Читать книгу The Vampire Cats - Mimi Tiger - Страница 15

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8. KAPITEL

VERDAMMTE SCHEIßE!! NEIN!! FELIX!!!“, schreit Nachtpfote entsetzt und steht augenblicklich direkt an der frisch abgebröckelten Felskante, ohne zu realisieren, dass sie gerade ihre Vampirkräfte benutzt hat. Voller Schreck muss sie mitansehen, wie der junge Kater mit dem Rücken vorne weg ungehalten in die Tiefe stürzt, weil er sich vor Schock nicht umdrehen kann. Die nachtschwarze Kätzin sucht seinen Blick. Als Nachtpfote ihn findet, erkennt sie in Felix‘ smaragdgrünen Augen nur unerträgliche Angst. Der laute Schrei, der seinem Maul entweicht, ist erfüllt von blanker Furcht.

Wie angewurzelt steht Nachtpfote an Ort und Stelle und traut sich nicht, auch nur einen Muskel zucken zu lassen. Sie kann nicht anders, ihr Blick klebt förmlich an den Augen ihres neuen Freundes, die ihr ein lautloses „Hilf mir!“ zurufen. Doch die nachtschwarze Kätzin kann sich nicht bewegen und sieht hilflos zu, wie der junge Kater sich dem Boden immer weiter nähert.

Ein dumpfer, aber deutlich zuhörender Aufprall ertönt, als Felix auf dem harten Boden aufschlägt. Blut spritzt in alle Richtungen, als sein Bauch von zwei sehr spitzen, aufrecht stehenden Steinen brutal durchbohrt wird. Der junge Kater wird sofort bewusstlos, weil sein Kopf gewaltsam nach unten schmettert. Unkontrolliert strömt dunkles Blut aus den tief klaffenden und tödlichen Wunden. Innerhalb sehr kurzer Zeit weicht sich die Erde darin auf und das Blut sickert nach unten. Dieses läuft auch an der Felswand entlang.

Ruckartig fahren sich Nachtpfotes Krallen aus und bohren sich mühelos in den harten Felsen hinein. Sie fängt heftig an zu schwitzen, als sie sein ungewöhnlich intensiv duftendes Blut riecht und versucht, gegen ihren Blutdurst anzukämpfen.

„Nein, nein, nein…!“, faucht die nachtschwarze Kätzin kaum hörbar. „Ich darf nicht, ich kann doch nicht! Ich darf ihm keinesfalls wehtun…!“

Mit all ihrer Kraft und Verzweiflung versucht Nachtpfote, ihrer inneren Begierde und einem unstillbaren Verlangen nach seinem Blut zu widerstehen. Doch viel zu schnell wird sie von ihrem Blutdurst überrollt. Eine unersättlich Gier und eine maßlos große Lust fallen über ihren Verstand her. Innerhalb eines Bruchteils eines Wimpernschlages verfärben sich ihre sonst hellblauen Augen ins Blutrote. Ihr Verlangen nach Blut ist so stark, dass ihre unnatürliche, rote Augenfarbe aufschimmert. Mit ihrem Herzschlag im Einklang pulsieren in ihnen teilweise dünne, nahezu schwarze Fasern. Die nachtschwarze Kätzin ist dabei, ihren Verstand wegen des unwiderstehlichen Blutgeruchs vollständig zu verlieren. Ihr Fell plustert sich ruckartig auf und ihr Schwanz sträubt sich vor Erregung.

Nach und nach lockert sich Nachtpfotes fester Griff, doch ihre Krallen bleiben weiterhin ausgefahren. Dann springt sie nach vorn… Geschickt bremst sie ihren Sturz dank ihrer Vampirkräfte und landet sanft auf der weichen Erde, nicht viele Pfotenschritte von Felix entfernt, der nur noch ganz schwach atmet. Ganz, ganz langsam setzt die nachtschwarze Kätzin eine Pfote vor die andere, um sich ihrer Beute zu nähern. Unbewusst fährt sie sich mit ihrer Zunge ununterbrochen über ihre hellrosa Lippen. Durch den Blutdurst kontrolliert blendet Nachtpfote alles andere aus. Der einzige Gedanke, der für sie in Bedeutung steht, ist das Blut, das aus dem Körper des jungen Katers fließt, zu probieren. Mit jedem weiteren Schritt werden ihre Lust und ihr Verlangen, über ihn herzufallen, größer und größer. Ihr eigenes Blut rauscht nur so im Körper der nachtschwarzen Kätzin und dröhnt regelrecht in ihren Ohren. Nur noch wenige Schritte trennen sie von ihrem bewusstlosen Freund…

Nachtpfote ist nicht länger sie selbst. Mit hungriger Stimme faucht sie durstig: „Gleich ist es endlich soweit!! Gleich gehörst du mir! Nur mir… und niemandem sonst!!“

