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Levi Pataschnik und seine Gäste
ОглавлениеSpätabends verließ Pan Wrublewsky Levi Pataschniks Haus, er hatte ihm einen Wald zum Abholzen verkauft, jenen Wald, in dem Reb Simches Hütte stand.
Auf der Veranda traf der Pan Leah, Reb Levis Tochter. Leah erschrak, denn der Pan hatte einen stechenden Blick, und seine Augen schlugen sie wie schwarze Ruten. Sie machte einen Knicks vor ihm, stürzte atemlos in den Flur und schlug die Tür hinter sich zu.
Reb Levi saß im ledernen Armstuhl und ließ seine Finger über die weichen Lehnen gleiten. Er hatte noch etwas Geschäftliches zu erledigen.
An jenem Tage war einer von Levi Pataschniks Männern unter eine von Levi Pataschniks Sägen geraten und dabei, nebbich, schwer verletzt worden.
Jetzt suchte ihn dieser Mann auf, um sich zu beklagen.
Reb Levi saß schwer im Stuhl, den Kopf in die Hände gestützt, und der Mann jammerte:
»Oh, es war entsetzlich!«
Er habe furchtbar gelitten.
Freilich leidet man, wenn man unter eine Säge kommt. Hahaha!
So saß Levi Pataschnik im Dunkel, und der Lüster erstrahlte in allen Regenbogenfarben über dem finsteren Zimmer.
Reb Levi Pataschnik haßte das Licht.
In der Dunkelheit öffnen sich breite Straßen über weite Strecken. Ihr geht von Weg zu Weg und trefft Menschen – den alten vergessenen Bruder oder Pan Wrublewsky oder einen Mann, der unter die Säge geraten war.
Die Tür öffnete sich langsam und herein kamen drei graue Juden mit Säcken auf den Schultern und Stecken in der Hand.
Die Juden blieben bei der Tür stehen, und Levi war so beschäftigt, daß er sie nicht bemerkte. Kaum, daß man die Besucher in der Finsternis sah.
Reb Levi saß da, wälzte seine Probleme und grübelte. Plötzlich stutzte er. Ihm schien, daß jemand gekommen wäre. Er wandte sich um und blickte zur Tür:
»Wer ist da? Was wollt ihr?«
Die Juden standen stumm wie Holzklötze und gaben keine Antwort. Doch dann erwiderte der älteste von ihnen leise:
»Nichts.«
Reb Levi erhob sich vom Stuhl, mit seinem schweren Bauch konnte er sich kaum auf den Beinen halten. Er spähte tiefer in die Finsternis und fragte:
»Wie? Ich höre nichts.«
Der älteste Gast sprach ein wenig lauter:
»Wir kamen hier vorbei und dachten, wir schauen herein.«
Reb Levi kochte vor Wut, und wenn er vor Wut kochte, ballten sich seine weichen Weiberhände zu Fäusten. Er ging auf die Juden zu und baute sich vor ihnen auf:
»Sagt ihr mir jetzt endlich, was ihr wollt!!«
Von seinem Geschrei verschlug es den Männern die Sprache.
Leah eilte bleich aus dem Nebenzimmer. Von der Tür her vermochte sie die Gestalten an der Wand kaum auszumachen. Die weißen Hände schützend vor den Hals gelegt, schlüpfte sie in eine Ecke, stand erschrocken im Dunkel und guckte.
Der älteste Gast antwortete schließlich:
»Wozu die Worte, Reb Levi? Dafür gibt es keine Worte.«
Reb Levi schrie. Er lief durch die Stube und schrie:
»Ich versteh nicht, Gott im Himmel! Ich verstehe nicht! Wofür gibt es keine Worte?«
Der älteste Gast sagte still und finster zu ihm:
»Es gibt keine Worte für den Schmerz, Reb Levi, für die Trauer, die zu ihm drang, zu seinem langen, bleichen Antlitz …«
Aber Reb Levi verstand noch immer nicht:
»Was für ein Antlitz, he? Wessen Antlitz?«
Der älteste Gast wollte es nicht sagen, er zögerte, dann aber beugte er sich langsam zu Reb Levi vor, schaute ihm fest in die Augen und sagte gespenstisch leise:
»Das des Messias! Das Antlitz des Messias!«
Reb Levi erstarrte, etwas schnitt ihm scharf durch den Leib, tief in sein Innerstes. Eine Weile stand er stumm da und starrte dem Gast ins Gesicht, starrte und hatte nichts begriffen.
Und ganz allmählich wandte er sich von ihm ab, faßte seinen kurzen gelbbraunen Bart, schob ihn sich zwischen die Zähne und begann im großen Zimmer herumzugehen.
Die Juden standen mit geschulterten Säcken bei der Tür.
Man hörte nur das weiche Schlurfen von Levi Pataschniks Pantoffeln auf den Dielen.
