Читать книгу Ich nannte ihn Krawatte - Milena Michiko Flasar - Страница 32
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ОглавлениеSo! Er straffte sich. Nun aber Schluss. Ich rede und rede. Du musst denken, ich könne keinen Punkt setzen. Genug von mir. Jetzt bist du dran. Erzähl mir was.
Was?
Ganz egal. Das erste, was dir einfällt. Ich höre zu.
Und damit lehnte er sich zurück und schien tatsächlich nichts anderes vorzuhaben, als zuzuhören.
Wo anfangen? Ich suchte nach einem Wort, das seinem letzten gerecht werden würde. Es ist schwierig, sagte ich. Das erste, was mir einfällt, ist, dass es schwierig ist, etwas zu erzählen. Jeder Mensch ist eine Ansammlung von Geschichten. Ich aber. Ich zögerte. Ich habe Angst davor, Geschichten anzusammeln. Ich wäre gerne nur eine, in der nichts passiert. Angenommen, Sie werfen sich morgen früh vor den Zug. Was gälte dann das, was ich Ihnen heute erzähle? Und ist es überhaupt von Gültigkeit? Wie gesagt. Es ist schwierig. Das erste, was mir einfällt, ist: Wir treiben auf schmelzendem Eis.
Ein hübscher Satz. Er wiederholte ihn. Wir treiben auf schmelzendem Eis. Von dir?
Nein, nicht von mir. Von Kumamoto. Ich schluckte. Von Kumamoto Akira.
Das Sprechen überschwemmte mich. Ich war ein ausgetrocknetes Flussbett, in das nach Jahren der Dürre ein starker Regen fällt. Der Boden saugt sich schnell voll und danach gibt es kein Halten mehr. Das Wasser steigt und steigt, über die Ufer hinweg, reißt Bäume und Sträucher nieder, leckt über das Land. Eine Befreiung, mit jedem Wort, das ich sprach.