Ein allerletzter Schritt trennt die nachtschwarze Kätzin von dem jungen Kater. Aus einem unerklärlichen Grund zögert Nachtpfote jedoch, diesen letzten Schritt zu gehen. Sie hört das ferne Echo ihrer Vernunft rufen, das zunehmend leiser wird: „Nein! Ich darf das nicht tun! Ich darf nicht…! Aber dieser Duft, oh dieser verlockende und unwiderstehliche Duft seines süßen Blutes…! Das riecht einfach zu gut…! Ich kann mich nicht mehr zurückhalten…! Ich muss es unbedingt kosten! Ich will nur ganz kurz lecken… Nur einmal beißen…“

Heftig zitternd wagt Nachtpfote den allerletzten Pfotenschritt, der sie noch von ihm getrennt hat. Schauer jagen durch ihren Körper und ihre Pfoten werden ganz feucht, so aufgeregt, hungrig und erregt ist sie, endlich sein Blut zu kosten. Nahezu ehrfürchtig hält die nachtschwarze Kätzin kurz vor Felix‘ bewegungslosem Körper an, aus dem noch immer Blut herausquillt. Es scheint fast so, als wollte es kein Ende nehmen, als wäre unendlich viel Blut in seinen Venen und Arterien vorhanden. Es hört einfach nicht auf zu bluten.

„Das ist ja äußerst seltsam…“, murmelt Nachtpfote, der diese Tatsache nicht entgangen ist. „Müsste er nicht längst daran verblutet sein…?“

Anschließend huscht sie mit übernatürlicher Geschwindigkeit direkt an seine blutenden Wunden heran. Die Ungeduld der nachtschwarzen Kätzin wächst ins Unermessliche und sie ignoriert den Gedanken in ihrem Kopf, der laut und deutlich schreit: Bitte tu das nicht…! Du weißt, dass du dann nicht mehr aufhören kannst! Du kannst deinen Blutrausch noch nicht voll und ganz kontrollieren! Solltest du von seinem Blut kosten, wird dich das Verlangen erst Recht beherrschen! DANN WIRST DU IHN UMBRINGEN!! Er ist dein Freund!

Doch für Nachtpfote ist es schon zu spät. Sie streckt ihre Zunge erneut aus ihrer Schnauze und taucht sie, bewusst langsam, in die riesige Pfütze aus Blut ein, in der der Körper des jungen Katers liegt und in der sie steht.

Eine Art elektrisierender Schlag schießt durch den Körper der nachtschwarzen Kätzin hindurch. Ein süßes und köstliches Aroma, wie sie es noch nie zuvor erlebt hat, überflutet ihre Geschmacksnerven und -zellen.

Das ist ja unglaublich!!, denkt Nachtpfote begeistert und leckt das Blut aus der Pfütze immer hastiger auf. Ich will mehr!! Mehr, mehr, mehr! Ich will alles von ihm! Das Blut aus seinen Venen, aus seinen Arterien, aus seinen Beinen, aus seinem Bauch!! Es soll alles mir gehören!!!

Dieses einzigartige Aroma des süßen Blutes treibt die nachtschwarze Kätzin in den Wahnsinn. Ihre Gier, seinen Körper komplett auszusaugen, schießt über sämtliche Grenzen hinaus. Nachtpfote kann sein Blut gar nicht schnell genug herunterschlucken, jedoch kann es ihren Durst nicht wirklich befriedigen.

„Ich… Ich muss direkt von seinem Körper trinken!!“, miaut sie mit gruseliger Stimme und hebt ruckartig ihren Kopf an. Die nachtschwarze Kätzin schwingt ihn weit nach hinten, bis ihr Kopf in ihrem Nacken liegt. Hysterisches Gelächter schallt aus ihrem Maul durch das Lager der Lichtkatzen. Im Sonnenlicht funkeln ihre langen Reißzähne, die mit Blut befleckt sind. Tropfen aus dunkelrotem Blut kleckern auf den Boden. Dann holt Nachtpfote aus und wirft ihren Kopf nach vorn. Mit einer unkontrollierbaren Kraft schlägt sie ihre oberen und unteren Reißzähne in das Genick des jungen Katers. Es knackt kurz laut, als sie seinen Hals ein Stück hochhebt. Gleichzeitig setzen Felix‘ Herzschlag und seine Atmung aus, als sein Genick durchbricht. Sofort füllt sich der Rachenraum der nachtschwarzen Kätzin erneut mit seinem Blut, weil es ihr regelrecht in die Mundhöhle spritzt.

