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„RENNEN WIE EIN MÄDCHEN“: WAS PASSIERT, WENN GESELLSCHAFTLICHES DENKEN ÜBERHANDNIMMT

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„Zeig mal, wie ein Mädchen rennt“, sagte der Regisseur zu der Fünfzehnjährigen, mit der er einen Werbespot drehte.

Das blonde Mädchen lief los, langsam, mit rudernden Armen und Beinen, als ob sie ertrinken würde, das Haar flatterte.

Einem älteren braunhaarigen Mädchen wurde dieselbe Aufgabe gestellt. Sie bewegte sich ganz ähnlich, griff sich zudem ins Haar und rief dramatisch: „Meine Frisur!“

Dann ging ein afroamerikanisches Mädchen an den Start. Kichernd lief sie los, ihre Arme flatterten wie die Flügel eines betrunkenen Schmetterlings.

Das Gleiche galt für einen zwölfjährigen Jungen und einen Mann um die zwanzig, die ebenfalls so laufen sollten, wie sie sich das von einem Mädchen vorstellten. Ihre Präsentation entsprach den vorangegangenen Demonstrationen. Sie machten Bewegungen, die als typisch mädchenhaft gelten.


„Zeig mir, wie es aussieht, wenn ein Mädchen kämpft.“

Der zwanzigjährige Bursche fuchtelte mit den Armen herum, als ob er einen Bienenschwarm vertreiben müsse. Bei den Mädchen sahen die Handbewegungen ähnlich aus.

„Und jetzt wirf mal wie ein Mädchen.“

Jeder von ihnen tat so, als würde er einen imaginären Ball mit einer ungeschickten, kraftlosen Bewegung von sich schleudern.

Anschließend wurden ein paar jüngere Mädchen, alle unter zwölf, ins Studio gerufen und erhielten die gleichen Aufgaben.

„Zeig mal, wie ein Mädchen rennt.“

Mit entschlossenem Gesichtsausdruck rannte die Zehnjährige los, so schnell sie konnte. Die Elfjährige tat es ihr gleich, und ebenso stürmte eine kleine Sechsjährige in einem pinkfarbenen Tutu blitzschnell über die improvisierte Rennstrecke.

„Und wie wirft ein Mädchen?“

Die Kinder warfen allesamt hoch konzentriert und gaben ihr Bestes.

„Jetzt will ich sehen, wie ein Mädchen kämpft.“

Die Mädchen taten so, als ob sie heftig miteinander wetteifern würden, keine ging lustlos an die Sache ran.

„Wenn ich sage: Renn mal wie ein Mädchen, was bedeutet das für dich?“, fragte der Aufnahmeleiter eine Achtjährige.

„Es bedeutet: Renn so schnell, wie du kannst“, kam die Antwort ohne Zögern.

„Ist wie ein Mädchen überhaupt etwas Gutes?“, wollte eine Zwölfjährige wissen und fügte hinzu: „Für mich klingt es irgendwie schlecht, als ob du dich über jemanden lustig machen willst.“

Ziel dieses Spots war es zu zeigen, wie stark das Selbstbewusstsein von Mädchen mit Beginn der Pubertät abnimmt.

„Mädchen zwischen zehn und zwölf sind besonders empfindlich. Wenn jemand in dieser Zeit zu ihnen sagt wie ein Mädchen, wird das als beleidigend empfunden“, erklärte ein Psychologe und wandte sich an die blonde Fünfzehnjährige. „Was macht es mit dir, wenn du so etwas hörst?“

„Ich denke, es schadet dem Selbstbewusstsein und gibt uns Mädchen ein schlechtes Gefühl und macht uns total unsicher“, erwiderte sie.

Nach dieser Erklärung wurde der Versuch erneut gestartet. Bei diesem zweiten Durchgang wirkten auch die Älteren entschlossen und fokussiert, weil sie sich das gesellschaftliche Vorurteil bewusst gemacht hatten. Sie wurden authentisch und glaubten wieder an sich, allein weil man sie dazu ermutigt hatte.

Es war einer der besten Werbespots überhaupt, zeigte er doch ganz deutlich, wie die Gesellschaft uns von klein auf beeinflusst, besonders Mädchen und Frauen. Wenn wir uns diesem Einfluss nicht so schnell wie möglich entziehen, wird es sehr schwer, den angerichteten Schaden zu reparieren. Wenn uns hingegen bewusst wird, warum und wie Derartiges passiert, und wenn wir diese Denkweise abstellen, bevor sie unsere Gedanken durchdringt, können wir uns diesem schädlichen Einfluss entziehen.

DISRUPT-HER

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