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III. Anwendbarkeit

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Ist eine wirksame Ermächtigungsgrundlage für den Erlass des betreffenden Verwaltungsakts vorhanden (Rn. 129 ff.), so ist weiter zu untersuchen, ob diese Ermächtigungsgrundlage im konkreten Fall auch tatsächlich zur Anwendung gelangt. Insoweit gilt es, den Anwendungsvorrang der rangniederen vor der ranghöheren (dazu sogleich), der späteren vor der früheren sowie der speziellen vor der allgemeinen Norm (Rn. 136) als auch den Anwendungsvorrang des EU-Rechts vor hiermit nicht in Einklang stehendem nationalen Recht (Rn. 137) zu beachten.

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Im Verhältnis von Normen unterschiedlicher Hierarchiestufen gilt der Anwendungsvorrang der (wirksamen und EU-rechtskonformen) rangniederen vor der ranghöheren Rechtsnorm.[42] Soweit der betreffende Sachverhalt beispielsweise durch einfaches Gesetzesrecht geregelt wird (z.B. Erteilung einer Baugenehmigung gem. § 74 Abs. 1 BauO NRW), vermag die Verwaltung ihre Maßnahme daher nicht unmittelbar auf die Verfassung zu stützen (z.B. Art. 14 Abs. 1 GG; vgl. auch Übungsfall Nr. 3).[43] Bei der Anwendung von Gesetzen ist also – bezogen auf die Normenpyramide (Rn. 129) – „von unten (‚konkretere Norm‘) nach oben“[44] (abstraktere Norm) vorzugehen. Im Hinblick auf Rechtssätze, die auf derselben Rangstufe verortet sind, gilt nach allgemeiner juristischer Methodik, dass die spätere Regelung die frühere (lex posterior derogat legi priori, siehe z.B. Art. 72 Abs. 3 S. 3 GG) und das speziellere Gesetz das allgemeine (lex specialis derogat legi generali, siehe z.B. § 8 Abs. 1 PolG NRW a.E.) verdrängt.[45] Trotz Fehlens einer Spezialregelung vermag ein Verwaltungsakt zudem auch dann nicht auf eine allgemeine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage gestützt zu werden, wenn diese im konkreten Fall deshalb nicht anwendbar ist, weil in diesem der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes eine spezielle (detaillierte) Ermächtigungsgrundlage fordert (Rn. 11; vgl. auch das zweite Beispiel in Rn. 245).

Beispiel[46]

Im Vergleich zur polizeilichen Generalklausel (z.B. § 3 PolG BW, Art. 11 Abs. 1 bay. PAG, § 8 Abs. 1 PolG NRW) unterwerfen die polizeilichen Standardermächtigungen besonders (grundrechts-)intensive Eingriffe (z.B. Betreten und Durchsuchen von Wohnungen, vgl. Art. 13 Abs. 1 GG) erhöhten tatbestandlichen Anforderungen (z.B. § 31 PolG BW, Art. 23 bay. PAG, § 41 PolG NRW). Die in diesen speziellen Befugnisnormen vorgesehenen Rechtsfolgenanordnungen dürfen daher nicht auf Grundlage der allgemein gefassten Generalklausel mit ihren tendenziell geringeren Eingriffsvoraussetzungen getroffen werden, sondern ausschließlich nach Maßgabe eben dieser vorrangigen Sonderermächtigungen, siehe den etwa in § 8 Abs. 1 PolG NRW a.E. positivierten allgemeinen Grundsatz des lex specialis derogat legi generali. Danach kann die Polizei nur dann die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende, konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, „soweit nicht die §§ 9 bis 46 [des PolG NRW] die Befugnisse der Polizei besonders regeln.“

Im Hinblick auf versammlungstypische Gefahren erweist sich wiederum das Versammlungsrecht gegenüber dem allgemeinen Polizeirecht (Generalklausel und Standardermächtigungen) als „spezialisiertes Gefahrenabwehrrecht“, so dass entsprechende Maßnahmen i.d.R. allein auf Grundlage des jeweiligen VersammlG – nicht aber des betreffenden PolG – erfolgen dürfen, sog. Polizeifestigkeit der Versammlung (Ausnahmen: Maßnahmen nach Beendigung und vor [str.] der Versammlung sowie Minusmaßnahmen, d.h. „Auflagen“, die unter der Schwelle des Verbots bzw. der Auflösung der Versammlung als ultima ratio bleiben [str.]).[47]

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Fernerhin ist eine Norm des nationalen Rechts – unabhängig davon, auf welcher Stufe der Normenhierarchie sie verortet ist – ebenfalls dann unanwendbar (nicht: nichtig; kein Geltungsvorrang), wenn sie mit einer Regelung des EU-Rechts nicht vereinbar ist (Anwendungsvorrang des Unionsrechts; Rn. 134 a.E.).

Hinweis

Über die vorgenannten Fälle hinaus ist der Erlass eines belastenden Verwaltungsakts ebenfalls dann unzulässig, wenn dies im konkreten Einzelfall gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. § 242 BGB) verstößt, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts gehört. Er wird anhand von Fallgruppen konkretisiert, zu denen neben der Verwirkung von Rechten[48] (z.B. zur Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG; Rn. 319) auch die unzulässige Rechtsausübung (Voraussetzung: eigene Pflichtverletzung des Berechtigten) und das Verbot widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) zählt.[49]


Die Annahme der Verwirkung eines Rechts […] setzt voraus, dass seit der Möglichkeit der Geltendmachung eines Rechts längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und dass besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen (Umstandsmoment) – was wiederum insbesondere dann der Fall ist, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand) und er sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.[50]

4. Teil Rechtmäßigkeit des VerwaltungsaktsA. Ermächtigungsgrundlage › IV. Fehlerfolgen

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