Laut kreischt sie schrill, als sie es schafft, sich von ihm loszureißen und sein Körper zu Boden fällt: „Ich kann einfach nicht aufhören!! Es ist zu guuut!! Dieses Gefühl ist umwerfend!! Und vor allem dieses Aroma!“

Gerade als Nachtpfote erneut ausholen will, um ihre Reißzähne wieder in seinen Hals zu rammen, springt ihr jemand mit voller Wucht in ihre linke Flanke und stößt sie von dem jungen Kater weg. Die nachtschwarze Kätzin wird nach hinten geschleudert und prallt einen Moment später äußerst unsanft gegen die Felswand.

„Was zum Scheiß?!“, faucht sie bitter und steht sofort wieder auf ihren Pfoten. Das Sonnenlicht blendet sie ein wenig, aber der cremefarben getigerte Pelz der Heilerin ist nicht zu verwechseln. Sie hat sich zwischen ihn und Felix‘ Körper gestellt.

„Geh mir aus dem Weg!“, knurrt Nachtpfote mit wütender und von Zorn kontrollierter Stimme. „Ich werde mich nicht wiederholen! VERSCHWINDE!!!

Dann stürmt sie auf sie los, doch Mondblatt kommt ihr zuvor. Die Heilerin holt mir ihrer rechten Vorderpfote aus und lässt sie heftig gegen Nachtpfotes Kopf krachen, als sie sie erreicht. Ihre Krallen sind allerdings eingezogen.

Die nachtschwarze Kätzin hält an, weil sie ordentlich ins Taumeln gerät und auf ihre rechte Flanke fällt. Sie will augenblicklich wieder aufstehen, aber Mondblatt hindert sie daran, indem sie zu ihr springt und mit aller Kraft ihre Vorderpfoten jeweils auf ihren Kopf und ihre linke Schulter drückt.

Ungehalten und extrem wütend faucht die Heilerin: „Bist du noch bei Trost?! Ist dir überhaupt bewusst, was du angerichtet hast?! Ich habe dich gefragt, ob mit dir alles in Ordnung ist und du hast mich eiskalt angelogen!!“

Nachtpfote kämpft noch immer gegen den Druck von oben an, aber Mondblatt ist so wütend, dass sie ihre Kräfte mir ihren eigenen überbrücken kann. Schließlich gibt sie auf.

Die cremefarbene Kätzin hingegen ist nach wie vor von Wut und Zorn geprägt und knurrt: „DU HAST IHN UMGEBRACHT!!! War das wirklich dein Ziel?!

Als Nachtpfote diese Worte hört, lässt ihr Verlangen nach Blut endlich nach. Ihr Fauchen verstummt, genau wie ihre Körperspannung verschwindet. Nach und nach verlieren ihre Augen ihre unnatürliche Verfärbung und werden wieder hellblau.

„Ich weiß, dass du das auf keinen Fall wolltest. Deine Blutgier hat dich überwältigt. Du bist noch keine Kriegerin und deshalb kannst du nichts dafür“, versucht Mondblatt vergebens, sie zu trösten. „Es ist geschehen und wir können es leider nicht ändern… Sobald du dich vollständig beruhigt hast, lasse ich dich los…“

Vorsichtig lockert die Heilerin nach einer Weile ihren Griff und entfernt sich ein paar Pfotenschritte von ihr. Zitternd steht die nachtschwarze Kätzin wieder auf und schaut entsetzt um sich. In ihrem unmittelbaren Umfeld befindet überall Blut: Einige Tropfen laufen noch immer an der Felswand entlang, die Erde ist dadurch größtenteils aufgeweicht, das Gras wurde befleckt und auch ein paar Büsche wurden mit Blut bespritzt.

„Was habe ich nur getan…?“, haucht Nachtpfote benommen und weicht schockiert ein paar Schritte nach hinten. „Warum…? Warum er? Warum?!“

Etwas Feuchtes tropft auf ihre Vorderpfoten. Entsetzt stellt sie fest, dass es sich dabei um Felix‘ Blut handelt, das von ihrer Schnauze trieft. Einige weitere Blutstropfen folgen. Die nachtschwarze Kätzin sieht, wie nass das Fell an ihren Pfoten durch sein Blut geworden ist.

„NEIN!!!“, kreischt Nachtpfote verstört und weicht noch ein weiteres Stück zurück, ihre Gedanken sind aufgewirbelt. Scheiße!! Scheiße, scheiße, scheiße!! Das darf doch alles nicht wahr sein!!

Und dennoch kann sie den Fakt nicht leugnen, dass sein Blut etwas ganz Besonderes und Einzigartiges ist. Nur allein durch den Gedanken daran, ziehen sich erneut hauchdünne dunkelrote Fasern durch ihre hellblauen Augen.

„Nachtpfote!! Denk nicht mal daran!“, miaut Mondblatt mit ernster Stimme.

