Читать книгу Ich nannte ihn Krawatte - Milena Michiko Flasar - Страница 22

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Ich war aus meiner Unbemerktheit gefallen, aus meinem Gehäuse. Aber das stimmt so nicht. Sein Blick und die Anerkennung, die mir daraus entgegengeleuchtet war, hatten lediglich den Raum um mich herum ein wenig gelichtet. Morgens nickte er mir zu. Ich nickte zurück. Abends hob er die Hand, wenn er ging. Ich hob die meine. Ein stummes Einverständnis. Du bist da. Ich bin da. Wir haben beide das Recht, einfach nur da zu sein.

Was sich zwischen uns verändert hatte, war bloß eines. Ich ahnte es. Dass ich jetzt, da er mich bemerkt hatte, ein Bild in ihm geworden war. Er hatte jetzt eine Vorstellung von mir, und seine tägliche Begrüßung galt dem Bild, das er sich von mir gemacht hatte. Er besah es sich. Ruhig. Sein Schauen war nicht aufdringlich. Ich wurde aufgenommen in seine Erinnerungen. Er erinnerte sich an einen Tag am Meer, feinkörniger Sand, struppiges Dünengras, er erinnerte sich an den Bart seines Vaters, harte Stoppel am Kinn, an ein bestimmtes Licht, wie es an einem Morgen im Spätherbst über den Rücken seiner Frau hinfiel, an ein Lächeln im Schaufenster, zufällig, das warme Fell einer Katze, die sich an ihn schmiegte. Er hatte tausend Erinnerungen, tausend Bilder, und ich war jetzt, da er mich bemerkt hatte, eines davon.

Ich ließ es zu. Ich bot ihm mein Profil, hielt still, damit er es in sich aufnehmen konnte. Schaute selbst auch zu ihm hin. Nahm ihn weiter in mich auf. So wurde aus unserer minimalsten Bekanntschaft eine minimale Freundschaft.

Ich nannte ihn Krawatte

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