Er ging mit großen Schritten hin und her, blieb für einen Moment mitten im Zimmer stehen und setzte sich, wütend und hastig, erneut in Bewegung. Dann wandte er sich abrupt um und packte den ältesten Gast am Ärmel:
»Kommt!«
Und er führte sie ins zweite Zimmer. Die Tür blieb offen. Leah beugte sich heran, blickte in den Raum und sah, wie er die Juden in einen Winkel des Zimmers geleitete.
In der Dunkelheit hörte man Levi etwas aufschließen, er öffnete den Fremden seinen Geldschrank. Darinnen funkelte ein Häuflein Gold, brannte wie glühendes Feuer, leuchtete aus der Tiefe des Schrankes wie das ewige Licht eines Bethauses.
Und Reb Levi reckte sich und wies dreist mit der Hand auf das Gold:
»Das ist der Messias!«
Einer der Gäste, schwarzhaarig, zottig und leicht erregbar, stieß ein kehliges Brüllen aus, der älteste drehte sich zu ihm um und beruhigte ihn leise.
Levi genoß seinen Triumph. Er stand da, klein von Statur, den großen Bauch vorgestreckt, die Hände in die Seiten gestemmt, und blinzelte mit seinen Augen.
Die Eingeweide schwollen ihm vor Stolz, und er meinte schon, daß er damit allem ein Ende gemacht habe. Doch der älteste Besucher sagte zu ihm:
»Reb Levi, Gold ist Sünde, Gold ist das Feuer der Hölle!«
»Was ist Gold?« zischte Reb Levi.
Und mit Schaum vor dem Mund brüllte er sie an:
»Ihr Schnorrer! Habt ihr jemals einen Groschen in der Tasche gehabt?!
Vagabunden!
Faulpelze!
Kröten!
Gold ist Sünde, ja?! – Aber Almosen wollt ihr?«
Und er knallte die Tür des Geldschrankes zu.
»Bei mir gibt es keine Almosen!!«
Der jähzornige Gast, Ber ben Zippe, hob seine braune Pranke. Er wollte sie schon niedersausen lassen auf den kleinen Fettwanst, doch der älteste stieß ihn zurück und sagte kalt zu Reb Levi:
»Denk daran, Levi, Gold ist mit Blut getränkt!«
Und der dritte, ein einfältiger Hüne, dürr wie eine Hopfenstange, schwenkte seine Hand und stammelte:
»Und er hat sich wirklich weh getan!«
Reb Levi trat an ihn heran:
»Wer hat sich weh getan, du Kindskopf?«
»Der … der Mann, der unter die Säge gekommen ist.«
Reb Levi starrte ihn mit glasigen Augen an:
»Was für eine Säge? Ach, jene Säge? Woher weißt du das eigentlich? Wie?«
Und er griff sich an den Kopf, wurde kreidebleich und stürzte ins Nebenzimmer.
Die Besucher blieben beim Geldschrank stehen. Leah lief aus der Finsternis auf ihren Vater zu. Zitternd warf sie sich ihm an den Hals:
»Papa, was ist Papa?«
Und sie begann leise zu weinen.
Reb Levi blickte sich um und wußte nicht, wie ihm geschah. Langsam löste er sich aus den Armen seiner Tochter, holte tief Luft und blickte durch die offene Tür ins Zimmer nebenan.
»Was geht hier vor? Leah, weißt du es nicht?«
Bedächtig knöpfte er seine Jacke zu und wirkte mit einem Mal größer. Er streckte sich und blieb ein Weilchen ruhig stehen. Dann kehrte er mit großen Schritten ins erste Zimmer zurück.
Die Besucher standen noch beim Schrank. Sie musterten ihn mit kalten Blicken. Offenbar hatten sie seine Rückkehr erwartet. Er sagte ihnen ruhig und gelassen:
»Es hat ihm weh getan, meine Herren, weil es ihm weh tun sollte. Und jetzt geht!«
Sie antworteten nicht. Er hieß sie gehen, also gingen sie, doch in ihnen kochte es. Reb Levi stellte sich neben die Tür, um seine Besucher hinauszulassen.
»Geht«, sprach er, »und richtet dort aus – ich, Levi Pataschnik, habe gesagt: ›Wen kümmert es!‹ Hört ihr? – Wen kümmert es!«
Und damit schlug er die Tür hinter ihnen zu. Einige Male ging er noch gedankenversunken auf und ab, dann setzte er sich wieder in seinen Lehnstuhl, als wäre nichts geschehen.
Wie er so dasaß und zum Fenster schaute, rief er nach Leah, die irgendwo hinter ihm stand. Er zog die erwachsene Tochter zu sich auf den Schoß:
»Hast du Klavier gespielt?«
»Ja.«
»Bist du im Garten spazierengegangen?«
»Ja.«
»Und möchtest du ein neues Kleid haben, Närrchen?«
Aber Leah war noch ganz verwirrt, und so sagte sie:
»Papa, ihr Messias ist besser!«
Sie erschrak über ihre eigenen Worte. Reb Levi sah sie mit schreckgeweiteten Augen an. Sie rückte von ihm ab und lief eilends zurück in ihr Zimmer.