„Keine Sorge, ich fühle mich jetzt schon schlecht und schuldig genug… Ich wünschte… Ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen…“

Plötzlich bricht die Stimme der nachtschwarzen Kätzin ab und Tränen schießen unkontrolliert in ihre klaren, hellblauen Augen. Ihre Beine können sie nicht mehr halten, sie bricht zusammen. Schluchzend fällt Nachtpfote nieder. Langsam kommt die Heilerin auf sie zu und setzt sich neben sie.

Mondblatt kann gar nicht erst zu Wort kommen, weil die Worte der nachtschwarzen Kätzin, die nur aus Trauer, Wut und Frust bestehen, ohne Vorwarnung aus ihrem Maul herauspurzeln: „Es tut mir so unendlich leid! Felix, ich wollte niemals, dass das geschieht, das musst du mir glauben, ehrlich, falls dich mich hören solltest!!“

Ihre Stimme zittert so heftig, dass selbst Mondblatt Probleme hat, sie zu verstehen, obwohl sie direkt neben ihr sitzt. Unzählige Tränen fließen auf die weiche Erde, während Nachtpfote versucht, sich zu erheben.

„Ich würde alles… *schluchz* alles tun, damit du wieder zurückkommst! Du bist der Grund… *schnief* weshalb ich wieder an das Gute im Leben glaube! Bitte! Bitte, wach auf!“, weint sie laut, denn es kommt tief aus ihrer Seele und ihrem Herzen heraus. „Bitte, bitte mach deine wunderschönen Augen wieder auf! Felix, du darfst nicht tot sein!! Bitte, wach auf! *Schluchz* Ich hab‘ dich doch ganz doll lieb! Ich brauche dich hier! Felix!!

„Nachtpfote… Es hat keinen Sinn…“, versucht die Heilerin, die nachtschwarze Kätzin zu beruhigen, aber Nachtpfote will nicht aufgeben.

„Nein!! Es muss doch etwas geben, das wir für ihn tun können, irgendetwas!!“, schnieft sie zitternd. „Wir dürfen doch jetzt nicht einfach aufgeben!! Gerade du als Heilerin müsstest das doch wissen!!“

„Das gilt für die noch Lebenden…“, murmelt Mondblatt leise.

Nachtpfote gelingt es schließlich aufzustehen, aber ihr Körper zittert noch immer vor Schock und Tränen trüben ihre Sicht. Sie reißt sich zusammen, um nicht wieder in ihren Blutrausch zu verfallen. Dieses Mal fällt es ihr aufgrund ihrer tiefen seelischen Schmerzen nicht wirklich schwer. Die nachtschwarze Kätzin läuft auf ihren blutüberströmten Freund zu, dessen Bauch noch immer von den spitzen, aufrecht stehenden Steinen aufgespießt ist. Sie bleibt Herr ihrer Sinne und lässt den Einfluss des duftenden Blutes nicht zu. Nach ein paar Momenten erreicht Nachtpfote den Körper des leblosen, jungen Katers. Der Anblick ist entsetzlich: Es strömt noch immer Blut aus seinen tiefen Wunden, jedoch inzwischen bedeutend weniger. Trotzdem will es nicht aufhören. Ihre Augen schweifen zu seinem Hals, indem sie die tiefen Abdrücke ihrer oberen Reißzähne erkennt. Sein Genick ist unnatürlich… verdreht. Felix‘ Maul ist leicht geöffnet. Auch hieraus rinnt ein dünner Fluss aus dunkelrotem Blut. Die Lache aus Blut, in der er liegt, wird allerdings nicht mehr größer. Es sickert nur noch in die Tiefe.

Die nachtschwarze Kätzin geht nun auf den Rücken des toten Körpers zu. Sie bekommt das Gefühl, als würde sich ihr Magen umdrehen und sie kann mehrere Würgereize nur schwer unterdrücken, damit sie sich nicht übergeben muss.

Es ist sehr wohl alles meine Schuld! Er ist nur gestorben, weil ich mich einfach nicht von ihm fernhalten konnte, denkt Nachtpfote und fühlt eine tiefe Schuld. Wenn ich ihn doch nur zurückholen könnte… Ich würde alles dafür geben. Felix soll meinetwegen nicht in das Totenreich gehen müssen…

Um sich nicht übergeben zu müssen, verschließt die nachtschwarze Kätzin ihre hellblauen Augen. Behutsam möchte sie dem jungen Kater die letzte Ehre erweisen und sich von ihm verabschieden. Als sie jedoch mit ihrer rechten Vorderpfote seine muskulöse Flanke berührt, hält sie überrascht inne. Für einen Leichnam besitzt dieser Körper unnatürlich viel Wärme, als würde er nicht auskühlen wollen! Diese Wärme breitet sich auch in ihrer Pfote aus, es verleiht ihr ein seltsames Gefühl von Zufriedenheit und Wohlbefinden. Sofort schlägt Nachtpfote ihre Augen wieder auf, Hoffnung schimmert in ihnen.

