Читать книгу Atme oder stirb! - Monika Buttler - Страница 3
Оглавление„Sie haben Asthma“
Frau Dr. von Schacht wird langsam ungehalten. „Also, Kindchen, ich sagte es doch schon: Die Krankheit ist nicht heilbar. Es hat gar keinen Zweck, dass Sie jetzt von Arzt zu Arzt laufen. Sie holen sich einmal im Monat Ihr Rezept bei mir, und dann können Sie mit den Medikamenten ganz ordentlich leben.“
Diese Szene spielte sich 1987 in der Praxis einer Lungenfachärztin ab, und sie sollte sich im Laufe meiner siebenjährigen Leidensgeschichte noch öfter wiederholen, soweit es Besuche bei Schulmedizinern betraf.
Alles hatte im Herbst 1985 ganz banal mit einem Schnupfen angefangen: Niesen, Erkältung, trockener Reizhusten.
10. November 1985
Ich begebe mich zu Dr. Paulsen, einem renommierten HNO-Arzt, und erhalte die Diagnose: „Verschattung der Nebenhöhlen“. Sinusitis, sagt er, ein Wort, das ich noch nie gehört habe. Dr. Paulsen setzt sofort alles ein, um diesen unangenehmen Zustand zu beenden: Naseninhalation, Mikrowelle, pflanzliche Mittel. Aber von Mal zu Mal komme ich in schlechterer Verfassung in seine Praxis. Etwas hat sich an meiner Atmung verändert.
„Das ist eine spastische Bronchitis“, stellt Dr. Paulsen fest, als er meine keuchenden Geräusche hört. Kommentar beim nächsten Mal: „Das ist schon eine Vorstufe zum Asthma.“ Und bei einem weiteren Besuch: „Sie haben Asthma. Sie müssen von einem Facharzt behandelt werden.“
Man kann nicht sagen, dass in diesem Moment die Welt für mich einstürzte. Asthma? Das klingt irgendwie armselig, es klingt nach Lebensschwäche, und ich erinnere mich an ein Klassenfoto: Annette, ein zartes, liebes Mädchen mit gewaltigem Rundrücken. Mit sechzehn Jahren war sie an Asthma gestorben. Ich finde die Diagnose unerfreulich, aber nicht niederschmetternd, weiß ich doch naturgemäß nicht, was mich alles in den nächsten sieben Jahren erwartet: dass die Krankheit alle vierundzwanzig Stunden bei mir sein wird, dass ich Ewigkeiten der Todesangst durchleben werde, dass ich nirgendwo mehr werde hingehen können und dass ich eines Tages im Koma liegen werde.
Der unerklärliche „Etagenwechsel“ von der Nase zu den Bronchien ist weitergegangen, und es kommt zu jenem traumatischen Schockerlebnis, das sich für immer mit Angst, Entsetzen und Fassungslosigkeit in das Gedächtnis prägt: Ich erleide meinen ersten Asthmaanfall.
31. Dezember 1985
Es fängt mit einem zwanghaften Reizhusten an, begleitet von zähem Schleim, der sich nicht lösen will. Schweißnass und mit rotem Kopf versuche ich auszuatmen; doch die Luftwege werden enger und enger, machen rasselnde Pfeifgeräusche, so dass ich in Panik Mengen an Luft schlucke, ohne sie wieder abgeben zu können. Mein Mann, der mich mit hochgezogenen Schultern über dem Tisch hängen sieht, schaltet sofort und bringt mich in die Krankenhaus-Ambulanz.
Auf einem Bett sitzend, inzwischen sprachlos, trinke ich eine Lösung aus einem Becher. Wann hört es auf? Wann hört es auf? denke ich, und schließlich kann ich diese Worte auch über die Lippen bringen. „Es dauert nicht mehr lange“, sagt der Arzt. Mein Mann wiederholt die Worte und hält meine Hand.
Man lässt mich gleich dableiben. Die Universitätsklinik in Hamburg: mein erster Aufenthalt als Asthmakranke. Noch weiß ich nicht, dass ich in sieben Jahren achtmal im Krankenhaus sein werde. Es ist die Silvesternacht, das Jahr 1986 wird eingeläutet, und ich hoffe, bald wieder gesund zu sein. Die beiden alten Mitpatientinnen und ich sehen durch ein schmales Fenster einen kleinen Ausschnitt des Feuerwerkhimmmels, und die über 70-jährige weint, weil ihre Eltern sie als Kind weggegeben haben. Ich fühle mich nach einer Antibiotika-Behandlung aufgebaut und werde entlassen, „eine 46-jährige Patientin in gutem Ernährungs- und Allgemeinzustand.“
6. Januar 1986
Die Wirkung der Antibiotika ist bald verpufft, und ich bin wieder in das alte Elend zurückgefallen: Tag und Nacht sind die Bronchien verengt und geben Geräusche von sich. Die Behandlung hat mein Hausarzt um die Ecke, Dr. Brockmann, übernommen. Er weiht mich in die Grundlagen der Asthma-Therapie ein und zeigt mir, wie man ein Dosier-Aerosol benutzt. Es ist ein kleines Gerät, ein Taschenspray, mit dem man sich per Druck ein bronchialerweiterndes Mittel in den Rachen sprüht. Dazu verschreibt er ein Medikament mit dem Wirkstoff Theophyllin, das ebenfalls die Bronchien erweitert. Ich denke, dass ich mit diesen gezielten Maßnahmen nun bald gesund werde.
