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Was geschieht, wenn ein Mensch allein bleibt
ОглавлениеIn einem alten Buch las ich, daß ein Mensch sich davor hüten solle, allein zu bleiben. Anfangs glaubt er, es mache ihm nichts aus. Später aber kommen krause Gedanken, seine Stimme verändert sich und er geht herum wie im Taumel.
Hätte Benje dies gewußt, wäre er vielleicht nicht in der Mühle geblieben. Vielleicht hätte er sich aufgerafft und wäre in ein Nachbardorf gezogen, oder er hätte einfach zum zweiten Mal geheiratet.
Für einen älteren Menschen allein ist das Leben auf dem Lande zu schwer.
So aber kochte Reb Benje jeden Tag sein bescheidenes Mahl, molk die Kuh und ging hernach, die Hände auf dem Rücken verschränkt, um die Mühle spazieren. Oder er sagte Psalmen auf, wie es einsame Menschen oft tun.
Doch wie er einmal zum Brunnen ging, um sich zu waschen, sah er im Wasser, daß seine Unterlippe herabhing.
Benjes Unterlippe hatte nie zuvor herabgehangen.
Er verstand gleich: Das kam, weil er allein war. Er ging zurück ins Haus, nahm den Spiegel von der Wand, musterte sich, und in der Tat, seine Lippe hing herab. Dafür waren ihm die Brauen dichter zusammengewachsen, und er sah haarig aus, zottig und verwahrlost wie ein Iltis. Reb Benje betastete seine Lippe und spürte, daß sie trocken war wie ein Stück Lehm.
Und obgleich der Abend mild war, kroch er auf den Ofen und mummte sich in seine alten Sachen. Bald darauf schlief er ein.