„Mondblatt! Du wirst nicht glauben, was ich gerade festgestellt habe!“, ruft sie und dreht ihren Kopf zu der Heilerin.

„Was ist passiert?“, fragt die Heilerin verwirrt und eilt mit übernatürlicher Geschwindigkeit neben Nachtpfote.

„Leg deine Pfote neben meine und sag mir, was du spürst“, miaut die nachtschwarze Kätzin aufgeregt, ihre Tränen versiegen.

„Wäre es nicht aber…“, beginnt Mondblatt unsicher.

„Bitte tu mir diesen einen Gefallen!“, insistiert Nachtpfote drängend.

Die Heilerin ist sichtlich neben sich, doch schließlich geht sie dem nach, was die Schülerin ihr gesagt hat. In dem Augenblick, als auch sie mit einer ihrer Vorderpfoten den vermeintlich toten Körper berührt, spürt sie die gleiche Wärme wie die nachtschwarze Kätzin.

„Unglaublich!“, staunt Mondblatt. „Wie kann es denn bitte sein, dass seine Wärme nicht aus seinem Körper verschwinden will…? Fängt es in deiner Pfote gerade auch eigenartig an zu kribbeln…?“

Nachtpfote nickt und erwidert: „Wie kann so etwas nur möglich sein…?“

„Möglicherweise sind wir nicht die einzigen, die mit Geheimnissen leben…“, murmelt die Heilerin leise, doch das bekommt die Kriegerschülerin gar nicht mit. Beide Kätzinnen können jedoch nicht leugnen, dass dieses Kribbeln ihnen das Gefühl von Hoffnung und einem Weg gibt, dass der junge Kater vielleicht wieder aufwachen wird…

Mit einem Schlag verschwindet dieser winzige Hoffnungsschimmer, als das Kribbeln in ihren Pfoten so plötzlich verschwindet wie es erschienen ist. Nachtpfote fühlt sich verarscht, weil sie das Gefühl hat, dass sich das Schicksal nun ruckartig gegen sie gewendet hat.

„Nein, nein, nein!“, flucht die nachtschwarze Kätzin wütend. „Das kann und darf doch einfach nicht sein!! Das will ich nicht akzeptieren!“

Mondblatt schaut sie traurig an, dann löst sie ihre Pfote von Felix‘ totem Körper und geht ein paar Schritte zurück, bevor sie auf die andere Seite der Schülerin huscht. Anschließend legt sie ihre linke Vorderpfote sanft auf ihre beiden Schultern.

„Komm, lass es gut sein… Dein Verlust tut mir unglaublich leid. Aber wir können absolut nichts mehr für ihn tun. Wir haben alles in unserer Macht stehende getan, aber wir können seine Situation nicht ändern…“, flüstert die Heilerin vorsichtig.

Mondblatt legt eine Pause ein, als sie die von Tränen verschleierten Augen von Nachtpfote erblickt. Traurig, fast schon mit dadurch erstickender Stimme antwortet diese darauf: „Ich habe wirklich gedacht, dass… dass wir ihm helfen können… Aber wie hätte das auch funktionieren sollen?! Er ist tot! Er ist tot, und die Toten kann man nicht auferstehen lassen!! Aber ich will und kann das nicht akzeptieren!! Ich kann es einfach nicht! Diesen Schmerz kann ich meinem Herzen nicht antun!“

„Das wirst du aber müssen… Lass ihn gehen, lass ihn los…“, sagt die Heilerin einfühlsam.

Währenddessen verharrt die Pfote der nachtschwarzen Kätzin auf dem toten Körper ihres Freundes. Sie weigert sich, ihn loszulassen. Nachtpfote kann es einfach nicht über sich bringen. Die Wärme des Leichnams geht in ihre Pfote über. So seltsam das auch klingen mag, aber diese ungewöhnliche Wärme verschafft ihr ein Gefühl von innerem Frieden, und sie weiß, dass es von der Berührung ihrer Pfote mit Felix‘ totem Körper kommt. Diese Wärme, die noch immer von seinem Körper ausgeht, verliert nicht an Intensität. Es befindet sich trotz des schrecklichen Aufpralls Energie in seinem Körper.

