Читать книгу Atme oder stirb! - Monika Buttler - Страница 10
ОглавлениеAuf dem Psycho-Gleis
21. August 1987
Vom Krankenhaus St. Georg werde ich in der psychosomatischen Abteilung der Uni-Klinik angemeldet. Wieder einmal erzähle ich meine Krankengeschichte. Dabei wird mir die Hoffnungslosigkeit meiner Lage erneut bewusst, meine Nerven sind schwach geworden, und ich breche in Tränen aus. Doch die schmallippige Therapeutin bleibt kühl. „Ist Ende 1985, als Sie krank wurden, etwas Besonderes passiert?“, fragt sie. Diese Frage kenne ich schon, und ich werde sie immer wieder hören. Nein, es ist nichts Besonderes passiert. Dann muss ich meine Biographie erzählen. Meine Eltern: der Vater Bankdirektor im Ruhestand, oft von Katarrhen geplagt; die Mutter Hausfrau und mit Ende vierzig an Heuschnupfen erkrankt, den sie aber mit einer Eigenblutbehandlung loswerden konnte.
Eine erbliche Belastung ist also da, das sehe ich auch, aber muss jede Disposition zum Ausbruch der Krankheit führen? Und muss jede ausgebrochene Krankheit deshalb für immer bleiben? Ich werde schon wieder rebellisch. Also weiter. Meine einzige Schwester, „nervenkrank“. Aber was hatte das mit mir zu tun? Mein eigener Werdegang: Abitur, Journalistin geworden, mit knapp vierundzwanzig einen Pastorensohn geheiratet, der später Marktforscher wurde; zwei Fehlgeburten, nach 14-jähriger Ehe Trennung, zwei Jahre später Scheidung. Ein Jahr lang „Single“ und seither mit einem iranischen Teppichkaufmann zusammenlebend. Das war’s.
Nachdem ich das alles abgespult habe, eröffnet mir die Therapeutin, dass sie mich aus Kapazitätsgründen gar nicht behandeln könne und ich mir in meinem Stadtteil jemanden suchen müsse. Da ich nicht weiß, wer auf Kasse behandelt, rufe ich sie noch einmal wegen einer Adresse an. Empfohlen wird mir eine Ärztin in der Hochallee. Auch diese animiert mich wieder, die ganze Geschichte von A bis Z zu erzählen, um mir dann eine junge Kollegin ans Herz zu legen, bei der die Therapie gleich gestartet werden könne.
Frau Dr. Abel – ich bin immer versucht, Fräulein Dr. Abel zu sagen – , ist 28 Jahre jung und notiert eifrig, was ich zu berichten habe. Das geht nun schon fünf Sitzungen so, und ich warte noch immer auf den erlösenden Therapieansatz.
„Haben Sie sich mal überlegt, ob Sie vielleicht Angst vor den Wechseljahren haben?“, fragt Frau Dr. Abel. Wechseljahre? Ja, ich weiß Bescheid darüber. Aber Angst? Seltsamer Gedanke. Ich bin so von meinem Asthma gebeutelt, dass für andere Ängste gar kein Raum bleibt. Natürlich habe ich so meine Überlegungen. Sollten bei mir mal Hitzeschübe auftreten, so würde ich mit Hormontabletten anfangen. Ansonsten fühle ich mich in eine gewisse Kontinuität eingebettet, die mir Sicherheit gibt: seit Jahren derselbe Mann, dieselbe Redaktion und dieselbe Wohnung. Ich mag es, wenn die wesentlichen Dinge beständig sind und sorge selbst mit dafür, dass es möglichst so bleibt.
Mein späterer schwerer Unfall beendet diese Therapie-Episode. Mit meiner Beinverletzung, teile ich Frau Dr. Abel mit, könne ich unmöglich die hohen, steilen Treppen zu ihr hinaufsteigen ...
Damit hat sich wohl ein geheimer Wunsch erfüllt. Nicht, dass ich Angst vor den „Ausgrabungen“ einer Psychotherapie gehabt hätte; selbst eine richtige „Psychoanalyse“ hätte mich nicht geschreckt, und meinetwegen sollte man ruhig nach der gestörten Mutterbeziehung suchen, die angeblich allen Asthma-Erkrankungen zugrunde liegt. Nein, es war anders. Ich glaubte einfach nicht, dass ich durch diese Methode gesund werden könnte. Und da ich ein aktiver, nach vorn schauender Mensch bin, ödete mich die Sache auch etwas an. Mit psychischen Hintergründen wollte ich mich lieber auf meine Art befassen.
So begannen sich auf meinem Nachttisch Mengen esoterischer Literatur zu stapeln. Zum Schlüsselerlebnis wird das Buch „Krankheit als Weg“ von Thorwald Dethlefsen und Rüdiger Dahlke. Ein wahrer Schocker. Ich bin angezogen und abgestoßen, fasziniert und empört zugleich. Bisher hatte ich immer gedacht, dass Gesundheit das Normale und Krankheit das Abweichende sei. Jetzt lese ich, dass Krankheit die normale „Grundbefindlichkeit“ unserer Existenz sei, die uns zur Heilung, d.h. zum Heil- und Ganzwerden hinführen soll. Krankheit als Lektion mit der Folge „Wer nicht lernt, der leidet“. Der Gedanke überzeugt mich. Haben wir nicht schon immer schwere Krisen als Durchgang zu einem neuen Leben betrachtet, und lag nicht eine Wahrheit darin, dass wir über die Krankheit eine Schuld abzutragen hatten?
Etwas Anderes gefällt mir überhaupt nicht. Der Kranke, so die Autoren, solle seine Symptome nicht bekämpfen, sondern geradezu lieben, da sie ihm doch seinen seelischen Mangel anzeigten. Ich soll sie also lieben, diese schlaflos machenden Keuchgeräusche, diesen würgenden Schleim und dieses gurgelnde Nach-Luft-Schnappen? Mir wird bewusst, wie sehr ich alles hasse, wie ich gewaltsam alles abschütteln will und dabei immer mehr zur Gefangenen werde. Wie ein Insekt im Netz suchte ich panisch nach einem Ausgang und verstrickte mich dabei immer mehr ...
Eine meiner Lieblingsideen wird die Hypnose. Das Ganze weghypnotisieren, einfach wegzaubern, das scheint mir nun die Lösung zu sein. Den Anstoß hatte ein Buch gegeben: „Was ist, was kann, was nützt Hypnose?“ von Dr. med. Karl Schmitz. Darin wurden Fälle dargelegt, bei denen dieser Arzt Funktionsstörungen mit Hypnose geheilt hatte. Auch zwei ausführlich dokumentierte Heilungen von Asthma waren dabei.
Leider kann ich den Arzt nicht konsultieren, er ist schon tot, das Buch 1951 erschienen. Doch verzweifelt klammere ich mich an die beiden beschriebenen Lebensschicksale und suche nach einer Adresse.