Читать книгу Sektion 3|Hanseapolis / Sektion 3|Hanseapolis - Schattenspiele - Miriam Pharo - Страница 8

2

Оглавление

Es war ein Albtraum. Er konnte die Hand nicht vor Augen sehen, dafür wurde seine empfindliche Nase bestens bedient. Der bestialische Gestank um ihn herum, eine undefinierbare Mischung, irgendwas zwischen Latrine und faulen Eiern, raubte ihm den Atem. In weiter Ferne hörte er Stimmen, wie aus einer anderen Welt.

In gekrümmter Haltung stocherte Sahil mit einer rostigen Klinge in seiner Schulter herum, durchstieß das nachgiebige Fleisch auf der Suche nach seinem S3-Implantat – einem dünnen Stück Metall, nicht größer als ein Stecknadelkopf. Dabei liefen ihm Tränen der Qual übers Gesicht. Er musste das Implantat unbedingt loswerden, erst dann würde er wieder an die Oberfläche gehen können. Von InterCom, Laserwaffe und Virtuellem Kommunikator mit ihren verräterischen Signaturen hatte er sich bereits kurz nach dem Schuss auf Marino getrennt.

„Ich muss es schaffen, muss es schaffen …“ Wie eine Beschwörung sprach er diesen Satz leise vor sich hin, immer und immer wieder. Seine Stimme war heiser; giftige Luftpartikel hatten sich bereits in seinem Hals festgesetzt.

Er hatte vorgehabt, das Implantat professionell entfernen zu lassen. Ein einziger Tropfen Heloxid auf seiner Haut hätte ausgereicht. Die Substanz wäre durch die Epidermis gesickert und hätte das Implantat vollständig zersetzt und ihn damit unsichtbar gemacht. Doch als er aus dem Evakuierungstunnel der Sektion 3 getreten war, um diesbezüglich seine Mittelsmänner zu kontaktieren, hatte er eine bitterböse Überraschung erlebt.

„Du hast es verbockt! Durch deine unüberlegte Aktion droht die Mission aufzufliegen.“

„Wie konntest du eine Polizistin erschießen? Du hast uns alle in Gefahr gebracht!“

„Sie war dir auf der Spur, na und? Du hättest sie verschwinden lassen können wie die kleine rothaarige Nutte.“

„Du bist ein Sicherheitsrisiko. Wenn sie dich schnappen, sieh zu, dass du schnell krepierst, bevor du zu quatschen anfängst!“

„Einen letzten Gefallen? Na meinetwegen, der alten Zeiten willen. Aber bleib mir bloß vom Leib! Ein paar von unseren Leuten sitzen auf dem Mond. Folgendes …“

Er hatte untertauchen müssen. Buchstäblich. Aber gleich in der ersten Nacht hatten ihm Unbekannte seinen Notfallrucksack geklaut. Wasser, Schnellnahrung, Breitbandantibiotika, Atemmaske, Xenon-Handstrahler und sein Navigationsgerät mit integriertem Toximeter waren damit weg gewesen. Auch seine Thermojacke, ein nicht registrierter Stunner und die teuren Stiefel hatten dran glauben müssen. Sahil hatte sich heftig zur Wehr gesetzt, doch ein gewaltiger Schlag auf den Kopf hatte dem ein schnelles Ende bereitet. Er war mit pochendem Schädel irgendwo im Halbdunkel aufgewacht, mit nichts anderem als einem Hemd, einer Hose und einem Paar alter löchriger Schuhe, die sie ihm „zum Tausch“ dagelassen hatten.

Sahil spürte, wie warmes Blut seine Schulter hinunterrann und stieß ein halbersticktes wütendes Lachen aus. Höchstwahrscheinlich würde er in diesem Rattenloch an einer einfachen Blutvergiftung verrecken! Der erste Hanseapole, der seit 30 Jahren auf diese Art ins Gras beißen würde. Vielleicht nicht ganz der passende Ausdruck an diesem kalten, gottverlassenen Ort, schoss es Sahil durch den Kopf. Wieder kicherte er, diesmal ging ein Schütteln durch seinen Körper, das er nicht kontrollieren konnte. Erschrocken hielt er sich mit der Faust den Mund zu. Verdammt, reiß dich zusammen! Konzentriere dich auf dieses Scheißimplantat.

Er atmete tief durch, wartete einen Augenblick und setzte die scharfe Kante erneut an. Obwohl seine militärische Ausbildung viele Jahre zurücklag, half sie ihm dabei, den heftig pochenden Schmerz ein Stück weit auszublenden. Er konzentrierte seine Sinne auf die Klinge, die sich Faser für Faser vortastete. Da! Hatte er etwas Festes gespürt? Das Implantat? Oder vielleicht doch nur ein Muskel oder Knochen? Er stieß die Stelle leicht mit der Spitze an und taumelte vor Schmerz. Ihm wurde übel. Einige Sekunden verharrte er in einer grotesken Position: kniend, den Kopf gesenkt, halb auf den rechten Arm gestützt, der die verfluchte Schneide in seine linke Schulter rammte. Seine Hand verkrampfte sich und er begann zu zittern, doch er gönnte sich keine Ruhepause. Er war schon so weit gekommen. Eigentlich war das Implantat in seiner Schulter leicht zu ertasten gewesen, doch er war Linkshänder und seine rechte Hand führte die eindringlichen Befehle seines Gehirns mit eher mäßigem Erfolg aus.

Wieder holte er tief Luft, dann stach er nach, tastete und glaubte erneut, eine leichte Verhärtung zu spüren. Mit zusammengekniffenen Augen hakte er das behelfsmäßige Skalpell unter die Verhärtung und stieß von unten dagegen. Entweder war er gerade dabei, sich den Muskel aufzuschneiden oder aber er kickte wie beabsichtigt das Implantat aus der Schulter.

Was immer er tat, es tat weh. Höllisch weh! Schulter und Arm schienen in Flammen zu stehen. Sahil unterdrückte den Zwang, sich übergeben zu müssen, konnte indessen aber nicht verhindern, dass er kraftlos zu Boden sank. Sein Gehör aber, das von Dunkelheit und Stille geschärft war, vernahm ein leises ‛Pling’, als ob ein kleines Stück Metall auf den Boden gefallen wäre. Oder spielten ihm seine Sinne vielleicht nur einen Streich?

Er hatte keine Wahl. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rappelte er sich wieder hoch, riss ein Stück seines Ärmels ab und versuchte so gut es ging, die Wunde zu verbinden. Dann begaben sich seine blutverschmierten Finger auf die tastende Suche nach dem herrenlosen Implantat.

Sektion 3|Hanseapolis / Sektion 3|Hanseapolis - Schattenspiele

Подняться наверх