Mondblatt zieht ihre Pfote von ihren Schultern zurück. Kurz darauf geht sie von ihr weg und murmelt: „Bitte geh weg von ihm. Ich werde nachher nach einem Ort suchen, wo ich seine Leiche vergraben kann. Dann kann sein Geist in Frieden ruhen.“

„Lass mir noch diesen einen Moment…“, sagt Nachtpfote bittend. „Ich möchte mich noch von ihm verabschieden…“

Die Heilerin sieht sie verständnisvoll an und nickt und entfernt sich in Richtung des Eingangs der riesigen Felshöhle, in der der Heilerbau liegt. Dabei ruft sie der nachtschwarze Kätzin noch zu: „Ich werde ein paar Kräuter aus meinem Vorrat holen. Dann können wir seinen Blutgeruch etwas überdecken. Sonst verlieren alle anderen Vampire ebenfalls ihren Verstand und drehen durch.“

Kurz darauf verschwindet die cremefarbene Kätzin auch schon hinter dem Felsspalt. Nachtpfote sieht ihr kurz hinterher, dann wendet sie sich wieder dem jungen Kater zu. Langsam löst die Schülerin ihre Pfote von Felix‘ leblosem Körper und setzt sie wieder auf den Boden. Anschließend senkt sie ihren Kopf. Sie schiebt ihre Schnauze mit höchster Vorsicht in das weiche Fell ihres toten Freundes. Mit ihrer Berührung wird ihr mollig warm.

„Lieber Felix, es war mir eine Ehre und ein Vergnügen, so einen netten, freundlichen und liebenswerten jungen Kater wie dich kennengelernt haben zu dürfen“, flüstert Nachtpfote ganz leise in seinen Pelz hinein. „Auch wenn wir uns erst seit wirklich sehr kurzer Zeit kennen, fällt mir der Abschied von dir mit jedem weiteren Moment immer schwerer. Du hast eine Spur in meinem Herzen hinterlassen und ich werde dafür sorgen, dass sie niemals verblassen wird. Das schwöre und verspreche ich dir aus tiefster Seele. Ich mag deinen Humor, deine liebevolle Art und Weise, wie fröhlich, offen und ehrlich du mit anderen umgehst und dass du immer versuchst, jemandem zu helfen. Selbst wenn jemand gemein zu dir ist, bleibst du höflich und respektvoll. Das schätze ich sehr an dir. Seit ich dich das erste Mal vorhin im Wald gesehen habe, weil ich das Territorium verlassen habe, um eine Wühlmaus zu fangen, hat mich etwas an dir fasziniert. Ich habe dich ziemlich schnell lieb gewonnen.“

Dann lässt die nachtschwarze Kätzin von ihm ab und geht ein paar kleine Pfotenschritte zurück. Ehrfürchtig und mit Tränen in den Augen verneigt sie sich leicht vor ihm und flüstert: „Lebe wohl, mein lieber Freund. Solltest du meine Worte erhören können, ich hoffe, dass du mir vergeben kannst. Es tut mir so unendlich leid… Ich werde dich immer vermissen, aber niemals vergessen…“

Anschließend erhebt sich Nachtpfote und lässt zwei Tränen auf sein wunderschönes Fell tropfen. Der Anblick ihres toten Freundes zerreißt ihr das Herz und sie kann nicht anders, als sich zu entfernen. Dennoch fallen ihr die Schritte schwerer als erwartet.

Die nachtschwarze Kätzin schlägt nun ebenfalls die Richtung, die in den Heilerbau führt, ein, um Mondblatt dabei zu unterstützen, das Umfeld des Unfalls zu säubern und mit Kräutersäften zu überdecken. Gerade als sie den Felsspalt durchqueren will, kommt ihr die Heilerin auch schon mit einem Bündel aus Thymian und frischer Katzenminze entgegen.

„Das ging ja ziemlich schnell…“, meint Nachtpfote ein wenig überrascht.

„Mihm-mich meiß. Würdescht du mmmir noch ‘m paar weit’re Kräutern davon holem?“, nuschelt Mondblatt durch die vielen Kräuter in ihrem Maul.

„Natürlich. Immerhin bin ich für diesen Schlamassel verantwortlich“, antwortet die nachtschwarze Kätzin und verkneift es sich, sich über die Heilerin etwas lustig zu machen. In Höchstgeschwindigkeit eilt sie in die Haupthöhle und steht soeben vor der Felswand mit den Löchern. Zügig holt sich Nachtpfote etwas Katzenminze und Thymian. Diese beiden Kräuter sind durch ihre intensiven, einzigartigen Gerüche unmöglich mit anderen zu verwechseln. Kaum dass sie sich wieder außerhalb der Felshöhle befindet, eilt sie sofort zu Mondblatt und legt ihre Kräuter vor ihr ab. Die Heilerin legt ihre ebenfalls mit dazu.

„Vielen Dank“, miaut sie, ohne sich dabei zu versprechen oder zu nuscheln.