Davon kann aber keine Rede sein. Ich sitze wieder einmal bei Dr. Brockmann im Wartezimmer. Meine Geräusche erfüllen den ganzen Raum, ich ringe nach Luft, bin entnervt, und mir laufen die Tränen übers Gesicht. Erschrocken rufen die Patienten den Arzt und lassen mich vor. Dr. Brockmann gibt mir eine Spritze. „Was ist das bloß für eine Krankheit?“, frage ich ihn, als der Krampf sich gelöst hat. „Es ist eine überschießende Reaktion“, sagt Dr. Brockmann. Bei dieser „Erklärung“ lässt er es bewenden und verabschiedet mich, mit beiden Händen meine Hand drückend.
Inzwischen habe ich mir Bücher über Asthma besorgt. Da muss ich wohl selbst dahintersteigen. Wozu bin ich schließlich Journalistin? Das wäre ja gelacht, wenn ich das nicht wegkriegen könnte. Ich erfahre, dass die Krankheit eine allergische, eine entzündlich-infektiöse und eine psychische Komponente hat. Außerdem lese ich zu meiner Überraschung, dass es eine Nervenerkrankung ist: Der Sympathikus arbeitet zu schwach, der Parasympathikus zu stark. Deshalb sind Asthmatiker in der Nacht zwischen vier und sechs Uhr, wenn der Parasympathikus Regie führt, den Anfällen besonders ausgesetzt. In seinem Buch „Sprechstunde Asthma“ gibt ein Spezialist aus Bad Reichenhall viele tröstlich formulierte Ratschläge, erklärt aber bedauernd, dass die Krankheit leider nicht heilbar sei. Ein weiteres Buch „Mit Asthma leben“ bringt mich gleich auf die Zinne. Ich will ja nicht „mit“, sondern „ohne“ Asthma leben. Der Autor, der schon auf fünfzehn Krankheitsjahre zurückblicken kann, ist für mich ein unfähiger Schwächling. Ein drittes Buch „Das Asthma und seine Heilung“, wenngleich aus der Nazi-Zeit stammend, kommt mir da schon eher entgegen. Ich arbeite es gründlich durch und mache mir eine Liste, was ich „forcieren“ und was ich „vermeiden“ muss, um gesund zu werden. Gut sind zum Beispiel heiße Fußbäder, schlecht sind Federbetten.
In unserem Schlafzimmer gibt es jetzt nur noch doppellagige Kamelhaardecken, und das schöne Wintergarten-Ambiente mit den vielen Pflanzen wird in Kürze der Vergangenheit angehören. Ein ägyptischer Arzt, den wir gerade zu Besuch haben, meint, dass ich alle Pflanzen entfernen müsse. Sie seien Sporenträger und Staubfänger – „schlecht für die Lunge“. So muss ich mich mit den Palmen-Dessins auf meinen Chintzgardinen zufriedengeben. Für mich schönheitsdurstige Wohnjournalistin schon eine Einschränkung.
28. März 1986
Karfreitag bin ich allein in der Wohnung. Ich habe Kopfschmerzen und nehme eine Aspirin-Tablette. Langsam merke ich, dass die Bronchien immer enger werden. Ich fange an zu schnappen, gerate völlig aus dem Takt und reiße die Balkontür auf. Damals wusste ich noch nicht, dass Luftzufuhr völlig sinnlos ist. Es entbehrt „... nicht des Grotesken, dass der Asthmatiker von unbegrenzten Mengen Luft umgeben ist und es nicht fertigbringt, einen winzigen Teil davon den kurzen Weg von 30-50 cm durch die Luftröhre in seine Lunge zu befördern“, schreibt der Ernährungsmediziner und Psychosomatiker Max Otto Bruker. Und warum kann er das nicht? Weil Schleim und Krampf die Bronchien verengen.
Im Haus ist es totenstill. Alle scheinen über Ostern verreist zu sein. Ein Telefon habe ich nicht mehr, seitdem ich vierzehn Monate Telefonterror hatte. Ein Mosaikstein zu meinem Psychogramm: Nichts stört mich mehr, als wenn jemand in meine Privatsphäre eingreift. Ein anderes Steinchen: Ich bin der Meinung, dass man von keiner Sache zu abhängig sein sollte. Sei es vom Rauchen, vom Trinken oder eben vom Telefon. Ich sah einen amerikanischen Film, in dem eine junge Frau telefonisch fast zum Wahnsinn getrieben wurde. Während des ganzen Films dachte ich: Du kannst doch Siegerin bleiben, man muss doch kein Telefon haben. Natürlich wäre es dann kein Thriller geworden.
An diesem Karfreitag wird mir mein telefonloser Zustand fast zum Verhängnis. Ich stehe, gekrümmt von einem Erstickungsanfall, auf unserem Erdgeschoss-Balkon, und gerade als ich ein paar rudernd-winkende Bewegungen zu den vorbeigehenden Passanten machen will, kommt mein Mann nach Hause. Er ist Iraner, Teppichkaufmann, und hatte einen Kundenbesuch gemacht. Er packt mich am Handgelenk und schleift mich zum Auto. In rasender Fahrt geht es bei Rot über die Kreuzung zur Ambulanz ins Uni-Krankenhaus. Der Arzt sucht meine Vene, während mein Kopf nach vorn fällt, und gibt mir Spritzen. Endlich, endlich hört alles auf, und ich kann zurückgelehnt ausruhen. Nach Stunden fahren wir wieder nach Hause. „Du warst schon blau angelaufen“, sagt mein Mann. Und wie haben die mich wieder hingekriegt? „Mit Theophyllin- und Cortisonspritzen.“ Am ersten Tag nach Ostern beantrage ich einen Telefonanschluss