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben genügen muss.