Die nachtschwarze Kätzin kann einfach nicht anders und fragt frech: „Na? Hast du deine deutliche Aussprache wieder gefunden?“

Mondblatt antwortet dagegen völlig gelassen mit: „Ich habe sie nie verloren. Nur wie du sehen konntest, hatte ich mein Maul voller Kräuter. Es ist nicht sonderlich einfach, damit jemanden um etwas zu bitten, ohne dass einem alles herausfällt. Versuch du doch mal, mit voller Schnauze zu reden.“

„Aber selbstverständlich. Ist ja schließlich kein Problem für eine so erfahrene Schülerin wie mich“, entgegnet Nachtpfote vorlaut, um sich abzulenken und ahmt die Heilerin nun ohne Scham nach. „Maloo! Mich brauchen moch Kräutern. Nachtmote, molst du mir mitte noch melche?“

„Haha, wirklich sehr witzig!“, erwidert Mondblatt etwas beleidigt und schnippt ihre Schwanzspitze gegen ihre Stirn. „Und jetzt komm. Wir sollten den Blutgeruch möglichst aus dem Lager bekommen, bevor die andern wieder zurückkommen. Demzufolge müssen wir uns etwas beeilen.“

„Ist ja schon gut…“, miaut die nachtschwarze Kätzin betrübt und schnappt sich daraufhin ein paar einzelne Blätter von dem kleinen Kräuterhaufen. Schnell zerreibt Nachtpfote die Kräuter an einem rauen Stein mit einer ihrer Vorderpfoten. Sofort tritt frischer Saft aus den Blattadern und befeuchtet die Oberfläche des Steins innerhalb kürzester Zeit. Einen Augenblick später breitet sich davon ausgehend ein intensiver und frischer Geruch von Thymian und Katzenminze aus. Der Geruch ist so stark, dass sie ihre Nase rümpfen muss.

„Also wenn das nicht hilft, weiß ich auch nicht mehr weiter…“, murmelt sie zu Mondblatt und muss niesen, weil sie der intensive Geruch in der Nase kitzelt. „Wie kannst du das denn aushalten?“

„Schon vergessen, dass ich eine Heilerin bin? Ich habe solche Gerüche jeden Tag um mich. Meine Geruchszellen sind dadurch etwas abgehärtet“, erwidert Mondblatt. „Jedoch sollten wir möglicherweise die Dornenbarriere und den erdigen Boden damit einreiben…“

„Och nö!“, stöhnt die nachtschwarze Kätzin angewidert. „Dafür müsste ich mich ja durch den Dreck rollen… Das wird mir einen so unfassbar wahnsinnigen Riesenspaß machen, dass ich noch Monde später davon traumatisiert sein werde…“

„Hab dich nicht so. Immerhin helfe ich dir oder willst du das alles etwa alleine aufräumen?“

„Lieber nicht… Trotzdem werde ich ewig brauchen, bis ich mir die feinen Krümel aus dem Pelz geleckt habe. Das wird auch beim Schwimmen im See nicht so einfach abgehen…“

„Du klingst ja schon wie Stern!“, meint die Heilerin amüsiert.

„Hey! So schlimm bin ich nun auch wieder nicht!“, beschwert sich Nachtpfote entrüstet.

„Dann hör endlich auf, dich zu beklagen und erledige deine Aufgabe“, ermahnt Mondblatt die Kriegerschülerin.

Die nachtschwarze Kätzin gehorcht und holt sich ein paar neue Kräuter, um den Saft herauszubekommen. Darauf reibt sie sich für sie erreichbare Stellen ihres Pelzes damit ein.

„Na dann auf geht’s…“, miaut sie angeekelt und will sich soeben auf ihre eine Flanke legen. „Das ist so widerlich…“

Bevor sie sich jedoch auf den Boden legen kann, hört sie auf einmal ein prustendes Lachen von Mondblatt. Verwirrt dreht sie sich zu ihr um und sieht sie fragend an.

„Hach ja, Rache ist süß“, schmunzelt die Heilerin. „Ich wollte unbedingt diesen verpeilten Gesichtsausdruck auf deinem Gesicht sehen. Du musst dich natürlich nicht über den Boden rollen. Es reicht völlig aus, wenn wir einfach nur den Saft darauf tropfen lassen. Alles andere wäre überflüssig.“

„Warum hast du das denn nicht gleich gesagt?!“, fragt Nachtpfote beleidigt. „Es wird dauern, bis ich nicht mehr wie eine nach Kräutern duftende Pelzkugel rieche!“

„Das diente lediglich als ein Austausch für dein freches Verhalten. Du wolltest dich unbedingt über mich lustig machen“, meint Mondblatt und lächelt hinterlistig. „Na los, komm her. Ich putz‘ dir dein Fell wieder sauber. So bekommst du auch… sein Blut… wieder ab, ohne dabei wahnsinnig zu werden. Die Kräutergerüche sind stark genug, um den des Blutes problemlos zu überdecken.“

Die nachtschwarze Kätzin schmollt noch kurz, aber sie muss schnell wieder schmunzeln. Sie stellt sich direkt vor die Heilerin und hält ihr nacheinander ihre Pfoten hin. Mondblatt beugt sich darauf ein wenig nieder. Mit gleichmäßigen Bewegungen ihrer Zunge putzt sie Nachtpfotes Pelz glänzend und befreit sie von den Blutresten. Das Aroma dringt aufgrund der Kräutersäfte gar nicht erst auf die Zunge der Heilerin durch.

Was für eine Ehre es sein muss, dass ich eine persönliche Fellpflege von dir bekomme, denkt Nachtpfote belustigt, entscheidet sich aber dazu, die Schnauze zu halten. Nicht, dass es sich Mondblatt doch noch anders überlegt.

Nachdem ein wenig Zeit vergangen ist, ist das Fell der nachtschwarzen Kätzin wieder vollständig sauber. Nur etwas Kräuterduft hängt noch in ihrem Haaren. Inzwischen ist auch Felix‘ Blut auf dem Boden getrocknet.

„Sieh einer an. Der Kräutersaft, der von dem Stein ausgeht, reicht sogar schon aus, das viele Blut geruchlich zu überdecken“, sagt Mondblatt, als sie sich aufrichtet. „Ich schätze, unsere Arbeit ist bereits getan.“

„Also erst mal danke für das Putzen meiner Pfoten“, miaut Nachtpfote höflich. „Zweitens bin ich sehr froh, dass der Stein meine Aufgabe erledigt hat.“

„Du kleiner Faulpelz“, schmunzelt die Heilerin. „Ich werde dann mal etwas nasses Moos holen, um die Felswand abzuwaschen. Du schonst deine Sinne noch für eine Weile. Ich kümmer‘ mich später um die Büsche.“

Nachtpfote nickt einverstanden, allerdings schlägt sie vor: „Lass mich dir wenigstens beim Moosholen helfen.“

Mondblatt stimmt zu und so gehen die beiden Katzen durch den Felsspalt und über den inneren Weg zur Haupthöhle. Die nachtschwarze Kätzin huscht vorne weg und eilt in die hinterste Ecke des Heilerbaus, wo sich noch ein sehr, sehr kurzer Gang befindet. Dort liegen Moose und Flechten. Etwas dahinter befindet sich eine Vertiefung im Felsboden, in der sich kristallklares Wasser sammelt, das von einem Stalaktit an der Felsdecke in regelmäßigen Abständen tropft. Nachtpfote nimmt sich ein Bündel Moos und taucht es in das Wasser ein. Dann kehrt sie um und lässt die Heilerin ran, die nun auch in der Haupthöhle steht, damit sie das gleich tun kann.

Ein wenig später ist die nachtschwarze Kätzin bereits wieder draußen und wartet darauf, dass Mondblatt ebenfalls wieder herauskommt. Nachtpfote steht mit ihrem Kopf auf den Felsspalt gerichtet vor der Felswand. Schließlich kommt auch die Heilerin wieder aus der Felshöhle und geht auf sie zu. Die nachtschwarze Kätzin will sie fragen, wo sie das Moos ablegen kann, damit es nicht zu viele Erdkrümel aufsaugt, als Mondblatt abrupt stehenbleibt. Ihr Maul öffnet sich unbewusst. Augenblicklich fällt ihr Moos zu Boden.

Nachtpfote stellt ihre eigentliche Frage also nicht und legt ihr Moos vor sich ab.

„Mondblatt, was ist los?“, fragt sie besorgt. „Was hast du denn auf einmal?“

Die nachtschwarze Kätzin versteht nicht, weshalb die Heilerin so reagiert hat und beginnt, sich etwas größere Sorgen zu machen. Mondblatt antwortet ihr jedoch nicht. Nachtpfote fällt sofort auf, dass der Blick der Heilerin gar nicht zu ihr zeigt, sondern an ihr vorbeischweift. Sie versteht noch immer nicht, was sie hat. Die nachtschwarze Kätzin dreht sich kurz darauf um, um ihrem Blick folgen zu können. Was sie anschließend erblickt, verschlägt ihr die Sprache und raubt ihr den Atem. Ihre hellblauen Augen werden riesengroß. Jetzt kann sie Mondblatts Reaktion nachvollziehen.

Nachtpfote glaubt, ihren Augen nicht trauen zu können. Vor sich sieht sie den jungen Kater… und seine Flanken heben und senken sich, wie bei jeder anderen Katze auch, wenn sie atmet! Beide Kätzinnen können seinen Herzschlag wieder laut und deutlich hören.

The Vampire Cats

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